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Über den Mausoleumskomplex Schah-i Sinda, den er als „
Totenstadt
“ (ebd.: S. 77)
umschreibt, berichtet der Reiseautor mittels einer Mischung aus Legende, Geschichte
und Religion, indem er die Legende vom „
lebenden Schah
“ mit einer Koransure
verbindet: „
Glaubet nicht, wer im Streit für Allah das Leben gibt, liege tot. Vielmehr, er
lebet weiter!
“ (Zit. nach: ebd.: S. 78). Das Mausoleum ist für Christ „
wie ein Trost, eine
Verheißung, wie ein Ausweg vom Tod zum Leben
“ (ebd.: S. 92). Er nimmt rote Farbe,
die Farbe der Sowjetunion, in ihren verschiedenen Schattierungen als Symbol für den
Wein, die Zahlenbänder, aber auch für Frauen, die ihren Schleier ins Feuer schickten,
wozu er metaphorische Vergleiche gebraucht. Rot ist somit ein Symbol für den
Fortschritt:
„
Rot, so kräftig und tief wie der Kern des Granatapfels, rot wie der süße betäubende
Wein, der aus violetten Trauben gekeltert wird. Flammendrot wie die Zahlenbänder mit
den Verpflichtungen zur Baumwollernte. Scharlachrot. Wie die Kopftücher an jenem
fernen Märztag, als die Freudenfeuer auf dem Registan prasselten…
“
(Ebd.)
Zum Schluss des Samarkand-Abschnittes zeichnet der Autor mit Hilfe der elliptischen
Sätze ein Bild von der modernen Stadt, wobei er Rot erneut als Symbol einsetzt:
„
Eine Losung unter den Bäumen, mohnrot, zum Lob der usbekischen Sportler. Ein
Lenin-Denkmal. Verkaufsstände für Mineralwasser, Süßigkeiten. Auf einer Bank sitzt
ein junger Bursche, das Hemd offen die Beine weit von sich gestreckt, und liest die
‚Prawda Wostoka‘. Wie er fertig ist, wirft er sie in den Papierkorb neben der Bank. Jede
Parkbank hat ihren Papierkorb. […] Eine junge Frau schiebt einen Kinderwagen – das
ist, verglichen mit Urgentsch, ein ungewohnter Anblick. Eine Kirow-Büste, davor liegt
eine Nelke, tiefrot, blutrot.
“
(Ebd.: S. 93)
In diesem Zitat sind typisch sowjetische Lebensmuster und -bilder dargestellt: ein Park
als moderner Erholungsort, Asphaltwege statt früherer schlechter Straßen, Spielplätze
für Kinder, eine Losung zum Lob, ein Lenin-Denkmal, die sowjetische Zeitung „Prawda
Wostoka“ (übersetzt ʻdie Wahrheit des Ostensʼ), Parkbänke mit Papierkörben, eine
Frau mit Kinderwagen und schließlich Nelken, die sowjetischen Blumen.
Der Autor
gebraucht elliptische Sätze für die Schaffung kurzer prägnanter Bilder. Es ist wichtig
darauf hinzuweisen, dass er sich in seinem zweiten Buch über Usbekistan (Christ/
Kallay 1979) mehr historischer Quellen bedient als im ersten Buch (Christ 1976); es
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sind z. B. nicht mehr nur Aussagen von Vámbéry, sondern auch indirekte Verweise
auf die Periphrasen von Graf v. d. Pahlen und Moser in seinem Text zu finden (siehe
Tab. 13).
Die bevorzugten Ausdrucksmittel des Samarkand-Bildes sind neben Periphrasen vor
allem Hyperbeln,
Vergleiche und Epitheta, die ein emotional prägnantes Konstrukt
schaffen (siehe Tab. 14). Auch Samarkand wird, ebenso wie Taschkent, in zwei Teilen
beschrieben, wobei die Altstadt von Samarkand meist negativ aufgefasst wird.
Was den Gebrauch der Realienwörter anbetrifft, so fällt es eindeutig ins Auge, dass
die Transkription in einer Form erfolgt, die sich eher dem Russischen annähert (siehe
Tab. 15). Das kann dadurch erklärt werden, dass einige Laute usbekischer Sprache
(vor allem solche wie O‘, Q, G‘) in der deutschen Sprache nicht existieren. Andererseits
ist
davon auszugehen, das dies der Einfluss von russischsprachigen Dolmetschern
und Begleitern ist, was zur Entstehung der kolonialistischen Wahrnehmungskonstrukte
einen großen Beitrag leistete.
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