Mein krieg aufzeichnungen aus 2129 Tagen



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Vor dem Fenster hahe ich die grüne Wiese mit Mohn und Klee und auf dem Dach einen werlassenen Beohachtungsstand, wo ich meine Sonnenhäder nehme. In einer Region der Kaserne hahen wir eine Menagerie, da gihtis Hühner, Enten, Gänse. Der deut- sche Soldat, gemütvoll und tierlieh hekanntlich, hat Luxusställe angelegt mit Planschhecken für die Enten, und zwei g. 11, h.-Pfer- de hahen wir auch, Franz und Egon, die hedächtig rupfend durchs hohe Gras wandeln A das alles will mit Aufmerksamkeit hetrach- tet und in seiner Entwicklung 'verfolgt werden.

Ich lese viel. Stifter wiederhole ich, his auf die großen Romane, die »Kampagne in Frankreich« zum dritten Mal. ]etzt hin ich hei Schopenhauer angelangt. Mein Dasein ist also eine glückliche Komposition aus Studentenlehen und Laridurlauh.

Dem Arheitsarnt hin ich his jetzt entkommen. Allmählich hin ich aher soweit, daß ich gern etwas Vernünftiges tun würde. Pläne können wir nicht machen – hei der »endlosen Perspektifum, wie Du schreihst. Aher immerhin, wir wissen wenigstens schon ein wenig, wie wir sein werden, dann . . . und das ist ja auch etwas wert.

Musizierst Da noch » oder hast Du seit Frankreich dazu keine Möglichkeit mehr? Sollte irgendwo in Rußland ein Mensch sein, der eine Geige hat, oder eine Kirche mit einer Orgel darin, Du wirst sie schon finden.

23. Juni 42. Es ist merkwürdig, wie lange jene Nachtstunde vom

17. nachwirkt. Wer draußen nichts zu tun hat, hält sich im Hause auf. Der Gartenplatz, obgleich von Trümmern gesäubert, wird nicht mehr benützt. Die vorsichtigen Elemente haben sich durch- gesetzt, und der Bunker wird gebaut. Zwei Fachleute vom Pio- nierzug machen die Zimmerarbeiten. I2 Russen heben zusammen 259


mit uns die Erde aus. Von der Kommandantur ließen wir uns zwei unbewohnte Hütten anweisen und reißen sie ab, um Holz zu gewinnen. Sie liegen am unteren Ende der Theaterstraße. Die Panjewägelchen pendeln seit dem frühen Morgen die Straße auf und ab und bringen Balken und Bretter. Für die Kinder war es ein Fest, als wir begannen, die Häuser auseinanderzunehmen.

Holz ist kostbar geworden, denn Demidoff ist von seinen Wäl- dern abgeschnitten. Von überall her kamen die Frauen und er- bettelten sich die für uns wertlosen Abfälle als Brennholz. Die allnächtliche Beschießung mit Infanteriewaffen nimmt an Hef- tigkeit wieder zu.

28. juni 42. Die Schokolade, die es beim heutigen Verpflegungs- empfang gegeben hat, stammt aus Kopenhagen. Der Thunfisch, den wir häufig bekommen, aus Italien, die Sardinen aus Frank- reich, Fischkonserven aus Norwegen, Italien und Dänemark; der Wein aus Frankreich, die Zigaretten aus aller Herren Länder – oder besser: aus allen Ländern, in denen wir die Herren spielen.

So muß ganz Europa seine Produkte in das unergrünclliche Loch ››Krieg« werfen, in dem sie unaufhaltsam verschwinden. Es ist eine Wohltat, die Russenfrauen in ihren Gärtchen arbeiten oder auch nur ein Beet zu sehen, auf dem Salat wächst.

26. Juni 42. Bei der Erwähnung Deines Briefes an die hübsche B.

bedachte ich, daß Du so viele Briefe schreibst, die ich nicht lese. Es wird so sein wie bei meinen Briefen an dritte Personen, sie sind anders geschrieben, werfen ein anderes Licht.

Ich trug mich mit dem Plan, für die >›Frankfurter« unsere Ver- schönerungsarbeiten in Demidoff darzustellen, denn es erscheint mir doch sehr typisch für unser Volk: diese Birkenzäune, Rasen- einfassungen aus Ziegelsteinen und lauter solche Sachen, an denen ich pinsel-, hammer- und schaufelführend beteiligt bin, Aber mir gerät alles ins Breite, und ich denke nun, daß ein Demidoffer Ta- gebuch überhaupt sinnvoll sein könnte – mit den Zeichnungen, Es liegt mir ein Buch mit großem Format im Sinn, etwa wie das ››handgeschriebene« von Gulbransson über seine jugend, aber na- türlich in normalen Lettern gesetzt. Es wäre ein sehr besonderes ››Kriegstagebuch« und zeigte von Rußland und der Kriegführung hier mehr als ein PK-Bericht über die Einschließung von Char- kow.

Ich lese von diesem Erfolgsschreiber [Kurt] Kluge: Der Glocken- 260

gießer Chr. Mahr – Himmel, ist das ein Schund. Aber das geht den Leuten ein; wenn sie das lesen, kommen sie sich wie anstän- dige Deutsche Vor.

Heute kam von Georgia ein Brief [Tochter des Architekten Mies van der Rohe, Schauspielerin], sechs große Seiten, quer beschrie- ben, aus Nidden. Inhalt: Theater, Liebe, Leben, Meer, Sonne. Ich hingegen schreibe Schilder, auf denen steht, daß das Abreißen von Häusern ohne Erlaubnis der Kommandantur verboten ist.

27. Juni 42. Herrlich, diese stille Stube ganz für mich. Durch den Boden dringt gedämpft der Redelärm aus den unteren Quartie- ren. Still ist freilich ein relativer Begriff, denn es wird Abend, und die Russen fangen an zu schießen. Das knallt und pfeift, als woll- ten sie das Städtchen spätestens morgen früh stürmen. Aber sie denken nicht daran. Was für ein sympathischer Lärm ist das im Vergleich zum Radio und zum Geschwätz. Aber er erzeugt Furcht.

Nichts ist ansteckender als Furcht – viel ansteckender als Mut.

So, Tagesende, Bett! Ins Bett gehen heißt: Drillich ausziehen, Wä- sche anbehalten, die wattierte Jacke anziehen. Die gelben Sanda- len habe ich noch immer, wo fand ich sie in Frankreiclfl, ich weiß nicht mehr, es sind die bequemsten, liebsten Schuhe, die ich je hatte.

Der Begriff Eigentum, angeeignet, zu eigen, das Eigene (das Eigcntliche?) schrumpft: der rote Block, das eisenharte Stück Pappe, auf dem ich schreibe und zeichne, der Federhalter, die gel- ben Sandalen, die wattierte Jacke, ein Federmesser in einer San- delholz-Híílse (aus China) – mein Eigentum. Davon würde ich ungern etwas einbüßen. Aber das ist nur mein Gefühl, solange ich diese Sachen nicht eingebüßt habe. Ich würde als Freiheit definie- ren, daß in dem Augenblick, in dem ich das eine oder andere, oder alles zusammen, das bißchen!, verlöre, einbüßte, liegenlassen müßte, es mir abgenommen würde, ich es auch schon vergessen hätte.

28. Juni 42. Ich freue mich, Dir zu meinem 32. Geburtstag gratu- lieren zu können. Ich begeh ihn in voller körperlicher und geisti- ger Frische, habe für jene nicht die genügcnden Beweisgelegenhei- ten, für diese den noch immer nicht gefüllten roten Block [in dem ich an einem Vorkriegs-Text weiterschrieb] Die Zeitungen könnte ich noch ohne Brille lesen, wenn sie nicht ebenso langweilig Wären, wie die Zeiten abwechslungsreich sind. Ich lese daher Zeitungen aus dem Jahre 193 2, die sich jemand schicken ließ, wo es für alle, 261


die nicht auf Parkbanken schliefen, stempeln gingen und Karten spielten mangels Arbeit, sehr viel amüsanter zuging in dieser Welt.

In einem dieser Blätter fand ich die Notiz, daß eine kanadische Expedition von 1914 bis 1919 in der Arktis unterwegs war. Wir dürfen bedauern, nicht von 1939 bis . . . ? einer solchen Expedition anzugehören.

Seitdem ich einen Raum für mich allein habe, gehe ich kaum noch durchs Dorf. Den Russen Dank, daß sie die andern ins Parterre vertrieben haben. Heute früh, als ich im Hof in Hose und Privat- hemd und mit den gelben Sandalen stand, noch gut rasiert und gewaschen vom Samstag, sagte einer, ich sähe ganz zivil und privat aus. Das war mir eine erfreuliche Geburtstagsbernerkung. Es war mir auch so zumute, beinahe ein bißchen frankreichhaft.

Da kommt der Kaffeeholer quer über den Platz. Ich gehe hinun- ter, die Abendverpflegung zu empfangen.

Die Geburtstagspost enthielt auch einen Brief von Bertram, auf den ich seit langem wartete. Er war auf Urlaub zu Hause und schreibt, daß er in allem Glück des Wiedersehens Heimweh nach der Weite dieses Landes empfunden habe. Die Enge in Deutsch- land, das Ausgezirkelte und Ausgenützte, hätten ihm Atemnot ge- macht. Ich schrieb ihm, daß es bei mir eine solche Reaktion unter dem aktuellen Eindruck nicht gebe; ich gewohnte mich an alles und an nichts, und die Landschaft, in der ich gerade lebte, sei mir nicht näher als eine, in der ich zuvor mich aufhielt. Aber er hat recht – was für cin großartiges Land! Jetzt im Juni ohne Dunkel- heit, eine verschwenderische Pracht in Laub und Halm. Im vori- gen Jahr erlebten wir sie nicht, nördlich des Ilmensees ist die Vege- tation viel kåirglicher. Auch waren wir damals an die großen Stra- ßen gebunden, ertranken in ihrem Staub. Die Natur ist hier, wie sie eh und je war, die Menschen haben nur schwache Spuren ein- geritzt, die durch jahrhunderte immer gerade um soviel nachge- zogen wurden wie zur Erhaltung notwendig. Ihre Garten sind frei von Unkraut, die Kartoffeln stehen sozusagen in Reih und Glied wie bei uns, aber die Bauern meinen nicht, daß die Wiese nebenan unbedingt auch zum Adaer werden und der Ertrag von Jahr zu jahr gesteigert werden müsse. Der Kommunismus wird ihnen das beibringen, aber dies ist keine Gegend, auf die er bisher seinen missionarischen Eifer konzentriert hätte.

Ich habe keine Vorstellung, was wir im Laufe des Sommers zu tun 2.62

kriegen. Die Division wird in mancher Hinsicht verstärkt, aber eine Angriffstruppe ist sie und wird sie nicht. Die Tätgkeit der Partisanen nimmt in unserem Rücken zu. Alles in allem hat es nicht den Anschein, als würden wir in dem noch verbleibenden Vierteljahr weite Gebiete erobern. Leningrad – Moskau? Schon dahinter ein Fragezeichen. Ein Artikel in der Frankfurter Zeitung läßt, richtig gelesen, keinen Zweifel, daß der Krieg in der Schwebe steht. In allen ist das Gefühl lebendig, daß der Verlust des Krieges auch für den einzelnen eine Katastrophe wäre, und die Regierung tut alles, diese Ansicht zu festigen. Wir stehen aber weniger was die Rüstung betrifft wie hinsichtlich der Menschen und der Ernäh- rung mit dem Rücken an der Wand, indes England und Amerika überhaupt noch nichts vom Krieg gespürt haben. An einen Ver- such der Engländer, in diesem Sommer wieder Fuß auf dem Kon- tinent zu fassen, glaube ich. Gelingen wird er wohl kaum, aber darauf wird es ihnen auch nicht ankommen, sondern auf die da- durch bewirkte Zersplitterung unserer Kräfte.

Briefe, die hier ankommen, sind jetzt vielfach zensiert. Auch das ist ein Symptom. Von meiner Post war noch nichts in der Zensur, das würde ich bemerken.

[Von Natascha B., Graphikerin in München]

2. /'uli 42. Dann war ich nur noch in Erwartung meines Urlaubs.

Er hat am zo. 6. begonnen und ist in 'vier Tagen zu Ende. Ich glaube, ich schrieb Ihnen bereits: ich habe noch nie einen Sommer so genossen wie diesen – eben rnalgre tout.

Ich war also am Bodensee. Ihre Frau gab mir Ihr Manuskript zu lesen und zeigte mir Ihre Zeichnungen. Für mich war es eine Freu- de, zu sehen, was Sie aus Ihrer Zeit gemacht haben und aus dem Erlebnis Rußlands, wohin es Sie 'uerschlagen hat, das meinem We- sen nahe liegt, das aber weit, weit weggeriiclet ist und 'von dessen Gegenwart Sie 'viel mehr wissen als ich,

Ob das nun die endgültige Fassung Ihres Kriegsbuches ist? Wie ge- spannt man auf Bucher -wartet, die fuon den jetzt Teilnehmenden geschrieben werden, auf alles, was einmal rnit neuer Kraft und neuem Gehalt kommen muß. Hier rede ich rnit Leuten darüber – Sie aber sind dabei. Und daß Sie noch am ››Odysseus« weiterarbei- ten – ein »Friedensstof/f« in dieser Umgebung/

Ich bin rnit dem Rad von München nach Überlingen gefahren und 263

zarüc/e. Ich wohnte in Salem hei R. - der Par/e, das Schloß wun- derhar gepflegt, mit herrlichen Rosen – wie mag es Ihnen 'vorkom- nıen, daríiher za lesen? Vergessen Sie nicht, ich kenne das Land, das Sie jetzt amgiht. Meine nähere Heimat liegt zwar unweit Mos/eaa, aber falls Sie eines Tages dorthin leorrırnen sollten, wer- den Sie sehen, es ist fast ıiherall das Gleiche. Nur der Süden ist natiirlich ganz und gar anders.

GLÜCKLICHERWEISE :Ns Gı=;rÄNGN1s

g. Juli 42, mittags. Ich Will das gleich aufschreiben, damit Du siehst, wie sehr ich nun doch erschrocken und gelähmt bin. Ich hatte nochmal wegen des Urlaubs angeklopft, und mein Zugfüh- rer ging vorhin zur Sehreibstube hinüber, um sich zu informieren.

Man sagte ihm, und so sagte er's mir, an Urlaub sei für mich nicht zu denken, da schwebe die Strafsache und müsse erst entschieden werden. Ich sagte, ja, das wäre Wohl Wegen der neun Tage, die . . .

Nein, antwortete er, Genaues wisse er nicht, aber es drehe sich um neun Monate, man spreche davon, ich solle wegkommen usw. Das fiel wie ein Stein in mich hinein, und ich ging nun selber hinüber, wo mir der (neue) Hauptfeldwebel sagte, er könne mir noch nichts sagen, der Chef werde mich rufen lassen. Dieser gegenwärtige Chef, ein junger Leutnant, ist nur Aushilfe, solange sich der Adju- tant im Urlaub befindet. Nun habe ich zu warten. Mein Verstand sagt, es sei nichts geschehen in diesem jahr seit dem Verfal1ren,was die bisherige Entscheidung ändern könne, und wenn, dann höch- stens zum Bessern. Dieser Verstand ist kräftig genug, gegen den Schrecken anzugehen, in den ich versetzt bin.

6. juli 42, nachm. 5 h. Bis jetzt nichts Neues. Niemand redet. Das ist wenig erfreulich, aber ich bin inzwischen zu der Überzeugung gelangt, daß das Gericht der 3. Division, das mich verurteilt hat, die Akten hierhergeschickt hat, sich unter dieser Prämisse nach meiner Führung erkundigt, um ggf. Die Löschung der Strafe zu veranlassen. Ich kenne solche Fälle. Die Ungewißheit liegt mir nichtsdestotrotz immer noch auf, und der gestrige Schock hat eine heftige Revolution des Magens zur Folge gehabt, die sich dadurch 264

besserte, daß ich von gestern nachmittag 5 Uhr bis in den späten Morgen heute schlief. Der Arzt, wir stehen uns gut, verordnete Weißbrot und zwei Tage Ruhe. Lm übrigen habe ich den Zugfüh- rer gebeten, Klarheit in die Sache zu bringen.

Abends nach ro Uhr. Es wurde ihm gesagt, die Sache ginge an die Division und werde dort entschieden. Ich weiß also nichts und schicke diesen Brief und auch den gestrigen nicht ab, bevor ich Gewißheit habe. Die Verzögerung kann ich durch Verwendung von Luftpostmarken ausgleichen.

Ich habe mir selber die bisherigen zo Seiten im roten Block laut vorgelesen, fand da und dort ein Wort zu ändern, meine aber, es könne im Ganzen so bleiben.

Eine Stunde später. Ich bin nicht sıhlafen gegangen, bin nicht müde, habe in Briefen gelesen und in die Kerzen geschaut. Ich habe eine zitternde Angst, ob sie mir dies bißchen Ruhe und eigene Lebensart nun Wieder zerschlagen Werden.

7. Juli 42, abends gegen 7 Uhr. Es ist alles wie gestern, und ich sage mir, daß ich einfach Geduld haben muß. Ich war fast den ganzen Tag in meiner Stube, jetzt setzte ich mich in die Abend- sonne hinunter auf einen Stein, der zwischen Kamillenbliíten liegt.

Der Wollknäuelartige Hund Scharik spielt um mich herum. Hof- fentlich muß ich diese Zettel nicht noch lange zurückhalten.

rz. Juli 42. Noch immer keine Gewißheit. Hinlegen und schlafen.

Das mag ich ererbt haben. Meine Großmutter soll, wenn sie Arger hatte, immer ins Bett gegangen sein und erst mit veränderter Lau- ne sich Wieder gezeigt haben. Was für ein vernünftiges Mittel, denn alles ist eine Frage der Kräfte. Meine Kerze beleuchtet außer dem Papier einen Strauß blauer Glockenblumen und Margeriten, die mein Waschemäclchen gebracht hat. Ich habe ihr gesagt, sie könne immer Blumen mitbringen, sie tut es brav und hat viel Gefühl, Sträuße zu binden. In allen Holzhäuschen stehen sorgsam ge- pflegte Blumenstöcke an den Fenstern.

14. Juli 42.. Dieser Brief ist nur eine Rückversicherung für den un- glücklichen Fall, daß ein großer Brief, im Laufe von zehn Tagen entstanden, verlorenginge. Ich kann nicht alles Wiederholen, was dort steht. Ich habe nur noch wenig Zeit, mein Autobus geht in drei Stunden, ich muß noch packen. Das Kriegsgericht meiner alten Division hat das Urteil geändert, Weil ich 1.) so rasch aus der In- fanterie-Kompanie Wegkam, und 2.) die Beurteilung durch diese 265


Kompanie zwar gut, die folgende Beurteilung durch die Ersatz- kompanie in Züllichau aber miserabel sei. Du weißt: der rothaa- rige Feldwebel dort. So hat er nun doch seinen Willen. Alle Pri- vatsachen gehen an Dich, einschließlich Kamera usw. Über die Art des Strafvollzuges weiß ich nichts, ich denke aber, daß ich im Osten bleibe. Rechne mit ¼ Jahr.

I 5 . Juli 4z.Dies ist eine der letzten Aufzeichnungen aus Demidoff.

Der Zugführer hat mir mittags mitgeteilt, daß ich morgen mit einem Lastkraftwagen nach Rudnja fahren werde und von dort mit der Bahn nach Smolensk, wo ich in die Auffang- und Weiter- leitungsstelle des Heeresgefängrıisses eingeliefert würde. Das war alles. Was ich bisher über diese Sache erfahren habe, war inoffi- ziell. Dienstlich wird mir nach Monaten einer keineswegs unbeach- teten Zugehörigkeit zum Regiment durch einen Unteroffizier mit- geteilt: Ohne Tritt marsch ins Gefängnis.

Der Gefreite F., ein stiller, zuverlässiger Mensch, soll mich als ››Wachtposten« begleiten. Gewehr und Seitengewehr muß ich heute abend beim Zugführer abgeben.

17. juli 42. Der Lastwagen fährt gegen 7 Uhr bei prächtigem Wet- ter in Demidoff ab. Das Artilleriefeuer, das bei Sonnenaufgang heftig war, hat aufgehört. MG- und Karabinerschüsse sind dünn zu hören. Ich sitze neben F. auf einigen leeren Munitionskisten.

Am Divisionsgefechtsstand halten Wir. Eine verfallene Hütte un- ter hohen Bäumen, ein Posten geht gelangweilt an der Straße auf und ab in der Nähe von etwa zehn oder zwölf Soldatengräbern.

F., der mich eigentlich bewachen soll, besucht einen Bekannten beim Stab, die beiden Fahrer begleiten ihn. Ich bleibe beim Wagen zurück. Der Posten spricht mich an, wir Dernidoffer gelten hier als Männer, die große Erlebnisse hatten, Gefahren überstanden. Die nächtlichen Beschießungen und Brände müssen von hier aus ein- drucksvoll zu beobachten gewesen sein. Der Posten nimmt seinen Pendelweg wieder auf, ich setze mich auf einen Felsblock, wie sie hier häufig aus dem Gras hervorragen. Dichter Schatten ist um mich, draußen liegt flimmernd das Land, es ist bereits heiß. Vom Lärm des Angriffs ist hier nidıts mehr zu hören. Ein paar Bauern- fuhrwerke, von Soldaten gelenkt, kommen vorbei und wirbeln Staub auf.

Wir sind gegen rr Uhr in Rudnja, ohne auf eine Mine gefahren zu sein. Arn Bahnhof warten noch ein paar andere Landser (Bert- 266

ram schreibt Lanzer?) auf den Zug nach Smolensk, wir sitzen langer als eine Stunde auf einer Bank, wir essen, F. rührt mit kei- nem Wort an den Anlaß unserer Fahrt. Er hat in seiner Mappe ein großes gelbes Kuvert mit meinen ››Papieren«, darunter die zehn Seiten lange Urteilsbegrünclung von 194x. Ich habe sie seit der Verurteilung nicht mehr zu Gesicht bekommen. Als wir end- lich in einem schmutzigen geschlossenen Güterwagen sitzen, in dem auch ein paar deutsche Schwestern in Lodenmänteln, frisch aus Deutschland kommend und bereits ganz auf Soldatenton ge- trirnmt, nach Smolensk fahren, sage ich zu F., ich wurde gerne das gelbe Kuvert durchsehen. Er hat nichts dagegen. Die zehn Sei- ten sind mir, wie schon beim ersten Lesen vor einem Jahr, eine Quelle der Erheiterung, aber auch des Abscheus. Ich glaube, nie- mand könnte sie lesen,ohne zu spüren,welch ein juristisches Mach- werk er vor sich hat. Die Sätze haben außer dem gewollten Sinn noch einen ungewollten, der vom Richter nicht vorausgesehen wurde, sonst hätte er anders formuliert.

Ich bin ganz ohne Spannung und würde sagen: in einem wohl- temperierten Zustand. In eineinhalb Stunden werden wir in Smo- lensk sein, die Hügel steigen schon aus der Ebene. Die Stadt zieht sich auf dem linken Ufer des Dnjepr steil empor, das Zentrum scheint oben zu liegen. In die Bahnhofsruine sind Büros, Gepäck- räume und dergl. Hineingebaut. Eine Zementfabrik und andere industrielle Bauten stehen haßlich am Fluß. Wir erkundigen uns nach dem Gefängnis und erfahren, daß es an der Kiewer Straße läge, gerade am andern Ende der Stadt. Wir finden einen Last- wagen, cler uns in dieser Richtung mitnimmt, den steilen Berg hinauf. In der Fahrbahn liegen Straßenbahnschienen, aber von der Oberleitung sind nur noch Reste vorhanden. Wir fahren nahe an einem schönen Kirchenbau vorbei, vor dem historische Kano- nen und eine Denkmalspyramide stehen – wahrscheinlich an Na- poleons Niederlage erinnernd. Die obere Stadt ist wenig zerstört.

Ich sehe im raschen Durchfahren viele große, gewiß erst in den letzten zehn jahren errichtete Gebäude.

Wir haben noch ein paar Minuten zu gehen und fragen zuerst am Tor in einer Mauer, hinter der ein roter Block emporragt – zwei- fellos ein Gefängnis, aber nicht das richtige. Es gibt hier einige Gebäude mit vergitterten Fenstern hinter Mauern, dann senkt sich die Straße, und die Stadt scheint aufzuhören. Nur rechts steht 267

noch ein Rohbau mit verglasten Fenstern, mit einer riesigen Rot- kreuzflagge an der Vorderseite. Man sieht Weit hinaus in eine reizlose, flach gewellte Landschaft.

Als wir zum zweitenmal fragen, sind wir am richtigen Tor. Eine Wache weist uns an, durch den Hof zu gehen bis zu einem roten Ziegelbau, an dem ››Auffangstelle<< stünde. Immer gut, wenn man aufgefangen Wird. Dieser Bau, kleiner als die anderen, einstöckig, hat große Fenster, aber vergitterte. Durch eine rot gestrichene Außentür treten wir ein und stehen vor einem Gitter. Ein Glok- kenzug setzt eine blecherne Schelle in Bewegung, ein Gefreiter, bleich, spitznäsig und unfreundlich, erscheint mit einem Schlüssel- bund und öffnet. Wir werden in ein großes Zimmer geführt, mit dunkel, fast schwarz gestrichenen Wänden. Einige Regale an den Wänden, ein eiserner Ofen, rechts ein Bett, diagonal zur Tür nahe dem reehten Fenster ein Schreibtisch. Trotz zweier großer Fenster, die bis auf Kniehöhe herabreichen, wirkt der Raum dunkel. Eine Zeltbahn ist auf dem Boden ausgebreitet, auf ihr der übliche Kram eines Landsers. Dieser, kurzgeschoren, verwahrlost, steht daneben, die Hände angelegt. Vor dem Schreibtisch sitzt ein grauhaariger Unteroffizier, von dem ich zunächst nichts sehe als einen breiten kurzen Rücken, einige dicke Nackenfalten an einem Stierhals und ein sehr häßliches Ohr. Er schreibt ein oder zwei Minuten lang, dreht sich dann halb im Stuhl um und blickt zu uns her. Ein wie mit der Axt geformtes Gesicht, über einer niederen Stirn sträubt sich ein sogenannter Stiftenkopf. Wir stehen stramm, und F. mel- det: Obergefreiter F. von I.R. 554 mit dem Strafgefangenen Kuby zur Stelle. F. übergibt dem Unteroffizier die Papiere. Dieser legt sie uninteressiert neben sich und sagt zu F., er könne gehen. Ich höre, daß er schwäbisch spricht, und denke, auch das noch. F. gibt mir sehr unmilitärisch die Hand, sagt: Alles Gutel, und geht. Ich hatte bereits vorher meinen Tornister abgeschnallt, zusammen mit Gasmaske, Stahlhelm und Wäschebeutel liegt er neben mir auf dem Boden.

››Auspacken«, sagt der Unteroffizier. »Alles aus den Taschen her- ausnehmen.« Während der andere Gefangene unter Aufsicht des bleichen Gefreiten sein Bündel wieder schnürt, breite ich die Zelt- bahn aus und schütte den geöffneten Tornister kurzerhand aus. Er enthält nichts, woran mir liegt. Alles Wichtige ist in einem großen Paket schon nach Hause unterwegs als ››Dienstsendulıg«. Die Brief- 268


tasche werfe ich zum übrigen. »Ist das alles?« _ »]awoll, Herr Unteroffizierl« Sehr stramm, sehr laut kommt meine Antwort.

»Haben Sie noch Zigaretten oder Geld in den Taschen? Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie bestraft werden, wenn Sie noch irgendwo Zigaretten haben. Ich werde Sie findenl« In perfektem Schwäbisch. Ich antworte nicht mehr. Der Alte hat gewiß Tau- sende von Sträflingen aufgenommen, er versteht sich auf Psycho- logie, er kontrolliert mich nicht. Stück für Stück muß ich meine Sachen angeben, der Unteroffizier trägt diejenigen in ein Formu- lar ein, die ich nicht behalten darf. Gasrnaske, Tornister, Stahl- helm, Koppel, Brieftasche, Wäsche, Drillich, Mantel, Decken darf ich behalten, und ich bin froh, daß ich es darauf ankommen ließ und die Decken mitgenommen habe, obwohl mir der Spieß aus einer Dienstvorschrift vorgelesen hatte, Gefangene dürften ihre eigenen Decken nicht ins Gefängnis mitbringen.

Das Formular muß ich unterschreiben, es ist offenbar in Smolensk oder in einer anderen russischen Stadt gedruckt worden, die merk- würdigen Typen haben sich tief in ein löschblattartiges Papier ein- gedrückt. Geld, etwa 40 Mark, die Armbanduhr und eine Zigarre, die sich merkwürdigeı-weise unter den Sachen gefunden hat, wer- den in einen Umschlag gesteckt, der aus bedrucktem Landkarten- papier von hervorragender Qualität zusammengeklebt ist. Aus sowjetischen Karten.


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