3.1.1 Johannes de Plano Carpini
Wie im vorangegangenen Abschnitt erwähnt, verwendete der Franziskaner Johannes
de Plano Carpini bereits 1245 in seinem Reisebericht „Ystoria Mongalorum“ (Kunde
von den Mongolen) den Begriff
Tartari,
der von Friedrich Risch, Felicitas Schmieder
und anderen Übersetzern dieses Reisebuches als
Tartaren
übersetzt wird:
„
Endlich gelangten wir in das Land der Mongal, die wir Tartaren nennen.
“
(Schmieder (Hrsg.) 1997, S. 109)
Carpinis Reise fiel in eine schwere und gefährliche Zeit, als das Abendland sich vom
Mongolensturm bedroht sah, nachdem Činggiz Khan und andere Čingiziden das Reich
des Chwarezm-Shahs in Transoxanien, Georgien, Armenien und einem großen Teil
des Russischen Reiches erobert und vernichtet hatten. Nachdem die Mongolen aus
Polen und Ungarn abgezogen waren, konnten die Europäer zwar aufatmen, aber die
Angst vor einer Wiederholung blieb. Mit dem neuen Papst, Innozenz IV., einem
scholastisch hochgebildeten Wissenschaftler, änderte sich die damalige Taktik der
Kirche: Nun wollte man fremde Länder und Kulturen des Morgenlandes besser
kennenlernen, wozu Informationen benötigt wurden. So schickte Innozenz zwei
Gruppen von Boten in den Vorderen Orient und nach Transoxanien (vgl. Schmieder
21
Siehe zur vollständigen Begriffsentwicklung: Göckenjan, Hansgerd: Tataren. In: Lexikon des Mittelalters, VIII (1996 -
97), Sp. 487/88.
75
(Hrsg.) 1997, S. 10-15).
Der Franziskaner Johannes von Plano Carpini war einer dieser Boten, er brach mit
seinen Gefährten 1245 in Lyon auf und bereiste mehr als zwei Jahre fast ganz Europa
und Asien. Zu dieser Zeit war er bereits fast sechzig Jahre alt und seine Konstitution
schwach; dennoch hat er seine Mission im besten Sinn erfüllt. Er besaß gute
Menschenkenntnis, war klug, gebildet und anpassungsfähig. Damit Christen nicht
noch einmal unvorbereitet einen Mongolensturm erlebten, beobachtete er dieses Land
und dessen Volk genau und stellte daraus ein ausführliches taktisches und
strategisches Handbuch zusammen, in dem er mongolische Waffen, Techniken,
Verhaltens- und Handlungsweisen beschrieb (vgl. ebd.: S. 16-20).
Sein Ziel war jedoch nicht nur das Sammeln von Informationen, sondern auch die
Übergabe eines päpstlichen Schreibens an den Großkhan. Dieses Schreiben war
unter anderem ein Bekehrungsversuch der Mongolen zum Christentum, die weitere
rhetorische Überzeugung blieb Carpini überlassen. Zudem enthielt es die Aufforderung
an den mongolischen Großkhan („Kuiuk-chan“), seine Kampfhandlungen gegen die
Christen einzustellen (vgl. ebd.: S. 22). Es ist nicht bekannt, ob Carpini diesen Brief
überreicht hat oder nicht. In seinem Bericht finden sich keine Angaben dazu. Dennoch
kann aus Kuiuk-chans Antwort herausgelesen werden, dass der Brief seinen
Adressaten gefunden hat
22
, denn Kuiuk-chan schreibt:
„
Du und alle christlichen Völker des Westens, ihr habt beratschlagt über einen
Friedensschluß mit uns, und du hast uns durch deinen Gesandten ein ganz
zuverlässiges und wahres (d. i. echtes) Schreiben übersandt, da ihr ja, wie wir von ihm
selbst hörten und wie es auch in deinem Brief steht, Frieden mit uns haben wolltet.
“
(Zitiert nach: Risch (Hrsg.) 1930, S. 45)
Am Ende seines Briefes fordert Kuiuk-chan die ausnahmslose Unterwerfung des
Papstes und der Könige und droht anderenfalls die Feindschaft der Mongolen an (vgl.
ebd.: S. 45-48).
Carpinis Reisebericht ist als Folge des vom Papst erstellten Fragenkatalogs von einer
sorgfältigen Systematik geprägt. Er beantwortet die Fragen 1) nach der Herkunft, 2)
nach der Art des Glaubens, 3) nach den religiösen Vorstellungen und Riten, 4) nach
der Lebensform, 5) nach der Stärke, 6) nach der Anzahl, 7) nach den Absichten, 8)
nach der Einhaltung von Verträgen, 9) nach der Aufnahme und Behandlung von
22
Das persische Original dieses Briefs mit dem Siegel von Kuiuk wird in den Archiven des Vatikans aufbewahrt, worauf
Risch verweist. (Siehe dazu: Risch (Hrsg.), 1930, S. 47 (Fußnote)).
76
Gesandten ausführlich. So konnte er die gesamten Reiseinformationen gut
strukturieren, was seinen Bericht später so beliebt machte. Er gilt bis heute als eine
wichtige Forschungsquelle für die Entwicklungsgeschichte der Mongolenkultur (vgl.
Schmieder (Hrsg.) 1997, S. 23).
Carpini erwähnt in seinem Bericht einige historische Begriffe, die in sozio-kulturellem
Zusammenhang mit dem heutigen Usbekistan stehen, wie zum Beispiel
Sarten
:
„
Die Namen der Länder und Völker, die sie besiegt haben, lauten wie folgt: Kytai,
Naiman, Solanga, Qara Qytai oder schwarze Kytai, Canana, Tumat, Oirad, Karanit,
Uighuren, Sumongal, Merkit, Mecrit, gelbe Uighuren, Baschkiren oder Großungarn,
Kergis, Cosmir, Sarazenen, Biserminen, Turkmenen, Bylerer oder Großbulgarien,
Corola, Comuchen, Burithabet, Parossiten, Gassen, Alanen oder Assen, Abkhasen
oder Georgier, Nestorianer, Armenier, Khangli, Kumanen, Brutachen, die Juden sind,
Mordwinen, Torcen, Chazaren, Samojeden, Perser, Taten, Kleinindien oder Äthiopien,
Tscherkessen, Bussen, Bagdad, Sarten.
“
(Ebd.: S. 87)
Der Begriff
Sarti
(in der Übersetzung ʻSartenʼ) war die mongolische Bezeichnung für
die Bewohner von Samarkand und Buchara (vgl. ebd.: S.146). Vámbéry erläutert die
Etymologie des Namen
Sart
wie folgt:
„
Der Name Sart kommt schriftlich zuerst in dem aus dem Jahre 1069 stammenden
Kudatku Bilik vor, und zwar in der Bedeutung von Kaufmann, neben Tadschik, d. h.
iranischer Autochthone.
“
(Vámbéry 1885, S. 370)
Interessant zu lesen ist an dieser Stelle Vámbérys Vergleich zwischen einem Usbeken
und einem Sarten:
„
So, wie Özbeg-kischi den Begriff Ehrenmann enthält, wird unter Sart-adam ein
schlauer, unzuverlässiger Mensch verstanden, ein solches Wesen, mit dem man sich
nur ungern verschwägert, und wenn auch ein Sarte in eine özbegische Familie
hineinheirathet, so wird die nächste Generation schon im Özbegenthum aufgehen.
“
(Vámbéry 1885, S. 370)
Diese Bezeichnung, die bei Vámbéry für „
türkischredendes und mit türkisch-
ethnischen Elementen stark untermischtes Volk
“ (ebd.: S. 371) steht, wird später, im
18. und 19. Jahrhundert bis zur Oktober-Revolution im Jahr 1917, als allgemeine
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Bezeichnung für die Bewohner Turkestans verwendet. Darüber hinaus verwendet
Carpini gelegentlich ein Realienwort für die Benennung eines Stoffes, den er
Buchara-
Purpur
oder
Buchara-Stoff
nennt (Schmieder (Hrsg.) 1997, S. 44, 55).
Die Glaubwürdigkeit seines Berichts versucht Carpini mit folgenden Worten zu
untermauern:
„
Ich bitte alle, die den vorstehenden Bericht lesen, nichts wegzunehmen und nichts
hinzuzufügen, denn ich habe alles so, wie ich es gesehen oder von anderen, die ich
für glaubwürdig hielt, gehört habe, an der Wahrheit orientiert aufgeschrieben, ohne
wissentlich etwas hinzuzufügen – Gott sei mein Zeuge.
“
(Ebd., S. 121)
Carpini hat seinen Bericht in der damals einzigen Kirchensprache – Latein – verfasst,
die erste Übersetzung mit Erläuterungen ins Deutsche wurde von Friedrich Risch
(1930) geliefert.
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