Sensation Seeking und Risikosport
Das Suchen nach neuen Erfahrungen und Abenteuern ist dieser Theorie nach der Hauptgrund,
warum Menschen
Risikosport ausüben. Risikosportler haben also eine höhere Ausprägung des
Merkmals Sensation Seeking, als andere Sportler (Jack & Ronan, 1998; Bołdak & Guszkowska,
2010; Gomà-i-Freixanet, Martha & Muro, 2012). Nach Zuckerman (1979) und Kubesch, Beck
& Abler (2011) ist dies biologisch bedingt.
Für Zuckerman ist jugendliches Risikoverhalten besser zu verstehen, wenn das biosoziale
Merkmal Sensation Seeking berücksichtigt wird. Denn es ist besonders auffällig, dass
Sensation Seeking in biographischer Hinsicht seinen Höhepunkt dann erfährt, wenn auch das
Risikoverhalten am häufigsten ausgeübt wird (Ruch & Zuckerman 2001).
b.
Erklärungsmodelle aus der Soziologie
Neben der Psychologie bietet auch die Soziologie Erklärungsmodelle für das Eingehen von
Risikos bzw. die
Teilnahme am Risikosport
. Dabei geht man von der Annahme aus, dass
gesellschaftlicher Wandel für die vermehrte Suche nach risikoreichen Aktionen verantwortlich
ist.
i.
Gesellschaftlicher Wandel
In der industriellen Gesellschaft haben veränderte Lebensbedingungen zu einer rasanten
Veränderung der Gesellschaft geführt. Das Gefühl
,
auf etwas verzichten zu müssen, ist heute
fast ausgelöscht. Grundbedürfnisse
,
wie Essen und Trinken, sind heutzutage für den Großteil
der westlichen Welt selbstverständlich (Orley, 2005).
„Das erlebnisorientierte Handeln des
Menschen zielt nicht mehr auf
aufgeschobene Befriedigungen (Sparen, langfristiges Liebeswerben, usw.) ab,
sondern der Anspruch richtet sich ohne Zeitverzögerung auf die aktuelle
Handlungssituation. Man investiert Geld und Zeit und erwartet fast im selben
Moment den Gegenwert, nämlich „das Glück“, unter dem Einfluss der
„Erlebnisorientierung“. [...] Diese Erlebnisorientierung ist ein graduelles
Prädikat, das im historischen und interkulturellen Vergleich eine
relativ große
22
Bedeutung von Erlebnissen für den Aufbau der Sozialwelt bezeichnet.“
(Schulze, 1992, S. 14)
Der ökonomische Druck hat in der heutigen Gesellschaft nachgelassen, da man in der
postmaterialistischen Erwartung dauerhaften Wohlstands aufgewachsen ist. Im Gegensatz zu
den Materialisten, die ihr Leben nach „Pflichtwerten“ ausrichten, verfolgen Postmaterialisten
„Selbstentfaltungswerte“.
„Für Postmaterialisten ist nicht länger maßgeblich, was andere – öffentlich oder
privat – von ihnen wollen, sondern was sie selbst wollen.
Sozialcharakterologisch erfolgt mit ihnen eine Verschiebung von einem
institutionellen Selbst, das seine Identität in Rollenidentifizierung sucht, hin zu
einem impulsiven Selbst, das die Berücksichtigung der eigenen Bedürfnisse und
Wünsche zum entscheidenden Kriterium der Identitätsbildung erhebt.“ (Haubl,
1998, S. 11)
Die Entwicklung von Risikosport zu einem Massenphänomen verläuft parallel mit der
Entwicklung zunehmender Freiheit hinsichtlich Lebensgestaltung in unserer Gesellschaft.
Risikosport erblüht in einer Kultur, in der sich gängige Lebenskonzepte auflösen. Jeder erfindet
sich jeden Tag selbst neu und hat dazu scheinbar unendlich viele Wahlmöglichkeiten. Der
amerikanische Psychologe Arbraham Maslow entwickelte hierzu eine Motivationspyramide,
die die Bedürfnisentwicklung von Menschen erklärt. Er schreibt, dass eine Bedürfnisstufe voll
befriedigt sein muss
, um auf die nächste „subtilere“ Stufe klettern zu können. Demnach
müssen fundamentalste Bedürfnisse, die physiologisch angeborenen Triebe, die der
Überlebensfunktion eines Menschen oder Tieres dienen, zunächst befriedigt sein. Maslow
unterscheidet fünf Bedürfnisebenen:
1.
Physische Bedürfnisse: z.B. Hunger, Durst
2.
Sicherheitsbedürfnisse: z.B. Schutz und Stabilität
3.
Soziale Bedürfnisse: z.B. Zugehörigkeit, Zuneigung
4.
Wertschätzungsbedürfnisse: z.B. Prestige und Selbstachtung
5.
Bedürfnis nach Selbstverwirklichung
(vgl. Maslow, 1971, S. 43-47)
23
ii.
Die Erlebnisgesellschaft
„Greift die von Sportsoziologen aufgestellte Vermutung, dass es sich bei den
Extremformen des Sports um ein Zeitphänomen handelt, in einer im
Sicherheitsdenken gelangweilten und in ihrem Abenteuerbedürfnis
unterforderten Zivilgesellschaft? Geht es also um die gewollte Inszenierung von
Heldentaten, die vom langweiligen Alltag abgrenzen, wenn sich Menschen in
Flügelanzügen und mit Fallschirmen Felswände herunterstürzen?“ (Beck, 2014,
S. 236)
Nach Schulze (
1992) entwickelte sich aus diesem gesellschaftlichen Wandel eine
„Erlebnisgesellschaft“. Diese sei eine Gesellschaft, die im historischen
und interkulturellen
Vergleich relativ stark durch innenorientierte Lebensauffassungen geprägt ist. (Schulze, 2000,
S.54).
Diese nach innen orientierte Lebensauffassung macht die Selbstverwirklichung zum obersten
Ziel der Menschen. Erlebnisse, Abenteuer und Selbsterleben rücken immer mehr in den
Mittelpunkt der Freizeitgestaltung (Haubl, 1998).
Die Entwicklung im Sport
,
so Opaschowski (2000)
,
resultiert genau aus dieser
gesellschaftlichen Entwicklung.
„Sport ist ein soziokulturelles Gebilde, das im Rahmen des kulturellen
Wertsystems und der sozialkulturellen Gegebenheiten einer Gesellschaft seine
Ausprägung erfährt. In unterschiedlichen Gesellschaftssystemen, wie etwa
Industriegesellschaften, wird auch das Bild des Sports different sein. Das Werte-
und Normsystem, das einer bestimmten Gesellschaft zugrunde liegt, spiegelt
sich auch im Sport dieser Gesellschaft.“ (Weiss, 1990, S. 45)
c.
Zusammenfassung Motive und Verhalten von Risikosportlern
Die Motivation für die Teilnahme am Risikosport, kann nicht nur durch bloßes Sensation
Seeking erklärt werden. Das haben mehrere Studien bereits gezeigt (Barlow et al. 2013; Kerr
& Mackkenzie, 2012).
Nach der Type T Theorie (Farley, 1991; Self et al., 2007) wird das Betreiben von solchen
Sportarten als die Verwirklichung eines devianten Persönlichkeitsmerkmals gesehen und sind
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durch das Bedürfnis nach Unsicherheit, Ambiguität und Unberechenbarkeit gekennzeichnet.
Diese Erklärung ist jedoch nicht befriedigend, da die meisten Risikosportler nicht als deviant
zu bezeichnen sind. Im Gegenteil, sie haben eine stark ausgeprägte Selbstdisziplin, bereiten
sich sehr gut vor und sind bestrebt, vorhersehbare Risiken zu minimieren (Celsi, R. L., Rose, R.
L. & Leigh, T. W., 1993). Dieser Meinung sind auch Stops & Gröpel (2016, S. 14): „Die meisten
Risikosportler sind alles andere als deviant. Sie haben eine stark ausgeprägte Selbstdisziplin,
sind gut vorbereitet und bestrebt, eigene Leistungsgrenzen zu respektieren und
vorhersehbare Risiken zu minimieren.“
Zudem hat die Ausführung von Risikosport durchaus positive Aspekte auf die mentale
Gesundheit (Brymer & Schweitzer, 2012), was eine bloße Angstlust als Hauptmotiv widerlegt.
Auch die Suche nach Flow ist als alleinige Erklärung problematisch, da dies zu unspezifisch ist.
Flow kann genauso gut bei weniger riskanten Aktivitäten, wie Schachspielen, Musizieren, oder
Computerspielen, erlebt werden (Rheinberg, 1996). Ähnliches gilt für Sensation Seeking.
Starke Reizsucher kann man nicht nur unter Risikosportlern finden, sondern auch in vielen
anderen Gruppen, wie Kriminellen, Trinker oder Drogenabhängige (Zuckermann, 2007).
Willig (2008) lieferte im Zuge von einer qualitativen Untersuchung Motivgründe von Sportlern
verschiedener Aktivitäten, indem sie Motive von Risikosportlern in Form von constitutive
themes (engl. für grundlegende Themen) und fünf weitere als additional themes (engl. für
zusätzliche Themen) kategorisierte.
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