„Our ideas about what people can learn and should be learning, as well as what they should
be doing with what they learn, depend on our concept of learning itself“. (Lakoff 1987 in: (Jörg
et al. 2007, S. 2)
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Hinter dieser Feststellung steht einerseits die Forderung vieler Wissenschaftler, das Konzept von Lernen
völlig zu überdenken und eine „New Learning Science“ zu entwickeln (Jolles et al 2005 in: Jörg et al. 2007,
S. 8). Andererseits kann es auch als Verweis auf die parallel existierenden subjektiven Theorien der
Lehrer/innen interpretiert werden.
Zahlreiche Studien haben festgestellt, dass sich subjektive Theorien von Lehrer/innen in der Ausbildung
und der Berufspraxis nicht verändern. SCHWARZ-GOVAERS (2005) hat in der Pflegeausbildung den
Zusammenhang von Wissen und Handeln untersucht und dabei festgestellt, dass sich subjektive Theorien
trotz erlernter theoretischer Konzepte und dem intensiven Praxisbezug während der Ausbildung nicht
verändert haben. WAHL (2006) hat an Lehramtsstudierende, Lehrer/innen zwischen dem zweiten und
zehnten Dienstjahr sowie 14-jährige Schüler/innen 2 Fallbeispiele (Textfeld 22) ausgehändigt und sie
gebeten 1) mögliche Ursachen anzuführen, die ihrer Meinung nach das Verhalten bzw. die Schulleistungen
erklären und 2) Anregungen zu geben, wie sich der/die Lehrer/in in den jeweiligen Situationen verhalten
sollte.
Fallbeispiel 1:
Frank ist neun Jahre alte und besucht das zweite Schuljahr einer ländlichen Grundschule. Im
Unterricht zeigt er folgendes Verhalten: Er ist unaufmerksam, redet, ruft in die Klasse ohne sich zu
melden, hat häufig die Hausaufgaben nicht. Oft steht er mitten im Unterricht auf, nimmt ein
elastisches Lineal, geht umher und schlägt verschiedene Mitschüler auf den Kopf, vor allem Mädchen
und körperlich kleinere Jungen.
Fallbeispiel 2:
Ingrid ist eine schlechte Schülerin. In nahezu jedem Fach weist sie ausreichende Leistungen auf, nur
in Sport zeigt sie befriedigende Leistungen, Als sie in der vierten Klasse ist, wird mit allen Schülern
ein Intelligenztest durchgeführt. Es zeigt sich, dass Ingrid mit Abstand die höchste Intelligenz hat.
Textfeld 22: Fallbeispiele in der Studie von Wahl 2006, S. 10
Die Erkenntnisse des Autors zeigen folgendes Bild: Zum einen besteht kein signifikanter
Zusammenhang zwischen der identifizierten Ursache des Problems und dem empfohlenen Verhalten für die
Lehrperson. Unabhängig davon, ob nun eine neurologische Krankheit oder ein ungeeigneter Unterricht als
Grund für Franks Verhalten angenommen wurde, die vorgeschlagenen Interventionen waren immer die
gleichen, nämlich Gespräche mit den Eltern, dem Kind oder der Klasse. Überraschend war vor allem, dass
es bei keinem der beiden Fallbeispiele signifikante Unterschiede zwischen den Antworten der befragten
Gruppen gab.
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Dieses Beispiel zeigt, dass sich das Spektrum an Handlungsoptionen zwischen Schüler/innen und
Lehrer/innen nicht signifikant unterscheidet. Interessant ist in diesem Kontext vor allem, dass Lehrer/innen
nicht auf die Expertise anderer Professionen, die diese Fälle ja vielleicht kompetenter einschätzen könnten,
als mögliche Handlungsoption verwiesen haben.
WAHL hat 1991 in einer weiteren Langzeitstudie den Einfluss subjektiver Theorien auf das
Veränderungspotenzial bewährter Handlungsmuster untersucht. Dabei wurden die Handlungen von den
Lehrer/innen im Unterricht beobachtet und dokumentiert. Zwei zentrale Erkenntnisse waren, dass (1) jede
Person unverwechselbare, subjektive Theorien besitzt und diese (2) das künftige Handeln der Lehrenden
prognostizierbar machen: Die Handlungsmuster der Lehrer-Proband/innen haben sich, unabhängig von der
jeweiligen Klassensituation, zwischen dem ersten und dem sechsten Jahr der Untersuchung nicht verändert.
(Wahl 2006, S. 11)
Der Autor führt die Ursachen, warum neues Wissen nicht automatisch zu veränderten Handeln führt,
auf folgende drei Aspekte zurück:
Subjektive Theorien sind sehr stabil und resistent gegenüber wissenschaftlichen Theorien, die in der
Aus-und Weiterbildung thematisiert werden.
Subjektive Theorien sind biographisch entstanden.
Subjektive Theorien haben sich in der täglichen Unterrichtspraxis bewährt. Nur in Ausnahmefällen
werden diese durch Expert/innenwissen abgelöst.
Aus den erwähnten Studien kann für die vorliegende Arbeit die Schlussfolgerung abgeleitet werden, dass
es einen offensichtlichen Bruch zwischen theoretischem Wissen und schulpraktischen Handlungen gibt.
Eine zentrale Schlüsselstelle scheint die Aus- und Weiterbildung für Lehrende zu sein, der die zentrale
Aufgabe obliegt, subjektive Theorien und Lernbiographien mit den Studierenden zu reflektieren und
aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen gegenüberzustellen mit dem Ziel, theoretisch begründete Lehr-
/ Lernprozesse zu gestalten.
Dass Lehrer/innen ihre subjektiven Theorien erkennen müssen, um reflektierte Handlungen setzen zu
können, ist eine wichtige Erkenntnis für die Untersuchung ihrer Aus- und Weiterbildung. Für die
vorliegende Arbeit ist von besonderem Interesse, inwieweit die subjektiven Theorien der Lehrer/innen durch
wissenschaftliche Erkenntnisse verändert oder abgelöst werden konnten. Es wurde bereits festgestellt, dass
die Lehrer/innen dem Konzept der Individualisierung grundsätzlich positiv gegenüberstehen, doch wird
genauer zu untersuchen sein, ob es sich dabei bloß um ein sozial erwünschtes Bekenntnis handelt oder ob
Individualisierung tatsächlich als handlungsleitendes didaktisches Prinzip im Unterricht zum Einsatz
kommt. Dabei ist vor allem auch interessant, von welchem Rollenverständnis die Lehrer/innen jeweils
ausgehen.
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5.3.3
Bereiche und Quellen der Professionalisierung
Die Dominanz subjektiver Theorien gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen bei Lehrer/innen hat
gezeigt, dass die Qualität der Aus- und Weiterbildung in diesem Kontext einen wichtigen Faktor darstellt.
Die Frage ist, inwieweit Lehrer/innen angesichts ihrer sich stark verändernden Rolle unterstützt und bestärkt
werden. Auch braucht es zur erfolgreichen Loslösung von subjektiven Theorien Reflexionsprozesse, die
sowohl die Persönlichkeit der Lehrer/innen betreffen wie auch deren Handlungsmuster, die es zu erweitern
gilt.
In beiden Fallstudien wurde die Qualität ihrer formellen Weiterbildung von den Lehrer/innen eher im
unteren Bereich und als für die Praxis wenig hilfreich eingestuft. Theoretische Konzepte werden laut einer
Lehrerin den Anforderungen der Schulpraxis nicht gerecht (L5_CH_2.6 #00:43:29#). Im Fall des Wiener
Gymnasiums erwähnten einzelne Lehrer/innen zumindest die universitäre Ausbildung und universitäre
Fortbildungsreihen als positive Stützen für ihren Beruf (L5_Ö_ 2.6 #00:39:19#; L6_Ö_
2.5.B #00:38:37#,
L7_Ö_ 3.1 #00:50:41#).
FAKTOR: QUALITÄT AUS- UND WEITERBILDUNG
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