Mein krieg aufzeichnungen aus 2129 Tagen



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Pilze aus der Erde gewachsen, ebenso vergänglich, aber auch ebenso beharrlich aus einem unterirdischen Wurzelwerk sprießend, das ewig ist? Was wir wegschießen und wegbrennen, es wird wieder nachwachsen. Gewiß, auch zerstörte Städte werden wieder aufge- baut werden, aber eben aufgebaut, und Veränderungen der archi- tektonischen Vorstellungen werden veränderte Stadtbilder ergeben

• das ist ein anderer Prozeß, als wenn hier die Bauern in die Wälder gehen werden, Holz schlagen, Stämme schleppen, aufbeugen im Geviert und Moos in die Ritzen stopfen.

Die astronomischen Ziffern von Gefangenen sind mir auch schwer vorstellbar. In unserm Abschnitt haben sich die Russen geordnet zurückgezogen. Nun sind wir also, wie gesagt, im Endspurt auf Le- ningrad, und noch bevor dieser Brief auf der Rehmenhalde ist, wird die Nachricht gekommen sein, wir scien dort. Manche der Herren, die ihren Optimismus durch unsere Drähte jagen, sehen sich schon morgen in den Vorstädten.

[An die Mutter]

rg. ]uli 4;. Unsere Division ist sehr mitgenommen, sie muß wohl ››renoviert« werden; an diese Notwendigkeit knüpfen sich Gerüch- te, die von einem Wechsel des Kriegsschauplatzes zugunsten eines Landes sprechen, wo es Orangen und Korkeichen gibt, und viel Meeresküste.

In der Nähe der Grenze war es armselig, jetzt wird es besser; ich komme auf die Vermutung, die Regierung habe als eine Art Isolier- streifen das Grenzgebiet besonders vernachlässigt.

Schicke vorläufig kein Geld hierher, dies auf Deine Frage, bevor nicht klar ist, wohin es uns treibt. Wahrscheinlich brauche ich überhaupt keins, cs sei denn, ich hätte in der Stadt [Leningrad] Ge- legenheit, mir eine Kamera zu kaufen. Meine ist leider gestohlen worden. Edith möchte auch gern eine 8 mm-Schmalfilm-Kamera, um damit Thomas' frühe Lebenszeiten für mich zu konservie- ren.

Es wäre nicht schlecht, wenn jemandem in der Familie beikäme, mir jedes Wochenende »Das Reich« zu schicken, es müßte aber rnit ei- nem Zeitungshändler der regelmäßige Bezug verabredet werden, die Nummern sind rasch vergriffen. Die Frankfurter kommt dann und wann, ich finde, es stimmt nicht, daß man gar nichts aus den Zeitungen erfährt. Zum wiederholten Male, dankbar für so viel 130

kluge Voraussicht, lese ich Le Bon. Die Sieben Säulen der Weisheit, die mir List (als deren Verleger) geschenkt hat, sollen irn Anrollen sein. Für Lesbares bin ich immer zu haben, es brauchen keine Bü- cher zu sein, Broschüren schicken sich leichter, ich denke etwa an »Das XX. ]ahrhundert«, ››F.uropäische Revue«, »Monatshefte für auswärtige Politik«.

Von W. E. Süskind steht im Reich ein Bericht über Münchner Thea- teraufführungen, ich vermute, daß Du sie alle gesehen hast, einige scheinen gut gewesen zu sein, am meisten lobt er »Diener seines Herrn«. Im Reich zu schreiben – ob das sein muß? Ich will aber ganz still sein, vor ein paar Tagen bekam ich vom Propagandarniniste- rium einen Fragebogen, an Hand dessen sie offenbar beurteilen wollen, ob ich als PK-Berichterstatter geeignet wäre. Das geht auf die Geschichte mit dem Frankreich-Manuskript im OKW zurück.

Ich habe das Formular ausgefüllt und als Anlage einen Lebenslauf dazugeschrieben. Als ich nachher las, was ich geschrieben hatte, mußte ich mich fragen, von wem eigentlich die Rede ist. Nichtsde- stoweniger ist da nicht ein Schatten von Wahrscheinlichkeit, daß etwas daraus werden könnte. Ich schickte dennoch die Papiere an die Kompanie mit der Bitte um Weiterleitung auf dem Dienstweg, bei Geheimdiensten nennt man so etwas Spielmaterial, es ist nichts dahinter, aber man kann etwas erfahren. Im Reich wirst Du mich jedenfalls nicht lesen.

1;. ]uli 41. Vom selben Platz wie gestern. Die Nacht verbrachte ich in der Türöffnung eines halb fertig gebauten Hauses, da zog es, das mögen die Mücken nicht. Nur einige waren sportiv und gingen auf Blutjagd. Ich habe die Dorfstraße gezeichnet und schicke das Blatt mit der gleichen Post, es gefällt mir ganz gut. Die erste Skizze von vielen seit dem 2.2. 6., die man anschauen kann. Mit ››Petersburg« ist es heute noch nichts, im Gegenteil, es geht uns ein wenig wie dem Betrunkenen, der sich um die Litfaišsäule herumtastet und schreit:Hilfe, ich bin eingemauert. Wir dürfen nichtmehr in der Ba~ dehose herumlaufen und haben die Gewehre immer griffbereit lie- gen.

Wir rasteten gestern in einer Scheune, in der lag altes staubiges Heu vom vorigen ]ahr, in der Durchfahrt stand ein Wagen, dem ein Rad fehlte. Ich fand dort eine Holztafel, etwas größer als ein Schulheft, bemalt mit einem heiligen Georg. Nicht alt, aber schön. Sicher hat 131


sie ein Soldat irgendwo mitgenommen und hier weggeworfen. Mir wird sie nicht lästig Werden. Ich nahm den heiligen Georg mit.

Wenn er je bei uns hängen wird, werde ich die Umstände nicht ver- gessen haben, unter denen ich ihn fand. Es war am 14. Juli 1941, als unser Marsehfahrplan Ostpreußen-Leningrad in Unordnung kam.

16. Juli 41. Gestern früh sah es sehr faul mit uns aus. Der »End- spurt« auf Leningrad brach plötzlich ab, die Russen waren rund herum, auch in Dörfern, durch die wir tags zuvor gefahren waren.

Inzwischen kamen neue Einheiten, es sieht schon wieder lichter aus. Wir liegen seit zwei Tagen am gleichen Platz, unziigiger Vor- marsch, oder wie soll man das nennen? Gestern ein Gewitterregen, in der Folge Abkühlung und damit, da sie auch nachts anhielt, Mä- ßigung der Mückenplage. Wir haben uns sogar in das Bauernhaus hineingewagt, neben dem wir parkten. Wir haben eine Stube ausge- räumt, dort wird jetzt geschrieben und Skat gespielt, indes Bertram und ich alles zeichnen, was uns vor die Augen kommt, schonungs- los kritisiert von unseren Modellen. Lm ganzen ist es im Trupp et- was besser geworden, mag sein deshalb, weil wir nicht in Bewe- gung sind. Ob es Wieder so nervös und unruhig wird, wenn wir neu eingesetzt werden, weiß ich nicht, aber ich befürchte es.

Ich bedauere unendlich, nicht mit den Bauern reden zu können.

Das bißchen Kroatisch hilft nichts. So einfache Fragen wie die, wie der Bau eines neuen Hauses finanziert wird – ein halbfertiges steht nebenan -, kann ich mir nicht beantworten und fragen kann ich nicht.

Gestern abend haben Bertram und ich noch einen Gang zu der Kir- che am andern Ende des Dorfes gemacht, von außen sah sie christ- lich aus, innen war sie eine Reparaturwerkstatt für landwirtschaftli- che Maschinen. Jetzt aber sollen sie für den Sieg beten, die guten Kommunisten.

18. Juli 41. Gestern war es kalt und unfreundlich, als seien wir im Spätherbst. Ich bin mit Pull und Mantel auf Wache gezogen. ]etzt beginnt es aufzuklaren, der Umschwung schenkt uns einen schönen Abend. Der Himmel geht auf, die Blaue breitet sich aus. Wir haben uns in westlicher Richtung fortbewegt. Hier ist nichts verbrannt, nichts zerschossen, das Dorf ist bewohnt, jedes Haus. Zum ersten- mal bekommen wir hier eine Ahnung davon, wie das Leben hier ohne Krieg sein mag. Ein 79jahriger Mann, den Bertram heute 131

schon zweimal gezeichnet hat, seine Stiefel reichen bis zum Knie und die Pelzjacke bis zu den Waden, sitzt neben mir und wundert sich sehr über das Klappern des Maschinchens. Er fragte mich, was das sei, er sieht fast nichts mehr, und mit Hilfe des Lexikons ver- suchte ich es ihm begreiflich zu machen. Aber was stellt sich jemand unter einer Schreibmaschine vor, der noch nie eine gesehen hat? Als wir anfingen, gestern, Splittergräben für den Fall eines Fliegeran- griffs auszuheben, glaubten die Bauern, wir bereiteten uns mitten in ihrem Dorf auf einen Infanteriekampf vor, und sofort strebten Frauen mit Bündeln auf dem Rücken dem Wald zu. Ich schlief, so- weit der Wachdienst es erlaubte, außerhalb des Dorfes in einem Heustadel mit frischem Heu. Wache stehen oder laufen ist hier nicht mehr nur Formalität wie in Prüm. Außer von der Front vor uns gibt es die Bedrohung von den Seiten, aus den Wäldern, und demzufolge habe ich auf Wache jetzt auch Eierhandgranaten am Koppel hängen. Was tagsüber eine Wiese mit Büschen ist, wird nachts eine geheimnisvolle Welt, und wenn, wie heute nacht, noch Nebelschwaden von den Talwiesen den Dorfhügel heraufkriechen, dann kann man sich vorstellen, daß man so ein Ding abzieht und auf den nachsten Busch wirft. Grundsätzlich hat sich nichts geändert; wir sind nicht weitergekommen, mußten aber auch nicht zurück.

Das wäre ja auch eine neue Erfahrung. Daß wir vorneweg in Lenin- grad einziehen, kêimpfend, dazu wird es mit Sicherheit nicht kom- men. Die Regimenter der Division sind zu sehr mitgenommen. In ein paar Tagen soll eine andere Division, oder mehrere?, den An- griff übernehmen.

Ich verstumme mehr und mehr – außer gegenüber Bertram, der, umdrängt von Kindern, dort vor dem nächsten Haus eine Bäuerin zeichnet. Das Schweigen baut einen Damm gegen das dumme Ge- schwätz, das ich von früh bis spät hören muß. Als diese Leute noch zu Hause über ihre Geschäfte, ihre Sorgen, ihre Hoffnungen rede- ten, werden sie wahrscheinlich einen minder schwachsinnigen Ein- druck gemacht haben, denn anders könnten sie ja sozial nicht exi- stieren. ]etzt, der Sorge ums Fortkomrnen enthoben, vis-à-vis der Welt, die sie sich unterwerfen wollen, genährt mit Lügen und Ge- rüchten, mit Pathos und Wahn, beweisen sie, daß sie nicht um ein Gramm mehr Vernunft besitzen als ihre Vorfahren, die um einen Schciterhaufen herumtanzten, fröhlich darüber, daß eine Hexe ver- brannt Wufde.

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Es wird dunkel und ich gehe nun zu Heu.

zo. Juli 41. Schwer zu sagen, ob wir noch im Kriege sind. Seitdem wir uns hier festfuhren, und das ist nun über eine Woche her, haben wir nur das Dorf gewechselt, sehr zum Vorteil. Die Heuhütten, leer, übers Feld verstreut, sind nicht nur nachts ein guter Schlaf- platz, auch tagsüber sitze ich in ihrem Schatten, zeichnend. Da es bei diesem bewegungslosen Dasein an wechselnden Motiven ge- bricht, habe ich die Hütte einmal von rechts, einmal von links ge- zeichnet und zum Überfluß noch ein wenig die Tageszeiten durch entsprechende ››Beleuchtung« hineingebracht. Wäre ich ein Maler oder Zeichner, diktierte mir ein Talent den Platz im Fluß der Ent- wicklung, dann dürfte ich mich dieser idyllisch en Beschäftigung des Abmalens vom Sichtbaren nicht hingehen. Als reproduzierender Musiker hätte ich immer noch die Freiheit, selbst im obersten Rang, den ollen Beethoven einem Publikum so hinzuklavieren, daß es ju- belte. Aber wenn ich zeichnen könnte wie Dürer oder malen wie Leibl, und das eine oder andere mit deren Zielsetzungen täte, Wür- den die Leute sagen: verdammt begabt, nur schade, daß er so dumm ist. In der gleichen Lage ist natürlich auch der schöpferische Musi- ker, im gleiehen Zwang, nicht von gestern zu sein. Bei uns ist es frei- lich anders, unsere Herren schöpferischen Künstler, könnten sie wirklich zeichnen wie Dürer, malen wie Thoma, komponieren wie Brahms, und machten sie in etwa, was jene machten, da läge die Na- tion ihnen zu Füßen, die sogar Herrn Breker und Herrn Padua für Künstler hält. Siehst Du, wenn ich so auf meinem Balken sitze und die Hütte wasserfärble, und wenn ich mir vorstelle, daß, wenn ich mir nur recht Mühe gäbe, das eine oder andre Blatt wirklich im Haus der Deutschen Kunst hängen könnte, ohne daß die Leute sich kaputtlachten: da fühle ich mich doch recht erhoben, Daß diese Be- haglichkeit der Blöden so unbehagliche Seiten hat: daß ich also nicht am Starnberger See Skizzen mache, sondern etliche Kilometer vor Leningrad – das zeigt, daß diese geruhsame Kunst Schwindel ist, Ich meine: im allgemeinen. Meine Blättchen sind mir teuer.

Ab 5 Uhr haben wir Schule bei unserem Herrn Unteroffizier – das ist eine Neuerung seit gestern. Da müssen pro forma Fernsprüche ausgefüllt und Leitungsskizzen gezeichnet werden, er korrigiert mit einem Rotstift und schreibt: 8 Fehler. Es ist unbeschreiblich ko- misch, aber ich bleibe ernst und schleife mich überhaupt so ab, daß ich einer Kugel gleich über das psychische Gelände rolle – nicht ge- 134


rade das, was mir in die Wiege gelegt ist. Und so ganz glatt ist die Kugel auch noch nicht.

Zu einem Spaziergang durchs Dorf müssen wir umschnallen und das Gewehr mitnehmen. Deshalb bleibe ich besser auf der Wiese und rege mich nicht. Heute mittag wurde ein scharfer Befehl des Divisionskornrnandeurs verlesen, die Disziplin lasse zu wünschen übrig, niemand grüße richtig, man schnalle nicht um, usw. Er be- fehle den rückwärtigen Diensten, vormittags und nachmittags eine halbe Stunde Gruß-Exerzieren machen zu lassen! Offenbar war der Begriff rückwärtige Dienste so dehnbar, daß es bei uns noch nicht zum Exerzieren gekommen ist.

So also sieht es bei uns aus, und ein paar Kilometer weiter passiert, was im Heeresbericht als »besonders schwere Kämpfe« bezeichnet wird. Dort gibt es Kompanien, die keine Offiziere mehr haben.

Mehr Intelligenz statt sturen Mut drüben – unseres Bleibens wäre nicht. Die Berge toter Russen, ich sah sie nicht, aber es ist verbürgt, sie liegen vor der HKL [Hauptkampflinie]. In Wellen greifen sie an, sechs, acht und mehr Glieder tief, direkt in die Maschinengewehre hinein. So unorientiert über die Lage war ich noch nie. Es kommen keine Flieger mehr, weder eigene noch russische, es ist als machten beide Seiten Erschöpfungspause.

Der Schematismus der Kriegsführung, sichtbar schon in der Art, wie wir jetzt in motorisierter Kolonne über die Straßen rollen (als wir noch rollten), ist durch die Motorisierung, diesem Ergebnis der Winterruhe, diktiert. In Frankreich war der Elan spürbarer, mar» schierende Infanterie ergab ein männlich-kriegerisches Bild als wie aus alter Zeit. Eigentlich müßte es ja gerade umgekehrt sein, denn mit einer voll motorisierten Division läßt sich natürlich schneller und eleganter operieren als mit Pferden und Marsehkolonnen. Aber eben weil das Instrument flexibler ist, wird es zur ››Kriegsmaschi- ne«. Daß wir hier, so dicht hinter der Front, Kaserne spielen und ››Unterricht« machen, bestätigt was ich meine. Dieser Unteroffizier mit seinem Rotstift – mir gelingt sein Porträt nicht. Spießbürger, der den Proleten, nicht den Proletarier herauskehrt, von einem hyper- trophen Geltungsbedürfnis getrieben, so fanatisch wie feig, Le Bons fiktives Modell in Reinzucht. Der Franzose ist, ungeachtet er so gnadenlos bestätigt wird, in seiner Analyse von vorgestern, das macht die Lektüre streckenweise langweilig. Ich lese ihn in einem brennenden Haus und er informiert mich über die Brennbarkeit der 135


Baumaterialien, aus denen das Haus gebaut ist. Aber warum es brennt, oder, von ihm aus gesehen: warum es eines Tages brennen würde, darüber weiß er nichts.

[Von Dr. Wilhelm Hausenstein, Frankfurter Zeitung] Tutzing, 21. [uli 41. Ich hahe Ihr Manuskript an die Schrıftleitung der Frankfurter Zeitung geschiclet und hahe einen sehr zuständigen Kollegen geheten, sich damit zu heschaftigen, Er schreibt mir: »Ich lese darin und versuche, dem Feuilleton Vorsehlage zu machen.

Wenn das Material in toto auch vom OKW ahgelehnt werden ist, kann doch der eine oder andere Ahschnitt vielleicht gebracht wer- den . . . «

Dies ist naturlich noch /eeine 'verbindliche Äußerung und ich werde meinem Kollegen aufalle Fälle nochmals schreihen, daß er sich mit Ihnen in Verhindung setzt, ehe etwa ein Stuck ahgedruclet wird.

21. ]uli 41. Ich wurde zum 2. Mal gegen Cholera geimpft und der kaum eingeschlafene Hautausschlag zeigte gestern neue Ansätze.

Morgen kommen wir wieder zur Division und die Sache soll wieder in Fluß- geraten.

Das Manuskriptexemplar, das beim Stab war, wurde mir zuriickge~ geben durch einen Schreiber. Nun treibt sich nur noch eines bei der Herrenschicht herum, die sich darin nicht nach Gebühr gewürdigt findet.

23. Juli 4:. Wir sind nicht mehr bei den nicht eingesetzten Teilen, sondern ein bißchen weiter vorne, allein auf weiter Flur mit ein paar Leitungen, in einem kleinen Dorf, das ganz verlassen ist. Die Front ist wieder ins Rutschen gekommen, es geht also weiter – wie weit und ob gleich bis zum vorläufigen Ziel, steht dahin, wahrscheinlich nicht. Die Russen werden in der Woche, in cler wir ihnen Zeit lassen mußten, eine neue Verteidigungsstellung gebaut haben.

Das kriegerische Unternehmen und das Land, im Gegensatz zu Frankreich, funkeln gar nicht, alles ist trüb, schwer und klettenhaft ~ acht Tage Vormarschpause ändern daran nichts.

Ich habe gestern, eine halbe Stunde bevor wir alarmiert wurden, also zu spät für diesmal, angefangen, Dialoge aus unserm Trupp zu kleinen Szenen zusamrnenzufassen; das möchte, könnte ich fortfah- ren, ein artiges Dokument werden, rnit Goethen zu reden.

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[Von einer Tante von E. K.-Sch]

Bad Schwartau, 14. juli 41. Du wirst vielleicht schon durch E. die ersten russischen Voleaheln, die ich hier durch eine Dame, die 'viele jahre in Rußland lehte, heleornrne und unendlich oft ahgeschriehen habe, erhalten hahen. Nun wurde noch eine Fortsetzung ausgear- heitet, die sich ganz hesondersfur den Feldzug eignet. E. meinte, Du wurdest selhst mit dieser schweren Sprache fertig werden.

Die Zersetzung der russischen Armeen wird vielleicht am hesten zum endlichen Siegfuhren, Wenn schon der Sohn von Stalin sich er- giht, weil er den Kampffur aussichtslos halt, muß sie schon tiefein- gegriffen hahen.

Unsere Gedanken und Wünsche folgen Dir, denn wir lehen natur- lich nur mit unseren Herzen an der Ostfront, wo su 'viele junge Ver- wandte und Freunde fur unser Vaterland Heldentaten fuollfuhren.

24. juli 4 1. Gestern nachmittag wurde unsere Vermittlung überflüs- sig, und so fuhren wir unerwarteterweise in das Dorf und zu unserer Heuhütte zurück. Wir kamen gerade recht zur Postverteilung, Dein Brief vom io. 7. war dabei, indem Du schreibst, du seist zu neun Zehntel ruhig. Und das eine Zehntel, wieviel wiegt es? Was muß al- les an Dich unterwegs sein an Post, fast täglich ein Brief, Zeichnun- gen, Filme, zwei Päckchen, Seife und Bonbons enthaltend – der deutsche Soldat kommt nicht nur in Frankreich, nein, auch in Ruß» land, dem verachteten, zu Waren, die zwecks Kanonenproduk- tion zu Hause ausbleiben, aber wenn wir nun nicht Krieg führten, hätten wir sie dann? Heifšfs nicht, wir führten Krieg, damit wir sie künftig haben (wie war das eigentlich vorrnals??) - also ein bißchen Seife und Bonbons sind unterwegs.

Heute früh sind wir schon um 2 Uhr losgefahren, nach sehr kurzem Schlaf, und kamen zunächst durch die bekannten Gegenden unseres zehntägigen Srillstandes. Jetzt sind die Dörfer verbrannt und zer- schossen. Wir wurden falsch geführt, mußten umkehren, nähern uns jetzt einem größeren Ort an einer Eisenbahnlinie, die uns die Russen mißgönnen. Es wird lebhafter. Während gestern der wie- deraufgenommene Angriff in einen fast leeren Bereich hineinstieß – das ist keine ungeschickte Taktik -, verteidigen sie jetzt Ort und Bahn zäh. Bombergeschwader mischen sich ein, russische, am Ho- rizont stehen dunkel die Explosions- und Brandwolken, gleich rie- sigen Schraubenziehern sich in den Himmel windend.

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Gestern zog ich mir mal die Stiefel aus, um die Reste der Socken durch neue zu ersetzen, und sah, daß die Beine wirklich übel ausse- hen, als hatte ich Pestbeulen. Ich werde ein paar Tage Schuhe tra- gen, damit Luft dran kann.

Thomas ein Vierteljahr! Ich weiß nicht, soll ich sagen: schon oder erst? Es kommt mir viel länger vor, daß sich unsere Existenz ver- größert hat. Daß ich aber aus Frankfurt aufgebrochen bin und wir nun schon einen Monat Krieg führen – kaum zu glauben. Diese vier Wochen gingen sehr rasch vorbei.

[Von der Schwester]

Berlin, den 2;.]uli 4 1. Morgen geht, wenn ich irgendeine Mäglich~ /eeitfinde sicberer Beförderung, eine Zeiss-I/eon-Kamera Tessar 2.8 fur RM 373,- (6 x 6) an Dich ab. Mit 1/iel Geduld erstanden.

Icb dachte, die beste ist am geeignetsten fur Dich, ein fabelhafte: Ding, Du wirst sicher damit Freude haben, aber wenn Du glaubst, sie sei zu schade für Rußland, dann schreib urn eine andere, sie laßt sich umtauschen.

Ich arbeite oft irn Keller, wir haben jetzt Betten be/eonırnen, 18 Stıíic/efıirs ganze Haus, da unten können mir die Tornrnys nichts tun.

[An Dr. F. M. ]

ıg. Juli 41. Daran werden Sie nicht zweifeln, daß ich in diesem schönen Land bin und einen ekelhaften Krieg führe. Eines der bef liebtesten Stücke im Radio ist die Petersburger Schlittenfahrt ~ die machen wir nun, sehr glatt ist das Eis nicht. Seit gestern halten wir in einem surnpfigen Gehölz, die Russen sind unangenehm, die russi- schen Flieger sind unangenehrner, die russischen Mücken sind am unangenehmsten. Eine frivole Steigerung, nur einem ››Fernspre- cher« möglich, der doch immerhin etwas vom Schuß weg ist – un› sere Infanteristen, etwa die 14 Mann, die den Rest einer Kompanie bilden, würden anders urteilen.

Meine Lektüre hier ist Pascal und Le Bon . . _ eben kommt Post, ein nicht zu häufiges schönes Fest. .. ich lese erst mal... ja, lieber M., nun bin ich ganz aus dem Konzept gekommen durch ausführliche Briefe vom Bodensee, Wo mein Sohn unter einem Dächlein, gebil- det aus einer französischen Zeltplane, neben einer Jasminhecke liegt und vom Krieg nichts weiß – welch Glück, daß ich mich nicht sor› gen muß um die beiden und daß sie in einem solchen Paradies leben können. Doch Schluß – stolze Väter werden leicht komisch. Ich lese 138


also Pascal und Le Bon, der eine so ewig und unzeitgemäß, der an- dere so aktuell und bestätigt in jedem Satz. Ich fasse mich ganz dicht zusammen und glaube wohl, daß ich es überstehen werde. Noch weniger als meine französischen Briefe werden sich meine russi- schen demnächst drucken lassen.

Eigentlich erst seit dem Beginn des russischen Krieges, den ich ab Weihnachten befürchtete, dann eine \X/eile › nach des Japaners Be- such – für verhindert und dann wieder vor mir sah: seitdem erst hat dieser Krieg für mich ein ähnliches Gewicht, wie es wohl der Welt- krieg für die Generation unserer Väter hatte. Meiner macht eine Ausnahme und ist nun, ógjährig, sogar im Verband einer Panzerdi- vision in Rußland. Für mich ist der Krieg nun nicht mehr ein Zwi- schenspiel, sondern ein Teil des Lebens, der uns abgezogen wird, wenn wir ihn nicht so auszufüllen wissen, daß wir am Ende fortge- schritten sind, weiter vielleicht als im Gleichmaß des gespannten Alltags vorher. Einen Frieden werden wir ja nie erleben, so wie man sich nach 1870 Frieden vorstellte, aber die ]üngeren werden nach- wachsen, und wir vermögen vielleicht unter kriegerischen Gesetzen eine private Existenz fortzuführen.

Eben kommt einer von vorne und bringt sehrungute Nachrichten.

Sind Sie im wohlverdienten Urlaub? Dann genießen Sie ihn und spielen Sie ein Stück aus dem Wohltemperierten Klavier für mich.

Das KRIEGSGERICHT MACHT ORDNUNG

25. Juli 41. Meine Nachrichten sind minder schön. \Vir sind in dem- selben sumpfigen Gehölz wie gestern, d. h. an seinem Rand, und hatten die Flieger ziemlich auf dem Hals, mich läßt es ja kühl, aber es ist blöde, wenn man da immer unter den Wagen kriecht, unser Horch ist viel zu niedrig, als daß ich drunterkäme, ich stecke nur den Kopf unters Schutzblech, eine rein symbolische Handlung, und dann krauchen sie also über uns hinweg, und wenn sie nah werfen, so zischt es durch die Luft, es gibt einen scharfen Knall, und dann ist es vorbei. Sie werfen erst Flugblätter und dann kleine Bomben, aber weiter vorne, am Rand der Ebene, stehen schwarze Rauchfahnen gegen den Himmel, dort meinen sie es ernster. Für die Infanterie ist 139

es bitter. Zwei Bataillone sind heute ein ganzes Stück vorgestoßen, aber schon wurden sie hinten abgeschnitten und müssen nun sehen, wie sie wieder heraus- und zurückkommen. Dem einen Regiment fehlt eine vierstellige Zahl von Leuten, aber es wird nicht abgelöst.

Obschon es für uns auch nicht das reine Vergnügen ist- Krieg ist das nicht im Verhältnis zu dem, was vorne geschieht. Dieses ››vorne« ist jetzt, je nachdem, nur noch goo oder Soo m von uns entfernt.

Ohne Datum [mit einer Plan-Skizze] Wir sind nicht über den Fluß, ganz im Gegenteil. Wir warteten noch ziemlich lange, und schließ- lich wurde die Brücke fertig. In dem Augenblick begannen die Rus- sen anzugreifen. Wir haben uns um ein paar roo m zurückgezogen, stehen hinter einem Gegenhang, auf dem ein Friedhof liegt – warum hier, läßt sich nicht erkennen. Das Dorf ist eineinhalb Kilometer weit entfernt. Wieder Warten wir. Panzer, Pak und Kradschützen sind nach vorne, die Russen haben Panzer eingesetzt. Ich mache eine Skizze, die nur die Situation erklärt, über die Geo- graphie nichts sagt.


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