Mein krieg aufzeichnungen aus 2129 Tagen



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Dieselbe Straße sind wir am 29.6. unter Beschuß gefahren, in der anderen Richtung. Zerstörte Panzer, verbrannte Lastwagen erin- nerten an die Kämpfe. ››]etzt kommt das Grab unseres Kompanie- chefs«, sagte einer der Verwundeten, und da lag es neben der Straße.

»Diesen Wald haben wir gestürmt«, sagte ein anderer. Kaum ist ei- ner in Sicherheit, überzieht seine Phantasie Kriegserlebnissc mit Goldstaub.

Es war längst dunkel, als wir Dünaburg erreichten. In der Zitadelle lud man uns an der Krankensammelstelle aus. Wieder sah sich ein Arzt meine Marschpapiere und meine Beine an und sagte dann, er werde mich weiterschicken. Das heißt: noch weiter zurück. All- mählich komme ich mir komisch vor. Wohin nun? Wahrscheinlich per Zug memelabwärts.

Ich machte einen kurzen Streifzug durch die Festung und kam auf einen Platz, wo gerade aus einer ungeordneten Masse von ein paar tausend russischen Gefangenen Marschkolonnen hergestellt wur- den, uncl zwar von lettischen Polizeioffizieren in prächtigen Uni- formen. Diese Herren machten sich ein Vergnügen daraus, mit ih- ren Gummipeitschen russische Rücken zu schlagen. Abgesondert auf einer Kirchentreppe standen fünf Mädchen in nagelneuen Mili- tärmänteln, Russinnen, mitgefangen. Sie waren heiter, und eine war ausgesprochen hübsch. In Rositten sah ich eine Menge deutscher Soldaten mit ihren stattlichen lettischen Schätzen spazieren- gehen.

Soeben werden Namen aufgerufen, vielleicht geht es weiter.

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Es ist Sonntag früh, der 28.9.41, und wo sind wir? In Insterburg! Es ist nicht zu glauben. Ich sitze in einem z. Klasse-D-Zug-Wagen der französischen Linie Paris-Orleans et du Midi, der sonst fröh- liche Pariser ans Mittelmeer bringt und jetzt, von uns geklaut, Teil eines Lazarettzuges bildet, in dem genau 347 Krieger, teils liegend, teils sitzend nach Deutschland fahren. Ich kenne die Zahl, denn ich habe mich erbotcn, im Küchenwagen mitzuhelfen und Brote zu machen, 1o4ı Brote abends, ebensoviele morgens, und davon sind 320 mein Anteil. Der Zug beginnt mit zwei Betten- Wagen, dann kommt die Verwaltung, die Küche, der Vorrats- wagen, der Heizwagen, und dann etwa acht Waggons aus Frank- reich für die Leichtverletzten und Kranken.

Bei Licht betrachtet, fehlt mir außer den verbundenen Beinen nichts. Statt mich ins Reich zu fahren, hätte man mich in jedem Revier ausheilen können, um mich dann einer diesen Füßen ange- ınessenen Verwendung zuzuführen. Aber ich bin weder dazu da, Vernunft zu verbreiten, noch gabe es jemand, der mir sie ab- nähme. Ein Frontsoldat aus Rußland, der nicht ›ins Reich< wollte, könnte nur ein Verrückter sein.

2. Oktober 41. Eine Menge Bücher in Stettin gekauft: E. v. Hart- mann, Staat / Marc Aurel / Andersen, über sein Leben / Seeckt, eine Biographie, goo Seiten dick / Coolen, Wirtshaus zur Zwie- traeht / Bergengruen.

Ich bin es seit langem leid, mit Bleistift zu schreiben, und habe mir deshalb jetzt Tinte und einen Federhalter gekauft. Man sollte meinen, ein Federhalter sei ein Stück gefrästes und geglät- tetes Holz, an dem nichts zu verderben ist; damit aber doch keine Ware bleibt, die nicht nach Ersatz aussieht, so ist dieser Feder- halter mit einer klebrigen blauen Farbe angestrichen, die sicher nie ganz trocken wird. Ich habe ihn im Lazarett mit Leukoplast umwickelt, und nun ist er ein echter Kriegsfedcrhalter. Im Schau- fenster der Buchhandlung sah ich ein Plakat mit folgendem Text: Papier ist knapp! Spare!

Mache wenig Worte oder Postkarten!

Ich kehrte in den Laden zurück, und weil ich doch gerade einen Großeinkauf getätigt hatte, wurde ich sehr höflich empfangen: Wünschen der Herr noch etwas? ]a, sagte ich, würden Sie mir das Schild erklären, das im Schaufenster steht? Steht da ein Schild? Sagte der Verkäufer, oder war es der Inhaber? Wir traten vor 193


den Laden. Ach, sagte er, das meinen Sie? Das ist das Schild, das Plakat, sagte ich, und idı meine, was bedeutet ››oder«? Er las den Text. Das bedeutet, man soll Postkarten schreiben, sagte er, wis- sen Sie, Briefpapier ist sehr knapp. Sehen Sie, sagte ich, das dachte ich mir eigentlich, und Weil ich mir das dachte, deshalb meine Fra- ge: wieso »odeı-<

Das kommt davon, wenn man ein beschäftigungsloser großdeut- scher Reichssoldat ist in Stettin.

Lazarett Neustettin, 3. Oktober 41. Ich möchte wohl wissen, wie viele jahre ich noch in Gesichter schauen muß, die mir widerlich sind; eine Luft atmen, die stinkt; schlechtes Essen auf eine Art zu mir nehmen, die nur noch unterboten wird von der Art, wie die andern essen; Geschwätz anhören, das mich langweilt. Und wie lange ich, das ist das Schlimmste, dieses gemeine erbärmliche Ra- dio hören muß. Hier auf der Stube steht kein Lautsprecher, aber vom Flur her tönt es doch. Als ich in Stettin beim Essen saß – nirgends ist man davor sicher -, gingen plötzlich die Nachrichten los. Die Sprecherstimme ~ diese Arroganz, dieser Optimismus, diese Verhöhnung von allem, allein durch den Tonfall! Nachts irgendwo irn Gelände Posten stehen, und plötzlich, nur ein paar hundert Meter entfernt, legt eine 10,5-Batterie los » das spürt man durch und durch, aber es berührt nur die Nerven, nicht den Geist, es schmerzt körperlich, aber es ist nicht ekelhaft wie der Krach aus den Lautsprechern.

In der Buchhandlung, in die ich täglich gehe, sagte ich, daß ich hoffte, bald nicht mehr hier zu sein. ››Ach«, sagte die nette Ver- käuferin, »drängen Sie nicht fort. Hier haben Sie's doch ruhig« Sie verkörperte die pure Vernunft, verglichen mit mir. Noch vor drei Wochen wäre mir so ein Städtchen mit seinem See, seiner 194

Stille traumhaft vorgekommen. Aber es hilft nichts, ich bin sehr übler Laune (es lebe die Front, wo ich's nie bin!) und verfalle auf zwei Gegenmittel: Orgelspiel und eine Einladung an Flöhrchen, das Wochenend hier zu verbringen. Ich rief sie an und schilderte ihr den Frieden und das gute Essen im Hotel »Kt-run« in den leb- haftesten Farben.

[W/.1~:.süSkimi an BK.-s@1¬.]

Arnbaeh, Starnberger See, zo. Oktober 41. Gestern ist das Ms [eine Zusammenstellung der neuen Briefe aus der UdSSR] end- lich an die angegebene Berliner Adresse gegangen, und gleich- zeitig fiel mir ein Stein vom Gewissen, den Sie his nach Über- lingen gehört haben mußten. Wir haben die Aufzeichnungen wie- der mit dem gespanntesten Interesse gelesen – au/ler den mund- lichen Erzählungen eines Bekannten sind sie der einzige Bericht, aus dem wir uns wirklich ein Bild 'vum wirkenden Geschehen da driiben machen konnten. Und da jener Bekannte nur ein paar Wochen im Osten war und auch Erich: Aufzeichnungen nur über ein Vierteljahr gehen, nehme ich fast an, daß der Osten auch starke Herzen in ihrer Mitteilsamkeit und, ich fürchte sogar: ihrer Verarheitungskraft lähmt. Der oríentierungssuchtige Leser bedauert, daß es rnit dem Tagebuch so früh zu Ende geht, er be- dauert vor allem, dafl der Erzähler nicht auch in den Suden, will sagen zum Anblick der bolschewistisehen Städte gekommen ist – aber das ist ein menschlich häßlícher Wunsch, Praehtvoll sind wie- der die ins Allgemeine gehenden Betrachtungen, etfwa über die Wirklichkeit und uber das Traurnleben der kleinen Leute, uber- haupt der ständige Anruf, daß Adel zıerpfliehtet.

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IN ZÜLLICHAU – W01-IIN DU VON BOMST AUS KOMMST

4. November 41 [Züllichau, Kaserne]. Die Frage, ob Du in Über- lingen bleiben sollst oder nach Weilheim gehen; ob wir die Ber- liner Wohnung aufgeben oder was wir damit tun; ob Du die Schuhproduktion, die in keinen Behörden-Schuh hineinpafšt, wei- terführen kannst, und wenn, ob es sinnvoll ist, es zu tun, ob ich und wie lange ich hier bleibe undwic ich künftig verwendet werde: alles kann sich so oder so entwickeln. Was Dein Leben betrifft, hat es wenigstens Sinn, planende Überlegungen anzustellen; das meine ist auf ein Roulette gesetzt.

Diese Kaserne macht mir den Eindruck, als sei sie von Schwach- sinnigen bewohnt. Sie werden den ganzen Tag nicht wach, ihr Status als ››Genesende« verhindert, daß sie scharf angefaßt wer- den, und nun krauchen sie so herum, müssen die Flure fegen, ir- gendwelches Zeug im Keller ein- oder auspacken. Das mache ich nicht mit. Gelingt es mir nieht, Arbeitsurlaub zu bekommen, so miete ich mir ein Zimmer und arbeite dort. Es soll hier einen ver- ständigen Militärarzt geben.

11. November 41. Bitte schicke mir die Briefe alle: aus dem Schub- fach im Schreibtisch, aus dem Paket, das ich in Ostrowo abschickte, und jene, die ich im schwarzen Koffer verstaut habe. Beniitze nicht die Feldpost, sondern mache bitte ein dringendes Paket daraus, postlagernd hierher. Du brauchst die Papiere nicht durchzusehen und zu ordnen, es macht nichts, wenn manches doppelt ist, Origi- nal und Kopie. Ich habe hier Zeit.

Ich war beim Pfarrer, er heißt Leppin, wegen der Erlaubnis, in seiner Kirche die Orgel zu benützen. Er sagte, an jedem Dienstag- abend träfen sich Soldaten im Pfarrhaus, und setzte hinzu: »Es ist ein neutraler Ort.« So etwas kann ich nicht hören, und ich ant- wortete: »Auf einem Ozeandampfer wurden Zuchtpferde trans- portiert in einer Art Stall, genau dem des Gestütes nachgebaut, auf dem sie aufgewachsen waren. Ein ganz neutraler Ort. Sie wa- ren erstaunt, als sie den Stall in New York verließen. « r3.November 41. Hier merkt man die Nähe der polnischen Gren- ze schon sehr. Seit zwei Tagen stürmt es durch den noch schnee- losen Ort, große Staubwolken jagen durch die Straßen. Als ich in der Kirche spielte, übertönte der Sturm die leiseren Register. Es ist 196


eiskalt, und ich sehe nur mit Grausen in den Hof hinunter, wo Rekruten exerzieren. Heute früh habe ich mich wieder dem Arzt vorgestellt, er hat mich – für acht Tage ins Bett verwiesen. Am linken Fuß haben sich oberhalb des linken Knöchels wieder zwei kleine Stellen gebildet, und als ich ihm sagte, so hätten im Som- mer die Entzündungen angefangen, sagte er: marsch, ins Bett und den Fuß stillegen. Ich konnte vermeiden, ins Revier gelegt zu wer» den – ich liege auf der Stube in meinem Bett oder was sich so nennt, und da dergleichen beim Kommiß nicht vorgesehen ist, so kümmert sich überhaupt niemand mehr um mich. Ich lese die Sie- ben Säulen [von T. E. Lawrcnce], dieses Gebirge von Buch wird gerade reichen, bis die Briefe hier sind, und dann habe ich ja etwas zu tun.

14. November 41. Im Lawrence bin ich auf Seite 270. Wenn ich wüßte, wie sonst die Zeit verbringen, würde ich all die Seiten überschlagen, auf denen immerzu Kamelritte durch zweifellos großartige Landschaft beschrieben werden » aber was soll das? Sobald ich auf Tiefsinn stoße, den ich nicht durchschaue, bin ich rasch geneigt,ihn für Schwachsinn zu halten. Wenn ich etwas nicht verstehe, weil es schwierig gedacht ist, stellt sich diese Reaktion natürlich nicht ein, da hat man ja etwas zwischen den Zähnen.

Aber dieser Lawrence – ich weiß nicht, vielleicht ist der Kaiser nackt und es getraut Sidi nur niemand zu sagen. Schreiben kann er » kein Zweifel -, aber ich trau ihm nicht, nicht seiner politischen Bedeutung, nicht seiner geistigen.

Es gibt einen neuen Modeschlagerz ››Wenn sich die späten Nebel drehn, will ich an der Laterne stehn wie einst, Lilly Marlen . . .<< Jeder pfeift die Melodie und jeden Abend spuckt sie das Radio mir in die Ohren e offenbar muß man dieses Lied gedehnt und in kindischem Tonfall singen f es bringt mich zur Verzweiflung.

Gott sei Dank ist kein Radio auf der Stube.

17. November 41. Die meisten dieser ››Genesenden« kommen aus Afrika, sie sind nicht verwundet, sondern krank: Ruhr, Magen, Herz, usw. Da die Schiffe nicht mehr durchkommen, wurden sie mit Flugzeugen transportiert, und zwar bis Athen. Was sie von dort berichten, ist sehauderhaft. Die Griechen bekommen 25 g Brot pro Tag, d. h. sie gehen in die Bäckerei, eine Scheibe Brot wird vom Laib abgeschnitten, die sie bereits an der Ladentür ge- gessen haben. Für ein Kommißbrot werden ro, 15 und zo Mark 197

geboten, der Kurs steht bei 60 Drachmen gleich 1 Mark. Ein Brot kann also Izoo Drachmen kosten,einen Monatslohn. Die Soldaten sahen auf den Straßen Zivilisten umfallen vor Entkräftung und verhungernde Kinder.

Hingegen konnten sie auf der Durchfahrt in Jugoslawien Brot und Butter auf den Bahnhöfen kaufen. Die Züge fuhren mit mili- tärischem Schutz, im südlichen Serbien ist noch oder vielmehr wie- der Krieg, die Züge werden beschossen.

Frankfurt/Oder, 19. November 41. Ich bin hier, um mich morgen früh dem Orthopäden vorzustellen. Vorhin war ich eine Stunde beim General Lichl [Kommandeur der 3. Inf. Div. Während des Feldzuges in Frankreich] Er liegt verwundet im Krankenhaus und sieht recht zerknittert aus. Wir plauderten über unsere Musik in Prüm, über Vézelay, über Romain Rolland. Generale im Bett, selbst wenn sie fast 2 m groß sind, verlieren an Reiz. Braver Sol- dat besucht seinen alten General: unter diesem Titel mag der Be- such für ihn gelaufen sein. Ich fragte mich nachher, warum ich ihn eigentlich besucht habe, und entdeckte: braver Soldat besucht sei- nen alten General.

Abends. Zwei Stunden Orgel gespielt, hernach war ich blaugefro- ren. Morgen zur Feier des Totensonntags wird geheizt sein. Bevor im Gottesdienst die Lebensläufe der gefallenen Schüler des Alum- nats verlesen werden, spiele ich dic c-moll-Fuge von Bach.

Samstag abend – die Kaserne ist leer, was für ein Segen! Ich möch- te wohl wissen, was der ganze Haufen von jetzt bis Mitternacht in diesem Nest tut, wo es weder etwas zu essen noch etwas zu trinken gibt, außer ››Stammgerichten« und einer Plempe, mit der man Kühe vergiften könnte. Als Schreibunterlage benütze ich das letzte Heft der ››Dame«, das stupideMädchengesicht rnit den versehwim- menden Augen auf dem Titel schaut mich an,wenn ich das Schreib- blatt wende. Lm Innern findet sich ein 4-Seiten-Lob für die Kitsch- Zeichnerin Hanna Nagel. Mit mehr Vergnügen lese ich die Jugenderinnerungen von Fallada, die fortlaufend abgedruckt werden. Das War eine Familie von Käuzen! Von der Nagel bis Fallada – Sentimentalität und Sozialromantik, unser tägliches Brot gib uns heute.

23. November 41. Ich han mein Lehen! Ich habe einen geheizten Raum im Ort, wo ich eine Schreibmaschine hinstellen und die Tür zumachen kann! Bei Herrn lckel. Bei ihm kaufte ich täglich die 198

Zeitung, und gestern kamen wir ins Gespräch, Steiniger-Produkte lagen herum, mit denen er einen erheblichen Teil seines Umsatzes macht, und ich gestand, ohne rot zu werden, ja, mich dessen be- rühmend, meine Beziehungen zu dem Unternehmen. Da er auch Bücher verkauft, erinnerte er sich plötzlich, meinen Namen auf Rundbriefen des Verlages und unter Anzeigen im Börsenblatt ge- lesen zu haben. So fiel ihm denn ein, daß sich in seinem zweiten Haus in der Mansarde ein zentralgeheizter leerer Raum befinde.

Hier schreibe ich im Augenblick, während das Mädchen noch den Boden scheuert und Frau Ickel die Weckgläser fortträgt, die sie hier gelagert hatte. Herr lckel ist klein und bucklig, ähnelt etwas dem Reichsfinanzminister Funk. Vor zehn Jahren hökerte er in einem Papierlädchen und war außerdem Buchbinder. Auf den Flügeln der Konjunktur ging es rapid mit ihm aufwärts. Heute ist er NS-Propagandaleiter im Kreis, handelt mit Spielsadıen, Kunstgewerbe, Büchern, Papier, Schreibmaschinen, Briefmarken, seine Buchbinderwerkstatt läuft auch. Alles ist zugeschnitten aufs Züllichauer Publikum. Er spricht vom Dienst an der Kultur und seiner allgemeinen Aufgabe, und dabei wird er stikum ein reicher Mann. Seine Wohnung ist nagelneu eingerichtet. Eben bringt Frau Ickel eine Stehlampe, Stuhl und Tisch sind schon vorhanden, da- mit ist die Einrichtung komplett.

Z4.N0vember4ı. Gestern bei Kerzenschein in der wunderschönen Kirche gespielt, es waren viele Leute da, und alle gingen zufrieden durch die Öde dieses Kaffs nach Hause. Sentimentalität und R0» mantik † na siehstc, würde Jeanne sagen. Der olle Bach als Schmicrscife, dick in die Gehirne gestrichen.

25. November 41. Nun will ich lesen, was gestern aufs Papier kam, und dann weitermachen. Die Zeit wird einmal kommen, in der der Wert einer Veröffentlichung dieser Niederschriften von der Authentizität bestimmt wird. Jetzt aber bleibt ınir bei diesen Texten einfach nichts anderes übrig, als sie zu bearbeiten, denn wenn ich sie nur kürzte, blieben als vorzeigbar schließlich nur Landschaftsbeschreibungen und der übliche Kriegsquatsch übrig.

Das kann nicht der Sinn eines Manuskriptes sein, das Freunde le- sen sollen. Es muß etwas von der Personalitat erhalten bleiben dessen, der da schaut und schreibt, und dazu muß ich dosieren, ab- mildern, verdünnen – also bearbeiten. Nun, das macht nichts, da- mit sind die Originale ja nicht vernichtet.

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[An Dr. List, Leipzig. Ohne Datum (Ende November 41)] Inzwischen habe ich einen Raum gefunden und, wie Sie sehen, auch eine Maschine. Die Zeit erliste ich mir. Ich habe bereits den Abschnitt »Aufbruch zur Grenze« geschrieben und bin gut im Zug.

Züllichau, das zwar einen Bahnhof und einen Wasserturm hat, bietet kein weibliches Wesen, das imstande wäre, die Reinschrift des Ms. Zu übernehmen. Die Person, die in Frankfurt für mich schrieb, ist verschollen. Das ganze Ms., einschließlich des französi- schen Teils, muß neu mit drei Kopien geschrieben werden. Die Frankfurterin war billig und machte es für 40 Pf. Pro Seite, Pa- pierkosten extra. Könnte mir der Verlag eine solche Kraft ver- mitteln?

Die russischen Briefe sind schwerer für ein vorzeigbares Manu- skript zu verarbeiten als die französischen, sie sind viel persön- licher, und die internen Beziehungen, vor allem meine Beziehung zu dem Unteroffizier [I-I.], nehmen einen zu großen Raum ein – ich staunc, welchen Raum von Anfang an! -, das alles ist nicht zu verwenden. Jetzt jedenfalls nicht.

[An eine Bekannte in Berlin]

1. Dezember 41. Ich arbeite, ich arbeite, und habe in einer Woche 60 Seiten Manuskript geschrieben, das War noch nie da, und viel- leicht taugt es auch nichts, vielleicht aber doch. Immerhin, die Arbeit versöhnt mich sogar mit Züllichau, ich finde meine Zeit nützlich verwendet. Bin idı mit der Arbeit fertig, diesem zweiten [russischen] Teil der Briefe, die im Ms. Keine Briefe mehr sind, so wollen der Verlag und ich versuchen, ob wir uns damit einen Weg in die Freiheit bahnen können, ich meine, in die Freiheit für mich, die darin bestünde, etwas Sinnvulles zu tun.

3. Dezember 41. Heute finde ich meine Schreiberei über alle Be- griffe langweilig. Alles hängt mir zum Halse heraus. Aber keine Angst, ich laß es nicht liegen. Den morgigen Tag verliere ich ganz, die NSV [Nationalsozialistische Volkswohlfahrt] lädt die Gene- senden-Kompanie nach Odereck zum Mittagessen, Kaffee und Abendessen ein, der Dank des Vaterlandes sei den Plattfiíßen ge- wiß. Ich soll den Bericht fürs Züllichauer Blättchen schreiben.

g. Dezember 41. Ich habe einen grundverlogenen Bericht über den Odereck-Ausflug für die Züllichau-Schwiebusser Kreiszeitung ge- ZOO


schrieben. Er wird gewiß erscheinen, aber auf Aktualität kommt es nicht an. Einem Igel müßten die Tränen kommen, wenn er die- ses Dokument läse, in dem die Front der Heimat die Hände reicht.

Es steht nichts wirklich Schlimmes drin, es wird weder die Partei gefeiert noch ihre Führer, noch ihr Führer, und daß uns ››dieNSV durch den Mund des stellv. Kreisamtsleiters PG Goldbach will- kommen hiefš«, ist ein Faktum, aber an diesem Zitat siehst Du, auf welchen Ton der Bericht gestimmt ist. »Ein Spaziergang durch die winterliche Landschaft zum Oderbogen wurde unternommen«

• woher man plötzlich ein solches Deutsch nimmt? Ich kann nur sagen: es floß mir aus der Maschine, und niemand wird es für eine Parodie halten. Ich halte es auch nicht dafür. Ich habe einfach den Schmus im Ohr und kann ihn produzieren.

Wir haben fabelhaft gegessen. (Im Bericht heißt das: »Der Koch in der Kaserne möge es uns nicht übelnehmen, wenn wir sagen, daß wir schon lange nicht mehr so gut gegessen haben wie in Oder- eck. Wehrmachtssuppe ist gewiß nahrhaft, aber ein Rehbraten ist besser . . .«)

Mit dem Autobus fuhr ich zurück, im Schulinstitut wurde Musik gemacht – wunderschön! Unsere in Prüm War nicht besser, der Geiger am ersten Pult um Etagen besser als ich, allerdings auch ein recht bekannter Mann aus Berlin. Weiß der Teufel, Wo dieses Publikum herkarn, niemand davon sah ich je in den Straßen, ele- gant und mit Gesichtern versehen anstelle der üblichen Pfannku- chen. Der Saal War voll. Kerzenlicht. Wie ist man geneigt, sich widerstandslos so einer Stunde, so einem Raum, so einer Stim- mung zu überlassen. Aber weder mit Kriegsgericht noch mit Mo- zart werden sic mich kleinkriegen. Nichts ist wahr als der Krieg und was er zudeckt.

[Von Hanshcinrich Bertram, der nach wie vor bei der 3. Inf. Div.

Ist und sich mit ihr auf dem langen Weg nach Stalingrad befindet]

23. Dezemher 41. Eine ungewohnte, geradezu märchenhafte Ruhe herrscht in dem /eleinen russischen Kasernenstühchen, das ich seit gestern hewohne. Der Trupp ist – höre und staune/ - als Sicherung eingesetzt, und nur dadurch, dafl ich his zum Ahend mit dem Tanlewagen unterwegs war, brauchte ich nicht rnit. Wir befinden uns also am Vorabend des Weihnachtsfeste: in einer gewisserma- ßen deli/eaten Situation, deren nähere Umstände ich Dir als mili- ZOI

tarisch leorre/eter Briefschreiher nicht mitteilen leann. Deine Briefe heleam ich alle, und inzwischen wirst Du .auch meine erste Ant- wort hahen. Meine Schreihlust ist anhaltend gering, um so mehr freue ich mich aher ıäher Deine Briefe. Laß Dich durch Schweigen meinerseits nicht entmutigen, mich üher Deine hunten Erdenwege auf dem Laufenden zu halten. Ich denlee gern an Dich. Ln man- chem hist Du ein Vorhild, in manchem Ma/lstah, in manchem ein merlewiirdiges Phanomen – jedenfalls aher ein Mensch, dem ich mich sehr 'uerhunden fühle.

Die letzte Zeit des Feldzuges war entschieden die unerfreulichste, die ich erlehte. Einerseits der Winter mit hisher allerdings einma- liger Kalte 'von 3; Grad. Ich hasse den Frost. Du erinnerst Dich an meine hihhernde Gestalt im Kretschrnannschen Chronikquar- tier! Dann und andererseits ein dauerdes Hin- und Hergewor- fenwerden. Einrichtung 'vun Behausungen auf weite Sicht, die dann hereits nach Tagen wieder aufgegehen werden mußten.

Dann Wochen eine ganz enge Unterleunft mit einer /eleinen, 'uon uher 30 Mann helegten Stuhe.

Am meisten aher setzten mir leiirzlich einzelne Tage zu, in denen ich mich durch hegrundete Aussicht auf Studienurlauh hereits zu Hause wiíhnte, dauernd von Hoffnung zu Enttäuschung pendelte, his die Sache endgiiltig ins Wasser fiel. Mehrere Male schien die endgiiltige Winterruhe hegonnen zu hahen, Urlauhslisten wurden aufgestellt, der Platz für den Christhaum festgelegt, doch wenig spater gah es eine 'völlig neue Lage mit Aufhruch und Umzug in tausend Variationen. Ganz zum Schluß waren wir hereits mehrere hundert Kilometer westlich gehraust, mit erwartungsvoll ge- schwellter Brust, wie Du Dir denleen kannst. Am iihernachsten Tag fuhren wir dieselbe Streclee zuruitle.

So spielt der liehe Gott ein hi/šchen Blindeleuh mit uns und strei- chelt unsere Nerven. Das verschneite russische Land ist fraglos von erstaunliche-r Großartigheit, Teils mit idyllischem, teils mit erhahenem, teils mit unwirhlich schauerlichem Einschlag. In gute Pelze gehiillt, nehen Tatjana oder Natascha im Schlitten sitzend, würde ich es genießen. So mu/Z es hei der zwischen den Zähnen hervorgequetschten und gern wiederholten Feststellung hleihen: das gottfverdammte Rußland. Da nach Entwiclelung der Dinge mit einer langen Kriegsdauer zu rechnen ist, heschäftigt mich die Frage, wie diese Zeit hestehen? Dein Motto: hie Rhodus,hic salta/, 202


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