Thema 1: Wesen und Aufgaben der Phonetik. Physiologie und Akustik der Sprachlaute



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Vorlesung Theoretische Phonetik

1. Grundbegriffe der Phonologie.
Die Grundbegriffe der Phonologie sind: phonologische Opposition, phonologische Einheit, Phonem, Phonemgehalt, phonologisches (di­stinktives) Merkmal.

  1. Phonologische Opposition. Phonologische Eihheit.

Schallgegensätze, die in der betreffenden Sprache die intellektuelle Bedeutung zweier Wörter differenzieren können, nennen wir phonolo­gische Oppositionen. Beispiele: so—sie, Rose—Riese, Karten—Gar­ten, nein—kein usw.
Die phonologische (oder distinktive) Opposition ist der Grundbe­griff, auf dem sich das gesamte Gebäude der Phonologie erhebt.
Jedes Glied einer solchen Opposition nennt man phonologische (distinktive) Einheit.
Phonologische Einheiten können sehr verschiedenen Umfang haben; z. B.: Buch—Wald unterscheiden sich voneinander durch ihren ganzen lautlichen Bestand. In dem Wortpaar Rose—Vase umfaßt die phono­logische Einheit einen Teil dieser Wörter, nämlich Ro—und Va. Aber die Wortpaare Rose—Riese, sah—sie unterscheiden sich durch die Einheiten o- und i- bzw. a- und -i.

  1. Phonem. Phonemgehalt. Phonemvarianten.

Mit Hilfe der Wortvergleichung können die Wörter in die kleinsten phonologischen Einheiten zerlegt werden (z. B. o, i, a, i in oben ange­führten Beispielen). Sie sind weiter nicht zerlegbar.
Phonologische Einheiten, die sich vom Standpunkt der betreffen­den Sprache in noch kürzere aufeinanderfolgende phonologische Ein­heiten nicht zerlegen lassen, werden Phoneme genannt. Somit ist das Phonem die kleinste phonologische Einheit einer Sprache. Die bezeichnende Seite jedes Wortes in der Sprache läßt sich in Phoneme zerlegen, die eine bestimmte Reihe von Phonemen darstellen. Aber nicht alle Lauteigenschaften sind für die Differenzierung der Bedeutung relevant.
Deshalb wird in der Prager Schule zwischen phonologisch relevanten (distinktiven, differentiellen) und phonologisch irrelevanten Merk­malen unterschieden (darüber siehe unten). Daraus läßt sich folgern, daß die Laute nur dank ihrer phonologisch relevanten Merkmale an den phonologischen Oppositionen beteiligt sind.
Man darf sagen, daß das Phonem die Gesamtheit der phonologisch relevanten Eigenschaften eines Lautgebildes ist.
Bei den angegebenen Definitionen handelt es sich nur um die Allge­meindefinitionen des Phonems. Deshalb gelten sie für einzelne Phoneme kaum. Für die Definition eines einzelnen Phonems ist die Angabe von phonologisch relevanten Merkmalen maßgebend. Auf solche Wiese gelangt man erst zur Definition des bestimmten Phonems.
Die Gesamtheit derjenigen Merkmale, die für die Auffassung der Sprachgemeinschaft den Gegensatz zu einem anderen, besonders einem nächstverwandten Phonem herstellen, wird in der Phonologie als Phonemgehalt bezeichnet. Der Phonemgehalt eines einzelnen Phonems hängt von seiner Stelle im Phonemsystem einer gegebenen Sprache ab. Zum Phonemgehalt gehören nicht alle phonetisch vorhandenen Merkmale, sondern nur diejenigen, die für die Differenzierung der Wörter und Morpheme wichtig sind, z. B. für das deutsche [b] sind folgende Merkmale wichtig: voller Verschluß des Zungenrückens mit dem Gaumen bei gehobenem Gaumensegel, schwacher Atem­druck.
Das [b] hat außerdem phonologisch irrelevante inhärente (inne­wohnende) Merkmale. Dazu gehören die Stelle der Verschlußbildung, Lippen- und Stimmlippenbeteiligung während des Verschlusses. [b] realisiert sich also in Form verschiedener Laute: stimmhafter, halb- stimmhafter, stimmloser, labialisierter-velarer, palataler, nicht labialisierter-velarer usw. Alle diese Laute, in denen ein und dasselbe Phonem realisiert wird, bezeichnet die Phonologie als Varianten (oder phonetische Varianten) eines Phonems.
Phonetische Varianten entstehen durch verschiedene Umgebungen, in denen der Laut vorkommt. So wird, z. B.: [z] im Deutschen im Wortauslaut und vor stimmlosen Konsonanten stimmlos, jedoch zwi­schen Vokalen und Sonanten stimmhaft gesprochen. Solche positions­bedingten Varianten bezeichnet man als kombinatorische Varianten: z. B. dt. [ç]und [x]. N. S. Trubetzkoy unterscheidet außerdem fa­kultative Varianten, z. B.: [r] und [R], Verlängerung der Konso­nanten vor dem betonten Vokal.
Vom funktionalen Standpunkt aus werden die fakultativen Vari­anten in stilistisch relevante und stilistisch irrelevante gegliedert. Stilistisch relevante fakultative Varianten sind solche, die für die Differenzierung der Abarten des funktionalen Stils ausschlag­gebend sind.



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