Mein krieg aufzeichnungen aus 2129 Tagen



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Sana27.06.2017
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te Dächer, manchmal aus Stroh. Brunnen mit hochragenden Schwenkbalken – sehr rnalbarl Kurz, noch keine lo km hinter der Grenze ein durchaus östliches Landschafts- und Siedlungsbild, so wird es nun bleiben ein paar tausend Kilometer weit. Die Leute sa- ßen vor den Haustüren und betrachteten sich das Schauspiel.

Nachts schlief ieh, und gerade bevor ich einschlief, hörte ich den Unteroffizier H. sagen: Schon wieder so eine Saukirche! Rechts auf der Höhe war der Schattenriß zweier Türme zu erkennen. Den Un- teroffizier ärgern namlich Kirchen, er weist auf den Gegensatz zwischen den einfachen Hütten und den stattlichen Gotteshäusern hin und sieht darin »den Betrug der Pfaffen am Volk«. Diese Kirche, die ich vor dem Einschlafen etwas vor uns erblickte, liegt jetzt 6oc› rn hinter uns. Das ist die Marschleistung der Nacht. Bertram ist bei solcher Fortbewegung zu bedauern.

Der Deutsehlandliedfluß fließt hier genau nach Westen und ist brei- ter als ich ihn mir vorgestellt habe. Das diesseitige Ufer fällt als ein Sandstreifen kaum 2 m tief zum Wasser ab, jenseits säumen ihn Hü- gel. Dort sieht man »soweit das Auge reicht« Kolonnen in Bewe- gung-

Zwei Stunden später. Wir sind vorausgefahren und halten in einer Ortschaft. Auf dem Strom Dampferverkehr, die Schiffe zeigen die deutsche Flagge, die Dampfer ziehen Lastkähne zusammen, um aus ihnen eine Brücke zu bauen. In der Ferne, wohl nahe der Haupt- stadt Kowno, eine hohe Rauchsäule. Die Häuser am Ufer schmut- zig, mit jüdischer Bevölkerung. Das eigentliche Dorf liegt oberhalb des Steilufers. v. Almsick ist gestern schon hier gewesen und hat uns Seife gekauft.

Inzwischen fahren wir wieder am Strom entlang. Bei passender Ge- legenheit werde ich Sprüche und Redensarten unseres Unteroffi- ziers aufschreiben. Daraus wird das Bild eines typischen Deutschen von 1941 entstehen. Er stammt aus kleinen Verhältnissen und hat in Berlin irgendeinen Posten bei der Rentenbank. Als alter SA-Mann betont er sein Rowdytum, seine proletarische Gesinnung und blickt mit Mißgunst auf die gebildeten Stände. Manchmal tut er auf fein, dann ist er am schlimmsten. Er kam zu einer bürgerlichen Frau, macht seinen Schwiegervater, von dem ich allmählich glaube, daß er seinen SA-Schwiegersohn nicht gern sieht, mit jedem dritten Wort lächerlich, doch mit jedem vierten gibt er mit ihn an, z.B. Mit dessen Auto. Bis vorgestern betonte er, der genialen deutschen Außenpoli- IIO


tik werde es gelingen, die Spannungen mit Rußland beizulegen.

]etzt schreit er herum: ganz fabelhaft, ganz raffiniert, der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, jetzt bekommt er Prügel, usw. Alles au- ßerhalb Deutschlands ist Schmutz und Dreck, irgendwelche nicht materiellen Motive existieren für ihn nicht. »Der Zweck heiligt die Mittel« zitiert er jeden Tag. Er hat keine Ahnung, was ein Mensch ist. In seinem Charakter ist er, glaube ich, keine Verbrechernatur, und er wäre erstaunt, wer wäre es nicht, wenn man ihm sagte, daß er sich in seineri Handlungen und in seiner Denkweise von einem Ver- brecher nicht unterscheidet. Die Methoden, mit denen sich seine SA auf der Straße durchgesetzt hat, glaubt er allgemein auf den zwi- schenmenschlichen Verkehr anwenden zu dürfen. Dabei ist er ängstlich – sogar vor Hunden – und sentimental. Ehrgeizig, ich möchte sagen: schandgeizig, streberhaft, Lakai gegenüber jedem Wachtmeister. In seiner Unnatürlichkeit ist er untypisch, ja einzig- artig. Er würde in der Einsamkeit nicht natürlich sein und noch vor einem Eichhörnchen posieren. Noch nie sah ich so eine Schrift: [folgen Schriftproben, auch des Namenszuges, nachgezeich- netl.

Alles Gute auf der Welt ist ganz umsonst für ihn da, und das Merk- würdigste ist, daß er trotz allem nicht ohne Idealismus ist – aber wie irregeleitet ist der! Du wirst verstehen, daß es rnir mißfällt, mit so einem Kerl in dieses fremde Land zu fahren. Die stillen, Bertram,

v. Almsick, kommen nicht gegen ihn auf.

Wir halten noch immer. Sonne auf dem blauen Fluß. Sturmartillerie geht, in Staubwolken gehiillt, vor. Wir betrachten mit dem Glas das jenseitige Ufer, wo berittene Truppen und Infanterie vorgehen. Auf halber Höhe sieht man wartende Lastwagenkolonnen. Kurzum, sagte Bertram plötzlich trocken, überall ein fröhliches Treiben. Ich muß jetzt wieder lachen, wenn ich es hinschreibe; als er es sagte, be- kam ich fast einen Lachkrampf.

Gegen Abend. Wir haben den Strom, in dessen überraschend war- mem Wasser wir kurz gebadet haben, verlassen, fuhren ein kurzes Stück nach Norden, jetzt bewegen wir uns wieder gen Osten. Eine weite Ebene, verstreute Gehöfte, über allen Straßen Staubwolken.

Überall die Kolonnen dcr Automobile. Das Vermögen unseres Vol- kes rollt über diese Straßen als Einsatz für eine bessere Zukunft Wir halten im Gefolge des Divisionsstabes an einem Gehöft. Es ist schmutzig und armselig. Meine These, daß diese Bauern im Gegen- III


satz zu einem Arbeiter in Berlin N nicht zu bedauern seien, findet keinerlei Anklang. Wir wissen nichts über die allgemeine Lage. Man sagt, der Feind sei ro km vor uns, aber das wird nicht stimmen. In großer Höhe ziehen vereinzelt russische Flieger vorbei, von der Flak vergeblich beschossen. Es ist wie am Meer, das ununterbro- chene Rauschen der Motoren nimmt man wie ein natürliches Ge- räusch hin.

2;. ]uni 41 , 49 km hinter Kowno. Abends gegen 7 Uhr. Wir fuhren die ganze Nacht mit großen Pausen und erreichten am Morgen Seta, das radikal zerstört ist. Gerade wo wir hielten, lag eine tote Frau in Uniform – einer von der Vorausabteilung erzählte, sie habe geführt, und rnit ihr hätten sich die letzten russischen Soldaten erschossen, als der Widerstand aussiehtslos wurde. Nachher hat sie aber wohl noch ein Geschoß getroffen, ihr Körper war aufgerissen. Wenn es der sowj. Führung gelingt, die Parteimitglieder zu solchem Fanae tismus aufzustacheln, das übrige Rußland national zu bewegen, so werden wir uns durchbeißen müssen.

Hinter Seta bauten wir in einem Gehöft eine kleine Vermittlung auf.

Ich war außer Betrieb gesetzt durch heftige Magenschmerzen, legte mich auf eine Wiese, nun geht es wieder.

Wir fahren. Die Straße ist miserabel, Bertram lenkt den Horch, der viel zu tief liegt für diese Zwecke, sorgsam durch die zahllosen Lö- cher und Bodenwellen. Der Staub stört uns nicht, ein frischer Wind treibt ihn weg. Malerisch ist alles. Da und dort arbeiten die Bauern wieder auf den Feldern. Die Russen hinterlassen nichts, kein zer- störtes Fahrzeug liegt am Straßenrand.

Vor Seta sahen wir Flüchtlinge aus der zerstörten Stadt. In einem so dünn besiedelten Bauernland kann das Flüchtlingselencl niemals die Formen annehmen, die es in Frankreich hatte. Die Bauern laden Vorräte auf einen Wagen und ziehen in den Wald.

Der Nachschub wird im Augenblick andere Sorgen haben als die Beförderung der Feldpost. Ich schreibe unkonzentriert, Du merkst es. Die Nervosität unseres Unteroffiziers teilt sich mir mehr mit als gut ist. Er ist sichtlich enttäuscht, daß hier zwar vielleicht Milch und Honig, aber keine Damenstrümpfe und Schuhe ››fließen« wie in Frankreich, und daß die Politik verbietet, in diesen Randstaaten wie ein Feind aufzutreten. Er wäre gern SA-Mann zwischen Untermen- schen, die reich sind. Ich sage ja, ein typischer Deutscher.

Wir durchfahren eine größere Ortschaft, Wilkomir, hier haben die IIZ

Russen Kasernen und Schulen gebaut, sie sind nicht zerstört, die haben sie jetzt für uns gebaut. Das Krieger- oder ››Befreiungs<<- Denkmal besteht aus Betonklötzen.

26. Juni 41 . Morgens. Wir sind nun die dritte Nacht durchgefahren.

Auch tagsüber nur wenig Schlaf. Die Nächte sind kurz, aber wäh- rend drei Stunden ist es doch stockdunkel, und in dieser Zeit ist es reines Glück, wenn wir nicht im Graben landen. Im Staub ist das abgeblendete Rücklicht des Vorwagens selbst dann kaum zu sehen, wenn die Stoßstangen sich fast berühren. Gegen 7 Uhr schlief ich neben Bertram am Straßenrand; als ich aufwachte, lag neben mir auf der Decke Dein Brief vom 15. ]uni mit der Schilderung der Einla- dung bei Rothes. Ich lese so etwas ohne zu denken: wie schade, daß ich da nicht dabei war. Du verstehst, natürlich möchte ich bei Euch sein. Aber meine Sehnsucht gilt nicht dem Silber, den Kerzen und dem Essen. Die Wirklichkeit hat mich dermaßen in den Klauen, daß mir ein irreales Milieu – und dazu Würde ich solche festlich herge- richteten Stunden auf unseres lieben Vaterlandes Boden rechnen – nicht ohne Fatalität ist. Après moi le déluge – das hat etwas Gesun- des, verglichen mit dem derart charakterisierten Verhalten in der Sintflut selbst. Aber das ist nun wirklich eine unerlaubt übertrie- bene Reaktion auf etwas durchaus Hübsches und Harmloses, und ich meine es eigentlich eher so im allgemeinen und sage es zur Be- schreibung meiner inneren empfindlichen Verfassung.

Die Kraftfahrer werden, soweit möglich, für Stunden ausgewech- selt, sie können nicht mehr. Vielleicht gibt es aber heute Fahrpause, weil uns das Benzin ausgeht. In Seta hatten dic Russen ein Benzinla- ger, aus dem diese Heerwürmer soffen, und jetzt haben sie es erfolg- reich bombardiert. Zwei der abgelösten Kraftfahrer dürfen in den Samtpolstern des Horch schlafen, v. Almsick und ich sitzen im of- fenen Kübelwagen eines Leutnants und werden vom Staub weiß wie die Müller.

Wir fahren doch weiter. Hier sind die Bauern wieder fleißig am Winken. Man denkt kaum an Krieg, die Russen ziehen sich zurück, eine gekonnte, saubere Sache. Ich habe jetzt eine vorzügliche, von Kirkenes bis Rumänien reichende Karte, östlich bis zum Ural. Die reicht für eine Weile zur Übersicht über die Gesamtlage, über die ich mehr weiß als das Radio sagt, das nichts sagt.

28. ]uni 41. Im Wagen am Geburtstag, morgens gegen 7 Uhr. Wir warten auf einen Flußübergang. Die Brücke ist noch nicht fertig.

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Zwischen sandigen Ufern ist der Fluß fast too m breit. Es ist kühl und beginnt zu regnen. Wann schrieb ich zuletzt? Ich kann nicht nachsehen, der Briefordner ist hinten in einer Kiste, und ich packe sowieso den ganzen Tag ein und aus, der Wagen ist überfüllt mit Kram. Inzwischen sind die Wege so schlecht geworden, daß wir sehr oft aus dem Wagen springen und schieben müssen. Immerhin haben wir es bis zum Boden nur ein paar Zentimeter, vor uns aber fuhr längere Zeit ein hochbordiges Ding der Pioniere, und die 15 Mann, die dort in luftiger Höhe saßen, mußten auch alle Viertel- stunde abspringen, um ihre Riesenkarre wieder flott zu machen. Es War auch ihre vierte durchwachte Nacht, und sie waren völlig erle- digt. Bei drei Stunden Dunkelheit haben die Flieger 21 Stunden Frist, sich mit uns zu beschäftigen, und das tun sie nach Strich und Fadenkreuz. Wir können bemerken, daß dies vorerst ein russischer Luftraum ist. Sie fliegen herum als machten sie Übungen, aber sie treffen nicht viel mit ihren Bomben.

Wir warten noch immer, haben die Wagen getarnt, Tarnung ist das Gebot der Stunde. Wir sehen Fahrzeuge auf einer Fähre über den Fluß schwimmen. Die Brücke wird weiter unten gebaut. Merkwür- digerweise war die große Brücke bei Dünaburg unversehrt, man er- zählt sich allerlei Verkleidungsmärchen, wie man sie in Besitz ge- nommen habe. Durch die Motorisierung der ganzen Division – und aller Teile, die hier eingesetzt sind – hat sich für uns die Art der Kriegführung verändert. In Frankreich hatten wir das Gefühl der Leichtfiíßigkeit gegenüber der marschiercnden Infanterie, die wir nach Belieben und Befehl überholten. Hier bewegen wir uns lang- sam in geschlossenen Kolonnen vorwärts. Ich werde mich bei näch- ster Gelegenheit auf den Horch einüben und Bertram dann von Zeit zu Zeit ohne viel Aufhebens ablösen. Ein solcher Staatswagen mit seiner gar nicht auszuschöpfenden Motorleistung ist nicht schwer zu fahren.

Wir sind jetzt schon im nächsten Ländchen, Estland, und der Un- terschied zu Litauen ist beträchtlich. Statt der Holzhäuser, die sich in die Landschaft einkuschelten, dem zivilisatorischen Unverstand unserer Massen aber Zeichen des sozialen Tiefstandes waren, gibt es hier gemauerte Kästen von enormer Scheußlichkeit. Die Landwirt- schaft hat einen industriellen Einschlag.

Unser Infanterieregiment 29 ist jenseits des Flusses eingeschlos- sen.

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1. Juli 41 . Die schlechte bunte Skizze zeigt Dir den See, an dem wir seit heute mittag liegen und an dem wir auch die Nacht verbringen Werden. Ich hatte nachtsüber Dienst, das war in Frankreich immer die Zeit zu den stillsten Briefen, aber hier fügt es sich nicht. Man könnte glauben, die Herren telefonierten auch deshalb nachts mit- einander, weil sie sich vor diesem Land fürchten.

In einem Bauernhaus habe ich wegen des Nachtquartiers verhan- delt. Ich fand eine komplette Familie – geradezu ein Wunder: Frau, Mann, der geschwätzige Vater, ein schüchterner Sohn von etwa zehn jahren und drei kleine grüne Entenkücken mit schwarzen Sehnäbeln. Der Hund habe ihre Mutter vor ein paar Tagen umge- bracht. Mit Kroatisch und dem kleinen russischen Lexikon, das mir F. geschickt hat, kamen wir ganz gut zurecht. In diesen Holzhäu- sern, an denen alles stimmt, stehen oft Fabrikmöbel, an denen nichts stimmt.

2. ]uli 41. In den letzten Minuten dieses langen Tages noch schnell ein Wort. Nach dem Bad im See zogen wir uns in den Bauernhof zu- rück zu den fünf gelben und den drei grünen Kücken und redeten noch lange mit dem Bauern – das ging zäh. Immerhin wurde klar, daß unsere Pioniere zur Reparatur einer Brücke einen Stapel Bretter von seinem Hof weggeholt haben, ohne ihm einen Quittungsschein dafür auszustellen, so daß ihm niemand den Schaden ersetzen wer- de. Darüber war er sehr traurig, und ich gab ihm zum Trost, im vol- len Bewußtsein der Lächerlichkeit solchen Tuns, ıoo Rubel (10.- Mark). Die Familie so nett, der Hof so friedlich, die Kücken nicht zu vergessen, die Art, uns ein Nachtlager zu bereiten, und ein soli- der Tisch, auf den man ıoo Rubel legen kann, Kriegsgeld, Erober- ergeld, wo gedruckt? Soll ich sagen: die Stimmung war so? Ioo m weiter war die Stimmung nicht so, da suchten die Frauen in der Asche ihres Hauses nach Resten und fanden nur noch ein paar Töp- fc.

Wir gingen um II schlafen und wurden um 12 alarmiert, fuhren nach vorn und bauten in der ersten Morgendämmerung unsern La- den in einem Gehölz auf. Es regnete kräftig, Hügel und Wälder wa- ren nebelverhangen, es wurde eifrig geschossen, es sah wie Krieg aus und hörte sich so an. Wir arbeiteten bis Mittag, dann fand ich eine halbe Stunde Schlaf, aus der ich müder zurückkehrte, als ich hineingegangen war. Wir bauten in Hast ab, eilten weiter, bauten wieder auf, Wanderzirkus. Es geht vorwärts.

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3. ]uli 41. Eine Ruhepause am Straßenrand abends gegen 8 Uhr.

Straßenränder, Höfe, Waldstücke, Scheunen – das sind die Orte un- seres Verweilens, verbunden durch Straßen, hügelan, hügelab, staubüberwölkt, oder, nach Regengüssen, wie mit Seife überzogen, das mag unser Horch nieht.

Vor einer halben Stunde, gerade als wir unsern Laden abbauten, kam einer und brachte mir Deinen Brief vom 23.6. - den ersten Kriegsbrief. Fast einen Monat werden also Brief und Gegenbrief unterwegs sein. Ja, nach des ]apaners Reise glaubte ich an eine Ent- spannung, die wahrscheinlich auch für eine nach Tagen zu mes- sende Zeit eingetreten war. Das werden wir erst später erfahren. Ln jenem Vortrag vor meinem Haufen in Frankfurt – das Manuskript mit den Stichworten muß unter den Papieren sein – habe ich vom Krieg mit Rußland gesprochen, und vorgestern war ich bei diesen Leuten, um Gerät abzuholen, und da sagten sie zu mir: Du hast recht gehabt. Sie waren begierig auf neue Prognosen, deren ich mich aber enthielt. Bertram, der mich hinfuhr, sagte: Fragt ihn nicht, sonst schlaft ihr nicht mehr.

Von den verbrannten Bauernhäusern bleiben die Grundmauern, die etwa einen halben Meter aus dem Boden ragen, und der Kamin ste- hen. Ganz unglaublicherweise stand in einem Haus, das wir vor kurzem verlassen haben und das ein Klassenzimmer und die Leh- rerswohnung enthielt, ein fast neuer Flügel, auf dem ich eine Vier- telstunde spielte. Der Unteroffizier, dessen Psycho-Porträt deshalb nicht gelingen will, weil die meisten seiner Aussprüche mir schon nach einer halben Stunde durchs Ohr gerutscht sind, und dieser Grad von geistiger Deformation nur durch die allergenaueste Wie- dergabe mitgeteilt werden könnte, Herr Hahn aus Berlin also, sag- te, als ich von dem Instrument aufstand: Ein SA-Kamerad von mir kann die Revolutions-Ouvertüre von Liszt aus dem Kopf.

Sie quatschen um mich herum, das tut dem Brief nicht gut. Um nicht Vernunft und Klarheit zu verlieren, muß ich mit List und Tücke mir Stunden des Alleinseins verschaffen. In dieser Schwemrne von Gerede und Getratsch geht alles unter. Gegen un- sern Trupp ist oder war eine Kompanie-Hetze im Gang, weil wir nicht sehr eilig waren, ein gewisses Leutnants-Waschwasser herbei- zutragen, und dauerndes Dreinreden eben dieses Leutnants beim Aufbau der Vermittlungen zurückwiesen. Mit welcher Raffinesse eine solche Hetze aufgezogen wird, kann man sich schwer vorstel- ı16 ›

len. Ich glaube, bei einem Infanterieregiment, cl.h. Bei den Kompa- nien, wäre etwas Derartiges doch nicht möglich. Bei uns gibt es aber nicht eingesetzte Teile, die hinten herumsitzen und nichts zu tun haben, und es gibt vor allem eine Menge beschäftigungsloser Wachtmeister, in Kasernenjahren haben sie sich zu Meistern der In- trige entwickelt. Gegen mich war oder ist noch eine spezielle Hetze im Gang, die Gründe sind nicht benennbar, vielleicht ist ihnen nachträglich aufgegangen, daß ich den ganzen Frankfurter Winter ein mehr oder weniger ziviles Dasein gelebt habe, und nun sind sie im Nachhinein neidisch. Aber wozu nach Gründen suchen: ihrer Dummheit, sich selbst nicht zu erkennen, Kehrseite ist ihr Scharf- sinn, das Fremde zu bemerken. Solange ich dienstlich unangreifbar bin, können sie wohl nichts machen. (Das ››machen« bestünde wahrscheinlich in der Versetzung zu einem Bautrupp, wo ich zum Beispiel mit Sicherheit meine Schreibmaschine nicht benützen könnte. Die Briefe würden kürzer.) Ich denke, es wird nicht passie- ren, ich decke mich ab, und der Trupp, ich schätze So %, das heißt 8 von io, den Unteroffizier nicht gerechnet, dem nichts lieber wäre als mich mit der Kabelrolle durch die Gegend laufen zu sehen, ist auf meiner Seite, Ist er's? Ich sprach mit Bertram darüber, wir gin- gen die einzelnen durch und kamen zu dem Schluß, daß es davon abhinge, von welcher Stelle und wie stark »Druck« gemacht würde.

Die bei mir ››Heldengeist« vermissen, sind keine Helden.

Nun fahren wir schon, es soll too km weitergehen, es wird eine an- strengende Nacht. Wir biegen nach Norden ein. Ich höre auf, es ist zu mühsam, im fahrenden Wagen zu schreiben.

Am nächsten Vormittag. Nicht ıoo, nur go km sind wir weiterge» kommen. Nur?! Daß man solche Wege mit schweren Fahrzeugen bewältigt, nachts und ohne Licht! Hätte es geregnet, wären wir lie- gen geblieben. Es gab steile Hügel zu überwinden. Wir passierten mehrere Seen, den größten als es schon hell War, silbern glänzte die Fläche.

Ich schlief auf einem Ackerweg und wachte unter der brennenden Sonne gegen io Uhr auf. Nun bin ich gewaschen, habe meine Beu- lenpest mit ]od, Niveakrem, Kölnisch Wasser und Talkumpuder behandelt – lauter Mätzchen ins Blaue hinein. Seit fast einer Woche essen wir kaum etwas anderes als dick mit Butter bestrichenes Brot – zu viel Fett und kein Gemüse, kein Obst. Eben kommt der Ruf durch die Reihe der wartenden Wagen: Fertigmachen! U7


[An die Mutter]

5. Juli 41. Nachts wird gefahren auf unergriindlichen Straßen, und der Schlaf wird stundenweise zusammengekratzt. Das bringt aller- orten Nervosität hervor, und eine ziemlich unglückliche Kombina- tion von Leuten in meinem Trupp tut das ihre dazu, daß ruhige Augenblicke selten sind. Lisl [die Schwester] hat Papa nicht im Su- detenland, sondern in Lübben im Spreewald getroffen – das cnt- nahm ich einem Zettel, der mich noch in Ostpreußen erreichte. Ich weiß nicht, wo Papas Division liegt, Wahrscheinlich ein gutes Stück südlicher als wir. [Der Vater ist, 64 ]ahre alt, freiwillig als Haupt- mann bei der 19. Panzerclivision.]

Ich habe nicht wenig lachen müssen, daß Du mir zum Obergefrei- ten gratuliert hast. Das wird man, wenn man das Vergnügen hat, länger als zwei jahrc Soldat zu sein. Dagegen läßt sich nichts tun, dafür auch nicht viel. Wer viel dafür tut, wird dann gleich Unterof- fizier und so weiter. Ich weiß nicht, was ich nach fünf Iahren werde, vielleicht Oberstabsgefreiter. Solche Leute nennt man dann alte Frontschweine. Dahin, fürchte ich, werde ich's bringen.

6. juli 41. Dieser Zettel muß weg in aller Eile, freundliche Urlauber nehmen ihn mit. Hier ist ein kleiner Fluß, in dem wir baden. Das hilft leider nicht gegen Hautausschlag infolge einseitiger Ernährung (vermute ich). Vielleicht Vitamin C? Kannst Du einen Arzt fragen, was ich nehmen soll? Ich brauche meine ganze Elastizität, um oben schwimmen zu bleiben – nicht wegen des Krieges, sondern wegen des menschlichen Milieus. So einen Krieg, nein, den Krieg so kön- nen nur Deutsche führen, verdammt, die Sprache. . . : nur Deutsche können diesen Krieg so führen – wie Postangestellte Schalterdienst machen. Aber ich denke, es wird ihnen noch vergehen. Sie sehen die Raben nicht. Da haben sie doch diesen Groß-Raben-Vater Wagner und pilgern nach Bayreuth, alle ]ahre wieder dämmern ihre Götter, ihnen dämmert aber nichts. Der Postmensch in Schmargendorf, am Schalter ganz rechts, schau ihn Dir an – mit solchen Leuten erobern wir Rußland.

[Frau Elsa Bernstein an E. K.-Sch.]

Harlaching, Hachleite 2, Pilotyhaus, j. juli 41. Und mm hat sich die Welt in diesen letzten drei Wochen wieder verwandelt, noch hàßlícher, noch 'verzerrten Uferlosig/eeit /eßllturunwıirdigen Ge- schehens... Hast Du Nachricht von Erich? Ahnung, wa er sein 118

könnte? Baronin L. aus dem 1. Stoc/e, die mich 'var ein paar Tagen hesuchze, hat ihren Sohn draußen, in Rußland, hangt, und glaubt noch an eine lange Dauer dieses Kríegsgrauens.

6. ]uli 41. Ich schlief in einem Holzschuppen, in den Häusern ist die Luft unerträglich. Noch ganz verschlafen, legte ich mich eine Weile in das warme weiche Wasser des Flüßleins. Solange ich drin war, ließ das Hautjucken nach. Der Doktor gab mir Kalktahletten, sie schmecken nach Pfefferminz, und das ist wahrscheinlich ihr einzi- ger Vorteil. Schrieb ich, daß ich die Jugenderinnerungen von Kü- gelgen aus einem zerstörten Schulhaus mitgenommen habe? Dieses stille, besonnene Buch nehme ich seitenweise ein wie Medizin.

Würde man für Gedanken bestraft – man wird ja! -, so müßten sie mich immer mal wieder wegen Fahnen-, ja wegen Kriegs- und Ge- genwartsflucht einsperren. Die aktiv nicht zu führende Auseinan- dersetzung, clas heißt also: was an Auseinandersetzung nur im Be- reich der Empfindungen und des inwendigen Monologs stattfindet – davon dispensiere ich mich zum Beispiel durch solche Lektüre, durch die Skizzen und . . . ja, sonst gibt's kaum neutrale Augen- blicke, wenn ich den Schlaf nicht rechne, den immer guten. Was ich aufschreibe, ist, glaube ich, auch dort, wo es reine Beschreibung, reiner Report ist, eher der Auseinandersetzung als den Ferien davon zuzurechnen, obschon, das ist eine vertrackte Ambivalenz, der Vorgang des Schreibens und Aufschreibens an und für sich jenen Rest eigenen aktiven Lebens darstellt, ohne den ich verkame oder verrückt würde. Zur dritten naheliegenden Möglichkeit, Amok zu laufen, fehlt mir – jede Disposition, wollte ich sagen, zögerte aber einen Augenblick, überlegend, ob das so absolut gesagt zutrifft.

Heute gab's übrigens noch eine gelungene Flucht: ich ging abends ein paar Schritte unter den Weiden des Ufers am Fluß entlang.

Das Wasser strömt über große, glatt geschliffene Steine, ich konn- te mir vormachen, ich sei in Finnland. Die Sterne spiegelten sich dort, wo das Gewässer tiefe Gumpen bildet und stillzustehen scheint.

7. ]uli 41 [Zu einer Zeichnung] An diesem Bach nach ein paar ver- geblichen Ansätzen zu zeichnen. So ein idyllisches Durcheinander von Weiden und Buchen, die großen abgeschliffenen Steine im Flußbett und ein paar Hausgiebel samt Brücke und Wasserfall – das ist kein Thema für mich. Ich kann es mit Geduld hinkriegen, aber 119


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