Zum Usbeken- und Usbekistanbild im deutschsprachigen Raum


Theoretische und methodische Grundlagen



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Diss Rakhimova 2018

2. Theoretische und methodische Grundlagen 
2.1
 
Entwicklung der Linguokulturologie als linguistische Disziplin 
Sprache ist eng mit Kultur verknüpft: Sie entwickelt und verankert sich in einer 
bestimmten Kultur und dient letztendlich als ihr Ausdrucksmittel. Auf Basis dieser Idee, 
nämlich dass Sprache und Kultur eng zusammenwirken und dass Sprache ein 
Phänomen der jeweiligen Kultur ist, entstand in Russland in den 1990er Jahren das 
Fach 
Linguokulturologie
(auf Russisch 
лингвокультурология
und auf Deutsch 
‘Linguokulturwissenschaft’). Dieser Begriff gehört inzwischen eindeutig zum 
wissenschaftlichen Diskurs der Russischen Föderation und anderer GUS-Länder. 
Linguokulturologie ist eine Wissenschaft, welche diejenigen Erscheinungsformen der 
Kultur einer Ethnie untersucht, die in der Sprache vertreten sind. Sie beschäftigt sich 
mit verschiedenen Aspekten, vor allem mit dem Verstehen des ethno-sprachlichen 
Weltbildes, der Sprachkenntnis und den Besonderheiten des kulturell-kognitiven 
Sprachraumes. Sie entstand auf der Basis der wissenschaftlichen Werke von 
Potebnya (1913), Herder (1995 [1785]), Humboldt (1935 [1836]) und Sapir (1972). 
Der deutsche Philosoph und Sprachwissenschaftler Gottfried Herder behauptete, dass 
das Nationale ein Teil des Allgemeinmenschlichen und dass jede nationale Kultur eine 
individuelle Erscheinungsform allgemeinmenschlicher Kultur sei (vgl. Dobbek/Müller 
(Hrsg.) (1952), S. 195-196). Diese Behauptung diente als Ausgangspunkt für 
Humboldts sprachwissenschaftliche Werke, in denen er schreibt, dass die Sprache 
kein freies Erzeugnis des einzelnen Menschen sei, sondern immer der ganzen Nation 
angehöre (vgl. Humboldt 2010 [1836], S. 18). 
Humboldts Postulat, dass jede Sprache zu einer Ethnie gehört und sich in dieser einen 
Ethnie entwickelt, bildet die Grundlage der modernen Linguokulturologie, die sich in 
folgenden Sätzen zusammenfassen lässt: 
1) Materielle und geistige Kultur einer Nation spiegeln sich in der Sprache wider. 
2) Jede Kultur ist national, ihr Nationalcharakter und ihre spezifische 
Weltbetrachtung treten durch die Sprache in Erscheinung; für jede Sprache ist 
eine besondere innere Form charakteristisch. 
3) Als innere Form gilt der Ausdruck der Mentalität einer Ethnie und ihrer Kultur. 
4) Die Sprache ist ein Vermittler zwischen den Menschen und ihrer sozialen 
Umgebung. 


22 
Die oben erwähnte Theorie von Wilhelm v. Humboldt diente dem 
Sprachwissenschaftler Leo Weisgerber (1950) als Anstoß für seine Hypothese über 
das sprachliche Weltbild
, wo er den sozialen Charakter der Sprache hervorhebt und 
sie als entscheidende Rollenträgerin in der Entwicklung der Kultur beschreibt (siehe 
dazu Abschnitt 2.3.2). Auch die Sapir-Whorf-Hypothese
1
, dass die Sprache sich auf 
die Wirklichkeit, somit auf die Kultur auswirkt und die Denkweise der Sprachträger 
beeinflusst, gehört zu den Impulsansätzen der Linguokulturologie.
Den ersten Schritt zur Etablierung der Linguokulturologie machten die 
Fremdsprachendidaktiker Vereŝagin und Kostomarov mit der Erarbeitung des Faches 
Linguolandeskunde
(auf 
Russisch 
ʻлингвострановедениеʼ, 
auf 
Deutsch 
ʻsprachbezogene Landeskundeʼ) und dessen Einführung in den Lehrplan der 
russischen Fremdsprachenphilologie. Dieses Unterrichtskonzept basiert auf der Arbeit 
mit kulturbeladener Lexik und sieht dadurch eine Erleichterung des 
Fremdsprachenlernens vor. Das Hauptziel ist nicht zuletzt die Entwicklung 
kommunikativer Kompetenz in interkulturellen Handlungen, um vor allem die adäquate 
Wahrnehmung der Rede des Gesprächspartners zu gewährleisten. In Folge dessen 
entstanden mehrere linguolandeskundliche Wörterbücher sowie Realienwörterbücher 
mit kulturspezifischen Inhalten.
2
Die schnelle Verbreitung und Etablierung der Linguolandeskunde als Fach gab einen 
weiteren Anstoß, im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts neue Forschungen am 
Knotenpunkt der Linguolandeskunde, Ethnolinguistik, Psycholinguistik und 
Interkultureller Kommunikation durchzuführen, was ein neues interdisziplinäres 
Wissenschaftsparadigma ins Leben rief. Einen großen Beitrag leistete dabei die 
phraseologische Schule Russlands unter der Leitung von Sprachwissenschaftler Telija 
(1986). Die wissenschaftlichen Beiträge von Vorob’ev (1993), Stepanov (1995), 
Schakleyin (1997), Arutjunova (1998) und Maslova (2001, 2010) gelten heutzutage als 
Kanons des Faches. In Moskau entstanden auf diesem Wege vier große 
linguokulturologische Schulen: 

Die linguokulturologische Schule von Stepanov nähert sich methodologisch 
dem Konzept von Benveniste, dessen Ziel die Beschreibung der Kultur in ihrem 
diachronischen Aspekt ist. Die Verifikation des Inhalts wird anhand von Texten 
aus verschiedenen Epochen durchgeführt, d. h. aus der Sicht des Beobachters 
1
Zur Begriffsklärung siehe Hoijer (1971). 
2
Als empfehlenswerte Beispiele dienen dazu die linguolandeskundlichen Wörterbücher von Denisova (1983 [1978]), 
Prohorov (1979), Sklârevskaâ (2000), Kapica (2000).


23 
und nicht aus der des aktiven Sprachträgers.

Die linguokulturologische Schule von Arutjunova untersucht universale Begriffe 
der Kultur, die Texten verschiedener Zeiten und Völker entnommen werden. 
Auch diese Begriffe werden aus der Sicht des Beobachters und nicht aus der 
des wirklichen Sprachträgers rekonstruiert.

Die linguokulturologische Schule von
 
Telija ist sowohl in Russland als auch in 
GUS-Staaten bekannt als die Moskauer Schule für die linguokulturologische 
Analyse der Phraseologismen (MSLCFraz). Telija und Nachfolger dieser Schule 
untersuchen Spracherscheinungen aus der Sicht der Reflexion des 
Sprachträgers, d. h., es wird die Beherrschung der Kultursemantik unmittelbar 
anhand des Subjekts der Sprache und Kultur untersucht. Dieses Konzept 
nähert sich der wissenschaftlichen Position von Vejbitskaya, der von der 
Theorie 
Lingua mentalis
(Imitation des redeaktiven mentalen Sprechzustandes 
des Sprechers) ausgeht.

Die linguokulturologische Schule
 
von Schakleyn und Vorob’ev bei der 
Universität für Völkerfreundschaft in Russland entwickelt das Konzept von 
Vereŝagin und Kostomarov weiter (vgl. Maslova 2010, S. 30). 
Auch in den letzten zwanzig Jahren hat sich die Linguokulturologie als Fach gut 
etabliert. Es wurden zahlreiche Forschungen durchgeführt und die Linguokulturologie 
wurde zur neuen philologischen Disziplin, die sich mit der Widerspiegelung und 
Fixierung von Kultur durch das Prisma der Sprache beschäftigt. Doch die Popularität 
dieses interdisziplinären Faches bleibt weiterhin osteuropäisch konzentriert: Eine der 
wichtigsten Forschungsrichtungen der russischen Germanistik findet im 
westeuropäischen Wissenschaftsraum kaum noch Erwähnung (vgl. Földes 2019, S. 
86). Dies könnte damit zusammenhängen, dass die meisten Forschungspublikationen 
der Linguokulturologie in russischer Sprache erscheinen und nicht übersetzt werden. 
Ein weiterer Problempunkt ist es, dass dieses Fach noch „
nicht genau ausdefiniert und 
nicht systematisch durchkonstruiert ist
“ (ebd.: S. 111). Es fehlt an festgelegten 
Mechanismen zur eindeutigen Handlungsweise bei der praktischen Untersuchung. Die 
Mehrdeutigkeit und die unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten der kulturellen 
Erscheinungen durch Sprache machen die Erarbeitung von Analysetools in der 
linguokulturellen Forschung notwendig, was als eine gute Zukunftsaufgabe für dieses 
Fach anzusehen ist. 

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