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1. Einleitung
Die ersten Reisen nach Māwarā’an-nahr (Transoxanien) unternahmen Deutsche
bereits im 13. Jahrhundert. Bis heute versuchen Entdecker, Gesandte,
Wissenschaftler,
Journalisten und Touristen, das auf Europäer oft geheimnisvoll
wirkende Zentralasien zu ergründen, und jeder Reisebericht als „
die sprachliche
Darstellung authentischer Reisen
“ (Brenner 1989, S. 9) liefert eine subjektive Facette
des Bildes von einem fremden Volk, von fremder Kultur und von einem fremden Land.
Dabei gilt die Sprache als wichtiges Kommunikations- und Verständigungsmittel zur
Erfassung und Interpretation des Fremden.
Die vorliegende Arbeit versteht sich als ein Beitrag zur Erforschung des Orientbildes
sowie der kognitiven Linguokulturologie unter Berücksichtigung der Rolle der Sprache
bei der Erzeugung des Usbeken- und Usbekistanbildes in deutschsprachigen
Reiseberichten.
Es wird angestrebt, durch eine linguokulturologische Analyse der
deutschsprachigen Reiseberichte eine zu konstatierende Wissenslücke in der
Forschung zum Usbekistanbild zu füllen. Besonders interessant ist es für die
Forschung, die Entwicklung des Usbeken- und Usbekistanbildes in einem längeren
Zeitabschnitt zu betrachten, um seine Wandlung und seine situativen Kontextfaktoren,
„
Ort und Zeit, die Beteiligten
“ (Lemnitzer/Zinsmeister 2010, S. 29), zu identifizieren.
Neben
der zentralen Forschungsfrage,
welches Usbeken- und Usbekistanbild in
deutschsprachigen Reiseberichten aufgrund spezifischer sprachlicher Merkmale
konstruiert wurde
, ergeben sich auch andere Ansatzpunkte. Wie wurde Usbekistan
(Turkestan/Usbekische Sozialistische Sowjetrepublik) im
historischen Zeitraum von
1710 bis 1991 von einem deutschsprachigen Reisenden wahrgenommen? Welche
typischen Wahrnehmungsstrukturen lassen sich identifizieren? Ist dabei eine
Kontinuität festzustellen? Welche linguokulturellen Konzepte sind je nach historischem
Zeitraum besonders stark vertreten? Welche Ausdrucksmittel der Bildlichkeit,
Bildhaftigkeit und Authentizität werden in den untersuchten
Reisetexten besonders
häufig verwendet und welche Funktion haben sie bei der Entstehung eines Usbeken-
und Usbekistanbildes in Reisetexten? Welche Rolle spielt die Rhetorik als Grundlage
der Darstellungen? Welche Stereotype sind für den jeweiligen historischen Zeitraum
als typisch anzusehen? Auf welche Weise stehen Texte miteinander in Verbindung?
Existiert eine gewisse Intertextualität bei mehreren Autoren? Somit ist das Ziel der
vorliegenden Arbeit, die vorhandenen Usbeken- und Usbekistanbilder im deutschen
Reisebericht von 1710 bis 1991 zu untersuchen und damit einen Beitrag zur
Erforschung der Usbekistanwahrnehmung sowie des Eigen- und Fremdbildes in der
deutschen Reiseliteratur zu leisten.
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Es werden 12 Reiseberichte analysiert. Sie waren bis jetzt zum größten Teil noch nicht
Gegenstand einer linguistischen Untersuchung. Sie wurden exemplarisch für die Zeit
der Turkestan-Epoche (einschließlich der russischen Kolonialzeit) und des
Sowjetregimes bis zur Erlangung der Unabhängigkeit der Republik Usbekistan, d. h.
von 1710 bis 1991, ausgewählt.
Da sich Reiseberichte entsprechend der These von Peter Brenner (1990)
nicht als
realistische Wiedergabe der Wirklichkeit verstehen lassen, sondern als Werke mit
durch die Subjektivität des Autors stark beeinflusster Perspektive, müssen zunächst
die individuellen sowie die zeit- und kulturspezifischen Voraussetzungen der
Wahrnehmung rekonstruiert werden (vgl. Brenner 1990, S. 30). Daher werden auch
die Angaben zum Leben und Schaffen der Reiseautoren von usbekistanbezogenen
Texten in die empirische Betrachtung einbezogen.
Wie kamen die Autoren zu ihren Bildern von Usbeken und Usbekistan?
War die
Wahrnehmung von europäischen Beobachtern immer nur auf diese wenigen Züge
beschränkt? Beruhen diese Berichte tatsächlich auf persönlichen Beobachtungen
einzelner Reisender vor Ort, oder brachten die Reisenden bereits vorhandene Bilder
von zu Hause mit? Diesen Überlegungen folgend setzt sich die vorliegende Arbeit
auch zum Ziel zu untersuchen, welche Kontakte die Reisenden untereinander pflegten,
inwieweit sie einander beeinflussten und welche Zitatgemeinschaften sie bildeten. Auf
diese Weise wird die Herkunft vorhandener Usbeken- und Usbekistan-Stereotype
kritisch hinterfragt.
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