Mein krieg aufzeichnungen aus 2129 Tagen



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Sana27.06.2017
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#17369
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ohne Fahrzeuge nachts gegen ı in Marsch gesetzt und schleppten die Munitionskästen wieder selber.

Die Russen kommen in Scharen aus den Wäldern und ergeben sich, gestern waren es annähernd goo Mann. Sie brachten Pferdegespanne und Wägelchen mit, darauf leichte Maschinengewehre und Geweh- re. Die Gefangenen wurden auf einer Wiese zusammengepfercht, hungrig, stur, stumm sitzen sie dort. Ich sehe nicht, daß man sie verpflegt.

Den Einbruch wieder auszugleichen, sind starke Kräfte aufgeboten, vor allem Flugzeuge in erstaunlicher Menge. Das Dorf liegt erhöht, wir haben rundum freien Blick, beobachteten die Angriffe der Staf- feln auf andere Dörfer und gegen Panzer, die im Marsch sind. In- folge des komplizierten Frontverlaufes ist es in den letzten 14 Stun- den zweimal vorgekommen, daíš uns die eigenen Flugzeuge angrif- fen. Das erste Mal passierte wie durch ein Wunder nichts, beim zweiten Mal gab es Verluste, unter anderen ist der Regimentsadju- tant tot. Der Kommandeur wurde verletzt. Wir sahen die Jagdma- schinen kommen, einwandfrei als unsere erkannt, und schauten, frei zwischen den Häusern stehend, ihnen entgegen, als plötzlich Bomben fielen. Ich warf mich unter den nächsten Wagen, die Erde zitterte, der Lärm wirkte wie Hammerschläge gegen die Ohren.

Von da an mißtrauten wir allen Flugzeugen, die sich sehen ließen.

Zeichen wurden mit weißen Tüchern ausgelegt und Leuchtkugeln werden geschossen, sowie sich Motorenlärm in der Luft hören ließ.

Fast den ganzen Tag über wurden die noch russisch besetzten Dör- fer in der Runde angegriffen.

zz. August 41. Ich habe meinen Posten soeben bezogen und muß zwei Stunden bleiben. An Zeit fehlt es also nicht, an Stoff, an Kriegsstoff ebensowenig. Für die Unterhaltung des Publikums wird gesorgt. Ich hatte gestern kaum den Brief beendet, da wurden wir von unserer Kirche weggeholt und in Marsch gesetzt, zuerst auf den Fahrzeugen. Nachdem es durch unübersichtliches Gelände ge- gangen war, erreichten wir eine Ebene, aus Flachsfeldern zusam- mengestückt, durch die sich der Weg schnurgerade zog. Darauf stand schon eine dicht aufgefahrene Kolonne von Fahrzeugen, wahrscheinlich das ganze Bataillon, wir schlossen uns ihm an. Aus irgendeinem Grunde ging es nicht weiter, und bald erschienen deut- sche jagdflugzeuge, die immer wieder im Tiefflug über uns hinweg- brausten. ]äger aber müssen nach einer Stunde, in der sie bequem 172


von Berlin nach München fliegen könnten, zum Tanken wieder nach Hause. So verschwanden auch unsere Schutzgeister, und wir dachten, bald müsse die Ablösung cla sein. Es dauerte nur zehn Mi- nuten, da tauchte über dem nächsten Waldrand ein Schwarm auf und raste auf uns zu, und schon regnete es Bomben, und mit roten Blitzen aus den Bordkanonen und mit MG-Salven machten mir die Maschinen einen starken Eindruck. Wir sprangen von den hohen Wagen herunter, und ich lag wohl schon zwischen den Rädern, als die ersten Einschläge rundherum die Erde aufrissen. Man kann nichts tun als daliegen. Dann waren sie vorbei. Ihre Schnelligkeit macht sie im gleichen Maße zu gefährlichen wie oberflächlichen Maschinen. Griíndliche Arbeit können sie nicht leisten. Wenn sie in der Luft stehenbleiben könnten und sich genau gezielt einschössen, wäre keine Chance, und man würde Angst kriegen. Aber bei 6oo oder 7oo km/h ist dafür subjektiv keine Zeit. Unsere MG gingen in Stellung. Wir nahmen unsere Gewehre und verteilten uns rechts und links vom Weg in die Felder. Kaum zu ihrem Empfang gerü- stet, hatten wir sie wieder über uns, im ganzen vier Mal. Ich glaube, man kann es weder zeichnen noch fotografieren, wie das aussieht, wenn so ein Ding, aus allen Rohren schießend und Bomben fallen lassend ~ in diesem Falle Brandbomben -, heulend und zischend herangefegt kommt, es ist das wahre Symbol dieses Krieges, und den ollen Mars sollte man einmotten. Wir machten unsererseits so eine Art Pfingstschießen nach oben, ich halte es für unmöglich, daß die Piloten irgend etwas davon gemerkt haben.

Solange wir im Qualm der Bomben lagen, der bald das ganze Feld zudeckte, glaubten wir, es habe beträchtliche Verluste gegeben, aber als er, von einem leichten Wind getrieben, zum Wald hin weg- zog, zeigte sich, daß der Schaden gering war. Nur ein Mann war tot, zwei der Wagen waren in die Luft geflogen und zwei Krad ver- brannten. Aber auch kleiner Schaden scheint klug zu machen, mas- siertes Auffahren der ganzen Streitmacht wird jetzt vermieden, die Kolonne wurde von der Straße herunterkommancliert und verteilte sich in den Feldern. Dort standen und lagen wir noch eine Weile herum, dann hieß es absitzen, eine Brücke sei zerstört, wir könnten nicht weiterfahren. Wir dachten, als wir uns in Bewegung setzten, wir sollten diese Brücke reparieren und seien nach ein paar Stunden wieder bei den Fahrzeugen. Ich nahm keine Verpflegung mit und ließ auch die Zeltbahn auf dem Wagen liegen – was ich nie wieder 173

tun werde. Wir erreichten einen Fluß, der ein tiefes steiles Tal in eine brettebene Fläche geritzt hat, ich war sehr an die dalmatinische Küstenlandschaft erinnert. Aber die Farben sind hier anders, an der Adria graugrün, hier rot und braun. Die Brücke war in Ordnung, aber jenseits des Flusses, im steilen und engen Hohlweg versperrten vier sowjetische Lastwagen die Straße, sie mußten auf ihre Räder ge- stellt werden und wurden dann rückwärts zum Fluß hinunterge- lenkt. Das dauerte zwei Stunden. Mitten im Fluß stand ein Bauern- wagen, die dunkle samtene Strömung bildete einen kleinen Strudel um die oberen Holme seiner Seitenteile, und darauflag ein toter rus- sischer Soldat, quittengelb ragten Kopf, Hände und Füße aus seiner Uniform. Auf einem der Lastwagen fanden wir eine Blechkiste voll Dosen mit dicker konservierter Milch, und davon trank ich viel, obwohl sie zu süß war. Aber nach all dem Kommißbrot mit Schmalz war das eine willkommene Abwechslung für alle.

Ein 3 km-Marsch schloß sich an, und dann sollte ein Dorf gestürmt werden. Aus einem Grund, der mir dunkel blieb, mußten wir an einer nahezu senkrechten Wand wieder zum Fluß hinunterklettern, unten bewegten wir uns am Wasser 500 rn weit flußauf, und dann ging es wieder hinauf. Ich hatte nichts auf den Schultern und klet- terte leicht und schnell, es machte Spaß. Das Dorf erwies sich als ge- räumt, kein Schuß fiel, die Kompanie verteilte sich, durchsuchte Hütten und Ställe und sammelte sich am andern Ende wieder. Bei diesem Stand der Dinge hätte die Feldküche auftreten können, aber sie blieb aus. Es karn der Befehl, den nächsten Wald durchzukäm- men und am jenseitigen Rand sichernd in Stellung zu gehen. Der Wald war 6 km breit. Es dämmerte bereits, als wir in ihn hineingin- gen, und wie immer hatte »Gruppe Dörr«, also meine, sich an die Spitze zu setzen. Schon nach zoo Schritt liefen uns zwei Russen in die Hände, sie redeten furchtbar viel, und ich sagte zu Dörr: Scha- de, daß wir nichts verstehen, ich habe den Eindruck, die wollen uns etwas Wichtiges erzählen. Sie mußten vor unserem ersten Mann herlaufen – und so ging es in die Tiefe des Waldes, er ist schwarz und schweiget, überall Spuren von Russen, aber keine Russen. Es war dunkel, als wir wieder offenes Gelände erreichten, in dem wir noch zoo m vorrückten. Da sah ich von links eine Gestalt sich nähern, schattenhaft, es war ein sehr überraschter russischer Hauptmann in tadelloser Uniform, ein eleganter Herr, der uns mitteilte, hinter uns befanden sich zwei russische Bataillone mit ihren Stäben und 174

Kommissaren. Allmählich füllte sich die flache Arena, es quoll aus dem Wald heraus, andere Kompanien der Infanterie, ein vorge- schobener Artillerie-Beobachter. Es hieß, wir blieben bis zum Hellwerden, die einzelnen Stellungen wurden bestimmt, ich begann auf diesem Feld das erste Schützenloch dieser Nacht zu graben. Der Boden war eisenhart. Bis gegen 5 Uhr morgens habe ich zwei LÖ- cher zur Hälfte und zwei ganz ausgehoben, und zwar deshalb, weil die Positionen der einzelnen Gruppen immer wieder verändert wurden. Meine Handflächen bestehen aus Blasen und Löchern in der Haut. Ich hatte gerade die allerersten Spatenstiche getan, da er- öffneten die Russen vom Waldrand her das Feuer auf uns, von je- nem Waldrand, von dem wir uns gerade abgesetzt hatten.

Es entstand Verwirrung, ja Tumult. Unsere MG waren noch nicht aufgebaut. Wir wußten nicht, ob zwischen uns und dem Wald, wo das Mündungsfeuer der Russen eine blitzende Lichterkette in die Dunkelheit zeichnete, noch eigene Leute waren. Ich legte mich, das Gewehr dem Wald zugewendet, ins Gras, die Handvoll Erde, die ich mit dern Spaten ausgehoben hatte, vor dem Gesicht, ich hätte auch mein Taschentuch hinlegen können. Ich dachte, erst mal ab- warten, und schoß nicht. Deutsche Befehle wurden gebrüllt, die Russen brüllten ››Urräh, urräh!«, und die Leuchtspurmunition pfiff hin und her. Allmählich kam bei uns Schwung und Ordnung in die Sache, unsere Maschinengewehre fingen zu nähen an, und nach ei- ner halben Stunde verebbte auf beiden Seiten die Schießerei. Wir hatten zwei Tote und zwei Verwundete. Ich habe mir inzwischen überlegt, was ich getan hätte, wenn die Russen aus dem Wald her- ausgekornmen Wären, und zwar habe ich mir das deshalb überlegt, weil ich in dieser halben Nachtstunde, in der sich der Krieg so dra- stisch realisierte, ihn erst recht nicht mehr als etwas empfand, was mich anging. Im Gegenteil, ich geriet in eine spöttische Stimmung.

Es erschien mir kindiseh, daß da erwachsene Leute sich auf zoo m Distanz, oder weniger, in die unsichtbaren Gesichter baller- ten, wodurch entschieden werden sollte, wer auf der Wiese bleiben durfte und wer im Wald bleiben mußte. Wenn einer der Herrn Feinde mit gezücktem Bajonett auf mich losgegangen wäre, dann, so habe ich mir überlegt, würde ich versucht haben, ihn zu erschie- ßen, bevor er mich aufspießte. Aber wenn sie nur so gekommen wä- ren, schreiend und massenhaft, und uns einfach kassiert hätten, dann hätten sie mit mir keinen Ärger gehabt.

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Sie kamen nicht, und wir setzten das emsige Graben fort. Rund- herum sahen wir brennende Dörfer, Leuchtkugeln stiegen empor, da und dort wurden solche Gefechte ausgetragen wie das, was wir gerade hinter uns gebracht hatten, und zur Erhöhung der Dramatik zog eine breite Gewitterfront im Süden auf uns zu, die Sterne ver» schwanden, es blitzte und donnerte, dann kam der Platzregen und meine Zeltbahn war weit weg.

Wir mußten noch mehrmals ››umziehen«. Als ich das dritte Loch verließ und keine 30 Schritte weiter im Licht der enormen Blitze die Stelle sah, an der ich ein neues, das vierte, graben sollte, kam diese Nacht auf ihren untersten Punkt. Ich legte das Gewehr auf die krö- tenhautartige, schlammige Lehrnerde, kniete mich daneben in den seichten Morast, schob mit Händen und Unterarmen die leicht be- wegliche oberste Schicht zur Seite und begann dann, den Spaten mit beiden Händen kurz fassend, zu graben. Ein geradezu tierisches Lebensgefühl war in mir. Daß die eigene Haut wasserdicht ist, hat man nicht immer im Bewußtsein. In dieser Stunde wurde mir nichts deutlicher, die Zuverlässigkeit dieser Maschine ››Körper« empfand ich höchst angenehm.

Heißhunger überfiel mich plötzlich, ich schob die Hand in die Ta- sche, wo sie in Brotbrei griff, den ich mit dem Bociensatz der Tasche herausschöpfte und gierig aß.

Unangenehm waren nur die Minuten, in denen ich allmählich naß wurde. Bald durch und durch naß, dämpfte ich so dahin bei der Ar- beit. Der Lehm wurde glitschig und im Loch sammelte sich der Re- gen. Immer wieder hellten riesige Blitze die ganze Umgebung für mehrere Sekunden auf, als würden ungeheure Scheinwerfer einge- schaltet. Wir, und ich vermute auch die Russen, wenn sie noch im Wald hockten, gewannen einen Überblick über unsere Verteilung.

Es regnete zwei Stunden lang, dann kam ein ziemlich kalter Wind auf, die vollgesogene Uniform wurde wieder etwas leichter. Als es tagte, sahen wir, wie gut die Russen daran getan hatten, nicht anzu- greifen, wir lagen einzeln wie ich oder in Gruppen zu zwei Mann in tiefgestaffelten Positionen.

Von den Russen war zunächst überhaupt nichts mehr zu bemerken, wir stiegen aus den Löchern heraus und marschicrten in lockerer Ordnung in unserer alten Richtung weiter bis zu dem Dorf, in dem wir jetzt sind. Auch hier gab es keinen Widerstand, aber von unse~ ren rückwärtigen Verbindungen sind wir derzeit abgeschnitten.

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Der Morgen war ungemütlich, Hunger meldete sich, der Himmel hing grau über uns, es war eher kalt als kühl. Inzwischen haben wir Bienenstöcke ausgenommen und Kartoffeln gekocht. Eine Frau brachte Salzgurken. Erst aßen wir Kartoffeln mit Gurken, dann mit Honig.

An meiner Uniform war heute früh kein grüner Faden mehr. Seit- dem sie trocken ist, fällt der Lehm in Stückchen ab. Rasiert bin ich seit einer Woche nicht, auch nicht gewaschen. Ich würde lügen, wenn ich sagen wollte, ich führe nicht lieber durch Rußland, als daß ich marschiere, aber die zweibeinige Fortbewegung schafft eben doch die innigste Verbindung mit dem Land. Zwischen tiefhängen« den Wolken stößt zuweilen ein Keil Sonnenlicht wie ein Schwert hervor. In den Dörfern herrscht schon jetzt das grausigste Elend.

Dieses merkwürdige Briefpapier stammt aus der Schule, in der wir uns einquartiert haben. [Ein Schulheft, dessen Seiten halb voll ge- schrieben sind mit lila Tinte.]

[Ohne Datum, Ende August4ı (E. K.-Sch.). Erste Reaktion auf das Kriegsgerichtsverfahren_] 6 Tage schrieh ich nicht. Du kennst den Grund. Auch hahe ich Deine neue Nummer noch nicht, aher 'viel- leicht morgen mit der 1. Post. Ich denke mit Schrecken daran, wie mir jetzt ware, hatte ich Deinen letzten Brief, die 2 Worte, diese deu: ex machina-Worte./, nicht. Wie eine Spritze 'voll Gift wirkten Deine Briefe iiher die Sache (und der Bertrams), die ich alle am Morgen nach meinem letzten Brief (Blatt 96) erhalten hahe. 12 Stunden wiederum dauerte es, his dann das Gift aus mir heraus war.

Trotzdem werden die Nachharn hier mich fur unhegreiflich ruhig gehalten hahen, Ich konnte schwatzen mit ihnen wie immer – aher es wurde doch von Tag zu Tag weniger, und am 3. Tag konnte ich Thomas kaum noch ansehen. Wirfragen uns, oh Du Dir in diesen 8 Tagen eigentlich klar warst, in wasfur einer Situatian wir, d. h. Ro- the und ich, uns Dich 'vorstellen zu mussen glauhten. Ich glauhte nicht, Dich gesund wiederzusehen.

Ich schreihe, als ware alles vurhei. Das ist gewißfalsch, Deine nach- sten Briefe werden mich helehrerı. Daß ja außerdem Krieg ist> ver- gesse ich ganz. Am 23., dem Tag des deus ex m.~Briefes, an dem ich Rothe mittags entgegenfuhr, wie vor; Tagen, ihm die Nachricht zu sagen [von der Milderung des Urteils], kam nachmittags Liesel W.

[eine nahe Freundin aus Universitätsjahren] 'von Meershurg her- 177

über. Ich war noch ganz hin. Rothe learn nachmittags heriiber, und wir 'vollfiihrten großen erregten Krach, so erlöst waren wir. Der Zu- fall hatte wohl Deine 3 besten Freunde zusammengeführt, von de- nen sich nur Rothe uber das Desaster gewundert hat. Liesel nicht und ich nicht. Sie war geleommen mir zu sagen, daß sie fest glaube, daß Du alles überstehen kannst. Es 'war gottseidarı/e nicht mehr nö- tig, mich zu beleehren.

Ich halte es niehtfur schwer, die Sache wem immer so zu sagen, daß sie angesehen wird, wie sie ist. Ich bin ganz und gar gegen irgend- welche Heimlichleeiten. Um mich Angst habe ich tatsachlich leeinen Augenblick gehabt, obwohl die Schuhe wohl sogleifh sich hätten bewähren mussen [in der Annahme, der ››Familienunterha_lt« werde gestrichen]. Ich war entschlossen, sofort die Berliner Wohnung auf- zugeben und alles herzuholen. Wohin damit, das stand noch offen.

Auch jetzt meine ich, daß Berlin für uns nicht mehr existieren sollte, und deshalb frage ich: sollen wir nieht so rasch als moglich alles hier irgendwo unterstellen, eh es in Berlin in die Luft fliegt?

24. August 41. Ich habe heute meine Kalender-Notizen seit dem

22. 6. durchgelesen und mitlirstaunen festgestellt, wie einfach und übersichtlich sich unser erst stürmischer, dann zögerndet, dann ge- bremster Vormarsch in diesen Stichwort-Eintragungen widerspie- gelt, während in meinem Gedächtnis und gewiß auch in meinen Briefen sich ein Chaos malt von einander ähnlichen Dörfern, Wäl- dern und Straßen.

Das Jahr gleitet in den Herbst hinein, Sonne und Regen wechseln sich ab. Unsere Fahrzeuge werden nicht mehr lange die unbefestig- ten Straßen benützen können. I-lofft man dann auf den Frost? Dieses Dasein ist anstrengend, aber ich bin sehr zufrieden und ge- lassen. Der Ersatz, der jetzt aus der Garnison kommt, ist so minde- rer Qualität, daß ich mich in den Augen der Kompanie, für die ich ja auch ››Ersatz« bin, vorteilhaft davon abhebe. Das Bedürfnis nach Leuten, die ››spuren«, ist angesichts des zusammengeschmolzenen Gesamtbestandes an fronteinsatzfähigen Leuten enorm. Was unter ››spuren« konkret zu verstehen ist, d. h. welche Anforderungen ei- ner erfüllen muß, damit von ihm gesagt wird: er ››spurt« -ist ein Mi- nimum an Vernunft, eine höchst bescheidene Fähigkeit, sich im Ge- lände zurechtzufinden und sich praktisch zu verhalten. Wollten sie nur, diesem Anspruch könnten nahezu alle entsprechen. Aber die 178

meisten Wollen nicht, sie sind mieser Laune und haben auch dann schlicht Angst, wenn weit und breit kein direkter Anlaß dazu vor- liegt. Obwohl sie alle den Krieg gewinnen möchten und sich in den Verhältnissen, die nach einem gewonnenen Krieg herrschten, wahrhaft sauwohl fühlten, tun sie dafür nichts. Ich tue auch nichts dafür, doch gibt es für die Effizienz eines Soldaten, wenn er nicht gerade ein Jagdflugzeug oder einen Panzer zu lenken hat, vor allem jenes Kriterium, das schon beim Vater vom Alten Fritz galt: alles recht ordentlich machen. Ich mache alles recht ordentlich. Meine Löcher sind perfekt, meine Zeltbahn ist so flach gespannt wie nur möglich und hat doch noch den nötigen Neigungswinkel, um den Regen in die Erde ringsherum abzuleiten; ich trage das Zeug, das ge- tragen werden muß, ohne Murren und bin überhaupt ein heiteres Gemüt. Das genügt völlig.

25. August 41. Ein reicher, reicher Posttag. Die Blätter 63, 64, 72, 73, 74, 75, 76, 77, ein Blatt vom 5. August ohne Nummer, 79 (nor› males Papier, nicht aus dem Durchschreibbuch, Blatt 7 » Kopie?! - 80, 81, S6, 87, 88, 89. Dazu Briefumschläge und zwei leere Filmkas- setten.

Deine Nachkriegspläne! Es kommt mir fast komisch vor, von Nach-Krieg zu lesen oder zu sprechen, indes ich hier auf einem Dach sitze als Beobachtungsposten und über die gemähten Korn› felder, auf denen die Garben in Reihen stehen, nach den Wäldern hiniiberschaue, ob etwa Russen herauskommen. (Es kommen aber keinel) Aber trotzdem – wir leben ja nur für die Zeit nachher, und darüber zu sprechen verlohnt auf jeden Fall. Wir sind ganz einig: Ich möchte weder nach Berlin zurück noch kann ich mir vorstellen, wieder am schwarzen Schreibtisch bei Steiniger zu sitzen. Die ideale Lösung: eine Arbeit, die mir gestattet, auf dem Land zu leben. Siehe Hausenstein in Tutzing, wenn wir auch nie einen Garten hatten, in dem kein Gemüse wächst.

Meine russischen Briefe werde ich, sobald einmal Zeit ist, in Aus2ií› gen abschreiben und zusammenstellen. Freunde sollen sie lesen.

Das ist eine merkwürdige Sache: obschon wir nun doch oft genug das Problem einer Veröffentlichung dieser Niederschriften zu be» handeln hatten und ich jetzt wieder wenigstens von einer Verbrei- tung irn engen Kreis spreche, denke ich, während ich schreibe, nicht eine Sekunde an ein anonymes Publikum, dem ich etwas mitteilen wollte. Gottseidank ist das so, denn bei den zwei oder drei Anläs- 179


sen, wo ich den Monolog oder Dialog unterbrach zugunsten einer Niederschrift, zu der ich mir während des Schreibens eine Zeitung, die Frankfurter, und also ein Publikum vorstellte, war das Ergebnis grauenhaft. Kooperieren wollen mit dieser deutschen Welt – dabei bleibt offensichtlich kein Satz mehr unbefangen und lebendig. Es gibt nur die Nichtteilnahme oder die Auseinandersetzung sozusa- gen in offener Feldschlacht, und die letztere ist eben nur eine theo- retische Möglichkeit, in Praxis hätte sie die Vernichtung zur Folge.

Ich würde nicht davon sprechen, wenn nicht die Verhandlung im Bauernhaus doch so etwas gewesen wäre wie ein offener Kampf.

Davon müßte man ein Stenogramm haben, denn das läßt sich nicht rekonstruieren: diese Mischung von Vorsicht und blinder, von rot- glühender Wut auf dieses Gesindel angeheizter – Selbstvergessen- heit, wollte ich schreiben, Selbstfindung, könnte es genau so gut heißen. Das war eine Konstellation auf des Messers Schneide. Im ganzen aber gibt es nur die Nichtteilnahme, und ich merke selbst, daß ich mir als Schutzhaltung eine Art Snobismus anzüchte, der auf keine Kuhhaut geht. Wenn sie wenigstens seelisch besoffen wären, diese Deppen, wie es die von 19r4 gewesen sein sollen – aber nein, sie haben nicht einmal diese Entschuldigung. Manchmal spüre ich jetzt, daß ihnen unheimlich wird – ganz schwache menschliche Re- gungen sind wahrzunehmen, aber wenn sie in Leningrad einmar- schierten, dann wär's wieder vorbei damit.

Nachkriegspläne . _ . der Krieg wird noch lange, lange dauern, und die schönen Pläne liegen tief unter dem Horizont. Ich kann mir überhaupt nur vorstellen, daß wir, 50 ]al-ire alt und älter, zur Dispo- sition gestellt werden, ohne Termin beurlaubt, wenn der Krieg hier nicht mehr solche Massen braucht und verbraucht; ich kann mir aber nicht vorstellen, daß der Krieg zu Ende geht. Ich bin weit da- von entfernt, den Pessimismus R.°s zu teilen, der sich ja aus Einzel- heiten speist, aber ohne Zweifel laßt die Gesamtlage keinen anderen Schluß zu als: langer Kriegszustand. Deshalb führen wir ja diesen Krieg hier, um auf breiter Versorgungsbasis uns in ihm auf Zeit, auf lange Zeit einrichten zu können. Wir kämen, gewönnen wir ihn, tatsächlich in eine Machtposition in Europa, die von außen nicht zum Einsturz gebracht werden könnte. Die Welt zerfiele dann eben in zwei Blöcke, d. lı. Sie bliebe so zerfallen, wie sie schon ist, nur in anderer Aufteilung, und der größte Teil des Volks- einkommens würde für Rüstung und Macht ausgegeben werden.

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Du schreibst, es wäre ein Fehler gewesen, das Manuskript diesen Leuten zu geben. Natürlich war das ein Fehler, aber ich war ja ver- pflichtet dazu nach einer Bestimmung, Wonach Disziplinarvorge- setzte derartige Veröffentlichungen kennen müssen. Das OKW machte mir u. a. auch den Vorwurf, daß ich den Dienstweg nicht eingehalten hätte. Freilich,drei Tage nachdem die Abteilung das Ms. In Händen hatte, kam die endgültige Ablehnung durch das OKW, undwenn ich sie vorher gekannt hätte, wäre ich wahrschein- lich dem Gebot der Vernunft gefolgt. Aber nun ist ja nichts mehr zu ändern, und ich muß sagen, und Du siehst es aus den Briefen der letzten 14 Tage: die Veränderung hat ihre guten Seiten, und die schlechten werden sich nicht voll auswirken.

Die Kamera ist also angekommen, aber sie liegt irgendwo beim Troß. Inzwischen habe ich mit dem z Mark-Apparat ein paar Bilder gemacht.

30. August 41. Mir wird allmählich klar, daß wir uns gar nicht an der eigentlichen Front Richtung Leningrad herumschlagen, son- dern damit beschäftigt sind, einen großen Kessel zu ››bereinigerı«.

Indem wir in ihn eindringen, haben wir die Russen überall, rechts und links und vorne. Sie sind in einer üblen Lage und werden nicht mehr ungefangen, unverwundet, ungetötet herauskornmen. Aber noch wehren sie sich, sind gut geführt, operieren noch in ihren Ver- bänden. Mit mehr Flugzeugen, als ich je seit 1939 auf einmal in der Luft gesehen habe, versucht die sowjetische Führung den Einge- schlossenen Hilfe zu bringen, indem sie uns bombardieren und be- schießen läßt. Das ist eine neue Nuance, daß wir nun auch ständig den Himmel beobachten und bei der Anlage unserer Stellungen die Sicht von oben berücksichtigen müssen. Wir sind alle zum Umfal- len müde, und ich bin in dem Stadium, wo Müdigkeit weh tut.

Wenn ich den Kopf drehe, erzeuge ich einen intensiven Schmerz.

Ich würde in einem Bach liegend schlafen, wenn ich nicht wach sein müßte hinter dem Gewehr und den Handgranaten. Ich kann nicht schreiben, dabei fallen mir die Augen zu.

Später. Als ich gestern abend das Essen bei dem etwa goo m zurück- liegenden Kompaniegefechtsstand holte, wurden wir wieder be- schossen. Wir haben noch immer nicht herausgefunden, wo der Gegner im Wald sitzt und wie es ihm möglich ist, unsere Bewegun- gen zu beobachten. Es wurden daher noch in der Nacht Spähtrupps losgeschickt, bei denen ich nur deshalb nicht dabei war, weil sich 181


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