Popularmusiker in der provinz



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I) H.S. Becker

In seiner mittlerweile den Rang eines Standardwerkes besitzenden Arbeit “Außenseiter - Zur Soziologie abweichenden Verhaltens” (1981) widmete sich H. S. Becker der Problematik gesellschaftlichen Außenseitertums bedingt durch sozial abweichendes Verhalten (vergl. Abschn. 2). Die für seine Argumentation erforderlichen Daten gewann Becker durch die Mittel der teilnehmenden Beobachtung und des unstrukturierten Interviews.

Gegenstand von Beckers in den 1940-er Jahren durchgeführten Forschungen waren zunächst die Personengruppen der Marihuanaraucher und der Tanz- bzw. Jazzmusiker der Stadt Chicago. Diese lieferten ihm Beispielfälle für solcher Teilgruppen der Gesellschaft, deren Mitglieder zwar von allgemeinen gesellschaftlichen Normen abweichende Verhaltensweisen präsentierten, sich jedoch dabei im Einklang mit den Werten und Regeln derjenigen Außenseitergruppen befanden, denen sie angehörten.

Im Zusammenhang seiner Untersuchung der Kultur der Tanz- bzw. Jazzmusiker konzentrierte Becker sich auf drei für ihn wesentliche Aspekte :

“1. die Vorstellungen, die Musiker von sich selbst und Nichtmusikern haben, für die sie arbeiten, und der Konflikt, der nach ihrem Empfinden dieser Beziehung inhärent ist ;

2. der grundlegende Konsens, der den Reaktionen sowohl der kommerziellen als auch der Jazzmusiker auf diesen Konflikt zugrunde liegt ;

und

3. die Gefühle von Isolierung, die Musiker gegenüber der größeren Gesellschaft empfinden, sowie der Art und Weise, in der sie sich selbst von den Zuhörern und der Gemeinschaft entfernen.” (Becker 1981, S. 74)


Gemäß Becker war es als wichtiger Bestandteil des Identitätsgefühles der von ihm beobachteten Tanzmusiker zu betrachten, sich von den “Spießern” abzuheben (vergl. Frith 1981 ; vergl. Behrendt 1978). Dieses ergab sich nicht allein aus dem beruflichen Status der Tanzmusiker, sondern auch aus Items, die den Lebensstil betrafen - Sexualverhalten, Drogengebrauch u.ä. (ebd., S. 76 ff.) -, ferner aus der Beschreibung verbreiteter Einstellungen - z.B. gegenüber Kollegen und/oder dem Publikum, welchem gegenüber die meisten von Becker befragten Tanzmusiker “feindselig” eingestellt gewesen seien, weil es sich im Wesentlichen aus “Spießern” zusammensetzte. Die konflikthafte Einstellung der in Beckers Arbeit beschriebenen Tanz- und Jazzmusiker zum Publikum (ebd., S. 76 ff., S. 82 ff.) schien einen durchaus fruchtbaren Nährboden für die Selbstwahrnehmung als Außenseiter zu liefern. So wurden von den Musikern gelegentlich Extrempositionen bezogen : Entweder spielte man Musik, die man selber mochte und die dem Publikum mißfiel, oder man spielte Musik die einem selber mißfiel, die jedoch beim Publikum gut ankam (ebd., S. 86). Als Reaktionen auf diese Situation beschrieb Becker eine Tendenz von “Isolierung und Selbstabsonderung” unter den von ihm beobachteten Musikern.

Weitere Aufmerksamkeit widmete Becker dem Umstand, wie sich der berufliche Status im persönlichen Bereich der Tanz- bzw. Jazzmusiker auswirkte (Familie, Eltern, Freundeskreis) sowie den entsprechenden beruflichen Karrierewegen. Einen besonderen Aspekt lieferte die (Wechsel-)Beziehung zwischen beruflichen Möglichkeiten und der Struktur der von Becker beleuchteten Tanz-/Jazzmusi-ker-“Szene” bzw. deren Segmentierung in einzelne “Cliquen” und deren Beziehungen untereinander 62.

Im Hinblick auf den Gegenstand der hier durchgeführten Studie sind Beckers Befunden gegenüber jedoch einige Einwände zu erheben :
i.) Beckers Untersuchung stammt aus den 1940-er Jahren. Nicht nur in den USA hat sich seit diesem Zeitpunkt wenigstens die Massenmedienlandschaft hinsichtlich Vielfältigkeit, Funktionsweise(n), Verbreitungstechnik(/-technolo-gien) u.v.a.m. erheblich verändert. Andererseits ist gerade Popularmusik unterschiedlicher Stilistiken nach wie vor wichtiger Verbreitungsgegenstand der Mas-senmedien (vergl. Frith u.a.).
ii.) Beckers Datenquelle bildeten im Wesentlichen Angehörige von Chicagoer Tanz- bzw. Jazzmusikerkreisen. Nicht zuletzt wegen der Akademisierung des Jazz, die sich zumindest in der BRD in den letzten 30 Jahren in zunehmenden Ausmaß vollzogen hat - diese kann in den USA bereits auf eine längere Geschichte zurückblicken 63 - können zumindest Beckers Jazzmusiker nicht mehr ohne Vorbehalte mit Jazzmusikern der 1980-er bzw. 1990-er Jahre verglichen werden. Immerhin dürften inzwischen im Jazzbereich ganz andere Karrierewege zur Verfügung stehen als noch zu Beckers Zeiten. Es muß also somit die Frage danach gestellt werden, welche Genres der musikalischen Selbstverwirklichung eine vergleichbare, jedoch zeitgemäßere “Wert”-Stellung besäßen. Gemäß oben referierter Ausführungen von Willis, Hebdige et al., Chapple/Garofalo u.a. m. können als Nachfolger von Beckers Tanz- bzw. Jazzmusikern zumindest solche Akteure betrachtet werden, die sich auf popularmusikalischem Gebiet der “Tra-dition” künstlerischer Eigenständigkeit und Authentizität verpflichtet fühlen : die Adepten der “progressiven Rockmusik” der frühen 1970-er Jahre, des “Punk/ New Wave” der späten 1970-er/frühen -80-er Jahre sowie verschiedener aktueller “Independent”- bzw. “Avantgarde-Pop”-/“Neo-Underground”-Stile, die - wie im Fall der von der Hippie-Subkultur beeinflußten Musiker des “progressiven” Rock - nicht selten auch selbst einem subkulturellen Kontext zuzurechnen wären.
iii.) Für Beckers Untersuchung stand die “Szene” einer US-amerikanischen Großstadt (Chicago) zur Verfügung. Da verschiedene Entwicklungen im Bereich der Popularmusik in den USA nicht losgelöst vom Hintergrund des sog. “Rassenkonfliktes” gesehen werden dürfen, der auch in den Großstädten des Nordostens seine Auswirkungen hat - wie natürlich bereits auch schon in den 1940-er Jahren dieses Jahrhunderts -, ergibt sich die Frage, ob Beckers Befunde so ohne weiteres mit Daten verglichen werden könnten, die aus der “Szene” einer mittleren Großstadt der BRD stammen 64. So steht außer Frage, dass zum Zeitpunkt von Beckers Untersuchung der Jazz schon lange nicht mehr eine Angelegenheit ausschließlich der schwarzen Musiker war, wie auch das Publikum dieser Musiker sowohl aus weißen als auch aus schwarzen Zuhörern bestand.

Ob die von ihm untersuchten Musiker vielleicht auch zu Feierlichkeiten speziell der schwarzen Gemeinden aufspielten65 oder anläßlich solcher mit den von Jost beschriebenen “Loftparties” vergleichbarer Gelegenheiten auftraten (Jost 1982a u. 1982b), geht aus Beckers Ausführungen nicht hervor. Der Aspekt der Gebrauchsmusik dürfte im Vordergrund der beruflichen Tätigkeit von Beckers Tanzmusikern gestanden haben, wenngleich sie diese Tätigkeit verachteten und ebenso die Personen, die Tanzmusik hören wollten, als “Spießer” titulierten 66.

Sich besonders zu Beckers Zeit gerade in den Metropolen Nordamerikas lebhaft entwickelnde innovative Jazz-Stile (z.B. Be-Bop) bildeten eine “progressive”, moderne und revolutionäre Kunstform, die weit mehr die persönliche Note des eine bestimmte Spielart der Popularmusikform “Jazz” praktizierenden Künstler in den Mittelpunkt des Interesses zu stellen bemüht war und dem reproduktiven Akt, bereits bekannte Musikstücke zum Tanz nachzuspielen, weniger Beachtung schenkte. Die Einstellung zum Jazz war ein klassifizierendes/stigmatisierendes Kriterium für Beckers Tanzmusiker - ob eine Person als “Spießer” zu bezeichnen war oder nicht. Entlang dieser Linie grenzte sich die Außenseitergruppe von ihrer Umwelt ab. Andere Charakteristika der abweichendes Verhalten zeigenden Gruppe der Tanzmusiker, die Becker zwar als weitgehend gesetzestreu, aber in Kultur und Lebensweise absonderlich und unkonventionell beschreibt, stellen ein gewisser Ehren- und Verhaltenskodex unter den Musikern dar, ein weitgehend homogener Kleidungsgeschmack und Sprachstil sowie ein gewisses solidargemeinschaftliches Verhalten untereinander.

Die anläßlich dieser Studie beobachteten Personen unterscheiden sich auch insofern stark von der durch H.S. Becker untersuchten Klientel, als dass sie z.B. in der Mehrzahl keiner professionellen musikalischen Tätigkeit nachgehen, die mit der von Beckers Tanz- bzw. Jazzmusikern vergleichbar wäre. Sie bestreiten ihren Broterwerb auch nicht vornehmlich durch Engagements oder andere Varianten professionellen Musikertums im Popularmusikbereich, gar nicht bis kaum durch Mitgliedschaft in einer Tanz- oder “Top 40”-Kapelle.

Dies resultiert zunächst einmal augenscheinlich aus der grundsätzlich anderen - nicht nur lokalen - Infrastruktur für “Live”-Musik im Vergleich zum Chicago der 1940-er Jahre. Diskotheken, Clubs und Kneipen decken heute ihren Musikbedarf hauptsächlich mit Konservenmusik. “Live”-Auftritte sind hier eher die Ausnahme, was die potentiellen Arbeitsmöglichkeiten und generell die Möglichkeiten, einen Musikerberuf im Popularbereich auszuüben, auf nachvollziehbare Weise stark einschränkt. Tanzmusik, als “Live” reproduzierte Nachahmung von Schlagern und “Chart-Hits”, fristet heute ein - wenn auch in finanzieller Hinsicht gelegentlich nicht schlecht ausgepolstertes - Nischen-Dasein.

Auf der anderen Seite muß die enorme Vielfalt popularmusikalischer Stilistiken, die sich seit den 1940-er Jahren entwickelt haben, berücksichtigt werden. Diese Stile - und mit ihnen die dazugehörigen Moden und manchmal auch Weltanschauungen - scheinen eine immer kleiner werdendere Halbwertzeit sowohl in ihrer Gestalt als gerade aktueller Trend zu besitzen. Dennoch können sie als Sparten über lange Zeit parallel existieren : So gibt es zur Zeit u.a. große “Tech-no”-Parties (“Mayday”, “Love-Parade” u.a.), und sog. “Volksmusik” als - nach wie vor aktueller - Popularmusikstil hat sich gerade in den letzten Jahren zu einem akzeptierten Markt mit hoher Medienpräsenz entwickelt. Auch fanden zumindest Mitte der 1990-er Jahre zahlreiche große Festival-Veranstaltungen statt, die der Präsentation von “Heavy Metal” und artverwandter Popularmusik gewidmet waren (z.B. das “Dynamo” in Holland oder “Donnington” in England u.ä.). Die “Rolling Stones” füllen immer noch mühelos jedes Stadion, und niemanden scheint es zu stören, dass deren Lieder - mittlerweile immerhin 30 Jahre alte Titel - inzwischen zu einer Art “Rock-Evergreens” mutiert sind, zu tradierter, in Zeiten der Globalisierung allgemein akzeptierter und internationalisierter Folklore, obwohl “I can´t get no Satisfaction” anscheinend immer noch gerne als eine Art musikalischer Ausdruck für Rebellion, Aufbruch und Individualität rezipiert wird.

Jost bemerkt zu Beckers Untersuchungsergebnissen : “Dass es sich bei diesem Musiker (Beckers “typischer” Jazz- bzw. Tanzmusiker, A.d.A.) jedoch keineswegs um den Jazzmusiker handelte, sondern um einen ganz bestimmten Typus in einer ganz bestimmten historischen Situation, ist in den Untersuchungen wie z.B. jenen, die Howard S. Becker bei einer späteren Generation von frustrierten weißen Jazzmusikern in Chicago durchführte, nicht ausreichend herausgearbeitet worden.” (Jost 1982a, S. 54)67

Sicherlich mag dieser Einwand hinsichtlich des “historischen Situationsaspektes” zutreffend sein, andererseits war es Beckers Anliegen, mit seinen Feldforschungen eine Theorie über soziale Außenseiter empirisch zu untermauern, nicht jedoch eine Theorie über den oder die Jazzmusiker.

Schwörers Untersuchung zur Frankfurter Jazz-Szene (Schwörer 1989) zeigt u.a., dass 47 % der Musiker seiner Studie im Schnitt 0,5 bis 2 Auftritte pro Monat und insgesamt 16 % weniger als 6 Auftritte pro Jahr bestritten - das nebenbei zum Thema “Isolation der Jazzmusiker gegenüber dem Publikum”, dem in Beckers Arbeit eine große Bedeutung zugemessen wurde 68.

Josts Arbeiten zur Situation US-amerikanischer Jazzmusiker in der Nachkriegszeit und der jüngeren Vergangenheit beschreiben dann zwar u.a. die Auswirkungen von Entwicklungen im Bereich der modernen Massenmedien auf die beruflichen Möglichkeiten amerikanischer Jazzmusikern in den “Szenen” ihrer jeweiligen Heimatstädte. So u.a. werden von mehreren Musikern Statements zu Konzentrationsprozessen des amerikanischen Jazzgeschehens auf Zentren wie New York und/oder Los Angeles vorgestellt (Jost 1982b). Im Wesentlichen wird jedoch das Dilemma zwischen künstlerischer Selbstverwirklichung und wirtschaftlichem Überleben, welches bereits bei den Musikern aus Beckers Untersuchung auftauchte, eher nur aus einem anderen Blickwinkel heraus beleuchtet (Jost 1982b ; vergl. auch Jost 1982a), der nicht selten der einzelner betroffener Musiker ist. Josts ausführliche Schilderungen diverser Einzelschicksale bekannterer oder nur Jazz-Insidern bekannter Musiker liefern zumindest eine präzise Beschreibung des kulturellen Außenseiterstatus dieser Künstler und ihres jeweiligen Musik-Genres als nach wie vor unterbewertetem bzw. ignoriertem Bestandteil wenigstens der zeitgenössischen US-amerikanischen Musikkultur (Jost 1982b). Es macht jedoch den Anschein, als sei ein in diesem Zusammenhang mehr oder weniger deutlich mitschwindender kulturpflegerischer Ansatz nicht ganz frei von propagandistischen Absichten bzw. hinter einer wissenschaftlichen Attitüde verborgenem “Jazz-Fantum”.


II) Rockmusiker

Frith (1981 u. 1983) weist darauf hin, dass die Pop-/Rockmusiker eine nach außen relativ abgeschottete Gemeinschaft bildeten (Frith 1981, S. 201 ff.), eine “Rock`n`Roll-Bruderschaft”, die sich zudem durch eine fast vollständige Abwesenheit von Frauen auszeichnete.

In den von ihm untersuchten Musikerkreisen hätten sich ferner hinsichtlich der ausgeübten musikalischen Tätigkeit bestimmte Werte herausgebildet : Einerseits würde hinsichtlich des Umstandes, dass viele Rockmusiker als gewissermaßen “Allzweckmusiker” (ebd., S. 183) in der Lage sein müssen, eine große Anzahl musikalischer Dienstleistungen möglichst optimal anbieten und ausführen zu können, ein spezifisches Understatement des “Professionals” gepflegt. Dieses Selbstverständnis unterscheide sich allerdings von in anderen Bereichen der Musikausübung gängigen Vorstellungen von Professionalität. Andererseits käme gerade bei solchen Rockmusikern, die sich durch ihren persönlichen Stil auf dem Markt etabliert hätten, dem Aspekt des “Entertainment” eine bedeutende Rolle zu 69.

Bekannte Rockmusiker sind allemal Bestandteil des Showgeschäftes, und dort “bedeutet Talent im herkömmlichen Sinne nicht so sehr künstlerische Ausdruckskraft, sondern eher die Fähigkeit, unterhalten zu können.” (ebd., S. 185)

Im Unterschied zu den von H.S. Becker (1981) untersuchten Jazzmusikern zeichnen sich Frith´ Rockmusiker in ihrer Eigenschaft als Entertainer als mehr oder weniger frei von einem eigenen, ihre musikalische Tätigkeit betreffenden ästhetischen Standpunkt aus : “Die Selbsteinschätzung der Entertainer beruht nicht zuletzt auf einem Glauben an das Publikum ; schließlich läßt sich die eigene Arbeit nur mit dem Publikumsgeschmack rechtfertigen. Entertainer haben - anders als Jazzmusiker - keine eigenen Kriterien zur Beurteilung ihres `Wer-tes´.” (Frith 1981, S. 185)

Gemäß Frith sei das Verhältnis der Rockmusiker zu ihrem Publikum deswegen weniger von Verachtung geprägt, “weil ihre Selbsteinschätzung zum Teil auf dem Glauben beruht, sie würden nicht nur ihre eigenen, sondern die Wertvorstellungen der gesamten Jugend repräsentieren.” (ebd., S. 185). Durchaus zeichnet sich aber auch eine eher abschätzige Einstellung gegenüber “bürger-lichen Lebensweisen/Werten” unter den Rockmusikern ab 70, zu der Frith Parallelen im Einstellungsgefüge der derzeitigen literarischen Bohéme der US-amerikanischen Großstädte sieht (ebd., S. 201 ff.).

Das oft gehörte Schlagwort von der “Rock`n`Roll-Rebellion” ist jedoch gemäß Frith insofern zu relativieren, als dass sich im Rock-Business weniger das Problem des Gegensatzes von “Kunst und Kommerz” stelle, sondern vielmehr das des Gegensatzes “von neuem und altem Geschmack” (ebd., S. 186) : “Der eigentliche Inhalt der `Rebellion´ der Rolling Stones bestand also lediglich darin, dass sie eine Form des kommerziellen Erfolges durch eine andere ersetzten.” (ebd., S. 187)

Daraus kann der Schluß gezogen werden, dass bestehende Strukturen allenfalls hin und wieder mit neuen Inhalten gefüllt werden : “Will man irgendeine abgetrennte Instanz des strukturellen Rasters der (massenmedialen, A.d.A.) Kommunikation bewahren (....), dann verbietet man sich, irgendetwas grundsätzlich zu verändern und verurteilt sich zu fragilen manipulatorischen Praktiken, die für eine `revolutionäre Strategie´ zu halten gefährlich wäre. In diesem Sinne ist Strategie nur jene, die die herrschende Form radikal in Frage stellt.” (Baudrillard 1978, S. 112)

In diesem Zusammenhang den Rockmusikern in gewisser Weise Konservativismus unterstellen zu wollen, würde sicherlich zu weit führen, auch wenn Frith schreibt : “So ist die Ideologie der Rockmusik mit ihrer erzwungenen Verbindung von Professionalismus und Nonkonformismus ihrem Wesen nach eine kleinbürgerliche Ideologie.” (Frith 1981, S. 196). Allerdings gehören - wie bereits oben gesagt - die Popmusiker aus Frith´ Untersuchung im Wesentlichen dem Bereich der kommerziellen Verwertung von Popularmusik an. Das bedeutet, dass sie entweder mehr oder weniger häufig für Pop-Stars tätig sind (bei Aufnahmearbeiten, als Tour-Musiker o.ä.) oder dass sie manchmal sogar selber Pop-Stars sind.
Die zeitliche Organisation der beruflichen Tätigkeit, die sich mehr oder weniger komplementär zu der bei vielen “bürgerlichen” Berufen üblichen verhält, die ständige Ortswechsel verlangende Konzertätigkeit können bei entsprechender Dauer und/oder Intensität der Berufsausübung nicht ohne Auswirkungen auf die Sozialkontakte bleiben 71. Gelegentliche “Extravaganz” der äußeren Erscheinung und/oder an aktuelle subkulturelle Strömungen angelehnte Outfits dürften in diesem Zusammenhang ebenfalls zu entsprechenden Effekte führen. Auch der bekanntermaßen um Popmusiker veranstaltete Medienrummel bleibt gelegentlich nicht ohne entsprechende Konsequenzen, die nicht nur wie im Fall einiger Protagonisten aus Rückzug in eine selbstgewählte Isolation sowie der Reduktion der Sozialkontakte auf den nahezu ausschließlichen Umgang mit anderen Angehörigen des Geschäftes bestehen können 72. Die von Frith bei den vom ihm untersuchten Popmusikern beschriebene “Kastenbildung”, die “Rock`n`Roll-Bruderschaft”, wäre demnach eher als Konsequenz der Eigenheiten/Arbeits-gepflogenheiten der Musikbranche zu betrachten, in die die betreffenden Musiker eingebunden sind (Frith 1981, S. 201 ff.) 73. Immerhin benannten in einer von Wills & Cooper (1988) durchgeführten Studie zu Berufsstress bei professionellen britischen Popularmusikern die Probanden u.a. folgende beruflich bedingte Stressfaktoren : 1) Abwesenheit sog. “normaler” Sozialkontakte ; 2) Involvierung in eine Art “Schein-” bzw. “Parallelwelt” ; 3) “Rechtsabwesenheit” der Berufsausübung (ebd., S. 42 ff. ; vergl. Salmen 1997) ; 4) “Fremd-Labeling” als “social outcasts” (ebd., S. 110).

Inwieweit die zu einer “professionellen Popularmusiker-Ingroup” gehörenden Musiker - bedingt durch die zeitliche Organisation der Arbeit und die häufig damit zusammengehenden Ortswechsel, die Abstinenz von häufiger verbreiteten Formen von Sozialkontakten, die Beschaffenheit des Lebenswandels (veränder-ter Tagesrhythmus, gelegentliche Hinwendung zu Drogen- und Alkoholkonsum, Promiskuität o.ä. - vergl. Wills & Cooper) - eine in irgendeinem Sinne zusammenhängende soziale Gruppe bilden, die netzwerkartig über die Musik- und Medienzentren zumindest der westlich geprägten Welt verteilt wäre, ob sie die Bedingungen sozialen Außenseitertums - welches noch näher zu definieren wäre - erfüllen bzw. ob beides der Fall ist, kann an dieser Stelle nicht weiter diskutiert werden.


Auch in Tennstedts Studie über die Beatband “The Petards”, die von 1964 bis 1972 in dem kleinen Ort Schrecksbach in der Schwalm, einer Region in Hessen, beheimatet war, scheint deutlich das Moment des sozialen Außenseitertum auf. Tennstedt (1979) das führt zunächst darauf zurück, dass die Mitglieder der “Pe-tards” schon bedingt durch die privilegierte soziale Stellung ihrer Eltern nicht in die dörfliche Gemeinschaft integriert waren 74. “`An sich´ passten ja weder ihre Musik noch ihr eigenartig kostümiert-langhaariges Auftreten zum `Schwälmer´, wo auch heute noch überdurchschnittlich viel Trachten zu sehen sind.” (ebd., S. 50). Andererseits weist der Autor jedoch auch auf den schnell gewonnenen Lokalmatadoren-Rang hin, den die Gruppe durch zahlreiche überregionale Auftritte sowie durch Fernseh- und Rundfunkpräsentationen bereits wenige Jahre nach ihre Formierung inne hatte (ebd., S. 51 ff.). Es wird ferner deutlich, dass die Isolation der “Petards” von der übrigen Dorfgemeinschaft - bedingt durch die spezielle musikalische Tätigkeit, dem damit verknüpften Status, das ständige Herumreisen, Fernsehauftritte u.a.m. - eher zunahm.

Eine weitere Stützung erfährt Beckers Isolationsthese allerdings nicht durch den Umstand, dass die “Petards” ebenfalls ihr Publikum nicht leiden konnten 75, zumal die Gruppe zahlreiche Fans hatte, die sich in entsprechenden Clubs organisierten : Die Isolation der “Petards” gegenüber ihrem Publikum dürfte sich eher als Nebeneffekt ihrer Präsenz in den Massenmedien ergeben haben : Fernsehauftritte und Konzertaktivitäten vor immer größer werdenden Auditorien erlaubten kaum irgendwie gearteten näheren Kontakt zum Publikum (vergl. Frith u.a.).

Die “Petards” konnten aber noch eine andere Art Außenseiterstatus für sich erobern - nämlich den von musikalischen Außenseitern. Tennstedt führt das darauf zurück, dass es die Musiker schlicht versäumt hätten, sich über neue Strömungen der damals aktuellen und an Bedeutung gewinnenden neuen deutschen Rockmusik-Szene auf dem Laufenden zu halten (Tennstedt 1979, S. 53/54).

Nicht zuletzt macht der Autor dafür auch den Status der “Petards” als Schwälmer Lokalmatadoren und die damit zusammengehende Konkurrenzlosigkeit verantwortlich.


6) Forschung in diversen lokalen “Szenen”

Inhetveen (1997) stellt fest, dass im Popularmusikbereich bis dato in erster Linie “Amateure” Gegenstand der musiksoziologischen Forschung in der BRD gewesen seien (ebd., S. 221). Tennstedts oben dargestellte Studie - dieses ergibt sich zumindest aus Inhetveens Ausführungen - scheint demnach die einzige zu sein, die wissenschaftlich Karriereverläufe von professionellen Popularmusikern darstellt.

Glaubt man Niketta & Volke (1994a), so ist die Menge der in der BRD verfassten Studien über die “Arbeitssituation” von Rock-/Popmusikern sowieso überhaupt nur klein 76, und sie nennen insgesamt nur zwei : Dollase/Rüsenberg/ Stollenwerk (1974) 77 und Ebbecke/Lüschper (1987) - die sich allerdings bei näherem Hinsehen als im wesentlichen Studien über Amateure herausstellen.

Gegenstände solcher Amateurstudien - zumindest der in dieser Arbeit diskutierten - bilden nicht selten spezifische lokale Musik-Szenen, Ziel der Untersuchungen ist in erster Linie, empirisches Material quantitativer Art zu gewinnen.

Die in entsprechenden Tabellen festgehaltenen Zahlen beziehen sich auf :
- die Anzahl der am betreffenden Ort zum Zeitpunkt der Untersuchung existierenden und/oder aktiven Musikgruppen, ggf. solcher, die nur ein bestimmtes musikalisches Genre praktizieren (z.B. “Jazz” oder “Hard-Rock”)

- die Anzahl der am betreffenden Ort zum Zeitpunkt der Untersuchung aktiven Musiker

- das Alter der Musiker

- die durchschnittliche Lebensdauer der Musikgruppen

- den zeitlichen Umfang der jeweiligen musikalischen Tätigkeit mit und/oder ohne Mitgliedschaft in einer Musikgruppe

- die musikalische Vorbildung und/oder die Teilnahme an spezifischen Unterrichtsangeboten

- die Mitgliedschaft in Musikgruppen, seit wann, in wie vielen nacheinander, in wie vielen parallel

- die Häufigkeit und durchschnittliche Dauer von Übeterminen

- die durchschnittliche Häufigkeit von Auftritten, ggf. auch die durchschnittlich dafür zurückzulegenden Entfernungen und die durchschnittliche Publikumsresonanz

- die durchschnittliche Höhe der Einkommen aus musikalischer Tätigkeit und die Verteilung der diesbezüglichen Quellen

- das Vorhandensein und die Anzahl von Publikationen (in der Regel sind Tonträger gemeint)

- die Übesituation (Miete, Größe, Benutzungsmöglichkeiten des jeweiligen Überaumes u.ä.)

- die Häufigkeiten bei den gespielten Instrumenten

- die musikstilistischen Verteilungen

- den Geschlechteranteil unter den Aktiven

- die soziale Provenienz der Aktiven

- die Verteilungen hinsichtlich des Sozialstatus der Aktiven 78
Gelegentlich werden entsprechende Datensammlungen durch Auszüge aus Interviews (Weber 1991 ; Ebbecke/Lüschper 1987) 79 und/oder die recht ausführliche Beschreibung z.B. von “Szene”-Lokalitäten (Schwörer 1989) angereichert.
An dieser Stelle seien Bedenken hinsichtlich der Angebrachtheit der in diesen Studien zum Einsatz kommenden statistischen Methoden angemeldet, was die Zuverlässigkeit der auf diesem Wege ermittelten Zahlen “über Zeit” anbelangt, und mit einem Beispiel aus dem lokalen Zusammenhang illustriert :

Eine im Auftrag des Kulturamtes der Stadt Osnabrück in den Jahren 1981/82 vorgenommene Fragebogenaktion, die den Kulturverantwortlichen Erkenntnisse über im Jazz-/Rock-/Pop-Bereich tätige lokale Musikgruppen sowie deren Übe-situation liefern sollte und an der sich etwa 30 Osnabrücker Musikgruppen und Einzelinterpreten der genannten Genres beteiligten 80, erbrachte auch die im Folgenden dargestellten Nebenergebnisse :

1) Es zeigte sich, dass ca. 8 Monate nach der Fragebogenaktion 1/3 der erfaßten Combos nicht mehr in der angegebenen Besetzung existierten oder sich bereits wieder aufgelöst hatten.

2) Nur wenige Wochen nach Veröffentlichung der Ergebnisse der Fragebogenaktion und der Präsentation eines in diesem Zusammenhang miterstellten “Osna-brücker Bandkataloges” wurden z.T. vehemente Beschwerden von noch einmal ca. 40 Musikgruppen darüber vernehmlich, dass sie in dem Katalog nicht auftauchten 81. Zur Begründung dieses Sachverhaltes kann im wesentlichen geltend gemacht werden, dass die örtliche Kulturbehörde zum genannten Zeitpunkt nur geringe Kenntnisse über die einschlägige “Szene” besessen hatte, und dass andererseits Angehörige des in dieser Arbeit interessierenden Personenkreises mitunter recht spärlich über vom Kulturamt und anderen Behörden angebotene Fördermöglichkeiten informiert waren, die auch der lokalen “Szene” hätten zugute kommen können.


Weber (1991) attestiert den Probanden ihrer Studie, dass sie auch untereinander nur eher lockere bzw. wenig ausgeprägte soziale Kontakte hatten. Nicht zuletzt macht die Autorin das daran fest, dass Musik-bezogene Aktivitäten, die über Üben mit oder ohne gemeinsame Combo und gelegentliche Auftritte hinausgingen, z.B. das Engagement in einer Musiker-Initiatve o.ä., unter den von ihr Befragten einen geringen Beliebtheitsgrad aufwiesen. Allerdings wird nicht klar, wen die Autorin überhaupt untersucht hat 82, wie auch nicht deutlich wird, wieviele Teilnehmer der Untersuchung möglicherweise gar keine Musiker waren. Letztere Unschärfe könnte sich u.U. daraus ergeben haben, dass die Fragebögen auch an öffentlich zugänglichen Orten (z.B. in Kommunikationszentren und Musikgeschäften) auslagen.
“Einen hohen Stellenwert beim Musikmachen besitzt die Chance, unmittelbare soziale Anerkennung zu finden. Dabei klaffen Wunsch und Realität teilweise weit auseinander.” heißt es in Ebbecke/Lüschpers Untersuchung unter Dortmunder Rockmusik-Amateuren aus den Jahren 1983/84. Es habe sich ferner gezeigt, “dass mit zunehmender sozialer Distanz die Defizite und negativen Erfahrungen überwiegen.” (Ebbecke/Lüschper 1987, S. 88).

Da mit “zunehmender sozialer Distanz” jedoch mehr die zu Politikern, Kulturverantwortlichen und Medienmachern bestehende Entfernung gemeint sein dürfte, wie sich aus dem Folgenden (ebd., S. 89 ff.) ergibt, würde das die Auffassung stützen helfen, die in Ebbecke/Lüschpers Studie untersuchten Musiker betrachteten sich als Außenseiter gegenüber gewissen Bereichen des etablierten Kulturbetriebes bzw. des sich mit der Verbreitung und/oder Verkommerzialisierung von Popularmusik befassenden Betriebes. Daraus kann jedoch noch nicht auf soziales Außenseitertum der betreffenden Musiker geschlossen werden.

Allerdings ergibt der Vergleich zwischen Daten etwa gleichaltriger männlicher Jugendlicher aus der “Shell-Jugendstudie `81” und den Daten der Dortmunder Amateurmusiker - die überwiegend männlichen Geschlechtes waren - , dass der Anteil unter den Musikern, die sich bereits wenigstens räumlich vom Elternhaus getrennt hatten, größer war als der entsprechende Anteil unter den “Nicht-Musi-ker”-Jugendlichen der “Shell-Studie `81”. Außerdem zeigten die Amateurmusiker eine größere Akzeptanz gegenüber Jugendstilen des sog. “linken Spektrums” (Hausbesetzer, Autonome), eher Toleranz gegenüber solchen Subkulturstilen wie Rockern, Punks oder etwa “Motorrad-Fans” und deutlichere Abneigung, sogar “Feindschaft” gegenüber Anhängern rechter bzw. konservativ eingefärbter Jugendstile, Fußballfans sowie Bundeswehrangehörigen.

“Linke Gewaltgruppen” wurden von den Dortmunder Amateurmusikern zwar ebenso überwiegend abgelehnt wie von den Jugendlichen der “Shell-Jugendstu-die `81”. Jedoch fanden sich unter den Musikern geringfügig höhere positive Sympathie- und Toleranzwerte (Ebbecke/Lüschper 1987, S, 163) 83.


Beispiele für “Labeling” aufgrund der musikalischen Tätigkeit finden sich allerdings sowohl bei Ebbecke/Lüschper als auch bei Weber.

So wird zum Stichwort “Fremd-labeling” bei Weber auf die allgemein mangelnde gesellschaftliche Akzeptanz der popularmusikalischen Tätigkeit hingewiesen (Weber 1991, S. 25/26), und Ebbecke/Lüschper zitieren ein Statement eines Akteurs, demzufolge das Finanzamt die popularmusikalische Tätigkeit nicht anderen freiberuflichen Tätigkeiten gleichgestellt behandelt (Ebbecke/Lüschper 1987, S. 232 u, 234). eG

Beispiele für “Selbst-labeling” von Rock/Pop-Musikern als “gesellschaftliche Außenseiter” finden sich bei Ebbecke/Lüschper in Statements über das “Selbst-verständnis” von Mitgliedern einer Polit-Combo, die sich als “Musikalische Exponenten” derzeit aktueller “non-konformer” politischer Gruppen betrachteten (Anti-Akw-ler, Friedensbewegung etc., Ebbecke/Lüschper 1987, S. 181/182). Zum Stichwort “Finanzen” äußerte sich ein Mitglied der o.g. Polit-Combo etwas ironisch, dass es im Hinblick auf die politische Einfärbung seiner Gruppe fast schon “suspekt” sei, wenn die Gruppe ihre Einnahmen ordnungsgemäß beim Finanzamt anmelden würde.

Ferner stellen die Autoren dar, dass viele der von ihnen untersuchten Musiker eine gewisse Vorliebe für den Zustand der “verlängerten Adoleszenz” gezeigt hätten und gerne Refugien aufsuchten (Universitäten), in denen sie diesen zustand aufrechterhalten könnten (ebd., S. 176 ff.) 84.


Zwischenresümee

Die Betrachtung sozialhistorischer Befunde hatte gezeigt, dass die gesellschaftliche Stellung von professionellen Unterhaltungsmusikern vom Mittelalter an bis ins 19-te Jahrhundert nicht selten der von Außenseitern entsprach. Bedingt war das i.d.R. durch die musikalische Tätigkeit und dadurch, dass diese beruflich ausgeübt wurde (Abschn. 1)

Zumindest für das Mittelalter und die Neuzeit war das vor den Hintergrund des Subkulturbegriffes zu stellen, der sich aus der derzeitigen ständischen Organisation der Gesellschaft ergab. Die Betrachtung “moderner” Gesellschaften “westli-chen Typs” involiert einen anderen Subkultur- bzw. Außenseiterbegriff. Im Hinblick auf eine Untersuchung von “modernem” gesellschaftlichem Außenseitertum, das durch künstlerische - in unserem Fall : popularmusikalische - Tätigkeit bedingt ist, wurde das von H.S. Becker entwickelte Begriffsinstrumentarium als am angemessensten erachtet (Abschn. 2).

Abschn. 3 sollte einen skizzenhaften Überblick darüber liefern, was der Wissenschaft bis dato über die Bedeutung der “Sozialisationsagentur” jugendlicher “peer-groups” im Hinblick auf das Entstehen popularmusikalischer Tätigkeit bekannt ist. Es wurde darauf hingewiesen, dass im Zusammenhang von “peer-group”-Aktivitäten hin und wieder der Ersteinstieg in eine musikalische Tätigkeiten im Popularbereich erfolgt. Deren Ergebnisse müssen zwar nicht zwingenderweise von der Art gerade aktueller subkulturellen Praxis entstammender musikalischer Artefakte sein, können aber u.U. durch deren von den Massenmedien verbreiteten verwässerten Mutationen beeinflußt werden. Auch auf die “sozialhygienische” Funktion popularmusikalischer Tätigkeit im Zusammenhang jugendlicher Delinquenz wurde hingewiesen. Aus der Betrachtung popularmusikalischer “peer-group”-Aktivitäten folgt nicht eine Aussage über gesellschaftlicher Außenseitertum, das durch die musikalische Tätigkeit bedingt ist, da “peer-groups” gemeinhin als eine Art “Testeinrichtungen” betrachtet werden, in denen auch für kurze Phasen Außenseitersujets ausprobiert werden können. Außerdem war in der Einleitung die Frage nach den sozialen Konsequenzen länger andauernder popularmusikalischer Tätigkeit gestellt worden.

Die Betrachtung popularmusikalischer Aktivität in Subkulturen - in unserem Fall vorzugsweise in jugendlichen bzw. für jugendliche attraktiven Subkulturen (Abschn. 4) - führte zu unterschiedlichen Ergebnissen : Einerseits kann Popularmusik bzw. popularmusikalische Tätigkeit die “Werte” subkultureller Gruppen widerspiegeln nach Maßgabe des “Homologie-Prinzips” (Willis). Andererseits ist die musikalische Tätigkeit nicht selten selbst Gegenstand subkultureller Praxis, wobei sie u.U. zu innovativen und/oder für das Musikgeschäft in kommerzieller Hinsicht interessanten Ergebnissen führen kann. Sofern Letzteres der Fall ist, wird häufig auf den Umstand hingewiesen, dass die im Zusammenhang der Praxis entsprechender - nicht notwendigerweise jugendlicher - Subkulturen entstehenden musikalischen Artefakte zum Zwecke der optimaleren Vermarktung einen gewissen Authentizitätsverlust erleiden bzw. verwässert werden. Subkulturen - auch jugendliche - müssen aber nicht notwendigerweise eine musikalische Praxis entwickeln.

Zwar können jugendliche Subkulturen in gewisser Weise als Teil von Jugendkultur aufgefaßt werden. Jedoch dürften gelegentlich entsprechend verwässerte popularmusikalische Vergegenständlichungen solcher jugendlicher Subkulturen zu Bestandteilen eines “umfassenderen” jugend-spezifischen Unterhaltungsangebotes mutieren und zum Gegenstand eines sich nicht selten speziell mit der Bedienung des Absatzmarktes “Jugend”/“Jugendkultur” befassenden Zweiges der Unterhaltungsindustrie werden. Auch aus der Betrachtung des Subkulturaspektes folgt keine Aussage über soziale Konsequenzen popularmusikalischer Tätigkeit, da gesellschaftliches Außenseitertum bisweilen aus den “Werten” bzw. der “Praxis” jeweiliger Subkulturen folgt und auch für nicht-musikalisch tätige Teilnehmer gilt.

Aus der Betrachtung professioneller popularmusikalischer Tätigkeit in Abschn. 5 folgte, dass zumindest in das Musikbusiness involvierte Akteure als “gesell-schaftliche Außenseiter” zu betrachten sind. Dieses ist nicht zuletzt auf die besonderen Bedingungen zurückzuführen, unter denen solche professionelle Tätigkeit abgewickelt wird. Ins Musik-Business involvierte Akteure - soviel im Vorgriff auf die empirischen Befunde - sind jedoch nicht Gegenstand dieser Studie.

H.S. Becker zeigte in seinen Ausführungen zur Problematik sozialen Außenseitertums, dass die von ihm untersuchten professionellen Musiker eine spezielle subkulturelle Gruppe ausbildeten, deren Entstehungsbedingungen, Struktur und Regeln das forscherische Interesse des Autors galt. Auf Veränderungen bzw. Neuentwicklungen im Bereich der Musikstilistiken seit Beckers Studie wurde bereits hingewiesen. Als Nachfolger von Beckers Tanz- bzw. Jazzmusikern können zumindest solche Akteure betrachtet werden, die sich auf popularmusikalischem Gebiet in der Tradition künstlerischer Eigenständigkeit und Authentizität betätigen wie z.B. die Adepten der “progressiven Rockmusik”, des “Punk/ New Wave” sowie verschiedener aktueller “Independent”- bzw. “Avantgarde-Pop”/“Neo-Underground”-Stile, zumal sie - wie im Fall der von der Hippie-Subkultur beeinflußten Musiker des “progressiven” Rock-Genres - nicht selten auch selbst einem subkulturellen Kontext zuzurechnen wären. Die Annahme, dass Musiker - bedingt durch ihre musikalische Tätigkeit - den Status sozialer Außenseiter bekleiden können und u.U. entsprechende subkulturelle Gruppen ausbilden, wobei sie sich mitunter auch als “moralische Unternehmer” betätigen würden (Becker 1981, S. 133 ff), folgt nicht zuletzt aus dem in Abschn. 2 vorgestellten “Stufenmodell” Beckers für “non-konformes Verhalten”.

In Abschn. 6 konnte gezeigt werden, dass auch bei popularmusikalischen Amateuren bisweilen Affinitäten zu gesellschaftlichem Außenseitertum aufscheinen und dass sie darüber hinaus aufgrund ihrer musikalischen Tätigkeit in entsprechender Weise “fremd-gelabelt” werden bzw. sich selbst “labeln”.
Aufgrund dieser Befunde kann immer noch nicht die Frage beantwortet werden, ob popularmusikalische Tätigkeit auf die Dauer zu sozialen Konsequenzen für die Akteure führen kann und ggf. zu welchen.

Hierzu müssen entsprechend längerfristig angelegte Karrieren von Musikern studiert werden. Solche Akteure fanden wir in einer bereits in den 1980-er Jahren von der Universität Osnabrück durchgeführten Studie zum Umgang Jugendlicher mit Popularmusik.

Im Weiteren bezeichnen wir diese Studie mit “Vorstudie 81/82”.
7) Die “Vorstudie 81/82”

In 1981/82 wurde an der Universität Osnabrück unter Leitung von Prof. Dr. Paech eine Studie zur Musik jugendlicher Sub- bzw. Freizeitkulturen durchgeführt.

Hierzu wurden vier “Lokalmatadoren” ausgewählt, Osnabrücker Rockgruppen, die zum Zeitpunkt der Studie eine gewisse lokale Popularität genossen und außerdem - einigermaßen repräsentativ - unterschiedliche aktuelle Musikstile prak-tizierten : Deutsch-Rock, New Wave/Neue Deutsche Welle, englischer Mainstream-Rock, “Avantgarde”/Experimental-Jazz-Rock.

Die Musikgruppen wurden jeweils bei einer Probe und bei einem öffentlichen Auftritt per Video gefilmt. Ferner wurde mit jeder Gruppe ein unstrukturiertes Interview durchgeführt. Ca. 3 Jahre später wurden vertiefende Interviews per Telefon und vermittels persönlichen Gespräches mit einzelnen noch verfügbaren Mitgliedern dieser Combos “nachgelegt”.

Zunächst führte die “Vorstudie 81/82” zu folgenden Ergebnissen :
i.) Die Mehrzahl der befragten Musiker machten durchaus professionelle Ambitionen hinsichtlich ihrer Musikgruppentätigkeit geltend : Es war erklärtes Ziel, entweder zusammen mit der Combo, in der man gerade aktiv war, oder als “Einzelkämpfer” irgendwann von der Musik leben zu können. Hierbei wurde - vor allem in Zusammenhang mit der gemeinsamen Musikgruppe - auch ein gewisser Bekanntheitsstatus als wünschenswert oder gar notwendig betrachtet.

ii.) Es konnte keine Ankoppelung der jeweiligen Musikgruppen an eine regional oder zum Zeitpunkt der “Vorstudie 81/82” überregional ausgeprägte subkulturelle Gruppe bzw. an einen entsprechenden Stil ausgewiesen werden. Zwar konnten gewisse Anleihen identifiziert werden, die die Musiker/Musikgruppen gelegentlich an bestimmte Stile (Punk, Teds, Rocker o.ä.) zumindest in Hinblick auf Kleidermode und/oder musikalische Faktur machten. Die MusikerInnen/Mu-sikgruppen jedoch dezidiert einem bestimmten subkulturellen Stil zuzuordnen, wäre ebenso verfehlt gewesen wie im Widerspruch zum Selbstverständnis der Beobachteten 85.

iii.) Alle befragten MusikerInnen gaben an, an ihrer Tätigkeit großen Spaß zu haben 86.
Zumindest den unter i.) genannten Befund könnte man zur Begründung der Behauptung heranziehen, die o.g. Studie habe ihre Intention, den Umgang jugendlicher Subkulturen mit Musik bzw. Entsprechungen zwischen subkulturellen und musikalischen Stilelementen aufzuzeigen und zu beleuchten, zunächst verfehlt.

Eine Behauptung, die Ausprägung bestimmter Popularmusikstile (z.B. Punk) wären nur in bestimmten Milieus denkbar, die das Entstehen entsprechender Jugensubkulturen ermöglichten, welche wiederum die Protagonisten des jeweiligen Musikstiles hervorbrächten, würde der oben genannte Befund ebenfalls nicht widerlegen können 87. Ferner wären etwa Einwande möglich, im Rahmen der “Vorstudie 81/82” seien gewissermaßen die falschen MusikerInnen/Musikgruppen beobachtet worden - z.B. solche, die sich bereits in einem gewissen Professionalisierungsstadium befunden hätten, verknüpft mit dem Bestreben, ein zahlenmäßig größeres Publikum als im subkulturellen Kontext erreichen zu können -, dass die Forscher in der Auswahl ihrer Beobachtungsobjekte vielleicht etwas zu bequem oder schlicht inkompetent vorgegangen wären, indem sie vier relativ populäre Lokalcombos auswählten und nicht zunächst sich auf die Suche in den Subkulturgefilden gemacht hätten o.ä. .

Ein Rückschluß von der beobachteten Konzertsituation auf die Publikumsresonanz der beobachteten Gruppen ist schon allein deswegen abwegig, weil die von der Paech-Studiengruppe dokumentierten Auftritte sich auf gänzlich unterschiedliche Konzertsituationen und Anlässe bezogen. Diese reichten von einer Band-­Geburtstagsparty mit nahezu privatem Charakter, einem “Open-Air”-Konzert als Werbeveranstaltung zur Eröffnung eines Schallplattengeschäftes in der Osnabrücker Innenstadt, bis hin zu zwei normal beworbenen, durch den Verkauf von Eintrittskarten finanzierten Konzerten in Osnabrücker Kneipen bzw. Clubs. Die stark differierende Stilistik der beobachteten Musikgruppen - von Jazz-Rock über Hard-Rock bis hin zu New-Wave, bei immerhin “nur” vier beobachteten Gruppen - bedingt auch ein weit gefächertes Verhaltensrepertoire des Publikums. So ist es leicht vorstellbar, dass die Besucher einer Geburtstagsparty ein anderes Verhalten an den Tag legen, als die Besucher eines Jazz-Konzerts.

Aus diesem Umstand Rückschlüsse auf die durchschnittliche Publikumsresonanz der Gruppen zu ziehen, ist zumindest vorschnell, mithin abwegig 88.

Es wurde ferner sichtbar, dass trotz unterschiedlicher Gängigkeit der Musikstile der zur Beobachtung gewählten Musikgruppen die Publikumsresonanz bei Konzerten der einzelnen Gruppen sehr unterschiedlich ausfiel und dass Differenzen weniger mit den Stilen zusammenzuhängen schienen. Dieser Umstand dürfte zumindest die Auffassung erhärten, der Weg zu Ruhm und Anerkennung sei eben auch im Bereich der Popularmusik ein dornenreicher.


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