Mein krieg aufzeichnungen aus 2129 Tagen



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#17369
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Auf dem jenseitigen Ufer sind schon Teile eines Infanterieregimen- tes, der General und ein Teil des Stabes. Die Brücke scheint sicher in unserem Besitz zu sein. Die Schießerei läßt etwas nach. Nahe bei uns stehen die Fahrzeuge der Pioniere, die die Brücke gebaut haben, die Soldaten sagen, daß auf einem der Fahrzeuge Tellerminen verla- den seien; ich schaute Bertram an und er mich und wir dachten bei- de, daß, wo so viel Eisen herabregnet, ein Stück auch auf dieses Fahrzeug fallen könnte, worauf wir indirekt ein Opfer feindlicher Aktion werden Würden. __

Das ist also wirklich einmal eine wochenschaureife Geschichte ge- wesen, und da zeigen sich merkwürdige Erscheinungen. Wir sind mit einem Leutnant von der Funkkomparıie vorgefahren, dessen Führungstalent zu beobachten wir schon in den letzten Tagen aus- reichend Gelegenheit hatten. Er verkehrt mit seinen Leuten, selbst mit seinem Fahrer nur im Äh-äh-Ton. An einem der ersten Marsch- tage wollte er in einem Fluß baden, ging die hundert Meter zum Ufer und rief von dort seinem Fahrer zu: Bringen Sie mir ein Hand- tuch! Als nun hier die Russen loslegten, sprang er auf den nächsten Kübelwagen und rief: Umkehren und zurück! Die kurze Strecke bis zu uns zu fahren, hatte er den Mut nicht, obschon er in diesem Au- genblick für uns und ein paar andere Trupps die Verantwortung trug. Seither ist nichts mehr von ihm zu sehen.

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Unser Unteroffizier aber, SA-Mann H., Kristallnacht-Nutznießer, wie er selbst in Prüm meckernd erzählte (ich werde es nicht verges- sen), der gestern in einem besseren Dorf in einen Taumel des Plün- derns verfallen war, wurde noch nervöser, als er ohnehin ist, und gab völlig blödsinnige Befehle. Er wollte keineswegs aus Mut, son- dern aus Verwirrung über die Brücke fahren, die eben von den Pio- nieren fluchtartig geräumt wurde. Dann befahl er Halt! Für beide Fahrzeuge an einer gänzlich unübersichtlichcn Stelle der Straße, über die in schnellstem Tempo die Panzer und Pak vorstießen, und ich sehe ihn noch, Stahlhelm und Mütze in der Hand! (wirklich, das ist nicht erfunden), zwischen unseren Fahrzeugen hin- und herren- nen. Mit solchen Leuten bin ich ungern zusammen, wenn es darauf ankommt, umsichtig zu sein. ]etzt will ich rnit dem Fernglas unse- ren Schutzhang ersteigen und schauen, was drüben los ist. Meldun- gen und Befehle laufen über Funk, uns braucht man nicht. Der Wald brennt an allen Ecken und Enden.

27. ]uli 41. Gestern hat sich die Spannung, die sich aus den unver- einbaren Gegensätzen zwischen rnir und den Le Bon-Menschen entwickelt hatte, recht dramatisch gelöst. Äußerlich gesehen, steht die Partie r : o für jene. Der Anlaß war endlich gefunden, meine dienstliche Untadeligkcit hatte einen Sprung bekommen. Ich hatte mit einem jungen Soldaten meines Trupps Auftrag, das Waldstück, in dem wir lagen, zu umgehen und auf etwa ausbrechende Wald- brände zu achten. Nach Art des Auftrages war es keine ››\Y/ache« im strengen Sinn, wir liefen eben am Waldsaum entlang und unterhiel- ten uns. Ein Feuer wäre uns nicht entgangen. Ln der Hitze traten wir für einen Augenblick bei unseren Wagen in den Schatten, und dabei wurden wir vom Unteroffizier, SA-Mann H., >›erwischt«. Er er- kannte seine Chance, lief zum Hauptwachtrneister, bezichtigte uns des Wachvergehens. Der Hauptwachtmeister war auch weit davon entfernt, die Sache en bagatelle zu behandeln. Es wurde eine schrift- liche Meldung an den Kompaniechef angefertigt.

Wie genau H. ins Schwarze getroffen hatte, wußten weder er noch ich. Meldung und ››Gegenı-neldung« gingen um 3 Uhr zum Chef, und schon um 5 Uhr wurden Wir hinbefohlen: H., der junge Soldat, der nicht wußte, wie ihm geschah (der sich aber tadellos benahm), und ich. Erst wurde der Tatbestand festgestellt: ]a, wir standen im Schatten und hatten die Gewehre an den Wagen gelehnt. Ob »Ver- gatterung« stattgefunden habe oder nicht – es läge ein Wachvergc- 141


hen vor. H. hatte geschrieben, ich sei daran schuld, daß sein Trupp nicht gut arbeite. Dieses Stichwort griff der Kompaniechef auf und nun ging es los: meine Ansichten kenne man ja. Ob ich wisse, daß er, der Kompaniechef, mein Manuskript seinerzeit in Frankfurt an das Kriegsgericht weitergeleitet habe, damit ein Verfahren gegen mich eröffnet werde, und er bedauere, daß formale Gründe es ver- hindert hatten. Meine Ansichten über Frankreich seien gemeinge- fährlich. Man habe meine Arbeit auch der Division vorgelegt, die derselben Ansicht sei. Meine Ansichten über junge Offiziere seien unglaublich, usw. Nun wußte ich also, aus welcher Ecke der Wind in den letzten Wochen geblasen hatte. Ich sagte ruhig, das OKW habe sich in seiner Stellungnahme zum Manuskript anders geäuf ßert.

Dann kam die Strafe: sechs Tage Arrest für mich, den Obergefrei- ten, drei Tage für den Soldaten. Das ist gerecht. Aber es war nicht alles. Ich wurde aus dem Trupp genommen und auf eines unserer beiden Kettenfahrzeuge versetzt. Das sind sehr komische Dinger, halb Motorrad mit Gabellenker, halb Kettenpanzer; vorne sitzt der Fahrer allein, hinter ihm haben zwei Mann mit Müh und Not Platz.

Das Fahrzeug ist nicht viel höher als ein Fahrrad. Es hat einen win- zigen Anhanger fürs Gerät und dient zum Auslegen von Leitungen in sehr schlechtem Gelände. Es fährt wirklich über Stock und Stein, wird aber trotzdem kaum je eingesetzt. Motor und Schaltungen ha- ben Mucken, das Ding ist vermutlich eine Fehlkonstruktion, das es nur in wenigen Exemplaren bei den Nachrichtenabteilungen gibt.

Aus der Horch-Limousine steige ich auf das Kettenkrad um. Den Trupp bin ich los, ich stoße zu zwei Männern, nur zwei statt zehn, die ruhige Zeitgenossen zu sein scheinen. Den Druck der Intrigen bin ich los, und den SA-Mann H. auch. Schade ist, daß ich Bertram nur noch selten sehen werde, daß ich die Schreibmaschine, aus Platzmangel, im Vermittlungswagen lassen muß, und noch so man- ches von meinem Zeug, Bücher, den großen Zeichenblock.

Ich bin noch gestern abend ›>umgezogen« und nun wieder beim Di~ visionsstab. Wir liegen in einem Dorf, in dem es, o Wunder, keine Mücken gibt, so daß ich herrlich unter freiem Himmel geschlafen habe. Flieger und Flak hörte ich im Halbschlaf. Als ich so unter dem Nachthimmel lag, kam ich mir doch komisch und dumm vor, zu- rückgefallen in eine Auseinandersetzung mit dem Nicht»Auseinan- dersetzbaren. Mit Händen zu greifen, daß es nicht gut gehen konn- 142


te. Klug wäre gewesen, alles im Trüben zu lassen. Aber es ging eben nicht mehr mit Klugheit, mit Diplomatie. Wie bezeichnend, daß mir die Zeit erst in einem Menschen entgegentreten mußte, der sie ideal repräsentiert, um meinen Widerspruch derart herauszufor- dern, daß mein Verhalten nicht mehr der Vernunft gehorcht.

Wir sind vielleicht wirklich an den Anfang eines neuen Zeitalters ge- stellt, von dem wir so gut wie nichts wissen, und wir machen den Anfang einfach dadurch, daß wir feststellen, wir seien anders, wir gehörten nicht zu den-ı, was ist. Dieses »was ist« muß viel weiter ge- faßt werden, als unter einen politischen Hut gebracht werden könn- te. Der stumme Protest: Zu den H.s gehöre ich nichtl, meint doch nicht den Nazi H. Der Nazi H. ist der Deutsche H., ist einer von 80 Millionen, die sich gleich ihm auf dem Weg zur Weltherrschaft wähnen, die auszuüben sie nicht mehr legitimiert wären als ein Ne- gerstamm. Hat aber der totale Protest: Zu diesem Volk gehöre ich nichtl, hat er Sinn – für mich? ]a, er hat Sinn, obschon ich natürlich auch Deutscher bin, in dieses Volk hineingeboren, hineinerzogen in seine Sprache, seine Gewohnheiten. Aber diese mir auferlegte Soli- darität zählt für mich nichts. Ich bin solidarisch mit einer Zukunft veränderter Vorstellungen, veränderter Verhaltensweisen.

Der Satz in Deinem Brief: Glaubt Ihr alle mehr oder weniger an Gott? - was soll das?! Die Gruppe ››Ihr« gibt es nicht, wenn Du mich mit einbeziehst, und den ››Ihr« ohne mich fehlt nicht Gott, sondern der gesunde Menschenverstand, die Vernunft, die schlichte Vernunft.

28. Juli 41. Hier geschieht zur Zeit nichts – militärisch meine ich, und soweit ich davon betroffen sein könnte. Wir liegen am Dorfein- gang auf einer zertretenen Wiese, auf der viele verdorrte Äste her- umliegen, die zur Tarnung von Fahrzeugen dienten. Diesem Zweck werden seit Herbst 39 ganze Wälder in Europa geopfert. Heute früh war ich zu den nicht eingesetzten Teilen, d. h. zu meinem alten Trupp zurückgefahren, weil ich dort meine Gasmaske vergessen hatte. Auch wollte ich Filme holen. Ich habe nämlich wieder einen Apparat, den billigsten Amerikaner, den es wohl gibt. Ich traf ge- stern Prestel und sagte ihm, daß meine Kamera weg sei, da holte er dieses Kästchen heraus und es zeigte sich, daß meine Filme von der Rolleiflex pafšten. Man kann nichts einstellen, weder Entfernung noch Blende noch Belichtungszeit, man drückt ab und fertig. Bei gutem Licht wird sich schon etwas auf den Filmen zeigen.

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Ich traf auch Bertram und andere vom Trupp, dort ist eine höllische Stimmung; selbst Leute, die H. seit zwei ]ahren kennen, sind zum ››Dienstton« zurückgekehrt und sagen ››Sie« und »Herr Unteroffi- zier« zu ihm. Das kann ich mir auf die Habenseite schreiben, aber solche Stimmungen kommen und gehen, von wirklicher Einsicht und Parteinahme kann höchstens bei zweien die Rede sein, von de« nen einer Bertram ist. Wenn es imFalle des SA»Mannes H. eine Klä- rung gäbe, die man als gerecht, fair und moralisch vertretbar anse- hen könnte, dann führten wir nicht Krieg in Rußland, dann waren die Deutschen ein anderes Volk, das sich eine andere Regierung ausgesucht hätte. Die allgemeinen Umstände haben mir diesen Kerl bis auf Tuchfühlung nahegebracht, und dadurch provozierten sie, nicht er, mich. Nun versuche ich in meiner Vorstellung ihn wieder zu entindividualisieren. Mir ist flau, weil ich mich provozieren ließ.

Vor allem ist mir flau, weil mich ärgert, daß ich mich provozieren ließ. Daß der Brävste nicht in Frieden leben kann, wenn er einen bö- sen Nachbarn hat, ist nur natürlich und richtig. Daß er neben einem bösen Nachbarn in Frieden leben möchte – das ist fatal. Mich her- aushalten – tiefer Wunsch und eine Sünde!

Aber du wirst gleich hören, daß meine guten-miesen Grundsätze wackelig sind. Auf dem Rückweg zur Division und zu meinem Ket› tenkrad kam ich beim Ib vorbei, bei dem auch der Kriegsgerichtsrat sitzt, oder vielmehr er stand herum vor dem Quartier. Da sprach ich ihn an und fragte, ob es möglich sei, daß ein Soldat, also ich, ein Verfahren gegen sich selbst einleiten könne, wobei ich nicht an den Volksgenossen H. dachte, sondern an des Oberleutnants Redereien über das Frankreich-Manuskript. Der Kriegsgcrichtsrat, statt ja oder nein zu antworten, fragte, ob mein Kompaniechef wisse, daß ich bei ihm sei. Ich sagte: nein, ich komme hier zufällig vorbei und habe die Absicht, mich gleich anschließend beim Chef zu melden.

Dann könne er mir gar nichts sagen, antwortete er und ging weg. Da merkte ich, daß er das Ms. Kannte – wie es wohl die meisten Offi- ziere der Division kennen, wenigstens gerüchtweise, seitdem es mit dem Donnerbrief des OKW nach Frankfurt zurückkam, und daß er sich mit den >›Betroffenen« in eins setzt. Und siehe da, er meldete den Vorgang sofort der Kompanie, und nun bin ich noch einmal mit drei Tagen geschärftem Arrest, im ganzen also sind es jetzt neun, bestraft worden »wegen Umgehung des Dienstweges«, ]etzt heißt es im Mauseloch bleiben, denn dies riecht fast nach Ver- 144

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schwörung. Bisher war ich geschickt, und vielleicht genoß ich die Freiheit des Aals, der glatt ist. Das Manuskript ist nicht glatt, weil es ernsthaft ist, und nun ist der Widerstand geweckt. Also Ruhe, Ruhe, Ruhe, und warten, bis die Hetzstimmung verebbt. Wo, wie und wann ich diese neun Tage hinter mich bringen werde, bin ich sehr gespannt. Im Hotel Europa in Leningrad vermutlich nicht.

Was ich erlebe, ist ein Ausgleich für die vielen Freiheiten des franzö- sischen Herbstes und des Frankfurter Winters.

Kuby, Obergefr.

Einheit 13048 Ljubnja, 28. 7. 41

An 1. Kompanie [der Nachr. Abt. 3]

Nachdem durch Uffz. H. selbst die internen Truppschwierigkeiten nach außen getragen Wurden, halte ich es für meine Pflicht, die Wahrheit festzustellen und zum Ausdruck zu bringen, daß an die- sen Schwierigkeiten zum großen Teil die Natur des Truppführers schuld ist. Das Verhalten des Trupps bei den jetzigen Vorkommnis- sen beweist, daß ich mit meiner Ansicht nicht allein stehe. Soldaten, die mit Uffz. H. seit zwei jahren bekannt sind, haben gestern er- klärt, in Zukunft nur noch per ››Sie« und dicnstlich rnit ihm zu spre- chen (Obergefr. Bertram, Obergefr. Horlitz, Obergefr. Drosch).

Ich behaupte folgendes:

1) er ist moralisch rninderwertig,

2) er ist in militärisch schwierigen Situationen unfähig zur Führung eines Trupps,

3) er zersetzt durch seine Ansichten die anständigen Anschauungen seiner Kameraden auf den meisten Gebieten.

Aus allen Erlebnissen der letzten sieben Wochen führe ich zum Be- weis meiner Behauptungen folgende an (Anlage: 9 Seiten); sie kön- nen in der Regel durch die meisten Truppmitglieder bestätigt Wer- den; nur der Gefr. Schuck stellt sich 1oo%ig auf Seite von H.; es ist in diesem Zusammenhang gleichgültig, aus welchen Ursachen.

Kuby, Obergefr.

13048 28./29. 7. 41

Sehr geehrter Herr Ltn. Hähnel!

Ich übergebe Ihnen den beigefügten Bericht, damit Sie event. Die Wahrheit meiner Angaben nachprüfen können. Ich weiß, daß man I4$


dies als Rache mißdeuten kann; trotzdem verbieten die Umstände, daß keine Klarheit in die Sache kommt.

Ich kann nicht entscheiden, ob es erlaubt oder zweckmäßig ist, ei- nen solchen Bericht der Kompanie zu geben; ich bitte Sie, sehr ge- ehrter Herr Leutnant, nach Ihrer Meinung zu handeln.

Heil Hitler

Kuby, Obergefr.

[Die >9 Seiten< haben sich später nicht Wieder angefunden.] jo. Juli 41 . Ich schreibe mitten in der Nacht mit dem Taschenlamp- chen, denn es hat sich soeben ergeben, daß ein Fahnenjunker mor- gen früh nach Potsdam zurückfährt. Er nimmt das Blatt mit. Wie- der wirst Du es früher haben als die letzten Feldpostbriefe, die Un- erfreuliches berichten – den endgültigen Zusammenstoß mit jenem oftgenannten Unteroffizier H., meine Entfernung aus dem bisheri- gen Trupp, usw. Noch immer zieht der Stein, einmal ins Wasser geworfen, Kreis um Kreis, die ganze Kompanie ist aufgewühlt. Nur noch nebenbei führen wir Krieg: wirklich, so sieht es aus. Ich hatte überlegt, ob ich Dir von all diesem dummen Kram schreiben soll, und zwar, weil ich fürchte, daß Du Dir Sorgen machst über mein Leben hier, aber dazu ist kein ernstlicher Anlaß. Das verebbt und versandet, und dann ist es vergessen. Die Frage ist müßig, ob es so kommen mußte. Neulich schrieb ich: mir kann hier nichts mehr et- was anhaben, aber das ist doch nicht wahr – ein solcher Mensch, mit Macht über mich ausgestattet, und was viel schlimmer ist, mit mir zusammenlebend, bringt mich aus dem Gleichmut.

30. Juli 41. Meine zwei empfindlichen Organe, Haut und Magen, mögen diesen Krieg gar nicht. Heute nacht war's übel, jetzt gehfs wieder.

31. juli 41. Ich schreibe nun doch genau alles, auch auf die Gefahr hin, daß es Dich in Angst stürzt. Rothe hat natürlich recht, so etwas geschieht ›>unsereinern« - ich habe es anders genannt. Wie gut, daß Du manchmal schnell Post bekommen hast. Ich bin von meinem Kettenrad wieder herunter und nun einem Bautrupp zugeteilt bei einem Unteroffizier, mit dem ein Auskommen ist. Heute »ziehe ich um«. In den nächsten Tagen gibt es noch Verhöre zu meiner Aus- einandersetzung mit H., und dann wird es ruhig werden. Der Krieg geht inzwischen weiter.

1. August 41. Als die 1 in der Jahreszahl vor der 4 stand, begann die- 146

ser Krieg. Ich habe unter dem Wagen geschlafen, die Nächte wer- den schon kühl. Mein wertvollstes Kleidungsstück ist eine wattier~ te, graublaue ]acke aus russischen Militärbeständen, damit hat sich die ganze Kompanie versorgt. Das Lager war bei Dünaburg. Als wir diese Jacken fanden, hatte es 40 Grad im Schatten und ein Hemd war schon zuviel. Jetzt sind wir froh drum.

Du wirst viel Post haben, unerfreuliche zumeist. Das ist alles so ver- logen und verdreht. Gestern redete der Abteilungskommandeur mit mir, wieder mußte das Manuskript herhalten. Es ist die Ver« schwörung einer Kaste, die sich betroffen fühlt. Ich will versuchen, einmal mit v.B. [v. Bissing, Offizier] zu sprechen, vielleicht weifš er, der Kaste angehörend, einen Rat, wie man da wieder heraus- kommt. Was immer ich jetzt tue, wirkt gegen mich. Versuche, mich zu rechtfertigen – wofür eigentlich? -, verkehren sich wie von selbst in Anschuldigungen, die gegen mich gerichtet sind. Und das im Krieg ...!

[Ich werde vor's Kriegsgericht der 3. Inf. Div. (mut) gestellt]

3. August 41. Nimm Deine Kraft zusammen. Die Klage lautete 1.

auf ››Verleumdung« eines Unteroffiziers, 2. auf ››Einwendung«, d.h. Ich hätte zu dem Unteroffizier gesagt: wenn du das tust, tue ich das: Auf beiden Anschuldigungen stehen hohe Strafen; vor allem mit Rücksicht darauf, daß wir im Einsatz sind, auf der zweiten (der Vorsitzende: Todesstrafe ist möglich).

Um 1 1 begann die Verhandlung Lvor dem Kriegsgericht], sie hat- ten das Wild vor sich und hetzten es iiber die Strecke bis zum späten Nachmittag. Als ein Symbol lag mein Manuskript, um das es formal gar nicht ging, auf dem Richtertisch. Von 1-z Uhr war Pause.

In der Pause kam Post, darunter Dein Brief, in dem steht: nur ja eine dicke Haut haben, und: laß Dich zu nichts hinreißen. Und: sei schrecklich tugendhaft und unangreifbar, nicht nur nach dem Gesetz, denn das gilt ja wenig im Kriege.

Diese Mahnungen kamen zu spät, aber sie hätten wohl auch nichts verhindert, wenn ich sie gekannt hätte, als Du sie vor drei Wochen schriebst. Es war schon Nachmittag, als der Anklagevertreter seine Rede hielt, und dann kam ich zu Wort. In diesem kochendheißen Raum eines russischen Bauernhauses War nun also kein Auswcichen mehr. Ich hielt mich natürlich an den Anlaß, d.h. Ich war nicht so verrückt, Konfessionen abzugeben, aber im Rahmen, den das Ver- fahren gezogen hatte ~ er war groß genug f, wich ich nicht zurück.

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Die Anklage hatte zweieinhalb ]ahre Gefängnis beantragt, das Ge- richt sprach sich für ein ]ahr neun Monate aus. Der General muß das Urteil noch bestätigen. Ich kann mich morgen noch schriftlich dazu äußern, was ich schreibe, geht mit Urteil und Urteilsbegrün- dung an den General. Vielleicht ist dieser Krieg für mich erstmal zu Ende, vielleicht muß ich irgendwo arbeiten. Das Gericht hielt mir zugute, daß die Natur des Unteroffiziers wirklich Schatten aufwie- se!! Sie legten mir zur Last, daß ich die Disziplin (irn Trupp) gefähr- det hätte, es hätten sich Cliquen gebildet. Das trifft zu. Ich »als Ge- bildeter« hätte die Pflicht gehabt .. . usw. Der Kriegsgerichtsrat, selbst ein Gebildeter, wird seine Erfahrungen haben, wie gerade die >›Gebildeten« voller Pflichteifer sind.

Aus der Nachrichtentruppe bin ich heraus, mein militärisches Rängchen habe ich verloren. In Zukunft also die Briefe nicht mehr an den Obergefreiten, sondern an den Soldaten. Dies scheine ich noch zu sein. Sorge Dich nicht _ ..-

4. August 41. Was ich gestern über ››Einwendung« schrieb, ist nicht falsch, aber nicht vollständig. Diese ››Einwendung« ist Teil einer ››Widersetzung«, und unter diesem Stichwort wurden die Paragra- phen des Militärstrafgesetzbuches zusarninengesucht, abgesehen von ienen, die ››Verleumdung« betreffen. Was bedeutet die Sache für unser Leben nach dem Kriege? Nichts, wahrscheinlich. Der Krieg dauert bestimmt länger, als ich im Gefängnis sitzen werde,.es wird also auch unsere Trennung dadurch nicht verlängert. Solange ich noch hier bin, kann ich schreiben, ohne kontrolliert zu werden.

Im Gefängnis würde sich das selbstverständlich ändern. Mut gegen die Umwelt brauchen wir nicht, nichts von dem, was geschehen ist, tastet mich an. Wie aber wollen wir es halten: wer muß, wer soll in- formiert werden, wer besser nicht?

5. August 41. Es ist 9 Uhr früh, ich sitze vor einer Heuhütte, der Himmel ist verhangen, hinter dem Grau ist die Sonne zu spüren, alle Farben sind matt, und über dem See heben sich Nebelschleier.

Als ich mich eben am Ufer wusch, war das Wasser lauwarm. Die Bauern schneiden Korn mit Sicheln, weil sie ihre Traktoren und Maschinen mangels Benzin nicht benützen können. Es stünde uns gut an, sie damit zu versorgen, aber das paßt wohl nicht in die Linie.

Störungsfeuer beiderseits, vor allem nachts. In der vorvergangenen trafen die Russen zwei Häuser, daneben stand eine Zugmaschine der Pak, ein Splitter riß den Benzintank auf, die Flammen schlugen 148

empor, und zwei Soldaten erwachten brennend. Sie rannten wie le- bende Fackeln dem See zu, das Dürnmste, was sie machen konnten, die Strecke war behindert durch Zäune, als sie sich mit der ver- brannten Haut ins Wasser stürzten, müssen es entsetzliche Schmer- zen gewesen sein. Ich höre, beide leben noch. Der Brand beleuch- tete das Land und den Hügel mit dem reifen Korn fast eine Stunde lang, die auf der Zugrnaschine gelagerte Munition explodierte, und blaue Stichflammen schossen aus dem Feuer empor.

Vielleicht bekommst Du diesen Brief vor den andern, die ich gestern geschrieben habe. Dann erfährst Du jetzt, daß man mich beim Kriegsgericht angeklagt hat wegen Verleumdung des Unteroffiziers H. und wegen Widersetzung gegen eine Diensthandlung dieses Unteroffiziers. Eine Verhandlung hat stattgefunden, und man hat mich zu einem Jahr neun Monaten Militärgefängnis verurteilt. Ist dies wirklich die erste Nachricht, die Du darüber bekommst, so wisse sofort, daß es so schlimm, wie es sich darstellt, in Wirklichkeit nicht ist. Es bedeutet nicht, daß wir länger getrennt sein werden, als wir es ohnedem auch gewesen wären – nämlich nicht länger, als der Krieg dauert. Ich bin auch weiterhin Soldat und werde als solcher, wenn auch als Gefangener, behandelt.

Friedlicher und ruhiger war es seit Beginn des Ostkrieges nicht in mir als jetzt. Als das Urteil verkündet wurde in einem Bauernhaus, dachte ich nur, was das bedeuten könnte für die Zeit nach Kriegs- ende – ein Zeichen, daß mir die Sache doch so viel Eindruck ge- macht hatte, daß ich den Boden unserer Grundüberzeugungen un- ter den Füßen der Vernunft vorübergehend verlor. Ich sprach so- gar, als alles vorbei war, den Vorsitzenden des Gerichts daraufhin an, der von seiner Warte aus meinte, das erledige sich innerhalb des Krieges.

Ich habe Dir seither schon zwei Briefe geschrieben, der eine ging auf dem normalen Feldpostweg und wird Dich in der üblichen Frist er- reichen, er steht am unmittelbarsten unter dem Ereignis. Der zweite liegt noch in meiner Mappe und wird, wie es nun notwendig ist, auf dem Wege über die Zensur des Kriegsgerichtsrates zu Dir kommen oder gekommen sein.

Dieser dritte Brief, also der, den ich jetzt schreibe, wiirde dann schneller als die andern bei Dir sein, wenn ich nach Deutschland in ein Gefängnis gebracht werde. Bevor Du aber diejenigen verstän- digst, die wohl verständigt werden müssen, warte die andern Briefe 149


bitte ab. Ich sage darin, Du möchtest aus allen meinen Briefen dieje› nigen Stellen zusammensuchen, die sich mit dern Unteroffizier H.

direkt oder indirekt beschäftigen, sowie andere, die von der Rolle des Frankreich-Manuskriptes in meinem Verhältnis zur Kompanie Sprechen. Wichtig sind die Briefe, die ich geschrieben habe, seitdem ich zu sechs Tagen Arrest verurteilt wurde. DasPersönliehe laß aus.

Dazu gehören dann die »9 Seiten«, und die vier, in denen ieh mich zum Urteil äußerte. Ich glaube, das gibt ein Dokument, das einige Freunde kennen sollten – und zwar nicht meinetwegen.

Daß mich der eine H. [gemeint ist Hitler] kühl laßt, der andere H.

mich aber um den Verstand gebracht hat, oder richtiger: daß mir je- ner H. erst in diesem H. bis auf Tuchfühlung begegnen mußte, um mich dahin zu bringen, daß ich aufhörte, mich durchzuschlängeln, das ist der springende Punkt in der ganzen Sache. Meine Zeit-Ana- lyse geht nicht von oben nach unten, sondern von unten nach oben.

Wenn alles vorbei ist, wird man nur noch das ››Oben« sehen und es als geschichtlichen, in sich abgeschlossenen Tatbestand verpacken; das ››Unten« bleibt, brodelt, kocht im eigenen Saft, schmutzt dahin, bleibt verantwortungslos und wird nicht zur Verantwortung gezo- gen. Gut, man kann nicht alle ausrotten, das wäre genau die Me- thode der verschiedenen H.'s, aber mit Welchen Mitteln man diesen Sumpf eines aus Angst in seiner Humanitat und in seiner politischen Vernunft verkümmerten Volkes austrockncn und fruchtbar machen kann – ich weiß es nieht.


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