3.1.2 Johannes Schiltberger
Der erste und letzte deutsche Reisende, der Temurs Zeit hautnah erlebt hat und der
uns als solcher bekannt ist, war Johannes Schiltberger.
Diese Abenteuer-Reise in die orientalische Welt beschrieb er in seinen authentischen
Reiseschilderungen mit mehreren historischen Begebenheiten. Er bezeichnete
Mittelasien in seinen Reiseschilderungen jedoch nicht als Turkestan, sondern als
Tartarey.
Seine biografischen Daten entstammen fast ausschließlich seinem Bericht. Demnach
muss er Angehöriger einer bayerischen adeligen Familie mit Sitz bei Ainach gewesen
sein (vgl. Schiewer 1992, S. 160). Er zog 1394 als Knappe des bayerischen Ritters
Linhart Reycharttinger mit dem ungarischen König Sigismund in den Kreuzzug gegen
die Türken. Während der Schlacht bei Nikopolis geriet er am 28. September 1396
sechzehnjährig in türkische Gefangenschaft (vgl. Langmantel (Hrsg.) 1885, S. 160).
So begann für Johannes Schiltberger die große Reise seines Lebens, die 31 Jahre
dauern sollte, denn er kehrte erst 1427 in seine Heimatstadt zurück:
„
Ich, Johannes Schiltberger, zog aus meiner Heimatstadt München, die in Bayern liegt,
mit einem Herrn Leinhart Richartinger aus zu der Zeit, als König Sigismund in Ungarn
gegen die Heiden zog. Das war im Jahr 1394 nach Christi Geburt, und ich kehrte erst
im Jahr 1427 wieder aus dem Heidenland zurück.
“
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(Schlemmer (Hrsg.) 2008, S. 37)
Zu Yildirim Bayazids Zeit in der Osmanischen Türkei diente Johannes Schiltberger in
dessen Schloss. Als Bayazid 1402 vor Ankara den Kampf gegen die Timuriden verlor,
wurde auch Schiltberger gefangen genommen und nach Samarkand gebracht (vgl.
ebd.: S. 163). Nach Temurs Tod diente er zuerst bei dessen Sohn Schochruch in
Churoson, danach bei Mironschoch, dem anderen Sohn von Timur, in Tabres.
Eine Betrachtung der Besonderheiten der Textsyntax zeigt, dass Schiltberger
stellenweise von den damaligen Konventionen des Reiseberichts abweicht und eine
Mischung aus Autobiografie, Chronik und Reisebericht schafft. Die Sprache des
Reisebuches ist einfach, der Satzbau bleibt meist gleich. Er greift in der Einleitung
seines Berichts auf das literarische Muster von Mandeville zurück, indem er, wie Jean
de Mandeville, mit dem Pronomen der ersten Person in der Spitzenstellung beginnt
(vgl. ebd.: S.162-163).
Er spricht von Temur und seinen Nachfolgern in den Kapiteln XV. bis XXI. seines
Reisebuches. Dieser Teil ist eine reine Chronik, persönliches Leid und Demütigungen
seiner Person in Gefangenschaft und Sklaverei, aber auch eigene Taten auf den
Feldzügen werden nicht beschrieben, was möglicherweise als Unzufriedenheit mit der
eigenen Lebenssituation betrachtet werden kann. Schnell tritt das erlebende Ich
zurück und weicht einer Tatsachenschilderung. Der auf persönliche Erfahrungen des
gefangen genommenen Soldaten hoffende Leser wird enttäuscht.
Schiltberger war ein einfacher Soldat und hatte keinen Zugang zu Timurs Hof. Daraus
erklären sich auch seine geschichtlichen Irrtümer; er schreibt u. a., dass Tamerlan zwei
Söhne hatte, „Scharoch“ und „Miraschach“; die anderen beiden Söhne, Dschahongir
und Umarschayh, die noch zu Lebzeiten Timurs gestorben waren, erwähnt er nicht.
Schochruch, der vierte Sohn von Tamerlan, wird als ältester Sohn beschrieben:
„
Tämerlin hat zwei Söhne hinterlassen. Der ältere hieß Scharoch. Er hatte einen Sohn,
dem Tämerlin die Hauptstadt und das dazu gehörige Land vermachte. Seinen beiden
Söhnen Scharoch und Miraschach gab er je ein Königreich in Persien und weitere
große Länder, die dazugehörten.
“
(Ebd. , S. 96)
Schiltberger konzentriert sich auf Timurs Grausamkeit: Er beschreibt unter anderem,
wie Tamerlan dreißigtausend Leute im Tempel verbrannte (ebd.: S. 83-84) und wie er
siebentausend Kinder töten ließ (ebd.: S. 93-95). Von Timurs Enkel Abubakr
thematisiert er dessen körperliche Stärke:
79
„
Abubachir war für seine Stärke bekannt. So konnte er mit einem Türkenbogen so
durch eine Wagenscheibe schießen, dass die eiserne Spitze hindurchfuhr, der Schaft
aber stecken blieb. Diese Scheibe hing man in der Hauptstadt Tämerlins, Samarkand,
als ein Wunderzeichen vor das Stadttor. Als der Sultan von der Stärke Abubachirs
hörte, schickte er ihm ein Schwert, das zwölf Pfund wog und dessen Wert man auf
tausend Gulden schätzte. Man brachte ihm das Schwert, worauf er einen dreijährigen
Ochsen bringen ließ, an dem er es erproben wollte. Den Ochsen schlug er dann auf
einen Streich in der Mitte durch. Dies ereignete sich noch zu Lebzeiten Tamerlans.
“
(Ebd. , S. 104-105)
In diesen Beschreibungen findet auch die damalige Hauptstadt von Transoxanien,
Samarkand, Erwähnung:
„
Dort gibt es auch ein Land namens Zekatay. Seine Hauptstadt Samarkand ist eine
große und mächtige Stadt. In dem Land wird eine eigene Sprache gesprochen, die halb
persisch und halb türkisch ist. Die Bewohner sind sehr kriegerisch, und im ganzen Land
wird kein Brot gegessen. Anmerken möchte ich noch, daß Tämerlin zu der Zeit, als ich
bei ihm war, dieses Land beherrscht hat.
“
(Ebd. S. 132)
Auch in oben angeführtem Beispiel wird noch eine Verwechselung der Begriffe
deutlich, nämlich gibt Schiltberger den Namen des Stammes
Tschagatay
– er schreibt
Zekatay
– als Namen des Landes an. Ebenso erwähnt er Choresm, eine der
historischen Städte des heutigen Usbekistan:
„
Die Hauptstadt des Landes Horosma, Orgens, liegt an einem großen Fluß, genannt
Edil.
“
(Ebd. S. 135)
Edil
kommt aus dem Türkischen und bedeutet ʻFlussʼ. Hier ist der Amu-Darya, der
große Fluss Zentralasiens, gemeint (vgl. ebd.: S. 247).
Im Weiteren setzt sich sein Reisebericht aus den Beschreibungen der Länder
zusammen, in denen er sich aufhielt. Der Text hat von da an die sogenannte
Item-
Struktur
(vgl. Schiewer 1992, S. 166):
„
Es ist auch ein landt, haysset Karasser und ist ein fruchtpars lant am weinwachß. […]
Es ist auch ein landt, das haysset Ckurt und die hauptstadt ist genandt Bastan. […]
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Es ist ein land und hayst Abkas und hauptstadt ist genandt Zuchum. […]
Es ist auch ein clain landt und ist genant Megrel und die hauptstad haysset Loathon.
[…]
“
(Langmantel (Hrsg.) 1885, S. 57)
Diese Item-Struktur verschwindet allerdings in der Übersetzung ins Neuhochdeutsche
von Schlemmer:
„
Ein anderes Land dort heißt Karaffer, eine fruchtbare Gegend, in der Wein wächst […].
Churt heißt ein weiteres Land und seine Hauptstadt Bestan […].
Ablas mit seiner Hauptstadt Zuchtun ist ein ungesundes Land, wo Männer und Frauen
eine viereckige Kopfbedeckung tragen […].
Megral mit der Hauptstadt Kathon ist ein kleines Gebiet, dessen Einwohner
griechischen Glaubens sind. […]
“
(Schlemmer (Hrsg.) 2008, S. 124)
Der Reisebericht schließt mit dem Kapitel über Schiltbergers Heimkehr aus
Konstantinopel und einer Danksagung an Gott:
„
Gott dem [allmächtigen] sey gedanckt, das mir der macht und chrafft gegeben hat und
mich behüett unnd beschirmet hatt zwai und dreyssig jar, die ich, Hanß Schiltberger,
inn der haydenschafft gewesen pin und alles, das vorgeschrieben stet, erfaren und
gesehen han !
“
(Langmantel (Hrsg.) 1885, S. 112)
Nachdem er von dieser Reise zurückkehrte, soll er bei Herzog Albrecht III. in Dienst
getreten sein (vgl. Schiewer 1992, S. 161).Sein Reisetagebuch existierte bis 1859 in
verschiedenen Manuskriptversionen und wurde, versehen mit ausführlichen
Kommentaren von Jakob Philipp Fallmerayer und Joseph Freiherr von Hammer-
Purgstall, zum ersten Mal von Karl Friedrich Neumann herausgegeben (vgl.
Langmantel 1885, S. 148-159). Trotz der Vielzahl der historischen Irrtümer gilt es als
ein überaus wichtiger Nachweis der mitteleuropäischen Orientwahrnehmung.
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