Karen-Henrike Berg Buddenbrooks. Doc

I.8. S

iebentes Kapitel: Zweites störendes Intermezzo:  

        Christians Magenverstimmung

 

Sieh, so ist Tod im Leben. Beides läuft 

so durcheinander, wie in einem Teppich 

die Fäden laufen; und daraus entsteht 

für einen, der vorübergeht, ein Bild. 

Rilke 

 

Nicht nur durch die Erwähnung von Thomas' schlechten Zähnen wird bereits auf die 

künftigen Krankheiten und Tode hingedeutet. Gast ist auch Doktor Grabow, ein Herr, 

der mit seinem sprechenden Namen tatsächlich am Sterbebett einiger Buddenbrooks 

stehen wird. Das gute Essen musternd, sagt er gleich zu Beginn des Festes zu den 

Kindern: "Ich werde wohl zu tun bekommen" (M,I,18); und dies bewahrheitet sich 

sowohl in fernerer Zukunft als auch umgehend, nämlich noch am selben Abend bei 

Christians Magenverstimmung. 

                                                 

46

Vgl. hierzu diese Arbeit, Kapitel II.1.3., S.57. Dort wird darauf hingewiesen, wie häufig im Roman 

erwähnt wird, daß die Mengstraße und die Fischergrube beide steil zur Trave hin abfallen. 

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22

 

Angesichts dieser werden einige Gedanken Grabows wiedergegeben, die auch für 

die Buddenbrooks bedeutungsvoll sind. Er schreibt es der ungesunden Lebensweise der 

gutsituierten Kaufmannsfamilien - zu wenig Bewegung und zu viel fettem Essen - zu, daß 

ihre Mitglieder nach vielen kleinen und anscheinend harmlosen Attacken oft so scheinbar 

überraschend sterben: "Ein Schlag, hieß es dann, eine Lähmung, ein plötzlicher und 

unvorhergesehener Tod... jaja, und er (...) hätte sie ihnen vorrechnen können, alle die 

vielen Male, wo es 'nichts auf sich gehabt hatte'" (M,I,37). Daß der Arzt das individuelle 

Phänomen der Indigestion Christians sofort als Ausdruck einer Gesetzmäßigkeit in den 

Krankheiten und Toden der reichen Kaufmannsfamilien erkennt und deutet, gibt einen 

ahnungsvollen Ausblick auf die weitere Romanhandlung. Genauso, wie Grabow es hier 

beschreibt, anscheinend überraschend und doch durch eine Reihe von Vorzeichen 

angekündigt, wird Jean sterben.

47

 Christians Magenverstimmung deutet nicht nur 

allgemein auf die Krankheiten voraus, die in baldiger Zukunft in der Familie auftreten 

werden, sie ist auch eine Vorwegnahme von Hannos gleichem Leiden am 

Weihnachtsabend, und sie kündigt auch Christians eigene, teilweise eingebildete 

Krankheiten an. 

 

Die Magenverstimmung isoliert ihn schon hier, er muß die Gesellschaft zu dem 

Zeitpunkt verlassen, als die "allgemeine Munterkeit ihren Gipfel erreicht" hat (M,I,36). 

Auf dem Höhepunkt der guten Laune wird Christian krank  - ein Hinweis darauf, daß 

mitten in Ahnungslosigkeit und  Heiterkeit, auf der vermeintlichen Höhe, der Abstieg 

beginnen kann, wie Thomas' Sprichwort es treffend ausdrückt: "Wenn das Haus fertig 

ist, so kommt der Tod" (M,I,431). Es scheint von der Mitte des Romans, wo es 

erstmals ausgesprochen wird, auf den Anfang zurückzustrahlen und rückt ihn im 

Rückblick in ein anderes Licht: Schon hier, über diesem scheinbar heiter-unbeschwerten 

Neubezug eines Hauses, lastet bereits die Bedrohung durch Verfall und Tod.

48

  Auf dem 

Höhepunkt des äußerlichen Glanzes der Familie ist der Keim des Abstiegs schon 

angelegt.

49

  

 

Dieses Sprichwort ist die erste feststellbare Notiz zu  Buddenbrooks in Thomas 

Manns Notizbüchern.

50

 Es enthält bereits "das Aufstiegs- und Verfallsmotiv, das in der 

Geschlechterfolge der Ratenkamp-Buddenbrook-Hagenström gegeben ist".

51

 

                                                 

47

Vgl. diese Arbeit, Kapitel II.2.1., S.42ff. 

48

Vgl. hierzu Hans Rudolf Vaget: Thomas Mann und Richard Wagner. Zur Funktion des Leitmotivs