4.3.6 Zusammenfassung
In den untersuchten Reiseberichten vermitteln deutschsprachige Autoren folgendes
Bild von usbekischen Frauen:
1. Äußerliche Merkmale
a) schwarze, mandelförmige Augen
b) Augenbrauen, die mit einem Pinselstrich verbunden sind
c) Schwarze Haare, viele dünn geflochtene Zöpfe als Frisur
Das letzte äußerliche Merkmal kommt in den Reiseberichten ab 1922 vor. Diese Frisur
wird in Usbekistan
qirq kokil
(ʻvierzig Zöpfchenʼ) genannt (siehe Tab. 8).
Dementsprechend soll die Zahl der Zöpfchen dem Brauch nach vierzig erreichen.
50
Dieses Bespiel wurde bereits bei der Konzeptbeschreibung „Der usbekische Basar“ in Abschnitt 3.3.5 angeführt
und erläutert.
159
2. Charaktereigenschaften
Hier ergibt sich das Fazit, dass die deutschsprachigen Reiseberichte die usbekischen
Frauen dem Charakter nach kontinuierlich als
ängstlich
,
unterwürfig
und
gehorsam
darstellen (siehe Tab. 9). Auch zu Sowjetzeiten ändert sich dieses Bild nicht
wesentlich, usbekische Frauen werden stellenweise mit Frauen anderer Ethnien
verglichen und ironisch als
keusch
dargestellt.
3. Was die Kleidung der Usbekinnen anbetrifft, ist es in erster Linie der Schleier, worauf
die Autoren der Reiseberichte ihr Augenmerk richten. Als Zwischenergebnis ist
festzuhalten, dass der örtliche Schleier fast von allen Reiseautoren als Symbol der
Unterdrückung der Frau thematisiert wird und einen wesentlichen Beitrag zur
Wahrnehmung der usbekischen Frau leistet. In den älteren Reiseberichten benutzen
die Autoren das Realienwort
Parandscha
, in der Sowjetzeit wechselt das zu
Tschadschwan
(siehe dazu Tab. 10).
Dementsprechend beschreiben die deutschsprachigen Reiseberichte über Turkestan
usbekische Frauen meist als eine abstrakte gesichtslose Erscheinung. Die
Farbzuweisung
blau
oder
grau
deutet auf die damals übliche Farbe des Schleiers hin
(siehe dazu Tab. 11).
Es ist anzumerken, dass die Bekleidung der usbekischen Frau eigentlich öfter
thematisiert wird als erwartet, obwohl die meisten deutschsprachigen Autoren der
Turkestanzeit keinen Einblick in das private Leben der Frauen gewinnen konnten. Die
Autoren kritisieren die einfache, ärmliche Tracht der Frauen und loben stellenweise
feine, seidene Hemden, die damals angeblich sogar in Europa bekannt waren. In der
Sowjetzeit kommen bunte Seidenkleider mit knöchellangen Seidenhosen eher in
positivem Licht vor.
4. Die Reiseautoren, vor allem Moser, von der Pahlen, Kisch, Richter und Christ,
beschäftigen sich mit den Problemen der usbekischen Frauen intensiv. Das hängt
nicht zuletzt damit zusammen, dass die genannten Autoren örtliche, meist russische
Begleiterinnen hatten, die sich vor Ort auskannten und denen das Leben von
usbekische Frauen zugänglich war. Das frühe Heiratsalter sowie der
Verkauf
der
jungen Mädchen in die Ehe, darauffolgende schlechte Lebenszustände in den
Harems,
Kind-Mütter
, die fehlende Ausbildung sowie das Fehlen des rechtlichen
Schutzsystems werden von den genannten Autoren kritisch behandelt. Erst in der
Sowjetzeit taucht ein anderes Bild der usbekischen Frau auf, sie trägt keinen Schleier
mehr, ist gebildet, aber dennoch lebt sie aus der Sicht der Reiseautoren immer noch
160
im Schatten ihres Mannes.
5. Leben und Alltag von usbekischen Kindern in Turkestan werden oft im
Zusammenhang mit usbekischen Frauen kritisch beschrieben. Die fehlende
mütterliche Erziehung, besonders der Jungen, wird scharf kritisiert mit Vergleichen wie
z. B. „
wie ein Rudel kleiner Tiere
“. Es wird betont, dass die Verachtung der Frau den
Jungen bereits im frühen Alter beigebracht wird. Ebenso kritisch beschreiben die
Autoren das frühe Verheiraten der Mädchen und deren Mutterschaft bereits mit neun
Jahren. Einer der Kritikpunkte bis zur Sowjetzeit ist auch der laute und eintönige
Schulunterricht.
6. Die Autoren benutzen ebenso einige kindbezogene Realienwörter in ihren
Reisetexten. Bei v. d. Pahlen kommt das Realienwort
Mechtebe
bezüglich des
Lehrplans vor und bei Kisch wird die usbekische Wiege
Beschik
erwähnt und als Last
der Vergangenheit heftig kritisiert. Bei einem anderen Autor, nämlich bei Richard
Christ, kommt die typisch usbekische kinderbezogene Einstellung vor, ausgedrückt
durch den Satz: „
ein Haus mit Kindern ist ein Basar
“. Die Reiseautoren der Sowjetzeit
beschreiben usbekische Kinder zeitgemäß im Zusammenhang mit sowjetischen
Modernisierungen, sei es im Kindergarten oder in der Schule.
161
Do'stlaringiz bilan baham: |