L6: „Und ich glaube Professionalisierung hat auch extrem viel damit zu tun, dass man immer
schaut, dass man selbst sich irgendwie verbessert oder Dinge einen anderen Zugang kriegt oder
das überdenkt, neu erarbeitet. Dann auch reflektiert eben, was ist da jetzt gut gelaufen, was
ist verbesserungswürdig und dann so durch diesen Prozess immer wieder auch durch Feedback
von Schülerinnen und Schülern, dass man sich das genau anschaut, wie reagieren die auf
gewisse Sachen.“ (L6_Ö_2.6 #00:38:53#)
5.3.4
Gesonderte Situation der Professionalisierung in der Schweizer Fallstudie
Hinsichtlich der didaktischen Professionalisierung der Lehrer/innen nimmt die Schweizer Fallstudie
eine besondere Position ein, die im Folgenden detaillierter skizziert wird. Es handelt sich um eine
Privatschule, die für eine bestimmte Philosophie steht und diese umsetzt, um ihren Kund/innen das
Versprochene auch gewährleisten zu können.
Das Konzept der Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen basiert grundsätzlich auf den drei Säulen:
Input, Lernatelier und Coaching (Abbildung 17). Das Coaching-System wird im Teil III genauer analysiert.
Es geht dabei um die individuelle Betreuung der Schüler/innen, die im Fall von schulischen oder privaten
Problemen in Anspruch genommen werden kann. Ein/e Lehrer/in ist jeweils für ca. 15 Schüler/innen
zuständig.
Das Lernatelier stellt die zweite wichtige Säule dar. Es handelt sich dabei um Lernräume und
Arbeitsphasen, in denen die Schüler/innen selbstständig an Aufgabenstellungen arbeiten, wobei bei Bedarf
ein/e Lehrer/in für etwaige Fragen zur Verfügung steht. Die Phase des Lernateliers schließt meist an eine
Inputphase an, kann aber auch nach individuellem Ermessen der Schüler/innen zusätzlich genutzt werden.
Die Inputphase wird in sieben Schritte unterteilt. Es wird mit der Begrüßung, dem Empfang der
Schüler/innen, gestartet. In der praktischen Umsetzung steht der/die Lehrer/in bei der Eingangstür des
Klassenraums und begrüßt die Schüler/innen alle einzeln bei ihrem Eintreffen. Zu Beginn der Einheit wird
das Vorwissen zu den jeweiligen Inhalten aktiviert. Daran anschließend werden die zu erreichenden
Lernziele kommuniziert, die laut Bildungsstandards zu diesem Thema erreicht werden müssen. Der Einstieg
in das eigentliche Thema erfolgt mit der sogenannten Faszinationsphase. Wie der Name schon sagt, gilt es
in dieser Phase die Schüler/innen für dieses Thema zu begeistern und zu motivieren. Dann werden konkret
die fachlichen Aspekte zu den Inhalten, frontal und eventuell mit medialer Unterstützung, vorgetragen.
130
Zum Abschluss der 30-minütigen Einheit erfolgen Instruktionen und Aufgabenstellungen für das
selbstständige Arbeiten im Lernatelier.
Abbildung 17: Drei Säulen des didaktischen Konzepts der SBW Häuser des Lernens (eigene Darstellung 2013
29
)
Das Konzept umfasst sehr viele Aspekte, die gerade für die Umsetzung individualisierter Lehr- und
Lernprozesse von besonderer Bedeutung sind. Mit dem Coaching wird auf die besonderen Bedürfnisse der
Schüler/innen auch abseits des Fachunterrichts eingegangen. Im Lernatelier wird selbstständig zu fixierten
oder individuell gewählten Zeiten gearbeitet. Die einzelnen Phasen des frontalen Inputs spiegeln ebenfalls
wichtige Elemente von individualisierten Lehr- und Lernprozessen wider, wie die Aktivierung des
Vorwissens oder die Faszinationsphase verdeutlichen. Selbst die Begrüßung zu Beginn des Unterrichts wird
eingesetzt, damit sich die Schüler/innen bewusst als Individuum wahrgenommen fühlen.
Im Rahmen der mehrtägigen Beobachtungen konnte festgestellt werden, dass es sich dabei nicht nur
um eine Philosophie handelt, die auf dem Papier geschrieben steht, sondern dass nach diesen Prinzipien
tatsächlich gelebt und gehandelt wird. Das bedeutet zum Beispiel auch, dass es sich bei der Struktur zur
Gestaltung der 30-minütigen Input-Phase nicht nur um eine Empfehlung handelt, sondern dass diese eins
zu eins beachtet werden muss. Aus Sicht der Privatschule, die alle Lehrer/innen zur Einhaltung ihrer
Philosophie verpflichtet, ist dies vielleicht nachvollziehbar. Allerdings bedeutet dies eine Beschränkung der
didaktischen Professionalität und des authentischen Stils von Lehrer/innen und somit auch einen
Widerspruch zur konstruktivistischen Lerntheorie.
Im Vergleich der Lehrer/innen-Interviews zwischen der Schweiz und Österreich, hinsichtlich der
didaktischen Professionalität zeigen sich deshalb interessante Ergebnisse. Die Antworten der Lehrer/innen
der Wiener Fallstudie sind sehr individuell und differenziert in ihrem Zugang zur Gestaltung von Lehr- und
Lernprozessen. Im Fall der Schweiz war eine Kategorienbildung abseits des beschriebenen Konzepts nicht
möglich, da die Struktur der Gestaltung von Vermittlung und Aneignung schon sehr klar vordefiniert ist.
Aufgrund dieses Top-Down-Systems ist eine vergleichende Analyse der Professionalität der einzelnen
29
Die Darstellung basiert auf den aus der Dokumenten- und Interviewanalyse gewonnen Informationen.
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Lehrer/innen nicht möglich. Trotzdem konnten in den Interviews einige Aspekte identifiziert werden, die
Anlass zur weiteren Diskussion bieten.
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