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4.3 Die Usbekin
Der folgende Abschnitt beschäftigt sich mit der Frage, welches Bild in den
untersuchten Reiseberichten von einer Usbekin bzw. welches usbekische Frauenbild
generell von deutschsprachigen Autoren konstruiert wurde. Da die Autoren der
Reiseberichte die Frauen auf dem Territorium des heutigen Usbekistan (damals
Transoxanien, Turkestan, Russisch-Turkistan) bis zur Sowjetzeit meistens nicht
eindeutig einer Ethnie zuordneten, sondern ein einheitliches Frauenbild wahrnahmen,
ist bei den Frauenbeschreibungen bis zur Sowjetzeit nicht von einem spezifischen
Usbekinnenbild auszugehen, sofern es sich nicht um eine explizite Äußerung über eine
usbekische Frau bzw. Usbekin handelt.
Mithilfe eines historischen Längsschnittes wird das Frauenbild allgemein bzw. das Bild
einer usbekischen Frau in den deutschsprachigen Reiseberichten ausführlich
dargestellt und stichprobenartig linguokulturologisch analysiert.
Zentral für diese Konzeptanalyse war der Begriff
Usbekin
, begleitet von den
Synonymen
usbekische Frau
,
Sartin
,
sartische Frau.
4.3.1 Das Äußere
Das Äußere der usbekischen/sartischen Frau in Turkestan wird von
deutschsprachigen Reiseautoren wenig thematisiert. Grund dafür ist der ortsübliche
Schleier (
Parandschi
), den die Frauen muslimischer Sitte entsprechend trugen. Zu den
wenigen ausführlich porträtierenden Einzelbeschreibungen des Äußeren einer
turkestanischen Frau gehört die von Moser:
„
Die Sartin ist durchschnittlich von mittlerer Grösse, doch habe ich auch sehr schlanke
und sehr hochgewachsene Frauen gesehen, die aus Kokan kommen. Ihre
Hauptschönheit besteht ohne Zweifel in grossen, mandelförmig geschnittenen Augen,
deren Glanz sie durch Schminken zu erhöhen verstehen. Je mehr die Augenbrauen
sich einander nähern, umso leidenschaftlicher ist, ihrer Ansicht nach, das
Temperament des Weibes; daher kommt ihre Gewohnheit, sich eher Augenbrauen so
zu malen, dass sie sich auf der Stirn kreuzen. Vorherrschend ist der braune Teint, man
trifft aber auch Weiber von blendend weisser Hautfarbe. Die Sartenfrauen haben zwar
kleine Hände und Füsse, dagegen fehlt ihrem Gange jeglicher Schwung und
Zierlichkeit. Das Haar ist von dunkler Farbe, grob und hart; es wird symmetrisch
gescheitelt getragen, und mit Erfolg pflegt die Sartin die Schmachtlocken auf der Stirn
oder an den Schläfen und gebraucht oder missbraucht Salben, um das Haar glänzend
zu machen.
“
(Moser 1888, S. 67-68)
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Diese umfangreichen Kenntnisse beruhen höchstwahrscheinlich auf weiblichen
Quellen, von denen Moser in den folgenden Zeilen berichtet:
„
Wenn man lange Zeit in Turkestan gelebt hat, ist es unmöglich, sich Illusionen über
die sartische Frau zu bewahren. […] Ich habe in Centralasien hübsche Frauen
gesehen, aber ich habe keine einzige gekannt, welche reizend gewesen wäre. Nur zwei
Weiber haben bei denjenigen, welche sie in Taschkent kannten, eine gewisse
Erinnerung zurückgelassen; die eine hiess Nursrat-Bibi, die andere Chan-bibi-Chan.
Kurz entschlossen hatten sie alle Rücksichten beiseitegesetzt und lebten unbedeckten
Antlitzes mitten unter den vornehmen russischen jungen Leuten. Sie haben einige
Leidenschaften durchgemacht; die eine tanzte entzückend, die andere that es im
Trinken jedem Commissoldaten gleich; die eine starb im Wahnsinn und die andere an
der Schwindsucht.
“
(Ebd.: S. 70-71)
Moser war jedoch auch sonst sehr neugierig auf die Frauen Turkestans, er versuchte
sogar bei einer Gelegenheit, von einem Dach aus die Frauen beim Mittagsschlaf zu
beobachten:
„
Bei einer Wendung um eine Ecke hatten wir das Vergnügen, auf einem Dache dicht
zu unsern Füssen eine hübsche Faulenzerin zu erblicken, welche in der reizendsten
Stellung auf seidenen Kissen schlief. Zum Glück sah sie unser Führer nicht, sodass wir
das liebliche Bild einige Augenblicke betrachten konnten.
“
(Ebd.: S. 108)
Einige Reisende, wie z. B. Vámbéry, der bei turkestanischen Frauen lediglich eine
„
frappante Ähnlichkeit mit den Töchtern Germaniens
“ vermerkt (Vámbéry 1983 [1865],
S. 177), aber auch Karutz, v. d. Pahlen, v. Schweinitz, Kisch, geben keine typisierende
Beschreibung des Äußeren der turkestanischen Frau. Erst bei späteren Autoren, wie
z. B. bei dem 1965 nach Turkestan gereisten Reiseschriftsteller Hans Werner Richter,
gibt es stellenweise Hinweise darauf:
„
Sechsunddreißig Zöpfe fallen den meisten der jungen Frauen, die im Bazar hocken,
über den Rücken, eng und dünn geflochtene Zöpfe, schwarz glänzend, als seien sie
lackiert.
“
(Richter 1966, S. 22)
Richter beschreibt an einer Stelle das Äußere einer Usbekin mit: „
dunkelblond,
hochgestecktes Haar, graue Augen in Mandelform, ein langer Hals
“ (ebd.: S. 43), wo
er eine ukrainisch-griechische junge Frau der usbekischen Ethnie zuordnet. In einem
anderen Textabschnitt kennt er allerdings „
zweifellos
“ (ebd.: S. 63) den Unterschied
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zwischen Usbekinnen, Russinnen u. a., er sieht Usbekinnen auf dem Bazar, sie sind
„
schwarzhaarig, schwarzäugig, mit sechsunddreißig dünn geflochtenen Zöpfen über
dem Rücken
“ (ebd.).
Die Beschreibung, dass die Frauen beim Schminken ihre Augenbrauen oft mit einem
Strich verbinden, findet sich, wie bei Moser, auch bei Richard Christ wieder (siehe dazu
Tab. 8):
„
Die Frauen glutäugig, mit Brauen, die zu breiten schwarzen Bögen oder Strichen
gefärbt sind, oft über der Nasenwurzel zusammengezogen, daß die Augen, nicht nur
der jungen Frauen, unter einem fingerbreiten durchgehenden waagerechten
kohleschwarzen Strich liegen.
“
(Christ 1976, S. 155)
Wie Richter spricht er auch von der damals üblichen Frisur mit vielen Zöpfchen und
gebraucht das von den Russen geprägte Realienwort
Tjubitejka
für die nationale
Kopfbedeckung
Do‘ppi
:
„
Manche tragen die Tjubiteika, ein buntbesticktes Mützchen, unter dem das Haar in
vielen dünnen Zöpfchen bis auf die Hüften herabfällt; auch kurze Frisuren sind in Mode,
und Kopftücher aus silber- und golddurchwirkten hauchdünnen Geweben.
“
(Ebd.: S. 155)
Auch in seinem zweiten Reisebuch kommen ähnliche Beschreibungen vor:
„
Frauen und Mädchen tragen die kunstreichsten Samtstickereien auf dem schwarzen,
zu vielen fingerdünnen Zöpfen geflochtenen Haar. Ihre pechschwarzen Augen sind
überdacht von dem schwarzen Strich, der die Brauen gradlinig über der Nase
verbindet.
“
(Christ/Kállay 1979, S. 14)
In oben angeführten Beispielen dominieren somit solche äußerlichen Merkmale der
usbekischen Frauen wie schwarze (mandelförmige) Augen, über die Nase (mit einem Strich)
verbundene Augenbrauen, schwarze Haare mit vielen (dünn) geflochtenen Zöpfen über dem
Rücken (siehe dazu Tab. 8).
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