Mein krieg aufzeichnungen aus 2129 Tagen



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#17369
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Seit gestern abend ist es trocken und windig, die Straßen sind bereits sßs

so gut, daß ich in Haussehuhen voris Haus gehen konnte. Ich bin wieder in der Funktion der Hausmutter. Wir schlafen auf 5 qm zu viert, und außerdem ist ein ständiges Kommen und Gehen der Mel- der. Wir haben den Russen den linken Teil des Hauses gegeben und einen großen Raum jetzt für uns allein. Den Ofen habe ich mit Läu- sepulver bestreut. Gestern war mir der konzentrische Angriff der Läuseheere so widcrwärtig, daß ich zum Mais auf den Boden zog und auf den Kolben schlief. Vom Dachbalken hing der Kopf einer geschlachteten Ziege herab und schaute mich mit bleckenden Zäh- nen an. Auf den Dachböden sieht es wie in Rumpelkammern aus, aber der Eindruck täuscht, Geräte und Vorräte sind dort hinter Ab- fall gut versteckt. Sich und ihre Sachen unsichtbar zu machen, darin sind diese Bauern Meister. Heute sollten die Mädchen Splittergrä- ben ausheben; von den zwei Töchtern in unserm Haus war plötzlich eine verschwunden. Erst Stunden später entdeckten wir, daß sie seither völlig unbeweglieh hinter einer Truhe gesessen hatte.

Das große Pferd, ein deutsches vermutlich, ging an einer Kolik ein.

Ich holte den Veterinär, der spritzte, aber es half nichts mehr. Der Tierarzt sagte, wir müßten dem Pferd einen Absud von Leinsamen eingeben. Mit einem Dolmetscher ging ich zu unserem alten Bau- ern, der sofort fragte: Haben Sie ein krankes Pferd? Er wußte Be- scheid, er hatte auch Leinsamen, aber das Pferd ging trotzdem ein.

Wahrscheinlich hat es vor Hunger Akazienrinde gefressen, die gif- tig ist.

29. November 43. Über den Draht erfahre ich, daß ein Urlauber von der Korps-Vermittlung heute nach Hause fährt. Ihm werde ich diesen Stoß Papier mitgeben. Es geht mir sehr gut. Ich habe unser Gestüt wieder auf die volle Zahl gebracht und werde vierspännig von hier aus losfahren; ich bastle am Geschirr, so daß ich Troika fahren kann, ein Pferd spanne ich vor. Die vier Gäule versorgen müssen und mit ihnen umgehen, läßt dieses Leben nicht ganz so trist erscheinen. Aber es sind nicht nur die Pferde, die mir Vergnü- gen machen. Der Eindruck von einer irn Schlamm zurückgelassenen Divisionsausrüstung, einer deutschen in Rußland, und wenige Stunden später der Anblick dieses von Deutschen auf Hochglanz polierten Dorfes mit seiner Friesenstraße und seiner Nürnberger Allee faszinierten mich nachhaltig. Es ist nicht Schadenfreude, die ich empfinde. Es ist einfach komisch, irrsinnig komisch oder ko- misch irrsinnig, wie Du willst, und ich kann mit niemandem dar- 366


über reden. Stell Dir das nur vor, die von der Hauptstraße abge- kehrten Seiten sind weiß gestrichen, die Frontseiten bunt, die Sok- kelbalken die ganze Straße entlang in Schattierungen zwischen Dunkelbraun und Dunkelgrün, dazu die schablonierten Haus- nummern und die Namensschilder! Das haben meine Landsleute geschaffen, hier mitten in Rußland in einem Kaff namens Solota- werka. Bleich, dreckig und verstört gehen sie jetzt zwischen dieser Pracht umher und sehen sie gar nicht. Das einzige, was sie interes- siert, ist die Zahl der abgeworfenen Versorgungsbehälter pro Tag.

Der Ortsbauernführer, oder wer für diesen Farbenzauber verant- wortlich war, hat natürlich längst das westliche Weite gesucht. Die Russen finden die Verschönerungsaktion ohnehin kindisch. Und spätestens nächste Woche steht hier kein Haus mehr.

29. November 43, abends. Der Abend brachte nicht den erwarteten Stellungswechsel, wir spannten die Pferde wieder aus. Sechs habe ich heute notdürftig gestriegelt. Wenn ich mit allen, die ich zusam- menkopple wie eine Hundemeute, zur Tränke gehe zu einem nahen Sumpf (die Brunnen geben nichts mehr her), so schauen aus dem Haus nebenan der Kompaniechef und der Abteilungskommandeur, Sachs, NSKK-Führer [NS Kraftfahrkorps], heraus und freuen sich.

Die Infanterie hat es schwer. Mein Weg führt mich oft am Haupt- verbandsplatz vorbei, er wird täglich voller, das Reihengrab län- ger.

Viele haben in diesen wenigen Schlamm- und Rückzugstagen alles verloren, und wenn man die Offiziere darüber klagen hört, erfahrt man en passant, was sie so mit sich schleppten. Die Landser erfüllt es mit Schadenfreude. Die Erwartung, wir würden aus der Front genommen, scheint sich nicht zu verwirklichen. Lm Augenblick, in dem ich schreibe, wird über”s Telefon der Regimentsführung Ersatz angekündigt. Man wird uns also vorläufig noch im Ofen der Nie- derlage gar werden lassen. Heute waren viele russische Flugzeuge über uns, hatten aber andere Ziele. Die Maschinen haben, von un- ten gesehen, einen klassisch einfachen Umriß. [lm Brief sind Zeich- nungen von diesem Typ in den Text eingefügt.]

In Nicholsk am I. Dezember 43. Das Dorf liegt 5 km von Solota- werka entfernt. Wir fuhren gegen 6 Uhr, alsu in der Dunkelheit los.

Ich kutschiere den einen unserer Wagen, habe nur zwei Pferde ein- gespannt, zwei andere laufen, angebunden, hinterher als Reserve.

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Wir kamen gut voran, die Tiere haben sich erholt. Wir fuhren über steile Hügel. Der Wagen hat keine Bremse, wenn er zu sehr in Fahrt kommt, stecke ich einen Knüppel in die Speichen des linken Vor- derrades, der es blockiert. Wie lange es diese Behandlung aushält, frage ich mich besorgt. Heute soll es noch 1 5-zo km weitergehen.

Das ist eine enorme Strecke unter diesen Wegeverhältnissen.

Heute, an diesem 1. Dezember, ist es so warm, daß ich mich im Freien waschen konnte.

2. Dezember 43. Wir fuhren um 9 Uhr ab und waren um 3 Uhr am Ziel. Auf der Strecke gab es ein steil abwärts führendes Stück von fast r km Länge, auf dem kein Halten mehr war, die Pferde, deren Geschirr aus Lederstücken und Kabelenden zusammengeknotet ist und keine Vorhalte hat, fielen, als es zu steil wurde, in Galopp. Daß wir heil unten ankamen, wundert mich noch jetzt. Ich konnte sie ohne Zaum und Trense nicht halten.

Wir fuhren an einer riesigen Kolchose vorbei mit zwei Windmüh- len. Ich versorgte uns für die Pferde mit Säcken voll Maiskolben.

Die Lagerhallen waren noch halb voll. Es ist auch noch ein Rest des Viehs vorhanden. Diese Armee zieht durchs Land wie im Dreißig- jährigen Krieg. Fehlen nur die Planwagen mit den Vergnügungsda- fnen.

Lm Fahren sitze ich auf einer Kiste, die Stricke, die Zügel sein sollen, mit Händen fassend, die zwei Paar Handschuhe schützen. Du darfst Dir nicht vorstellen, es bewege sich ein wohlgeordneter Zug von Wagen zwischen den abgeernteten Sonnenblumen- und Mais- feldern dahin, deren faulende Stengel die ganze Gegend mit dem Geruch von Schimmel erfüllen. Nein, manchmal sind ein paar hun- dert Meter zwischen unseren beiden Wagen und den nächsten.

Oder es bildet sich ein Pulk, drei Wagenreihen nebeneinander, die Fahrschneise ist ja breit genug. Die paar Dutzend Kübelwagen und Motorräder, über die die Division noch verfügt, haben mehr Mühe vorwärtszukommen als die Pferdewagen.

So wie jetzt werde ich Rußland nie mehr bereisen. Wenn man von der grande armée nach dem Brand vonMoskau spricht, sieht man sie immer in der Fluchtsituation vor sich, auf einem Rückzug ohne Wiederkehr. Die zeitgenössischen Darstellungen lassen keinen Zweifel daran, daß alle Beteiligten sich darüber klar waren, sie be- fanden sich endgültig auf der Flucht. Die Landser von damals müs- sen viel intelligenter gewesen sein als meine Genossen. Die nämlich 368


haben zwar die Hosen gestrichen voll, wenn sie – was zuweilen vor- kommt – an russische Gefangenschaft denken; aber im übrigen fehlt ihnen die Einsicht, sich in einer endgültigen Situation zu befinden.

Würde ich laut sagen, was ich so denke, wenn ich vom rumpelnden Wagen herunter die Pferdchen beruhige oder anfeuere, dann wür- den mich meine Schicksals genossen wahrscheinlich am liebsten lyn- chen, mit Sicherheit aber ››melden«, und diesmal Wär's mit Gefäng- nis nicht abgetan. Stalingrad hat der Kriegsjustiz enorm auf die Beine geholfen, und was wir in den letzten Wochen an der Vermitt- lung mitbekamen über schwebende oder abgeschlossene Verfahren, fing erst bei fünf Jahren Zuchthaus an, Wegen läppischer Diszipli- narvergehen.

Unsere Kraft reicht gerade soweit aus, daß wir den Kopf aus der Schlinge ziehen können, in der uns die Russen fangen wollten. Je- denfalls hoffe ich noch, daß sie dazu ausreicht. Mein Beitrag besteht darin, die Pferde zu versorgen. Bis sie ausgespannt, irgendwo un- tergebracht, gefüttert und aus einem fernen Ziehbrunnen getränkt sind, ist ein halber Tag oder eine halbe Nacht weg. Und denke ich, nun habe ich sie gleich satt im Stall, dann kommt sicher irgendein Artillerist, der treibt noch ein halbes Dutzend original deutsche Mi- litärpferde durch die Gegend und genießt deshalb Vorrechte. Deut- sche Pferde first, was Futter und Stall betrifft, und so ein Unteroffi- zier kann jederzeit verlangen, daß ich mit meinen kommunistischen Panjegäulchen abhaue. Bände ich sie dann einfach an einen Baum, so schadete das zwar ihrer Gesundheit nicht, aber am Morgen wä- ren sie verschwunden. Also gilt es, ihnen einen neuen Stall zu su- chen und mich zwischen sie zu legen. Mein kostbarster Besitz ist der Eimer mit langer Schnur, mit dem ich das Wasser aus den Brunnen hole. Wahrend ich schlafe, liegt der Eimer unmittelbar neben mei- nem Kopf, die Schnur ist um den Arm gewickelt.

Heute kam der Wachtmeister Hofmann, der eigentlich den Trupp führt, aus dem Urlaub zurück. Er war in der Nacht vom 22.11. in Berlin und hat den großen Angriff erlebt. Am Ku-Damm half er ret- ten. Bahnhof Zoo, Kino, Gedächtniskirche – alles habe gebrannt.

Im Tiergarten sammelten sich die Flüchtlinge. Aber wozu schreibe ich das – Du bist dem näher und wirst vielleicht auch wissen, ob ]eanne immer noch Ku-Damm 19, Gartenhaus, 5. Stock malen kann.

Hier halten wir uns derart mühsam gerade noch auf den deutschen 369

Beinen, daß ich mir gar nicht vorstellen kann, wie wir in ganz Eu- ropa noch Kraft entfalten. Was die Herren in der zentralen Führung wohl so denken, wenn sie sich schlafen legen und vielleicht einen ruhigen Moment haben?

5. Dezember 43. Ich habe noch keine Zeile von Dir, seit ich Kemp- ten verließ! Schlimmer wäre es, wenn Du keine Nachricht hättest.

Etwa 30 Seiten aus dem Schreibbuch gingen am 28. 1 1. an Dich ab, ich konnte sie einem Urlauber mitgeben. Nun sitzen wir wieder seit einigen Tagen fest. Absicht der Führung ist, diese Front zu halten.

Ich glaube nicht, daß wir bleiben können. Die äußeren Umstände sind unverändert, ein Bauernhaus, der große Ofen, in einem Raum die zehn Mann des Trupps, der Vermittlungsbetrieb, der Fern- schreiber, ein Kommen und Gehen der Melder – Unordnung und Schmutz. \X/ir hungern nicht, doch ab heute bekommen nur noch die Leute in den vordersten Stellungen Brot. Das ist nicht mehr als recht und billig.

Mein Marstall ist nun auf sieben ordentliche Pferde angewachsen und zwei Wagen, einer für das Gepäck, der andere für das zusam- mengestoppelte Gerät. Wir unternehmen kleine Stoßtruppunter- nehmen und beklauen andere Einheiten. Die versorgen sich ebenso.

Ich mache fast keinen Telefonclienst mehr, betreue statt dessen die Pferde. Das wird in dem Maß schwieriger, als das Dorf von Men- schen und Tieren kahl gefressen Wird. Wenn wir abziehen, hinter- lassen wir Not und Elend.

Die Kardinalfrage: Regen und Schlamm oder Kälte und gefrorener Boden? Bisher meist Schlamm. Seit gestern abend friert es, und seit einigen Stunden schneit es leicht. Der Umgang mit den Leuten des Trupps, einem Oberwachtmeister, einem Wachtmeister, etlichen Stabs- und Obergefreiten und Gefreiten, Chargen alle, geht in leid- lichen Formen vor sich. Lauter Bürger, die an die Situation vom 2;.

11., als wir unseren Wagen anzündeten, mit nur mangelhaft ver- hehltem Genuß denken. Straflos das eigene Zeug vernichten zu dür- fen, das war ihnen eine neue Erfahrung, die sie wohlig empfinden.

Sollten diesen Befehls-Hammeln im Untergang autonome, schöp- ferische Kräfte zuwachsen? Sollte der am Leitseil laufende Haufen aus dem Tritt fallen? Wüßte ich von Geschichte nichts, ich hielte es vielleicht nach den Eindrücken dieser Tage für möglich, indes, sie machen sich nicht klar, daß sie den Anfang vom Ende erleben, und dieser Schwachsinn charakterisiert sie. Nur ein kleines lustvolles 37°


Glimmen in den Augen, wenn sie sich gegenseitig erzählen, was sie gemeinsam erlebt haben, und wie die Benzinflamme zum Himmel schlug.

Unter uns ist kein Bauer, fast hätte ich gesagt: außer mir. Ich bin der einzige, der mit Pferden, Kühen und Schweinen aufgewachsen ist.

Hier ziehe ich mit vier störrischcn Pferden von einem Brunnen zum andern, und erst im vierten hat sich wieder ein bißchen Wasser ge» sammelt. Ich habe einen Eimer an langem Strick dabei (die Eimer, die eigentlich zu den Brunnen gehören, sind längst verschwunden), und der Strick taugt nicht viel; reißt er, dann ist der Eimer verloren.

Vom Tränken komme ich nach einer Stunde zurück und ziehe dann mit den andern drei Pferden los, manchmal schon um 4 Uhr mor- gens, bevor die Brunnen leergeschöpft sind. Die Erhaltung der Exi- stenz verbraucht derzeit nicht nur meine Energie fast völlig, auch die der ganzen Division. Vielleicht wird der ganze Haufen mangels militärischer Masse demnächst aufgelöst.

Soeben bringt jemand eine Frontzeitung vom 25.11., darin wird von dem großen Angriff auf Berlin berichtet. Aber schon vor zwei Tagen traf hier ein Urlauber ein, der eben diese Angriffsnacht in der Nähe des Berliner Ostbahnhofes verbracht und den Eindruck ge- wonnen hatte, ganz Berlin stunde in Flammen. Aber Ihr seid am See, wo noch Frieden ist.

Ich bin so hoffnungslos Zivilist, daß mir die Wirkungen des Krieges in der Sphäre >›norrr1alen« Lebens vielmehr auf die Nerven gehen als im militärischen Bereich. Die heulende Frau, deren letztes Schwein gerade von uns geschlachtct wird oder deren Mann evakuiert wird – das ist für mich der Krieg. Als Melder wurde ich kürzlich in eine Kompaniestellung geschickt. Gegenüber einem der dort in die tropfnasse Erde gegrabenen Schützenlöcher ist unsere Bauernkate mit Ofen ein luxuriöser Palast, unser Leben bequem, verglichen mit dem der Leute, die dort hinter ihren Gewehren und Maschinenge- wehren liegen. Wäre ich wieder einer von ihnen, so würde ich › wie man den Docht einer Petroleumlampe höher schraubt, damit sie mehr Licht gibt – meine innere Maschine noch etwas mehr auf Tou- ren bringen und die Sache durchstehen. Solange diese Maschine in eine heile Haut verpackt ist und der Tank gelegentlich gefüllt wer- den kann – lebe ich. Ja, es ist wahr, ich lebe aus meinem Körper, er formt, er bestimmt meine derzeitige Beziehung zur Welt, und diese Beziehung ist ausgezeichnet. Immer wieder mache ich die Erfah- 371

rung, daß ich eine sportive Haltung gegenüber konkreten Schwie- rigkeiten und Anforderungen einnehme, und, wär's denkbar, ich wäre imstande, ihr denselben Ausdruck zu geben wie in Universi- tätszeiten, wenn ich mit weißen Handschuhen, weißer Nelke und Monokel herumlief, wozu Professor Stucken in Erlangen nach mei- nem Referat über Steuer-Überwalzung sagte: Die Ausführungen des Kommilitonen konnten sich hören lassen, aber warum er das Monokel absetzte, wenn er las, und es aufsetzte, wenn er uns an- blickte, wüßten wir gerne. Damals war es Hanswursterei, heute und hier Wäre es eine Demonstration. Wirklich schade, daß sie nicht möglich ist. Die pure Existenz zu fühlen, das ist eine schöne Sa- che.

Diese zwei Blätter werden zum Fest des Friedens bei Dir sein. Pa- pier und Worte statt Wirklichkeit, aber immerhin Transport von Wirklichkeit.

Eben war ich draußen. Die Nacht ist mild und schön; die Tempera- tur, dicht unter dem Gefrierpunkt, läßt eine dünne Schicht Schnee- puder liegen, über den Feldern, über allem, über Unrat und Verwü- stung. Das Mondlicht beleuchtet eine scheinbar unzerstörte Welt.

Die Mühle steht still oben auf ihrem Hügel. Es wird einer kommen und sie anzünden.

Stezowka, den 7. Dezember 43. Es wird kalt und trocken. Ich fahre am 6. voraus rnit Gepäck. Steile Straßen. Einmal drei russische Schlachtflieger, neue Maschinen, herrlich anzusehen, sie hatten aber schon abgeladen und flogen nach Hause. Ich gelange ohne Rad- und Pferdebeinbruch bis Stezowka. Doch bekommt das graue Pferd gleich nach der Ankunft eine schwere Kolik, es wälzte sich und wäre gestorben, wenn nicht vier pferdekundige Artilleristcn in seltener Hilfsbereitschaft das Tier auf die Beine gestellt und durch einen Ukrainer hätten zwei Stunden bewegen lassen. Jetzt scheint es durchzukornmen.

Auf dem Hügel drei Windmühlen, die ich von allen Seiten fotogra- fiere, sie stehen schön im Sonnenlicht. Dieses Stück Ukraine macht einen ausgesprochen wohlhabenden Eindruck.

9. Dezember 43. Ich setze nun zum dritten Mal an, ein bißchen auf- zusehreiben. Die Pferde stehen schon angeschirrt im Stall, wir war- ten nur darauf, daß der letzte Offizier, ein Herr von Löffelholz, sich davonmacht, damit wir unseren Betrieb hier einstellen können.

Dann geht es weiter, weiter, weiter = rückwärts. Wenn unsere je- 371

weiligen Hausrussen bemerken, daß wir packen, so wissen sie schon, in welcher Richtung wir aufbrechen werden. Heute soll es sich wieder um 1 5 km handeln, die Division wird aus der vordersten Linie herausgenommen. Ob sie eine Auffangstellung beziehen soll oder Partisanen bekämpfen, wissen wir noch nicht.

Gestern abend, es war gerade dunkel geworden, wurde ››mein« Wa- gen gestohlen, der direkt vor der Haustür stand. Unsere Suchaktio- nen führten erst heute morgen zum Erfolg. Zuvor aber hatte ich schon einen neuen Wagen ››beschafft«. Wir sind nun 80 km von Krementschug entfernt.

1 1. Dezember 43. Seit fast r4 Tagen ziehe ich mit den Pferden jetzt durch die Ukraine. Die Tiere sind unglaublich brav und machen al- les mit. Von vorgestern nachmittag 4 Uhr bis heute früh 1 1 Uhr sind wir ununterbrochen auf der Straße gewesen, jedoch nur so langsam vorwärts gekommen, daß wir in dieser Zeit kaum mehr als zo km zurückgelegt haben. Zo km nach Westen! Ich habe nun auch wieder etwas Übersicht, tappe nicht mehr ganz so blind durch Land und Krieg wie in der ersten Woche der Absetzbewegung. Ich habe auch gelernt, bei Nacht ohne Licht zu fahren. Was es da zu lernen gab, besteht darin, dem Instinkt der Tiere zu vertrauen, zwischen Füh- ren und Laufenlassen den richtigen Kompromiß zu finden. Im Quartier angelangt, ist mein erster Gang jedesmal hinauf zum Dachboden, um zu schauen, ob Mais vorhanden ist. Tatsächlich ist die Ukraine noch nicht leergefressen. In 14 Tagen wird es soweit sein. Dann ist Weihnachten, und der Winter beginnt erst richtig.

Die Leute werden vor dem Nichts stehen.

Nun setze ich zum xtenmal zum Schreiben an, diesmal mit Aus- sicht, dabeibleiben zu können. Wir haben gerade das festlichste Abendessen hinter uns, das ich in Rußland eingenommen habe: ein ausgezeichnetes Quartier, ein Schwein, gestern geschlachtet, ein paar Frauen, die für die Küche sorgten. Wir waren am großen Tisch ein Leutnant und sechs Mann, zwei mußten Dienst tun. Es fanden sich sogar Teller, und Kerzen brannten. Statt Wein, wir haben kei- nen, gab es Tee von unseren letzten Resten. Das Fleisch auf jedem Teller entsprach der Menge, die Du in einem halben Jahr auf Deine Karten kaufen kannst.

Ich habe ein paar Skizzen von dem Familienidyll auf dem Ofenge- birge zu machen versucht, aber die Kinder bewegten sich immer und aus dem Gedächtnis kann ich Figürliches nicht zeichnen.

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Wir sind in einer Gegend mit größeren Wäldern, und das heißt: in einer Partisanengegend. Als wir im Morgengrauen das Dorf er- reichten, Wurden wir beschossen.

Ich benütze dieses (schlechte) Zeichenpapier für den Brief, weil ich den Eindruck habe, daß meine Aufzeichnungen im Schreibbuch immer mehr den Charakter eines Tagebuchs annehmen, statt Ge- spräch mit Dir zu bleiben. Ich Weiß, woran das liegt: daran, daß ich nun seit Kempten ohne ein Wort von Dir bin, und daß ich vielleicht noch nie seit 1939 so tief in den Krieg eingesunken bin wie derzeit.

Es ist schön, mit den Pferden umzugehen. Zwischen ihnen und mir gibt es keine Sprachschwierigkeiten, sie wissen auch nicht, daß ich eine Uniform trage. Sechs Pferde, wenn sie sich im Stall leise wie- hernd herandrängen, verkörpern eine Menge Kraft, von der sie im Umgang mit mir den vorsichtigsten Gebrauch machen.

12. Dezember 43, 5 Uhr früh. Um Mitternacht rückte eine Artille- rie-Abteilung ins Dorf, und mindestens zehn ihrer Feldwebel und Unteroffiziere machten den Versuch, in unser Quartier einzudrin- gen. Zuletzt kam der Artillerieoberst selbst und brauchte eine Wei- le, bis er verstand, warum ein halb entkleideter Soldat behauptete, dies sei das Quartier des Generals, während doch von einem solchen oder überhaupt von einem Offizier außer ihm selbst nichts zu sehen war. Er ging kopfschüttelnd und verwirrt. Vieles muß jetzt Offi- ziere verwirren, die bestimmten Ordnungsvorstellungen nachhän- gen. Das Geschirr meiner Pferde ist für einen im Militärstall erzo- genen Feldwebel einfach ein Skandal; er tröstet sich damit, daß das eben sowjetische Gäule sind. Es sind aber in deutschem Dienst ste- hende Pferde, der Panjewagen ist ein deutsches Transportmittel, meine ›>Russenjacke« ist ein Bestandteil der notwendigen Ausrü- stung eines deutschen Soldaten – es ist schon ein jarnmer, wie alles nicht mehr mit der HDV [Heeresdienstvorschrift] iibereinstimmt! Und da sind die langen Mantel der Infanteristen, die sie, des Schlammes Wegen, einfach bis übers Knie abgeschnitten haben, damit sie fliehen können. Sie sehen in diesen Gehröcken lächerlich aus, aber niemand kann sie zur Ordnung rufen.

Ich möchte Proust sein, um meine Grundempfindung beschreiben zu können, die als Schadenfreude zu bezeichnen viel zu grob ware.

Für mich ist die Großdeutsche Armee in diesem Zustand in Ironie eingehüllt wie in ein kostbares Parfüm. Das stahlerne Verbrechen zerfranst, die Lackierung ab, und siehe, es war gar nicht aus Stahl! 374


Es war aus Braunau-Pappe. Oh, dieser ganze Areopag unserer edel- sten Geister, diese fiesen Möppe wie ]íinger und Konsorten, dieser Thomas Mann aus dem Ersten Weltkrieg, Stefan George, Benn, und zurück Körner, Fichte, Arndt, vorwärts Heidegger und ]ohst – entlaufen der Humanitat, dem Menschen schlechthin, für einen blöden nationalen Wahn, oder für einen aufgesetzten Heroismus, für Ideale. Das ist das Herrliche an dem, was ich jetzt um mich herum habe: eine deutsche Welt, aufgebrochen, um die ganze an- dere Welt für die deutschen Ideale zu retten, sie zu ihnen zu bekeh- ren – eine deutsche Welt in Rußland, sich fortbewegend mit Panje- pferdchen, und ganz und gar ohne Ideale. Germania nackt, was für ein Anblick! Ich schaue sie an und Ironie erfüllt mich, als hätte ich Champagner getrunken. Mitleid – also Hurnanität? Und weil kein Mitleid, nein, bei Gott, kein Mitleid – also keine Humanität? Also auch ich ganz und gar deutsch? Mein Mitleid gilt den Menschen, die hier zu Hause sind und die wir dem Elend und dem Hunger eines Winters preisgeben. Das ist genug Humanität.

Ich warte auf Post. Was Du alles zu berichten haben wirst! Ich sin- ke, was Informationen allgemeinerer Art betrifft, auf Stallbur- schen-Niveau herab. Gestern lieh ich mir von unserem Abteilungs- komrnandeur eine Nummer des »Reich « von Ende November aus.

Sie erzählte mir gar nichts. Der Kommandeur, ein sächsischer Hauptmann, ist im Zivilberuf Autofachmann, fährt Rennen, geht ganz im Auto auf, und jetzt befiehlt er einer Truppe, die sich mittels armselig bespannter Bauernwagen bewegt.

Der Tag kommt herauf. Ich sehe, daß im Laufe der Nacht unmittel- bar vor unseren Fenstern zwei Kanonen, ich glaube I5 cm-Kaliber, also ganz ordentliche Brocken, inStellung gebracht wurden.

Die Russen dieser Gegend scheinen gegen Kälte empfindlicher zu sein als wir. Kaum sinkt das Thermometer unter Null, sagen sie händereibend: Kolodno, kolodno, kalt, kalt! Die Kanonen vor ih- rem Haus regen unsere Russenfrau schrecklich auf, nicht zu un- recht. Ich stelle mir oft genug alles mit umgekehrten Vorzeichen vor, diese Kanonen sind also russische und stehen vor Rehrnenhal- de 5 [dort wohnt die Familie], und alle diese Soldaten sind Rus- sen.


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