Die Strassen der Wohnviertel gleichen an Enge und Schmutz denjenigen jener Städte,
sie übertreffen sie aber an Lebensgefährlichkeit, da der Boden nicht so eben, vielmehr
wellig geformt ist und die Wege bald einen steilen Abhang hinaufnimmt, bald wieder
als ausgefahrene Schluchten tief hinunterführt, Die Fussgänger finden längs den
Häusern einen schmalen erhöhten Steg, knapp so breit, dass eine Person sich
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vorsichtig auf ihm entlang tasten kann, dabei höckerig, wie gefrorener Sturzacker, und
alle paar Schritte halb oder ganz fortgewaschen. Bald ist er in weichen Schlamm
aufgelöst, auf dem ausgleiten so viel heisst wie Beine brechen oder in dem wer weiss
wie tiefen Morast der Fahrstrasse versinken, bald wie bestreut mit harten hohen
Buckeln, die das Balanzieren lehren und nur unter künstlichsten Verrenkungen zu
überwinden sind, wenn Entgegenkommende sich auf ihnen treffen. […] Ergötzliches
und Trübes von dem schauerlichen Zustand der Taschkenter Strassen erzählt auch v.
Schwarz in seinem Buche ‚Turkestan‘.
“
(Ebd.: S. 97-98)
Die Wortwahl von Karutz verfolgt, wie das voranstehende Beispiel zeigt, das Ziel, ein
negatives, kontrastreiches Bild von den Taschkenter Straßen zu vermitteln. Karutz
verwendet Substantive (
Enge
,
Schmutz
,
Lebensgefährlichkeit
,
Schlamm
,
Ergötzliches
,
Trübes
) und Adjektive (
steiler Abhang
,
ausgefahrene Schluchten
,
tiefer
Morast
) mit pejorativer Bedeutung.
Die Wohnhäuser werden von Richard Karutz ausführlich beschrieben. Wie andere
Reisende schreibt er über „
Lehmmauer[n]
“ (ebd.: S. 98), die den Hof umschließen, und
über die Aufteilung der Wohnräume zwischen Männern und Frauen. Die Ausstattung
der Häuser empfindet der Autor als „
sehr einfach
“ (ebd.). Er beschreibt unter anderem
die Heizungsanlage der Turkestaner, wie sie damals üblich war:
„
Im Winter wird in einer Vertiefung oder in einem schmiedeeisernen Becken ein
Kohlenfeuer unterhalten, darüber ein niedriges Tischchen gestellt und über dieses
wieder eine grosse Decke gebreitet. An dem Feuer hockt die ganze Gesellschaft,
streckt Füsse und Arme unter die Decke und wärmt sich so die Extremitäten und friert
an der Nase. Der Raum selbst bleibt kalt, Fenster gibt es nicht, die Öffnungen über den
Türen sind mit Papier verklebt.
“
(Ebd.: S. 98)
Graf von der Pahlen, der als Zarengesandter nur die besten Lebensbedingungen
angeboten bekam, genoss metaphorisch „
mit würzigen Düften durchsetzte Luft
“ (v. d.
Pahlen 1969 [1964], S. 18) und fühlte sich „
ganz wie zu Hause
“ (ebd.).
Er hörte die Rufe des Muezzins, ließ sich von alldem beeindrucken und schrieb
romantische Landschaftscharakterisierungen:
„
Man hört von Zeit zu Zeit die Rufe des Muezzin von dem Minarett. Murmelnd rauschen
ununterbrochen die Bewässerungskanäle, und alles übertönend, so stark, wie ich es
nie gehört habe, singen Millionen von Grillen ihr ewiges Liebeslied. Kein Wölkchen am
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dunkelschwarzen Himmel, an dem besonders strahlend die Myriaden Sterne der
Milchstraße leuchten. Im Garten vor mir die Silhouetten der Zypressen und der
Pappeln, umrankt von Pfirsich-, Aprikosen- und Maulbeerbäumen, von denen die
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