Mein krieg aufzeichnungen aus 2129 Tagen



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Bertram sah das Unheil nicht in seinem ganzen Umfang kommen, woraus ich ihm keinen Vorwurf machen kann (das ist nur eine Re- densart, ich bin weit entfernt, irgend jemand außer mir einen Vor- wurf zu machen) – wir wußten beide nicht, in welchem Maße sich die Kaste angegriffen fühlte. Ln normalen Zeiten gelesen, werden diese Frankreich-Briefe, so wie sie für das List~Manusl-xript gekürzt und redigiert worden sind, fast jeder politischen Aussage bar er- scheinen. Und wir haben eben normale Maßstäbe und normale Vor- stellungen im Kopf. Doch diese Normalität ist derzeit Dynamit – und das ist etwas, was ich so ganz und gar nicht wahrhabcn will, so daß mich sogar die Erfahrungen mit dem OKW nicht dazu gebracht haben zu Wissen: ab jetzt bist du gestempelt.

Zu den 9 Seiten hat das Gericht gesagt: ich hätte sie aus Rache dafür geschrieben, daß mir H. jene sechs Tage Arrest verschafft hatte. So malt sich das in solchen Köpfen. Ich konnte nicht entgegnen: das 150

habe ich geschrieben, weil mir in diesen Wochen die Vorstellung unerträglich geworden ist, daß die Zeit in einem derartigen Subjekt triumphieren durfte. Die Anklage hatte auch den Versuch gemacht, mich auf Grund einiger Zeugenaussagen sogenannter Kameraden politisch in den Griff zu kriegen. Aber dabei ging es wie mit dem Manuskript: die Texte sind fein gesponnen, und als mir in den For- mulierungen der Zeugen eigene Aussprüche serviert wurden, da dachte ich, daß ich doch nicht von allen guten Geistern verlassen War, und begriff daran den Grad von Verstellung, zu der sich unser- einer schon so trainiert hat, daß sie mir fast natürlich ist. Das Ge- richt lehnte in der Urteilsbegründung ausdrücklich ab, es habe mir einen politischen Strick drehen wollen; Wörtlich: »Daß der Ange- klagte der Meinung ist, der Krieg dauere noch sehr lange, und daß er von Anfang an der Meinung war, dieser Krieg erstrecke sich über viele jahre, und auch die Ansicht, wir benötigten Rußland, um die Ernährungslage in Europa zu sichern, können ihm nicht zur Last gelegt werden. Wer recht hat mit solchen Prognosen, das kann heute niemand sagen.« In meiner Verteidigungsrede hatte ich ge- sagt: Wer wird wohl länger durchhalten? Diejenigen, die alle drei Monate das Kriegsende herbeikommen sehen und sich von Enttäu- schung zu Enttäuschung durchschlagen, oder einer, der sich dar- über klar ist, daß sein ganzes Leben von dieser Auseinandersetzung bestimmt sein wird, und der trotzdem gelassen und guten Mutes seinen Dienst tut?

Sie sahen nicht, daß mich ein bloß minderwertiger Charakter nicht in diesem Maße provoziert hätte. Nirgends, weder in dern, was ich geschrieben habe, noch in dem, was Zeugen als meine mündlichen Äußerungen zitieren konnten, kam eine Andeutung davon vor, daß dieser SA-Mann H., Plünderer in der >›Kristallnacht« nach eigenem Zeugnis und Rühmen (Brillanten aus dem Schaufenster eines jüdi- schen juweliers in Berlin), nur um des Urnstands willen, daß er das Ideal des Volksgenossen darstellt, meine Vernunft außer Funktion gesetzt hat. Hier offenbart sich meine eingefressene, unüberwindli- che, unausrottbare Solidarität mit dem Volk, das ich verabscheue in dern Zustand, in dem es ist. Ihm angehörend, fühle ich mich belei- digt. Was für ein Unfug! Was gehen mich diese Leute an? Und was für ein Glück, daß Weder das Gericht noch sonst jemand durch- schaute, wie es um mich bestellt ist.

Oft genug wahrend des Verhandlungstages bei 5; Grad im Schat- 151


ten, desungeachtet der Kriegsgerichtsrat von mir verlangte, ich sollte im ››Stillgestanden« mit ihm reden, hat er von Wehrkraftzer- setzung gefaselt, und daß ich auch mit dem Tode bestraft werden könnte. Das war nur Schau und sein persönliches Engagement (das Manuskript lag nicht nur auf dem Tisch vor ihm, er hatte es auch ge- lesen) – aber die Sache ging doch nur so glimpflich ab, weil sie ihr nicht auf den Grund kamen. Zuweilen hatte ich sogar den Ein- druck, daß dieser tobende Jurist für Minuten den NS-Lärm in sei- nem Gehirn abstellte und versuchte zu überlegen: was ist das eigent- lich für ein Mensch, der da vor mir steht?

Als ich gerüchtweise am Samstag nachmittag erfahren hatte, daß die Verhandlung am Sonntag stattfincle, sprach ich mit Pfarrer te Reh, in dessen Gottesdiensten ich die Orgel gespielt hatte im Pfarrhaus (er war bei dem Nachtgespräch vor Beginn des Feldzuges dabei), und ich sprach mit Hauptmann v. Bissing von der Abt.Ic der Divi- sion, mit dem es in Prüm und in Frankreich zu mancherlei undienst- lichen Gesprächen gekommen war. Ich wollte einen von ihnen als Verteidiger gewinnen. Beide kniffen. Es war ihnen gerade deshalb schrecklich unwohl, Weil sie nicht Wußten, was da etwa an politi- schen Gesichtspunkten behandelt würde. v. B. meinte, er kenne die Materie nicht, die Zeit sei zu kurz, sich einzuarbeiten, und der Pfar- rer schaute mir treu in die Augen und sagte: Aber lieber Kuby, Sie verteidigen sich doch am allerbesten selbst. Das war ein schlechter Rat, ich wußte es, aber was blieb mir übrig? Ich ging al- lein in die Verhandlung.

Sie War ein Schauspiel. Es waren fast sämtliche Offiziere der Kom- panie, die Pfarrer, Offiziere der Abteilung und Wachtmeister der Kompanie anwesend – eine Horde, ein Volkschor, der mit Gemur- mel, Gelächter, Ausrufen die Stimmung anheizte. (Es war glühend heiß in dem verhältnismäßig kleinen Raum eines Bauernhauses.) Ich konnte kaum einen Satz beginnen, ohne angefahren zu werden, ich sollte mich genau und nicht so unmilitarisch ausdrücken. Von ei- nem Beisitzer ließ der Kriegsgerichtsrat ohne jeglichen Anlaß, auch nur zur Stimmungsmache, den Brief des OKW über mein Manu- skript verlesen. Ich stellte fest, er enthielte kein Wort, das meinen Charakter oder die sachliche Richtigkeit meiner Beschreibungen in Frage stelle. Da kam die höhnische Frage, ob ich dieses Urteil des OKW über meine Arbeit als Zustimmung empfände. (Der Saal lachte, der Saal lachte sehr oft, bös und tückisch. Der Saal, d.h. Da 152


waren noch zwei Meter Raum hinter mir bis zur Wand, vollgestopft mit den Figuren.) Als H. äußert, im Stürmer-Jargon, was er von der Kirche hält und dem Christentum, kommt auch Gelächter auf, aber da wird es dem eher konservativen Kriegsgerichtsrat zuviel, er weist Hfs Äußerungen zurück, man zieht es daraufhin vor, weniger Hei- terkeit an den Tag zu legen. Überhaupt verschiebt sich das Bild, je länger die Verhandlung dauert: erstens deshalb, weil der Kriegsge- richtsrat vorweg die Zeugen auftreten ließ, deren er sich sicher war, dann die andern, Bertram ganz zuletzt, dessen Objektivität, weil er »mein Freund« sei, in Frage gestellt Wurde. Zweitens weil H., je mehr er davon überzeugt war, daß ich eine schwere Strafe bekäme, sich zunehmend als Mittelpunkt empfand und die Gelegenheit be- nützen wollte, seine Gesinnung zur Darstellung zu bringen. Da schieden sich, was die Offiziere anging, die Geister, und nach und nach lichtete sich das Publikum.

Um 6 Uhr abends war Schluß, Ich als einziger hatte die ganze Zeit stehen müssen, Rock bis zum Hals zu, umgeschnallt. Ich ermüdete aber nicht, und meine Selbstverteidigung ~ Bertram meinte, ich hätte eine halbe Stunde gesprochen – war so, daß sie aufhörten zu la- chen, und als die Verhandlung nach meinem Schlußwort unterbro- chen wurde und wir vors Haus gehen konnten bis zur Urteilsver- kündung, meinten einige: na, sie werden dir ein paar Wochen ver- passen. Aber das wußte ich besser. Sie hatten diese Sache nicht so groß inszeniert, um sie ausgehen zu lassen wie das Hornberger Schießen. Immerzu hatte der Vorsitzende von »Zersetzung der Wehrkraft« gesprochen, weil durch mein Verschulden der Trupp in zwei Lager zerspalten worden sci. Nachmittags hatte ich allerdings den Eindruck gewonnen, daß der Kriegsgerichtsrat vor allem die ››Widersetzung« zum Anlaß der Strafe nehmen wollte. Und so kam es auch.

Ich gab mein Seitengewehr ab – welch ein symbolischer Akt für meine Nichtteilnahme am Krieg! - und wohne bei den Feldgendar- men. Bertrams Ausspruch, als wir nebeneinander in die Mittags- pause gingen: Das steht dir!, sei nicht unterschlagen. Unpassen- derweise brach ich darüber vor dem ganzen giftigen Haufen in schallendes Gelächter aus.

Gestern rief der Kompaniechef meinen alten Trupp zusammen, na- türlich ohne mich, aber alles spielt sich auf dieser Wiese am Dorf- rand ab. Unter der Birke gelagert, hörte ich Satzfetzen, und was ich 133

nicht verstand, ergänzte nachher Bertram. Gernert sagte, wohl kei- ner hätte ohne tiefe menschliche Teilnahme das Urteil gehört. Ich hätte Fehler gemacht. Sie aber – zu H. - haben schwere, bedenkliche Mängel gezeigt. . .usw. Ich sagte zu Bertram: Soll mich das freuen? Na hör mal, sagte er, immerhin _ . .! Mein Wachtmeister ließ mich nicht aus den Ohren, ich konnte B. nicht sagen, was ich dachte. Daß solche Leute wie der Kompaniechef so tun, als seien sie eine morali- sche Instanz, und es sogar glauben, das macht den Kohl erst fett.

[Von Hansheinrich Bertram an die Frau des Verfassers nach dem Kriegsgerichtsverfahren (gekürzt)]

;. August 41. ...Sie -wissen aus seinen Briefen, wie sehr Charakter und Art des Unteroffiziers sein ganzes Wesen zum Widerspruch ge- reizt hahen. Sein Fehler war es, diese menschliche Betrachtungs- weise nicht zugunsten einer dienstlichen unterdruckt und beherrscht zu hahen. Tatsächlich hat er es nie gelernt, Soldat zu sein, was ja nichts anderes hei/ft, als eine Zeitlang Masse zu sein oder zu schei- nen. Er war 'vielen seit langem ein Dorn im Auge. Zunachst den Un- teroffizieren und Wachtrneistern, spater auch – durch seine Kriegs- hriefe – den Offizieren. Dies Moment hat natürlich das Urteil we- sentlich heeinflußt. ...Der Kern der Sache ist dieser: der Mensch Kuhy war nichtfahig oder willens, sich der Korrımıßforrn anzupas- sen, der Soldat Kuhy ist daran gescheitert. Dienstliche Vernachlässi- gungen kann man ihm 'uon keiner Seite aus fvorwerfen. Die Art je- doch, wie er alles hetrieh, war zu extravagant.

[Von der Schwester]

Berlin, [ohne Datum, aus diesen Tagenl. Gestern kam das Manu- skript zuruck, ich hahe es an W. E. Suskind weitergeschickt. Be- gleithriefanhei. Mir geht es als Fahrikarheiterin sehr gut, es ist kein Kinderspiel, und wenn Ihr mal einen Blindganger daheihaht, so he- denke, daß ich Izoo Ziinder in einer Schicht mache. Es ist herrlich 'viel Technik. Nächste Woche ist Nachtschicht, von 1; - 23 .3o. Ich hahe die L.-Arheiter-Lehensrnittelzusatzkarten und hin in dem Punktfein heraus, wahrend sunst in Berlin die Menschheit anfängt, sich wegen der Verpflegung zu heunruhigen. Var den Tomrnies kommen jetzt auch manchmal die Russen. Ich hahe im Keller ein Bett. Alles Gute, diese Woche wird Petershurg aktuell, nach der Presse zu urteilen.

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6. August 41. Der Tag läuft freundlich und still dahin. Ich wusch mich vormittags am See und nachmittags badete ich. Am Vormittag kritzelte ich die Skizzen, die einem heute abgegangenen Brief beilie- gen, der Dir sagt, was hier geschehen ist. Ich wollte ihn bis zur Ent- scheidung durch den General zurückhalten, aber die scheint noch ein paar Tage auf sich warten zu lassen, und etwas Besonderes ver- spreche ich mir davon nicht. Die unerträglichen Umstände der letz- ten Wochen versinken hinter mir. Je mehr ich”s überdenke, desto klarer wird mir, daß es fast unmöglich ware, aus der Phantasie einen Fall zu konstruieren, der so typisch für unsere Verhältnisse ist wie der, der sich aus der Wirklichkeit entwickelt hat. Es ist aber nicht so, als dachte ich den ganzen Tag über diese Sache nach. Mit großem Erstaunen las ich gestern in einem noch gar nicht alten Brief an Dich (Blatt 427): nun ist es mir aber doch genug, ich werde alles lassen, wie es ist, in dem Mauseloch bleiben, in dem ich sitze, und mich ganz fein still halten – das sind nicht die Gesetze des normalen Le- bens und es bildet sich alsbald eine Verschwörung. . . also Ruhe, Ruhe, Ruhe und warten, bis es verebbt. . _ so etwa schrieb ich. Am

28. Juli, vor zehn Tagen!

Diese Feldgendarmerie scheint fabelhafte Beziehungen zu haben.

So erstaunliche Dinge wie Tomaten, Sprudelwasser, Ölsardinen und Schokolade empfingen sie bei ihrer Verpflegungsausgabe. Da ich nicht in ihren Listen stehe, sondern nur in ihrer Obhut, wußte der Verpflegungsunteroffizier mit mir nichts anzufangen und hatte an mich nichts auszugeben. Doch mein Wachtmeister Ziebold aus Schlesien, 42 ]ahre alt, hat mir eine Tomate geschenkt. Diese Feld- gendarme sind alles alte Leute, alt für soldatische Begriffe, und wenn sie antreten, stehen fast nur Wachtmeister und Stabswacht- meister im Glied, das Niedrigste, was bei ihnen vorkommt, sind ein paar Obergefreite. Ziebold war zwölf ]ahre bei der Schutzpolizei, dann bekam er eine Abfindung, heiratete und machte einen Kram- laden auf, wobei es ohne Krieg geblieben wäre. Er würde mich ohne jede Überlegung niederschießen, wenn ich etwas gegen sein Regle- ment beginge, aber die Fliegen auf seinem Käse im Laden hatten es gewiß gut. Wir verstehen uns ausgezeichnet, ohne etwas zu reden und ohne daß er eine Ahnung hätte, was der so denkt, den er bewa- chen soll. Nach dem Krieg will er wieder zur Schutzpolizei, das Schaf im Wolfspelz hat wieder Spaß gefunden am Blutgeruch, und weil er da nun schon so einen komischen Vogel hat, der nicht einmal 155

mehr Obergefreiter ist, aber ganz vergnügt, wenn auch schiefäugig [ich war mit einem geschwollenen Auge aufgewacht] auf der Wiese sitzt und eine Schreibmaschine maschinengewehrschnell klappern läßt, so hat er mich gebeten, für ihn ein entsprechen- des Gesuch zu tippen. Darin sagt er, daß er mit Leib und Seele Polizist gewesen sei und sich körperlich und geistig frisch genug fühle, den Dienst wieder zu machen! Dummheit ist doch das sanfte- ste Ruhekissen, auf dem sich ein Mensch betten kann lebenslang- lich. Wäre der verhängte Weltblick nicht mit Langweile verbunden, ich hätte Ursache, Wachtmeister Ziebold zu benciden.

Es beginnt schon früh dunkel zu werden, nach halb zehn kann ich im Freien nicht mehr lesen. Ich habe nun in einer kleinen grünen Ledertasche insgesamt 17 Fotos von Thomas. Hier eine Kopie der Liste meines Besitzes, soweit er auch mein Eigentum ist. Dazu kommt die Ausstattung durch den Staat. Und so bei Leningrad auf einer Wiese! Unsere höhere Zivilisation (= höheren Bedürfnisse) macht uns fiir einen Krieg in diesem Land ungeeignet.

Kuby, Soldat O. U., den §.8.4x

Verzeichnis des Privat-Eigentums des S. Kuby [aufgenommen, als er der Feldgenclarmerie übergeben wurde]

1 Schreibmaschine

1 kl. Scherenfernrohr in gelber Ledertasche

1 Wäscheheutel

1 Leinensack

1 feststehendes Messer mit Ledergriff und Lederscheide 3 farbige Oberhemden

7 Taschentücher

3 Leinenunterhosen

1 Baumwollunterhose

1 wollenes Unterhemd

3 Paar Kniestrümpfe

3 Paar Socken

1 Tabakspfcife

I Nähzeug in brauner Tasche

z Taschenlampen

6 verschiedene Sprachführer (Wörterbücher)

r Buch (Lichtenberg, Aphorismen)

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1 Paar graue Lederhandschuhe

1 blaue wattierre jacke

1 Fotoapparat

14 Filme


Waschzeug in blauem Stoffbehälter mit Reißverschluß I Handtuch

1 grüne Badehose

I gestreifter Schlafanzug

8 geographische Karten

1 Schachspiel ohne Brett

1 Haarbürste

1 russisches lkonenbilcl

3 Rollen weißen Nähfaden

1 Paar gelbe Hausschuhe

1 Aluminiurndose für Lebensmittel

1 grüner Pullover

1 blauer Pullover

2 Mappen mit Papieren (Briefe, Fotos etc.)

Bestätigung

Dem Soldaten Kuby -wird der Besitz der oben ängefäbrten Gegen- stände bestätigt.

Lm Osten, äm 9.8.41 M. Fischer, Feläwebel ä. Feldgendärmerie Feldpost Nr. 19757

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A1.s INFANTERIST

11. August 41. Wir leben mit der Gewißheit, daß ich Glück haben und diesen Krieg überstehen werde – das ist die Plattform, von der aus ich nicht zögere, Weiterhin zu schreiben, wie es hier ist. Da ich dies unter allen Umständen tun muß, wenn ich nicht eingehen will, zu einer doppelten Buchführung aber weder Zeit noch die geringste Neigung habe, so ist Dir eben zuzumuten, Glück hin, Glück her, auch an weniger behaglichen Lagen vom Bodenseehiigel her teilzu~ haben.

Wie Du an den auslaufenden Buchstaben siehst, fängt es gerade an zu regnen. Regen ist, wie manches andere, plötzlich für mich wich- tig geworden. Der Natur bin ich näher. Ich lege ein paar Zweige über das Erdloch.

[Am xo. 8. war der Verfasser zu General Jahn, dem Komman- deur der 3. Inf. Div. Befohlen worden, der mit ihm ein längeres Gespräch führte, in dessen Verlauf der General sagte: »Wenn ich Ihr Kompaniechef gewesen wäre, wäre das nicht passiert.« Er setzte das Urteil auf neun Monate mit Bewährung herab und be- fahl ihn zu einem lnfanterieregiment. Die Tage bei der Feld- gendarmerie waren damit zu Ende.]

Ich wollte mich gestern gerade beim Nachrichtenzug des Regiments einrichten, als ich zum Adjutanten des Kommandeurs gerufen wur- de. Er sagte mir, ich käme zur Io. Kompanie, Chef sei ein Ober- leutnant Gerbener, und ich sollte sehen, daß ich mit einem Krad- melder rasch nach vorne käme. Meinen ganzen Kram ließ ich beim Regirnentsstab zurück und fuhr eine Stunde später auf dem Sozius- sitz eines Krad etwa 4 km, wir kamen in ein Wäldchen, wo der Oberleutnant neben einer abgebrannten Scheune im Gras lag.

Diese 4 km waren der Übergang in eine andere Welt, in die der In» fanterie. Ich brachte einen Brief vorn Stab mit, in dem der Grund meiner Versetzung angegeben wurde, und es stand auch darin, wie mir der Oberleutnant sagte, man möge davon der Kompanie ge- genüber nicht reden. Das mußten sie mir sagen, damit auch ich nicht davon spräche. (Ich halte von solcher Diskretion nichts, Militär ist vertratscht, sie werden es rasch genug spitz kriegen.) Das Erstaunen der Leute ist natürlich groß, daß ich aus einer ››vornehmen« Divi- sionstruppe zur Infanterie komme, den umgekehrten Weg Wün- 158

schen sich alle. Vor allem aber fanden sie es komisch, daß ein Mann ankam, während sie 40 oder go gebraucht hätten, um wieder leidlich bei Kräften zu sein. Ich erfuhr nämlich sogleich, daß ich bei der »be- rühmtesten« Kompanie des Regiments sei, seit jeher ausgezeichnet durch Leistung und Verluste. Eine Infanteriekompanie ist in Züge, diese in Gruppen zu je x Unteroffizier und 8 Mann eingeteilt. Es wurde lange hin und her überlegt, in welehe Gruppe sie mich stek- ken wollten, bei jeder fehlten Leute. Bei der Entscheidung spielten sicher psychologische Gründe mit, man wollte mich zu einem älte- ren ruhigen Unteroffizier geben. Ich kam zur r. Gruppe des r. Zu- ges, der Unteroffizier heißt Dörr.

Als dies entschieden war, fuhr ich zum Regimentsstab zurück, um mein Zeug sicher beim Troß zu verstauen. Außer Waffen und dem sogenannten Sturmgepäck führe ich nichts mehr bei mir. Schreib- maschine, Skizzen und andere Papiere hatte ich in Bertrams Obhut schon bei der alten Kompanie gelassen. Nun kam die zweite Opera- tion. Auch Mantel und Decke blieben zurück. Ich bin beladen mit: Gewehr, Stahlhelm, Gasmaske, Gasplane (darin steckt das Briefpa- pier), Seife, Rasierzeug, Reinigungszeug fürs Gewehr, Spaten, Feldflasche, Handgranaten, 65 Schuß Gewehrmunition, Zeltbahn, dem blauen Pullover, dem kleinen Scherenfernrohr aus Frankreich.

Wenig – aber eine runde Last für ihrer ungewohnte Schultern. Als ich den Troß verließ und auch die Schulterklappen geändert worden waren, vom Gelb der Nachrichten ins Weiß der Infanterie, und die zwei Winkel vom Ärmel verschwunden waren (schon Tage zuvor), da hatte sich der KdF-Krieger [KdF = Kraft durch Freude, eine NS-Urlaubsorganisation] in einen Soldaten verwandelt – minde- stens äußerlich. Vorher hatte ich noch in einem See gebadet, er ist von hohen Wäldern umgeben. Hier sollte man Hütten bauen kön- nen. Die Russen schossen aus Versehen mitten in den See hinein, aus der blauschwatzen Flut erhoben sich Fontänen, weißschäu- mend. Dazu dieser russische Himmel, größer, höher als irgendwo sonst (woran diese Täuschung nur liegt), von sturmzerrissenen weißen Wolken erfüllt, die sich an der Sonne vorbei in abgelegene- re, nördlichere Segmente retteten, wo sie sich zusammenballten, dunkel und drohend Unwetter verhießen.

Gegen 6 Uhr war ich wieder bei der Kompanie und ein Melder brachte mich nun zu meinem Trupp, der auf einer Streuwiese in sei- nen Löchern saß. Ich erhöhte seine Stärke von I/5 auf 1/6, immer- 159

hin ein Unterschied. Ich legte das Gewehr auf die Böschung eines der vielen unbewohnten Löcher, die Handgranaten wie in ein Osternest daneben, das übrige Zeug griffbereit hinter mich (im Loch selber habe nur ich mit Müh und Not Platz, wenn ich die Ell- bogen anziehe) und war ››eingerichtet«. Es dauerte zwei Minuten.

Es ist ein gutes Loch mit einer Ausbuchtung Richtung Feind, es deckt mich, wenn ich aufrecht stehe, bis zu den Schultern. Es lag sogar ein Bündel Heu darin.

Ich will es Loch 1 nennen, die Nummern werden Kennrnarken un- seres Weges durch Wälder und Wiesen ohne Namen sein.

Die andern lagen, je zwei und zwei, im Umkreis von etwa go m auf der Lichtung. Der Unteroffizier kam zu mir und wir unterhielten uns. Er ist Bäcker gewesen, hatte aber nicht genug Geld, einen eige- nen Betrieb zu gründen, so ließ er sich 1935 auf Schlosserei umschu- len und scheint damit ganz gut verdient zu haben. Er ist in Chern- nitz verheiratet, spricht aber nicht sächsisch, und hat drei Kinder, von denen er so begeistert erzählt, daß ich beinahe auch von Tho- mas angefangen hätte zu reden, unterließ es aber. In den zwei ]ah- ren seit 1939 war ich beim alten Haufen eine nur allzu bekannte Fi- gur geworden, das machte sich nicht nur so, ich habe auch das meine dazu getan. In eine solche Lage will ich nicht mehr kommen, und die individuelle Distanz fängt bei der Unterdrückung individueller Informationen an. Ich bin auch sicher, daß ich nie mehr fast zwei Jahre lang in ein und derselben Einheit sein werde. Diesen Krieg übersteht diese Armee nicht in der ausgetiftelten Friedens- und Re- serveordnung.

Ich erzählte dem Unteroffizier aber, Warum ich hier sei. Er machte einen vernünftigen Eindruck, und ich wollte nicht, daß er eines Ta- ges denken würde, ich hielte eine militärische Verurteilung für einen Makel. Er ließ erkennen, daß er es nicht nur selbst schwer habe, sondern daß er auch mit seinen Leuten unzufrieden sei, sie »spur- ten« nicht mehr wie einst im französischen Mai, im polnischen Herbst, seit fünf Wochen müßten sie hart ran. So, frisch vom Faß wie ich bin, schien ich die Zuversicht des Schlosser-Bäckers etwas aufzurichten. Anders kann ich es mir nicht erklären, daß er fast den ganzen gestrigen Tag mit mir verbracht hat und heute seine bishe- rige Trupp-Ordnung umwarf. Er bezog mit mir ein Loch. Wie an einem Gummiband hängend, schnellen seine Gedanken unablässig zu den Dingen zurück, die ihm teuer sind, nicht nur zu Frau und 16o


Kindern, auch zum behaglichen Bett, zu einem weißen Tischtuch, zur Zeitung, auf der Couch in der Wohnküche gelesen – Vergleiche und Erinnerungen, die ein russisches Erdloch nicht eben angeneh- mer machen. Wenn die ganze Infanterie in dieser Verfassung ist, wird man es oben wissen und spätestens nach dem Einzug in Lenin- grad diese Regimenter pausieren lassen.

Ich fragte Dörr, wo die Front sei, er machte eine vage Handbewe- gung zum Waldrand hin, meinte, manchmal sei sie überall, auch hinter uns. Nun, ich sah noch keinen Russen aus der Nähe, nur die Artillerie schoß von allen Seiten, aber selbst eine Granate, die nur 5 m abseits des Loches aufschlüge, wäre harmlos, wenn man sich nur rechtzeitig duckt.

Ich schlief in Loch 1 im Stehen zwei Stunden, erlaubtermaßen, muß ich hinzusetzen, und paßte im übrigen auf die Bäume auf. Um halb I 1 nachts kam das Essen. Bei nächtlichen Mahlzeiten wird es blei- ben, die Essenholer können bei Tageslicht nicht über eingesehenes Gelände kommen. Um 2 Uhr früh brachen wir auf; der ganze Zug, sechs oder sieben Gruppen, genau konnte ich es nicht erkennen, formierte sich. Einer hinter dem andern wie auf einer Neger-Safari, zogen wir leise und schweigend am Waldrand und durch Gebüsch weiter nach vorne, um andere abzulösen. Ich bekam einen Kasten mit Granatwerfermunition zu tragen, der etwa 2; Pfund wiegt. Was ich durch die Gegend transportierte, war insgesamt etwa 30 kg schwer. Glücklicherweise waren wir nach 2 km am Ziel. Hier bezog Dörr mit mir Loch 2 (in meiner Zählung), es hatte keine Ausbuch- tung, war aber sehr tief. Morgenrot versprach Regen, und der kam auch. Von 6 bis 8 kroch ich aus dem Loch, in dem man sich ja nicht ausstrecken kann, und schlief unter einem Busch ausgezeichnet, obwohl die Artillerie beiderseits massiv tätig war. Gegen 9 wurde ich mit zwei erfahrenen Hasen auf einen Spähtrupp ins nächste Dorf geschickt, doch bevor wir die ersten Häuser erreicht hatten, nahm die Sache eine andere Wendung, der Oberleutnant war uns mit etwa zehn Mann nachgekommen, und in dieser Stärke gingen wir vor, gebückt, kriechend und spnıngweise. Wir kamen zu einer zerstör- ten Gärtnerei, griffen in einem eingefallenen Gewächshaus zwei Frauen auf, die uns bedeuteten, das Dorf sei leer. Ich sollte nach links hin sichern, wo ein großes Kornfeld begann, und plötzlich kam hinter der nächsten Scheune ein ganzer Zug russischer Soldaten hervor, die ersten bewaffneten, die ich aus solcher Nähe sah. Sie 161


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