in den gewohnten orientalischen Kaftan, den Chalat (ein langes Obergewand, das
einem bis zu den Knöcheln reichenden Schlafrock ähnelt), gekleidet und haben kleine
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runde Käppchen aus Samt oder Seide auf dem Kopf. Über ihre Bücher gebeugt,
zeichnen sie arabische Schriftzeichen mit ihren Rohrfedern. Ein kleines Fläschchen
Tusche steht neben jedem auf dem Boden. Und immer murmeln alle halblaut ihre
Lektion. Von Zeit zu Zeit zeigt der Lehrer auf irgendeinen Schüler, der dann etwas
lauter murmelt als die andern. So geht es fast den ganzen Tag. Erstaunlich, daß Kinder
solchen Unterricht aushalten, ohne stumpfsinnig zu werden.
“
(v. d. Pahlen 1969 [1964], S. 64-65)
Von der Pahlen schreibt außerdem über die frühe sexuelle Aufklärung des männlichen
Nachwuchses und die Verinnerlichung der Geringschätzung der Frau im Alter von acht
Jahren:
„
Für das persönliche Leben des einzelnen sind in Formeln gehüllte Regeln zu lernen.
So wird dem achtjährigen Jungen die sexuelle Frage ausführlich erklärt. Er wird über
die Regeln des ehelichen Umganges, die möglichen Krankheiten, deren Verhütung und
Heilung bis ins einzelne aufgeklärt, wie wir es in Europa nur in wissenschaftlichen
Abhandlungen finden. Auch wird dem Jungen die Geringschätzung der Frau besonders
eingeprägt.
“
(Ebd.: S. 71)
Der Autor beschreibt mit den emotional-charakterisierenden Epitheta „
klein und elend
“
neunjährige Kind-Mütter, sein Mitleid ist deutlich zu spüren:
„
Neunjährige Mütter, klein und elend, mit abgemagerten Händen wiesen rotgefärbte
Nägel auf. Sie hielten ihr kleines Kind im Arm.
“
(Ebd.: S. 124)
Egon Erwin Kisch, der Zentralasien 23 Jahre später besuchte, kritisiert die usbekische
Wiege:
„
Graue Farbe: […]. Das Usbekenbaby, in einer mit weißen Tüchern verhängten Wiege,
dem ‚Beschik‘, festgebunden, kommt während seines ersten Lebensjahres nur beim
Wechseln der Windeln aus diesem schaukelnden Kerkerchen heraus. Die Mutter beugt
sich über die Wiege, um das Kind zu stillen.
“
(Kisch 1932, S. 29)
Kisch ordnet das traditionelle Attribut des usbekischen Alltaglebens seinem Stil getreu
mit „
graue[r] Farbe
“ zur Last der Vergangenheit. Die metaphorische Periphrase
„
schaukelndes Kerkerchen
“, worin das Kind angeblich Tag und Nacht festgebunden
157
bleibt, vermittelt ein negatives Bild von schlechtem Umgang und falscher
Säuglingspflege.
49
Kisch schildert auch die Kinder im Sowjetland und berichtet scherzhaft, wie die drei-
bzw. vierjährigen Kinder im Kindergarten
Kolchos
spielen. Hier wird vom Autor anhand
der Sowjet-Lexik („
die Erziehung der Gemeinschaft
“ (ebd.: S. 30), „
der Diensthabende
“
(ebd.), „
Altersgenossin
“ (ebd.), „
Sanitätskommission
“ (ebd.), „
Kolchos
“ (ebd.)) am
Beispiel von Kindern ein Bild des neuen, sowjetischen Usbekistan entworfen.
Hans Werner Richter, der Kischs Spuren folgte, beschreibt weder den Beschik, noch
besuchte er einen Kindergarten. Als er von der Seidenfabrik in Margilan berichtet,
erwähnt er „
eine Schar gaffender Kinder
“ (Richter 1966, S. 29) und besucht eine
Internat-Schule der Kolchose in Fergana:
„
Die Kinder essen und schlafen dort. Ungehindert können die Eltern ihrer Arbeit
nachgehen. Der Lehrer, der uns durch die kahlen Räume führt, trägt ein Abzeichen,
das ihn als Akademiker aufweist. Die Schlafräume der Kinder sind spartanisch einfach
und sauber. Es ist ein Internat wie überall. Es hätte auch irgendwo im alten Preußen
liegen können, für adlige Kinder des 18.Jahrhunderts.
“
(Ebd.: S. 32)
Er sieht die Kinder, musizierende Pioniere, im ehemaligen Palais des Großfürsten
Romanov (vgl. ebd.: S. 76) und verlebendigt Lenin mit einer scherzhaften Aussage:
„
Zwischen den marmornen Hirschen lächelt jetzt ein sitzender Lenin mit einem kleinen
Mädchen neben sich.
“
(Ebd.: S. 76)
Lediglich Richard Christ beschreibt die für eine usbekische Familie so typische
Kinderliebe, die mit sich bringt, dass ein Haus mit Hof in der Altstadt einer kleinen
Neubau-Wohnung vorgezogen wird:
„
Ein kinderloses Haus ist wie ein Friedhof, aber ein Haus mit vielen Kindern ist wie ein
Basar, sagt der Usbeke, und wie er den Basar liebt, liebt er das Haus voller Kinder –
49
Dabei unterschlägt er die Vorteile des Beschiks: Der Beschik bietet z. B. Schutz und Wärme, besonders in den entfernten
Dörfern, wo es an beheizbaren Räumen im Winter und Klimatisierung im Sommer fehlt. Durch die eingearbeiteten, mit einem
Loch versehenen Holzstäbchen namens Sumak (diesen Bestandteil des Beschiks erwähnt der Autor nicht), welche die Babys
zwischen die Beinchen bekommen, und die das Wasser in das Töpfchen unter der Wiege ableiten, bleibt es bei ihm immer
trocken. Die Behauptung von Kisch, dass usbekische Babypopos mit Steinen abgewischt werden, entspringt
höchstwahrscheinlich der Phantasie des Autors.
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aber wo soll sich eine große Familie treffen, wenn kein Hof mehr da ist? Auf der Vier-
Quadratmeter-Diele einer Neubauwohnung?
“
50
(Christ/Kállay 1979, S. 31)
Er erzählt von Pahlawan Mahmud, dem großen Aufklärer, dessen Mausoleum eine
Frau angeblich fruchtbar mache, und vermerkt kurz, dass der männliche Nachwuchs
dem weiblichen vorgezogen wird:
„
[…] ein Haus voller Kinder, am besten voller Jungen, ist wie ein Basar, und den Basar
nun wieder lieben die Usbeken über alles, dort sitzen sie, kaufen, verkaufen, feilschen,
prüfen, erzählen, trinken Tee – die Männer.
“
(Christ/Kállay 1979, S. 59)
In diesem Textauszug vergleicht Christ die Kinderliebe der Usbeken wieder mit deren
Liebe zum Basar.
Die untersuchten deutschsprachigen Autoren verwenden nur wenige Realienwörter im
Zusammenhang mit usbekischen Kindern; insgesamt sind nur zwei kindbezogene
Realienwörter vorhanden, einmal bei Graf von der Pahlen, das andere Mal bei Kisch.
Beide wurden vorangehend bereits erwähnt und erläutert.
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