Johann Wolfgang Goethe, ab 1782 von Goethe



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Johann Wolfgang von Goethe – Wikipedia

Religionsverständnis
Abgesehen von einer kurzen Phase der Annäherung an 
pietistische
 Glaubensvorstellungen,
die ihren Höhepunkt während Goethes 
Rekonvaleszenz
von einer schweren Erkrankung in
den Jahren 1768–1770 fand, blieb er gegenüber der christlichen Religion kritisch
eingestellt.
[210]
 Schon früh hatte er dem mit ihm befreundeten Theologen 
Johann Caspar
Lavater
 in einem Antwortbrief 1782 beschieden, er sei „zwar kein Widerkrist, kein Unkrist[,]
aber doch ein dezidirter Nichtkrist“.
[211]
 Der Goetheforscher 
Werner Keller
fasst Goethes
Vorbehalte gegen das Christentum in drei Punkten zusammen: „Die Kreuzessymbolik war für
Goethe ein Ärgernis, die Lehre von der 
Erbsünde
eine Entwürdigung der Schöpfung, Jesu
Vergottung in der 
Trinität
 eine 
Blasphemie
 des einen Gottes.“
[212]
Laut 
Heinrich Heine
 nannte man Goethe „den großen Heiden […] allgemein in
Deutschland“.
[213]
In seiner durchweg optimistischen Sicht auf die menschliche Natur konnte
er die 
Dogmen
von Erbsünde und ewiger Verdammnis nicht akzeptieren.
[214]
Seine
„Weltfrömmigkeit“ (ein Begriff von Goethe aus Wilhelm Meisters Wanderjahre) brachte ihn in
Gegensatz zu allen weltverachtenden Religionen; alles Übernatürliche lehnte er ab.
[215]
In
seiner großen Sturm-und-Drang-
Ode
 
Prometheus
fand Goethes religiöse Rebellion ihren
stärksten dichterischen Ausdruck.
[216]
Nicholas Boyle sieht in ihr Goethes „explizite und
wütende Absage an den Gott der Pietisten und den verlogenen Trost ihres Erlösers“.
[217]
Heißt es in der zweiten Strophe des 
Rollengedichts
„Ich kenne nichts Ärmer’s / Unter der
Sonn’ als euch Götter“, dann steigert sich die prometheische Revolte am Ende der
siebenstrophigen Ode zur trotzigen Herausforderung von 
Zeus
, dem Prometheus
entgegenschleudert: „Hier sitz ich, forme Menschen / Nach meinem Bilde, / Ein Geschlecht,
das mir gleich sei, / Zu leiden, weinen, / Genießen und zu freuen sich, / Und dein nicht zu
achten, / Wie ich.“


Zwar beschäftigte Goethe sich intensiv mit Christentum, Judentum und Islam und deren
maßgeblichen Texten, doch wandte er sich gegen jede 
Offenbarungsreligion
und gegen die
Vorstellung eines persönlichen Schöpfer-Gottes. Der Einzelne müsse das Göttliche in sich
selber finden und nicht einer äußeren Offenbarung aufs Wort folgen.
[218]
Der Offenbarung
setzte er die Anschauung entgegen. 
Navid Kermani
spricht von einer „Religiosität der
unmittelbaren Anschauung und allmenschlichen Erfahrung“, die „ohne Spekulation und fast
ohne Glauben“ auskomme.
[219]
 „Natur hat weder Kern noch Schale / Alles ist sie mit einem
Male“, heißt es in Goethes Gedicht Allerdings. Dem Physiker. von 1820, womit er betonte, dass
die Natur in der Gestalt zugleich ihr Wesen zeige. Auf 
Friedrich Heinrich Jacobis
Schrift
gegen 
Spinoza
hatte er 1785 dem Freund geantwortet, ein göttliches Wesen könne er nur in
und aus den Einzeldingen erkennen, Spinoza „beweist nicht das Dasein Gottes, das Dasein ist
Gott“.
[220]
 In einem weiteren Schreiben verteidigte er Spinoza mit den Worten: „Ich halte mich
fest und fester an die Gottesverehrung des Atheisten […] und überlasse euch alles was ihr
Religion heisst“.
[221]
In seinen Naturstudien fand Goethe die Grundfesten der Wahrheit. Immer wieder bekannte er
sich als 
Pantheist
 in der philosophischen Tradition 
Spinozas
 und als 
Polytheist
in der
Tradition der klassischen Antike.
[222]
„Wir sind naturforschend Pantheisten, dichtend Polytheisten,
sittlich Monotheisten.“
– M
R
[223]
Einem Reisenden gegenüber, berichtet 
Dorothea Schlegel
, habe Goethe erklärt, er sei „in der
Naturkunde und Philosophie ein Atheist, in der Kunst ein Heide und dem Gefühl nach ein
Christ“.
[224]
Die Bibel und der Koran, mit dem er sich zur Zeit der Dichtung am West-östlichen Divan
beschäftigt hatte, waren ihm „poetische Geschichtsbücher, da und dort mit Weisheiten
durchsetzt, doch auch mit zeitgebundenen Torheiten“.
[225]
Religionslehrer und Dichter sah er
als „natürliche Gegner“ und Rivalen an: „die religiösen Lehrer möchten die Werke der Dichter
‚unterdrücken‘, ‚bei Seite schaffen‘, ‚unschädlich machen‘.“
[226]
Abgelöst von den Dogmen
fand er in der 
Ikonographie
und der erzählerischen Tradition aller bedeutenden Religionen,
einschließlich des 
Islam
und des 
Hinduismus
, reiche Quellen für seine poetischen Symbole
und 
Allusionen
; die stärksten Zeugnisse davon liefern der Faust und der West-östliche
Divan.
[227]
Goethe liebte die plastische Darstellung der antiken Götter und Halbgötter, der Tempel und
Heiligtümer, während ihm das Kreuz und die Darstellung gemarterter Leiber geradezu
verhasst waren.
[228]


„Vieles kann ich ertragen. Die meisten beschwerlichen Dinge /
Duld ich mit ruhigem Mut, wie es ein Gott mir gebeut. /
Wenige sind mir jedoch wie Gift und Schlange zuwider, /
Viere: Rauch des Tabaks, Wanzen und Knoblauch und Kreuz.“
– V
E
 66
[229]
Dem Islam begegnete Goethe mit Respekt, aber nicht kritiklos.
[230]
In den Noten und
Abhandlungen zum besseren Verständnis des West-östlichen Divans kritisierte er, Mohammed
habe seinem Stamme „eine düstere Religionshülle übergeworfen“; dazu zählte er das
negative Frauenbild, das Wein- und Rauschverbot und die Abneigung gegen die Poesie.
[231]
Kirchliche Zeremonien und Prozessionen waren ihm „seelenloses Gepränge“ und
„Mummereyen“. Die Kirche wolle herrschen und brauche dazu „eine bornierte Masse, die sich
duckt und die geneigt ist, sich beherrschen zu lassen“.
[232]
Die ganze Kirchengeschichte sei
ein „Mischmasch von Irrtum und von Gewalt“.
[233]
Mit Anteilnahme und tiefgründigem Humor
schilderte er andererseits das traditionelle Sankt-Rochus-Fest zu Bingen – ähnlich wie schon
in seiner früheren Beschreibung des „Römischen Karnevals“ (1789)
[234]
– als ein heiteres
Volksfest, bei dem das Leben als gut und schön bejaht und jeder christlichen Askese
abgeschworen wurde.
[235]
Gleichwohl sah er im Christentum „eine Ordnungsmacht, die er
respektierte und die er respektiert sehen wollte“.
[236]
 Das Christentum sollte zwar den
gesellschaftlichen Zusammenhang im Volk fördern, doch für die geistige Elite war es aus
Goethes Sicht überflüssig,
[237]
denn: „Wer Wissenschaft und Kunst besitzt, / hat auch
Religion; / wer jene beiden nicht besitzt, / der habe Religion.“
[238]
Andererseits war ihm die Vorstellung der 
Wiedergeburt
nicht fremd. Sein
Unsterblichkeitsglaube
basierte jedoch nicht auf religiösen, sondern philosophischen
Prämissen
, etwa auf der 
Leibnizschen
 Konzeption der unzerstörbaren 
Monade
oder der
Aristotelischen
 
Entelechie
.
[216]
Aus dem Gedanken der Tätigkeit entwickelte er im Gespräch
mit Eckermann die These, dass die Natur verpflichtet sei, „wenn ich bis an mein Ende rastlos
wirke, […] mir eine andere Form des Daseins anzuweisen, wenn die jetzige meinem Geist nicht
ferner auszuhalten vermag“.
[239]

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