Mein krieg aufzeichnungen aus 2129 Tagen



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Sana27.06.2017
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liebe Hausgenossen, nützliche Hilfe, weil sie wissen, wo Sonnen- blumenöl vielleicht doch noch aufzutreiben ist für diejenigen, die in Urlaub fahren und der Herrenrassenfamilie etwas mitbringen wol- len von den Untermenschen. Sind diese Russen weiblichen Ge- schlechts und jung (hübsch brauchen sie gar nicht zu sein), so kön- nen sie gar nicht nahe genug kommen,und das Bedauern ist groß, daß die Mädchen darüber in der Regel ganz andere Vorstellungen haben. So ist die deutsche Praxis, wenn die eigenen Dinge wackelig stehen. Geschlagen zu werden, treibt ihnen sogar die Rassentheorie aus. Eine in Charkow verlorene komplette Divisionsausriistung setzt sich in ein Minimum von Humanität um.

Seit heute friert es. Die Straßen sind erstarrt, wodurch sie nicht bes- ser werden. Doch bleiben die Stiefel sauber. Noch ist es nicht 3 Uhr und schon wird es dunkel.

zo. November 43. Der Russe hat – na, Du liest den Wehrmachtsbe- richt auch! Spannungsvoll sind wir über den Fernschreiber gebeugt, wenn er zu klappern beginnt und sein weißes Band rollen läßt. Ver- gangene Nacht begann die Offensive mit einem großen Artillerie- sturm irn Süden von uns. Im Laufe des Vormittags wurde dann klar, daß unser Sack etwas enger geworden ist.

Es ist eine Menge zu tun. Merkwürdig, wir Deutschen! Wie oft wir auch erleben, daß sich Verhältnisse binnen einer Stunde grundle- gend ändern können, wir fangen doch immer wieder an, uns einzu- richten wie für die Ewigkeit. Unsere Leitungen sind auf Isolierglok- ken verlegt worden, elektrisches Licht gibt es, Betten wurden ge- baut – und all das wird nun in ein paar Stunden verlassen werden und vielleicht schon in ein paar Tagen verbrannt, gesprengt, vernichtet sein.

Hier liegt sogar ein Band Goethebriefe herum, und eben lese ich »Ulanenpatrouille« von Horst Lange. Diese Novelle gehört zu der Art deutscher Literatur, gegen die man, obwohl sie so penetrant deutsch ist, nicht viel haben kann, denn schließlich ist das meister- lich geschrieben und gewiß nicht unanstandig in der Gesinnung.

Aber mir will's doch nicht munden. Ich weiß zu gut, daß ein ganz kleiner Ruck genügt, ein allerdings Wesentliches verändernder Ruck, und wir sind bei Blunck, Jünger, Grimm, johst, Baumann, dieser ganzen Ehrengarde unterschiedlicher Qualität, aber gleicher Orientierung gegen die Welt, hin zu deutscher Innerlichkeit oder zu deutschem Heroismus.

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Gebaren vermuten könnte, existiert nicht. Nur Sympathie von bei- den Seiten.

Ich packe schnell. Um 19 Uhr erreicht mich der Auftrag, mit zwei anderen zum Regiment vorzufahren, um eine Querverbindung zu der benachbarten Einheit abzubauen. Wir fahren im Dunkeln über die gefrorenen Wellen des Schlammes 6 km weit Richtung HKL.

Viele Leuchtkugeln, Leuchtspurmunition, Granatwerfer der Rus- sen. Beim Regimentsgefechtsstand müssen wir bis zr Uhr warten, dann fangen wir an, abzubauen. Es stellt sich heraus, daß das Auf- spulgerät in Unordnung ist. Mit großer Mühe rolle ich, das Gerät auf dem Bauch, g km Kabel auf. Es ist Vereist. Die Dörfer sind schon nahezu geräumt von unseren Leuten. Obgleich es streng ver- boten ist, die Häuser anzuzünden, weil der Russe daraus schließen könnte, daß wir uns davonmachen, brennt ein Dorf. Die Katen glü- hen von innen, und langsam durchdringen die Flammen die dicken Strohdächer. Hinter uns geht, von Pionieren gesprengt, eine Brücke in die Luft.

Nachmittags sind Übermäntel ausgegeben worden, und ich bin froh darum, einen anzuhaben, denn gegen Mitternacht erhebt sich ein eisiger Sturm. Um 1 Uhr haben wir unseren Auftrag erledigt und versuchen in unser Dorf zurückzukornmen, oder wenigstens nach Pawlitsch, wo wir vor zehn Tagen ausgeladen Wurden. Heute liegt das Dorf bereits im Wirkungsbereich russischer Infanteriewaffen.

Zurückgehende Artillerie verstopft, was man eine Straße sowieso nicht nennen kann, und in einer Allee vor Pawlitsch bleiben wir stecken. Mit Gebrull schaffen wir uns Luft. Schließlich erreichen wir die Rollbahn und fahren mutterseelenallein zum neuen Ge- fechtsstand vor. Im neuen Dorf wartet der Kompaniechef bereits auf uns.

Mir erschien es märchenhaft, wie wir in der Finsternis das richtige Haus im richtigen Dorf gefunden haben. Wir wurden neu losge- schickt, um eine Leitung zu bauen, gestärkt mit einem Chef- Schnaps. Die Mängel des Gerätes machten sich beim Auslegen der Leitung noch stärker bemerkbar. Es war 9 Uhr vormittags, als wir das Ziel erreichten – und dann ging die Leitung nicht! Vereist alles, über Glatteisflächen trieb uns der Sturm. Wir suchten die Störung, dem Wagen ging das Benzin aus. Als wir endlich das Quartier fan- den, das die übrigen vom Trupp ausgesucht hatten, schlief ich dort zwei Stunden. Da wurde ich auf eine neue Störungssuche geschickt.

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zr. November 43. Beim Mithören von Gesprächen zwischen den Kommandeuren ebenso wie aus dem Gerede der Soldaten wird klar, wie sich das Bewußtsein verändert hat in bezug auf die Sowjets als militärische Gegner. Früher wurde höchstens einmal die Überle› genheit der Zahl zugegeben, jetzt weiß man, daß sie uns qualitativ mindestens gleich sind. Es ist schwer, über die Lage in unserem Ab- schnitt ein zutreffendes Bild zu gewinnen. Im Trupp hat niemand eine gute Karte. Es hängt sicher viel davon ab, ob wir uns am Dnjepr halten. Mein Eindruck ist, wir sitzen in der noch stillen Mitte eines Hurrikans. Seit heute früh erwarten wir den Aufbruch – nach rück- wärts. Aber nun wird es schon wieder dunkel, und wir sind noch hier. Die Privatsachen sind verpackt, die Batterien verladen, Ker- zenlicht leuchtet uns. Der Ofen wirft seinen Schein ins Zimmer, auf der heißen Platte röstet die Frau Kürbis- und Sonnenblumen- kerne. Alle Soldaten kauen, den Russen gleich, von früh bis abends diese Kerne, und der Lehmboden ist mit ausgespuckten Schalen be- deckt.

23. November 43. In Eile das Wichtigste: Die Absetzbewegungen sind gestern abend eingeleitet worden. Das Zurück sah zunächst wie ein Vorwärts aus, weil wir uns erst in Richtung auf den Dnjepr zu bewegten, um aus einer besonders engen Falte des Sackes her- auszukommen.

Gestern gehe ich vormittags durch den Ort und fotografiere.

Nachmittags höre ich, daß die wehrfähigen Russen evakuiert wer- den sollen, deutliches Zeichen für die Absicht, das Gelände aufzu- geben. Wir haben drei Männer im Haus, darunter Alex, Nataschas Mann. Plötzlich fangen die Frauen an zu heulen und zu schreien: der Abmarschbefehl für ihre Männer ist da. Sie ziehen alle ihre Klei- dungsstücke übereinander an und werfen einen Sacküber die Schul- ter. Alex” gut geschnittenes Gesicht ist sehr ernst. Natascha reicht ihm unter wildem Schluchzen Stück um Stück seiner Kleidung: We- sten, ]acken, Halstücher. Die beiden andern Frauen, besonders die alte, sind blind von Tränen. Ich sehe die Szene durch die Scheibe in der Tür zwischen unserm Raum und der Küche. Zwei Stunden spä- ter, die Männer sind fort, ist den Frauen ihr Kummer nicht mehr anzumerken, sie tun ruhig ihre Arbeit, spülen für uns, usw. Gegen Abend bemerken sie, daß auch wir uns zum Aufbruch fertigma- chen. Aufs neue fängt Natascha zu heulen an und ist ganz verzwei- felt. Eine Liebschaft mit einem aus dem Trupp, wie man nach ihrem 357

24. November 43. In ein paar Stunden (jetzt ist es 19 Uhr) wird es weitergehen. Es regnet, regnet! Das erstarrte Meer des Schlammes wird neu in Bewegung kommen. Rückzugswetter! Bis Mittag hing der Nebel tief über dem zerstörten Dorf. Die Autos sterben in die» sem Wetter wie die Fliegen.

Meine Infanterie-Wochen von 1941 haben mir zu nützlichen Maß» staben verholfen. Die Tatsache, daß ich nach Leitungsbau und -abbau oder Störungssuche in eine warme Hütte zurückkehren und mich trocknen lassen kann, macht mir bewußt, daß ich Privilegien genieße. Wäre dieser Krieg noch unabsehbar – er ist es nicht mehr! F so würde ich nicht dort bleiben, wo ich bin. Das wußte ich t94i nicht so sicher, wie ich es jetzt Weiß, und 1939 kam mir der Gedanke daran gar nicht. In die Perspektive gestellt, die ich jetzt vor mir sehe: noch ein ]ahr . . .?, bleibt es dabei: hic Rhodus, hic salta! [Aus dieser Stelle ist zu schließen, daß ich mir überlegte, unter welf chen Umständen ich desertieren Würde. Sie darf nicht übersch atzt werden. In Wahrheit habe ich mich nie ernsthaft mit diesem Ge- danken beschäftigt]

Von der gepflasterten Rollbahn, die vor dem Quartier vorbeiführt, klingen die Hufsehläge der Pferde und das Rollen der Geschütze wie der Munitionswagen. Es sind die ersten Einheiten auf dem Weg in den künftigen Verteidigungsraum. Wir werden im Laufe des Abends folgen, die Infanterie in der Masse nachts. Nicht abzuse- hen, wann diese vor drei Tagen begonnene Bewegung wieder zum Stillstand kommen wird. Der kleine Soldat weiß es nicht, der Gene- ral glaubt es zu wissen: das läuft auf dasselbe hinaus. Malamanorka heißt unser Dorf. Es gibt mehrere Dörfer dieses Namens. Mein Schreibheft trage ich jetzt in der Tasche mit mir, in die eigentlich die Gasplane gehört. Es gibt gerade Kaffee, und wir essen seit gestern ››Wittlerbrot«, dreifach und luftdicht eingepackt, die Blöcke in Scheiben geschnitten. Dieses Brot ist ein Zeichen dafür, daß wir von der Nachschuborganisation getrennt sind, entweder durch die Rus- sen oder durch fehlende Transportmittel. Es ist aus einem eisernen Bestand genommen.

Wieder wurden hier die wehrfähigen russischen Männer evakuiert, ohne Vorankündigung, es ging rascher als im vorigen Dorf. Sie hat» ten gerade Zeit, sich die Mütze aufzusetzen. Sie küssen Frau und Kinder nicht zum Abschied, sie geben ihnen nicht die Hand. Sie se- hen sie kaum an. Sie gehen aus dem Haus, in die Wasserwüste hin- 359

aus. Was sie sich an direktem Ausdruck ihrer Empfindungen versa- gen, wird sich in der Folge gegen uns wenden, dessen bin ich sicher.

Zu glauben, wir seien das Potential los, das sie darstellen, indem wir sie von Ort zu Ort treiben, ist eine Idiotie. Frauen und Kinder schrien, und die Frau in unserer Hütte machte in fliegender Hast (hier paßt der Ausdruck) einen Beutel mit Eßwaren zurecht und rannte dem Mann durch den Schlamm nach. Ein Kind lief bis zum Zaun und blieb dort heulend stehen.

26. November 43. Die nächtliche Reise begann damit, daß der Mo- tor, der tags zuvor gut gelaufen war, nicht ansprang. Wir machten uns schon mit dem Gedanken vertraut, umladen zu müssen, als wir den Wagen bis an den Anfang eines Hanges rollten, über den er, zornig knallend, die Straße durch sein Gewicht erreichte, worauf er lief, aber schlecht. Es war 23 Uhr, um 24 Uhr sollte die Infanterie in Bewegung kommen, es war also hohe Zeit, sich davonzumachen.

Nach 1 km blieb die Karre stehen vor einer leichten Steigung, gerade an einer Stelle, wo ein großer Lastkraftwagen wie eine Fackel brannte, angezündet und verlassen wegen Motorschadens. Soweit war es mit uns noch nicht.

Im nächsten Dorf stand die bespannte Artillerie und andere grob» schlächtige Einheiten in zwei und drei Reihen nebeneinander und ineinander verzahnt. Die Straße hörte auf, ein Schlammpfuhl zu sein. Sie wurde ein richtiger Fluß, knietief mit schwarzer Brühe ge- füllt. An ein Weiterkommen mit dem Wagen war nicht mehr zu denken. Mit einem andern machte ich mich zu Fuß nach Sininarka auf, iz km entfernt, dort sollte der Divisionsstab sich installiert ha» ben, dort lag unser Vorläufiges Ziel. Ich hoffte, eine Zugmaschine aufzutreiben, die unsern Wagen abschleppen würde. Wir tappten los durch die Finsternis, zwischen all den Gäulen hindurch, den Kanonen, den Wagen. Nach 300 m hörte ich ein Töff-Töff, ein lie- bes Diesel-Geräusch, es war der Trecker des Fernsprechzuges, ein riesiges Ding, dem die Brühe zwischen seinen Rädern nichts aus- zumachen schien. Die Division hatte das Gefährt losgeschickt, für- sorglich, denn ihr fehlten eine ganze Anzahl wichtiger Fahrzeuge.

Nicht irn Schlamm, aber in den wartenden Kolonnen blieb der Trecker stecken. Ich erkundete, ob er vielleicht hinter den Häusern, durch die Gärten zurückfahren könnte zu unserm Fahrzeug und zu anderen, die liegengeblieben waren. Es sah so aus. Mit meiner fast ausgebrannten Taschenlampe die Richtung weisend, ging ich vor 360

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dem Trecker her und rief dem Fahrer zu, er solle sich dicht an der Wand der Kate halten. Er aber nahm die Kurve um das Eck ziemlich weit, ich hörte ein Krachen und sah den Koloíš bis zu den Achsen in der Erde verschwinden. Er war auf ein nur mit dünnen Brettern und etwas Erde abgedecktes Vorratsloch der Bauern gefahren und ein- gebrochen. Wir schleppten Balken herbei, Seile, zu viert arbeiteten wir zwei Stunden; ich brachte, o Wunder, einen Unteroffizier der wie versteint dastehenden Artillerie dazu, seine sechs Pferde vorzu- spannen – dann gaben wir es auf. Die fast neue, großartige Maschine nützte uns nichts mehr und war selbst auch verloren. Unser eigenes Fahrzeug war inzwischen rgo m weitergekommen. Ich verkündete die I-Iiobsbotschaft, unseren Fahrer Otto Schäfer packte der Ehr- geiz und er behauptete, er werde den Trecker herausbringen. Des- sen Fahrer war aber inzwischen einfach verschwunden, und zwar ohne unter dem Motor eine I-Iandgranate zu zünden. Otto aber ver- stand sich nicht auf diese Spezialmaschine, er brachte den Motor zum Laufen, aber nicht auf Vollgas, das irgendwie blockiert war.

Nun war eigentlich nichts mehr weiter zu tun, als zu warten, bis die Straße frei würde. Ich ging in ein bereits verlassenes Haus, im Ofen brannte noch ein schwaches Feuer, ich ziindete eine Kerze an und trocknete meine Handschuhe. Am unteren Teil des Mantels klebte der Schlamm wie ein Pelzbesatz, aus dem es tropfte.

Die Infanterie begann, in lockerer Ordnung sich durch die noch immer blockierten Artilleriekolonnen zu schlängeln. Aueh diese kamen nach und nach in ruckende Bewegung. Die Fahrer hieben auf die Pferde ein. Wir fanden abseits der Straße auf leidlich festem Grund einen Umgehungsweg, und unser Motor schaffte es immer wieder über ein kleines Stück, bevor er aussetzte. Otto Schäfer hatte keine Vorstellung, woran es liegen könne. Zo Meter, Motor tot, 30 Meter, Motor tot. Aber so kommt man ja auch vorwärts. Ich schlief ein. Als ich aufwachte, stand der Wagen wieder auf der großen Stras- se, die Artillerie war weg, die Infanterie strömte nun in geschlosse- ner Ordnung und mit sichtlich beschleunigtem Schritt an uns vor- bei. Das übliche Spiel begann, anschieben, starten, fahren, aus, an- schieben, usw. Der Schlamm rann mir oben in die Stiefel hinein. Es wurde hell und ich sah, wir waren immer noch im selben Dorf, in dem der Trecker versunken war. Als mir zudem klar wurde, Wie- viele Kilometer uns noch von der Auffangstellung trennten und daß die fliehende Infanterie nur noch tröpfelte, suchte ich aus dem 361

Durcheinander im Wagen meine beiden Packtaschen heraus, ferner die Rolle mit den Decken und der Russenjacke, vergaß auch den Brotbeutel nicht, verzichtete nur auf den Tornister. Wir bereiteten unsere teuersten › und geheimen » Geräte, die Codemaschine und den Fernschreiber, fiir die Vernichtung vor. Der neue Tag, der da grau, nebelig und naß heraufkam, zeigte uns eine Rückzugsstraße, die wenige Stunden später dem russischen Wochenschau-Opera teur das allergrößte Vergnügen bereitet haben wird: Autos und Wa- gen, schief und halb ersoffen auf und neben der Straße, brennende, verbrannte, ganz unversehrte – das stand da alles und wartete auf neue Besitzer. Die vorbeiziehenden Infanteristen boten ein Bild des Jammers. Einen sah ich, den kannte ich aus Augsburg, er schlich dahin, von Schmutz überzogen, hinkend. Ich rief ihn an und sagte: Na, wie geht's? Ich glaube, er erkannte mich gar nicht. Jedenfalls gab er keine Antwort auf eine so blöde Frage.

Wir begannen unseren Wagen zu entlasten, die Kabelrollen versan› ken gurgelnd im Schlamm, noch roo m, noch zoo ging es weiter, dann war”s wirklich und endgültig aus. Nun suchten auch die an- dern ihr Zeug zusammen. Ich hängte mir die beiden Packtaschen über die linke Schulter, dazu den blauen Beutel der Gasplane mit al- len Papieren, beschriebenen und leeren, und mit dem Schreibzeug.

Über der rechten hing die Rolle mit Decken und Jacke. Brotbeutel, Feldflasche und Efšgeschirr – eine stattliche Last. Und natürlich das Gewehr, die Munition. Den Übermantel, nagelneu, hatte ich aus« gezogen, damit konnte ich nicht marschieren, er blieb zurück. Wir schütteten einen Kanister Benzin über das Fahrzeug und ziindeten es an. Für weit mehr als 1 oo ooo Mark Werte gingen in Flammen auf.

Unersetzlichc Werte. Wir schauten uns noch ein paarmal nach der Rauchsäule um, während wir neben der Straße vorwärtsgingen, d.h.rückwärts, westwärts, Mann hinter Mann. Noch immcr war das endlose Dorf um uns. Hinter uns kamen, rascher als wir mar- sehierten, ein paar Infanteristen und dann ein Zug Pioniere. Die sagten: wir sind die letzten – und dort kommt der Iwan.

Er kam von links her über eine von der Wintersaat übergrünte Pleine herab in lockerer Ordnung. Schwarze Männchen vor grünem Hintergrund, von uns vielleicht 400 m weit weg. Mit ihren Geweh- ren schossen sie im Stehen und trafen deshalb nichts.

Bald kamen Wir Wieder in Deckung von ein paar Häusern. Immer- hin, Zeit war da nicht mehr zu verlieren, wir zogen so rasch wie 362

möglich unseres Weges. Er wurde uns, nicht mehr als 6 oder 7 km, bitter lang. Das Dorf endete schließlich doch einmal, die Straße senkte sich zu einer Brücke hinab, die kein Gewässer, sondern nur einen sumpfigen Streifen überspannte und bald darauf gesprengt wurde. Dann ging es einen mächtigen Hang hinauf, in dessem obe- ren Drittel die neue Stellung entstehen sollte. Ausgehoben war sie noch nicht. Als dünne Kette über Kilometer verteilt, gruben sich Infanteristen gerade ein. ››Auffangstellung« war hierfür ein starkes Wort. Wir erstiegen den Hang unter Beschuß der nachrückenden Russen und sahen, als wir oben angelangt waren, einen zweiten Hang vor uns, steiler und mächtiger noch als der erste, einen wah- ren Schildkrötenbuckel. An ihm scheiterten endgültig die Motor- fahrzeuge, die sich noch bis hierher geschleppt hatten. Wäre der Russe mit stärkeren Kräften hinter uns gewesen, es wäre für ihn ein leichtes gewesen, die beiden Hänge zu besetzen und damit die Bil- dung einer neuen Front schon im Ansatz zu verhindern. Aber unse- ren Verfolgern fehlte der richtige Mumm zum Angriff, sie waren wohl auch müde vom Siegen.

Auf dem zweiten Hügel nahm ich mir eines der vielen herumliegen- den Fahrräder und hing meine Gepäckstücke daran. Bevor ich die- sen höchsten Kamm verließ, schaute ich zurück über ıoo qkm russi- sches Land am Dnjepr. Die Unsrigen gruben sich ein, die Russen waren noch im Vorrüeken. Es wurde beiderseits überraschend lahm geschossen.

Fünf Mann des Trupps waren zur Stelle, vier hatten wir verloren.

Wir beschlossen, auf sie im ersten Haus, das wir erreichen würden, zu warten. Dort gab uns eine Frau, heiter und freundlich, eine Schüssel Suppe. Wir hatten auch eine Flasche Schnaps dem Feuer- tod entzogen, sie ging reihum. Nach einer knappen halben Stunde waren wir vollzählig. Das hob unsere Laune, und ich wunderte mich wieder: wir latschten durch fremdes Land, hatten keine präzi- sen Weisungen, keine Karten, ünd doch fanden wir uns zurecht.

2 km weiter, am andern Ende dieses neuen Dorfes, stießen wir auf den Divisionsstab, der ein blechernes Fähnchen ausgesteckt hatte, und erst dort dammerte uns eine Ahnung auf von unseren Verlusten an Fahrzeugen, Material und Maschinen. ]etzt, 24 Stunden später, wissen wir, daß unser Nachrichtenzug bis auf zwei Wagen seine ge- samte Ausrüstung plus Verpflegung verloren hat, desgleichen ist die Nachrichtenabteilung der Division praktisch nicht mehr existent, 363


dort hat der Zahlmeister sogar das Geld und sämtliche Luftpost- marken eingebüßt. Von den Geschutzen soll noch ein Drittel vor- handen sein.

Ein paar Funkgeräte arbeiteten noch. Gestern den ganzen Tag über war die Lage der Division mehr als ››unklar«. ››Lage<< fand eigentlich gar nicht statt, und die Stellung auf den Hängen wurde geräumt, be- vor sie auch nur notdürftig befestigt war.

Doch der Reihe nach: bei der Division ward uns der Befehl, uns ein Panjewägelchen zu besorgen, aufzuladen, was noch vorhanden sei, und abzurücken nach Solotawerka, etwa zo km weiter. Es blieb an mir hängen, unsere neue ››Motorisierung« zu beschaffen. Weinen- den Bauern stahl ich zwei Pferde, aus zwei Ställen je eins, und spannte sie vor das leichteste Fahrzeug, das ich finden konnte, einen zweiräderigen Karren mit soliden Eisenrädern. Mit Schnur wurden Reste von Geschirr zusammengeflickt. Meine Ernennung zum Führer, zum Pferdeführer, erfolgte auf der Stelle. Wir rollten über die Rollbahn, gemächlich hügelauf, hügelab, die Pferdchen zogen brav und bedurften wenig Ermunterung. Irgendwo war glí.ickli~ cherweise ein mit Brot beladener Wagen steckengeblieben. Es wurde Mittag, Nachmittag, Nacht (um rg Uhrl). Auf der letzten Ebene vor Solotawerka mündete eine Straße von links auf die Roll- bahn ein. Sie führte ihr viele Fahrzeuge zu, und alsbald ging es nur noch im Schritt und für halbe Stunden überhaupt nicht mehr weiter.

Bis zum Ziel brauchten wir weitere drei Stunden. Aber was heißt Ziel? Niemand wollte von uns etwas wissen. Hingegen war es ein leichtes, einen leeren Stall zu finden. Als keiner Miene machte, mir beim Ausspannen und Versorgen der Gäule zu helfen, wurde ich ungemütlich. Unter dem Strohdach einer sehr kleinen Kate schlie» fen wir zu dritt, Wir teilten den zeltartigen Raum mit einem weißen Huhn, nach dem der Besitzer schon im Morgengrauen anfing zu su- chen. Es war noch da. Wir waren ohne Interesse für Hühner. Wir suchten Wasser. Ich lief noch in der Nacht zehn Häuser ab, bis ich eine Flasche füllen konnte. Die Pferde, die sich die Division binnen 24 Stunden zugelegt hat, saufen die Brunnen aus.

Ich schlief wie tot zehn oder elf Stunden. Ich brauchte eine halbe Stunde, bis ich in die durchweichtcn Stiefel hineinkam. Uns wurde ein Haus genannt, in dem bessere Pferdegeschirre liegen sollten.

Auf dem Weg dorthin sah ich, daß Solotawerka in die Aktion »Schönere Ukraine« einbezogen gewesen war. Alle Häuser waren 364

neu geweißt, die Frontseiten bunt bemalt, die Sockel abgesetzt. Die Hausnummern mit Schablonen aufgemalt, deutsche Straßennamen in schöner Schrift auf schöne Schilder gemalt. Als ich das sah, wurde ich so lustig, daß sie mich für besoffen hielten. Ich bekam einen re- gelrechten Lachkrampf, was rnir schon lange nicht mehr passiert ISL

Als wir zurückkamen, waren unsere Pferde weg. Mir wurde Schuld gegeben, ich hätte sie nicht alleinlassen dürfen. Natürlich sind sie von Deutschen requiriert worden. Im Laufe des Tages habe ich vier andere Pferde gestohlen, einen großen Braunen, ein mittleres Ge- spann und einen kleinen, fast schwarzen Wallach. Dazu einen vier- rädrigen Panjewagen – der stand herrenlos herum. Wir haben die Mittleren und den Kleinen in einen Ziegenstall gesperrt. Sie können sich nicht hinlegen, dazu ist es zu eng. Die Türe ist vernagelt. Ich hoffe, sie werden heute nacht nicht gestohlen.

Gewaschen habe ich mich zuletzt vorgestern. Für die Pferde fand ich auf dem Dachboden Mais. Sie müssen erst wieder zu Kräften kommen. Die Frau kam mir heulcnd nach und bedeutete mir, sie habe fünf Kinder und der Mais sei ihr einziger Vorrat für den Win- ter. Die Körner sind noch an den Kolben. Ich nahm zwei kleine Säcke, das meiste blieb ihr. Ich machte ihr klar, daß sie die Leiter zum Dachboden verschwinden lassen solle. Es wird wenig nützen.

Beginnt der Hunger, wird jeder Winkel durchstöbert, die Gärten werden mit eisernen Stangen abgesucht, um die vergrabenen Gur- kenfässer zu finden.

Flugzeuge warfen Munition ab. Aber wir sind nicht eingeschlossen.

Ich lege mich jetzt hin, doch viel mehr Platz, als ich jetzt im Sitzen eirınehme, habe ich ohnehin nicht. Rundherum liegen sie Seite an Seite und schlafen. Nur die Kerze auf meinem Tisch gibt noch Licht. Das Dorf ist von Truppen überfüllt.

Z8. November 43. Keine Post kommt, keine geht ab. Die Heeresbe- richte melden von heftigen Kämpfen in unserer Gegend. Du wirst Dir Sorgen machen. Die Lage hat sich aber etwas gefestigt, wie schon daraus hervorgeht, daß wir noch in Solotawerka sind. Täglich werfen Flugzeuge über einem nahen Feld Munition ab. Die Menge der großen Fallschirme, an denen sie in Kanistern hängt, sieht, wenn sie sich allmählich herabsenken, bunt und lustig in der Sonne aus, als werde ein Volksfest gefeiert.


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