II. Phonetik und Phonologie.
Aus der obenangeführten Definition der Phonetik geht hervor, daß die Phonetik (im weiten Sinne des Terminus) zwei Aspekte der Lautmittel der Sprache zu untersuchen hat:9
1. Phonetik (im engeren Sinne),
2. Phonologie.
In der Phonetik (im engeren Sinne des Terminus) wird die lautliche Seite der Sprache entweder vom physiologisch-artikulatorischen Standpunkt aus studiert oder sie wird als akustische Erscheinung untersucht. Man kann deshalb sagen, daß die lautliche Seite der Sprache ein strak naturwissenschaftlich ausgeprägter Zweig der Phonetik als Sprachwissenschaft ist. Im Gegensatz zur Phonetik werden in der Phonologie die sprachlichen Funktionen der Lautmittel behandelt.
Obwohl die genannten beiden Teile der Phonetik die lautliche Seite der Sprache betreffen, haben sie verschiedene Betrachtungsweisen und Zielstellungen.
Aus den obigen Darlegungen kann man schlußfolgern, daß Phonetik und Phonologie zwei Bestandteile einer einheitlichen Lehre über das Lautsystem der Sprache sind.
Dabei folgen wir der Lehre von L. W. Stscherba, der seinerzeit scharf gegen die radikale Trennung von Phonetik und Phonologie auftrat.10
Diesen Strandpunkt vertreten bei uns in der Sowjetunion sowohl die Vertreter der Moskauer phonologischen Schule als auch die Vertreter der Leningrader Schule, als deren Begründer Stscherba selbst gilt.
Anders steht es mit der Lösung dieses Problems im Auslande. Da kann man unterschiedliche Betrachtungsweisen verfolgen.
N. S. Trubetzkoy, der mit Recht neben J. A. Baudouin de Courtenay als einer der Begründer der Phonologie gilt, setzt die Abgrenzung von Phonetik und Phonologie gleich mit der Zweiheit von Naturwissenschaften (Phonetik) und Geisteswissenschaften (Phonologie) und mit der saussurianischen Dichotomie von Sprechakt oder Parole (Phonetik) und Sprachgebilde oder langue (Phonologie).
Dabei betont er, daß die Phonologie von gewissen phonetischen Begriffen Gebrauch macht,11 z. B.: stimmhaft, stimmlos, Geräuschlaut.
A. Martinet,12 H. Pilch13 vertreten eine andere Meinung, nach der es eine einheitliche Wissenschaft über das Lautsystem der Sprache geben soll. Diese soll nach H. Pilch die Benennung «Phonetik» haben. A. Martinet besteht auf der Benennung «Phonologie». Sie sind sich einig in der Frage, was diese Wissenschaft untersuchen soll. Nach ihrer Meinung erforscht sie verschiedene Aspekte der Ausdrucksebene der Sprache auf unterschiedlicher Abstraktionsebene14.
Die Vertreter der Glossematik, der dänischen Schule,15 behaupten, daß als reine linguistische Wissenschaft nur die Kenematik, «die Lehre über die Form des Sprachausdrucks, betrachtet werden soll. Die Phonetik hingegen, die sich mit der Substanz des Sprachausdrucks befaßt, soll zu den Naturwissenschaften gezählt werden.
Der Untersuchungsbereich der Phonetik und seine Grenzen hängen, wie es oben gezeigt wurde, von der Zielstellung des Sprachforschers ab16.
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