Mein krieg aufzeichnungen aus 2129 Tagen



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Neujahrstag 1944. Im Zug bei Christianowka, Strecke nach Lem' berg. Am 30. rz., gegen halb fiinf, ich saß am Schrank und hatte Dienst bis 5 Uhr, kam Walburg herein, ging erst zum Ofen und stocherte darin herum, wendete sich dann zu mir und sagte mit mißmutigem Gesicht: Halt dich fest, Kuby! Ich dachte, er wolle mir eröffnen, ich sei abgestellt. Statt dessen fuhr er fort: Du fährst am 2. in Urlaub, gehe nachher zum Bacher (das ist der Schreibe stubengehilfe). Die anderen begannen sofort zu sticheln, ich sei doch noch nicht ılran – das übliche dumme Gerede, mit dem jeder Urlauber fortbegleitet wird. Mit dem langen Reiß aus Saarbruk- ken, für den der 1. Urlaubsschein war, erledigte ich dann die Gänge zum Rechnungsfiíhrer, zum Chef usw. Dieser war mit Ltn. Zobel und einem Oberfahnrich bei Hpt. Köster, dem Funk- Chef, um Karten zu spielen und Neujahr vorzufeiern. Er unterv schrieb in Eile und unaufmerksam. Bis ro Uhr packte ich dann meine Sachen. Dem Trupp vermachte ich meinen Anteil an der gerade angekommenen Märketenderware.

Ein LKW der Funk-Kompanie nahm uns bis Kamenka zum Ib mit. Von dort ein Schlitten bis zum Bahnhof. Im Dienstraum der Eisenbahner saßen wir, während die Streckentelefone unausge- setzt lärmten. Ich machte eine Skizze. In einem Sanitäts-Güter« wagen ging es bis Bobruskaja. Zwölf Schwerverwundete lagen in Bettgestellen, bei ihnen ein Sanitäter. Wir waren froh, als wir in B, den Wagen verlassen konnten. Dort saßen wir zwei Stunden in einem stehenden Zug, uns gegeniiber zwei deutsche Eisenbahner und ein ukrainisches Mädchen, mit dem sie sehr gewandt und vertraulich Unterhaltung auf Russisch pflegen. In Zwetkowo dann der Urlauberzug, kalt, viel Platz, ich schlief ausgezeichnet.

Um 1 2 Uhr eine Schießerei ohne erkennbaren Anlaß.

Kurz vor der Abfahrt bekam ich noch die Zeitungen, fast einen Monat der DAZ aus November und Dezember. Ich legte sie nach dem Datum und blätterte den ganzen Stoß in einem Zug durch, die Überschriften, die wichtigsten militärischen und politischen Nachrichten, und da und dort einen Beitrag im Feuilleton oder im Literaturblatt. Der Abgrund zwischen dem gegenwärtigen Zustand der Welt und Sehnsüchten, wie sie sein sollte. Hier der 389


Krieg, die Vernichtung, die Zerstörung, der Haß, die Not – und dort das verzweifelte Sich-in-die-Armeveiner-bruchigen†Zuver- sicht-Werfen, einer grundlosen Zuversicht, die ihrer Grundlosig- keit sicher ist; Illusionen, mit Lügen zusammengerührt von den einen, und aufgenommen von anderen, die mit der Uhr in der Hand leben, mit dern Blick auf die Zeiger, im Tiefsten überzeugt, daß mit ihrem Vorrücken ein Ende näher kommt. Hoffend oder fürchtend, die Zeit abschätzend, die ihnen noch geschenkt ist.

Aber doch auch kleine, kleinste Signale aus einer Welt, die nicht von blinder Energie aufgeblasen wird, die keine Krisen und keine Siege kennt, nicht Freund noch Feind braucht noch hat, keine Organisation, in der nichts gilt als Geist.

Dazwischen aber stehen die Äußerungen jener erbärmlichen Dummköpfe oder bezahlten Berufsoptimisten, die von der verin» nerlichenden Wirkung des Krieges reden, für die Mozart den Don Juan nur geschrieben hat, damit gequälte Kreaturen für drei Stunden ihre Wirklichkeit vergessen können. Als ob es eine Rechtfertigung des Wahnsinns sei, daß einige stumpfe Gehirne und Seelen von ihren Leiden so zugeschliffen wurden, daß ihnen Paul Lincke nicht mehr genügt.

Am 2. Januar 44, vormittags. Wieder in Christianowka, wo wir am 1. früh gewesen sind. Wir fuhren gestern über Lipovec und waren gegen Mittag in Andrusovo. Es sollte weitergehen über Kalinevka-Winica, aber nachdem schon drei Tage vorher die Strecke Bogrebisa†Kazatin aufgegeben worden war, standen nun russische Panzer zwei Dörfer hinter Andrusovo. Wir blieben bis Mitternacht in A. stehen, auf einem Nebengleis fuhr ein Trans- portzug mit einer Artillerie-Abteilung der i7. PzDiv ein. Mit einem Oberzahlmeister dieser Einheit kam ich ins Gespräch, er verkaufte mir eine Flasche Rotwein und 15 Zigaretten. Der Wein war gefroren. Unser Wagen, vollständig ungeheizt, besaß einen Ofen, aber kein Ofenrohr. Über einer Kerze wärmte ich den Wein, zuckerte ihn, er war gut. Ich schlief dann trotz der Kälte mit Ubermantel und zwei Decken von 6 bis rz. Ich wachte auf, als sich der Zug in Bewegung setzte. Gegen 9 Uhr waren wir wieder hier. 7 km vor Chr. Hielten wir eine Stunde, neben uns ein Zug mit Panzern, auf dem fand ich zwei Ofenrohre. Eine halbe Stunde vor Chr. Hatten wir Feuer im Ofen. In Chr. Wurde die Lokomotive an unser Zugende gespannt und die Dampfheizung 390

in Betrieb genommen. Doppelt beheizt, stehen wir nun auf dem Bahnhof herum.

Ich hatte eine Unterhaltung mit dem Gebietslandwirt aus Nowo Mirgorod. Er war eineinhalb Jahre dort. Mit der Ernte, die wir nächstes Jahr in der Ukraine gewonnen hätten, wäre ganz Euro~ pa zu versorgen gewesen, sagte er. Die Erfahrungen mit den Lan- desbauernschaften seien ausgezeichnet gewesen. 7 ha habe jeder zur eigenen Verfügung gehabt. Im Mai wurden die Ablieferungs› Sollsätze festgelegt. Als es zur Ablieferung kam und sich zeigte, daß die Bauern dank ihrer eigenen Tüchtigkeit bei diesen Sätzen sehr gut abschnitten, das heißt, sehr viel zu privater Verwendung und zum Verkauf zur Verfügung hatten, wurde das Soll um go U/1 erhöht. Damit hätten wir uns das Vertrauen der Leute verscherzt.

Die sowjetischen Staatsgüter könnten nicht aufgeteilt werden, es gabe bei weitem nicht genug Leute, um sie, aufgeteilt in kleinere Betriebe, zu bewirtschaften. Außer in den Jahren 1930 bis i932 habe nie ein Mensch in der Ukraine gehungert, auch jetzt nicht.

In jenen ]ahren sei die ganze Bevölkerung aus Furcht vor Verfol- gungen gewandert, und es sei vorgekommen, daß Menschen geschlachtet und das Fleisch auf dem Markt verkauft worden sei.

Der Ausbildungsstand der Bauern sei sehr gut. Sie besuchten bis zum 14. ]ahr die Volksschule und dann landw. Fachschulen, wo sie eine sechsjährige praktische und theoretische Ausbildung genossen. Naeh zwei Jahren – dieser sechs – spezialisierten sie sich auf Milchwirtschaft, Ackerbau, Forstwesen usw. Überhaupt sei zu bewundern, wie gut die Schulen, wie hoch die Lehrer bezahlt seien. Er habe eine Lehrerin als Dolmetscherin gehabt während seiner ganzen Zeit in N. M. Nach einem ]ahr habe sie fließend deutsch gesprochen und besser geschrieben als viele Deutsche.

Nach funf, sechs Stunden strenger Arbeit sei sie aber zu nichts mehr zu gebrauchen gewesen. Durchhalten sei die Sache dieser Leute nicht. (Das wird sich zeigenl) Zu den Transporten nach Deutschland meldeten sich nur ganz am Anfang Freiwillige. Sie wurden dann im Morgengrauen aus den Betten geholt. Viele flüchteten unterwegs. Am meisten haßten sie, daß sie das Ost' Zeichen tragen müssen. Ware das nicht so, kämen auch jetzt noch Freiwillige.

Wir sind jetzt gegen Mittag am 2.. Januar in Sjatkovci und werden über Vapniarski nach Zmerinka fahren. Diese Strecke 391


führt durch rumänisches Interessengebiet, und dort soll es Lebens- mittel zu kaufen geben. Bei Vapniarski komme ich auf etwa ızo km dem Ort Birzula nahe, über den ich hergefahren wurde.

Die beiden Routen bilden also fast eine liegende Acht, das Zei- chen für unendlich.

5. Januar 1944. In Przmysl in einer der Baracken am Bahnhof West, in denen Nacht für Nacht 4-gooø Soldaten schlafen und ein Ameisenleben führen. Ein Eindruck ähnlich jenem damals in Smolensk in den Bahnhofsunterkünften. Eine jeglicher Ordnung entrissene Masse, von Schalter zu Schalter sich durchschlagend, wartend, wartend in endlosen Ketten, um schließlich entlaust und gesichtet in neue Züge abgefüllt zu werden. Es ist erstaunlich, wie wenig Initiative die Leute haben. Als wir gestern nachmittag in Przmysl ankamen, gegen 3 Uhr, blieb der Zug fast eine halbe Stunde auf dem Hauptbahnhof stehen, und jeder las dort die Schilder, welche besagten, daß auch hier alle jene Formalitäten erledigt werden können, die dann hier auf Bahnhof West, dem eigentlichen Umschlagplatz der Urlauber, erfüllt werden. Der Weg zwischen den beiden Bahnhöfen quer durch die Stadt ist nicht länger als etwa zo Minuten. Nichtsdestoweniger war ich heute früh von all den Tausenden der einzige (1), der einen Spaziergang zum Hauptbahnhof zurück machte und dort ohne Anstehen uncl Warten innerhalb von fünf Minuten aufs Freund- lichste abgefertigt wurde. Sie freuten sich geradezu über die Kundschaft. Beim Hauptbahnhof liegt ein ansehnliches Soldaten- heim, Wo ich Kaffee trank und auf dem Flügel spielte, der in einer Ecke steht. Es war kein Mensch da außer den Bedienungen. Der nach dem Polenfelclzug russische Teil der Stadt liegt in Trüm- mern.

[Aus dem Notizkalenden]

6. Januar 44. Um 9 Uhr früh in Wien. Schönes Winterwetter.

Abends in München. Ich komme noch bis Weilheim und überra- sdıe Mama, die ich in erstaunlich guter Verfassung antreffe. -

8. Januar 44. Nachmittags in Überlingen-Ost, wo mich E. und Thomas abholen.

[An Dr. List, Leipzig]

9. Januar 44, Überlingen. Gegen alle Wahrscheinlichkeit kann ich Ihnen von hier aus gute Wünsche zum Neuen Jahr schicken.

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Nach Aufhebung der Schutzbestimmungen für einzige Söhne Gefallener wurde ich Ende Oktober wieder nach Rußland abge- stellt, und wenn es nach der Absicht meines Kemptner Ersatz- truppenteiles gegangen wäre, so hätte ich wieder bei der Infan- terie Verwendung gefunden. Dank einiger glücklicher Umstände bin ich aber in meiner alten Tätigkeit bei den Fernsprechern gelandet.

Sie haben inzwischen in Leipzig Schweres durchgestanden. Man sagt mir, der Verlag sei nicht zerstört. Wohin man sonst hört, ist die Zerstörung vollkommen, im nächsten Kreis überall, auch gerade was Leipzig angeht. Mein Schwager Heisenberg hat sein Haus eingebüßt uncl er sowie mein Schwiegervater und dessen Bruder, der Hamburger Architekt Fritz Schumacher, die voll- ständigen Erstauflagen ihrer neuesten Bücher. Der letztere auch sein Hamburger Heim und alle seine Arbeiten – aber wozu anfangen aufzuzählen, die Liste ist endlos.

[An E. W]

1 1.]anuar 44. Die Briefpost trägt uns jeden Tag so viele Hiobs- botschaften zu, daß wir die Zeitungen gar nicht brauchten. Das Unglück bleibt aber meistens am Rande, Wohnungen, Häuser, Möbel, Papiere sind weg, die Menschen nicht, und das ist die Hauptsache. Die Rehmenhalde ist immer noch eine Art Sperr- zone für den eigentlichen Krieg. Dein Mann wieder in Regens- burg und Du in Würzburg – beim Militär gibt es, nach einem vielzitierten Lanclserwort, nur einen Sinn, den Blödsinn, und nur einen Weg, den Umweg.

393

WoLYN1scHEs FIEBER

Ohne Datum, Februar 44. Wir liegen in Martinosch, etwas südlich von Nowo Mirgorod. Als ich Anfang Februar aus dem Urlaub kam, fand ich mich mit 32 anderen aus der Nachr. Abt.

:.82 zum Regts. Naehr. Zug 849 versetzt. Nach einigen dienst- losen Tagen bei der alten Kompanie, bei der ich noch einen Orts- wechsel mitmachte, und ausgerüstet mit einem neuen »Empfeh- lungsschreiben« des Hauptmanns von der N.A. 181 zog ich zum Regiment um. Als ich beim Nachrichtenzug eintraf, war gerade ein neuer Bunker fiir die Regiments-Vermittlung fertig geworden, etwa 1500 m vom Gefechtsstand entfernt, mitten auf einer leicht ansteigenden öden Ebene. Nach und nach entstand um den Bunker des Regts.Kdrs. (Major Lautz) ein Lager von Hütten und Bunkern, und das Leben dort, bei völliger Ruhe an der Front, war angenehmer, weil stiller, als bei der Division. Wir erlebten auf unserer Ebene Sturmnächte mit Temperaturen um 30 Grad minus, und empfanden die Wärme im Bunker um den immer brennenden Blechofen als sehr freundlich. In der kältesten und stürmisehsten Nacht war ich von r 1 Uhr bis 6 Uhr früh an einer Störungssuche bzw. Am Bau einer Ersatzleitung beteiligt, wir waren zu viert unterwegs. In dieser Nacht sind allein im Regi- ment 3o Mann durch Erfrierungen ausgefallen und zwei davon gleich gestorben.

[Diese Stelle läßt nicht erkennen, welche Bedeutung die »Stö- rungssuche« in jener eisigen Sturmnacht für mich in meiner Erin- nerung gewonnen hat. In dem Erlebnis dieser Stunden eines dem Anschein nach völlig sinn- und ziellosen Marschierens, das mehr ein Stelpern war, durch eine gestaltlose Schnee-Ebene und in einem Sturm, der es nötig machte, sich die Worte in die Ohren zu brüllen; in dieser wie aus Raum und Zeit herausgehobenen Unter- nehmung, die schließlich entgegen aller Wahrscheinlichkeit doeh den Erfolg hatte, daß einer der Soldaten, plötzlich sich bückend, das dünne schwarze Kabel einer vom Schnee verwehten Fern- sprechleitung in der Hand hatte – einer Leitung, von der niemand wußte, wohin sie eigentlich führte, und die auch irgendwo in der Schneewüste irreparabel unterbrochen war; in diesem Augen- 394


blick, in dem vier vermummte Gestalten – an einem von keinem der Beteiligten je wieder auszumachenden Punkt irgendwo im Innern Rußlands f beschlossen umzukehren, aber keine Ahnung hatten, in welche Richtung sie sich wenden sollten, und völlig ergebnislos nach ihren eigenen inzwischen verwehten Spuren suchten: in diesem bis zum Aberwitz sinnentleerten Tun, bei dem es nur noch darauf ankam, ein erwärmtes Erdloch wieder zu erreichen, »den immer brennenden Blechofen« irgendwo in Ruß- land, summierte und fixierte sich für mich der ganze Krieg, kaum war er vorbei. Darin und nur darin. So daß bis zum heutigen Tage, fällt das Wort »der Krieg« in irgendeinem Zusammenhang, in meiner Vorstellung jene Sturmnacht auftaucht. Diese einerseits zum Sinnbild der Sinnlosigkeit, andererseits zu dem der Wider- standskraft des Menschen gewordene vergangene Wirklichkeit hat den Charakter einer Traumfixierung angenommen, vom Gedächtnis aufbewahrt und auf Stichwort jederzeit abrufbar.] [Aus dem Notizkalenclen]

Am 24. oder 25. Februar 44 bekam ich eine heftige Magen- und Darmgeschichte; als sie nach zwei Tagen nicht besser wurde, mußte ich den Bunker verlassen und ins Dorf zurückgehen, wo ich seither mit drei Fahrern in einer Hütte wohne. Die Magenge~ schichte ist vorbei, aber ich habe einen ersten Anfall der neuesten Ostfront-Krankheit, des sogenannten Wolynischen Fiebers, einer Art Malaria. Die Naclite sind scheußlich. Ich esse fast nichts. Die Symptome: Schmerzen längs der Schienbeine und in den Knien, starke Kopfschmerzen. Ich liege den ganzen Tag ziemlich teil- nahmslos auf dem Ofen.

Die Front ist seit gestern lebhafter, Flieger, Artillerie, Panzer. Ich denke, es geht bald weiter.

28. Februar 44. Ich wohne hier mit den drei Fahrern des Nach~ richtenzuges zusammen, die unsere acht Pferde versorgen, das Holz für die beiden Bunker vorne schneiden usw. Der eine heißt Häberle, Bauernsohn aus Württemberg, der zweite, ältere, Schaffner, Handwerker, der dritte Gerhard, aus der Eifel, jung, noch ohne Beruf. Alle drei schreien im Stall mit den Pferden herum, als ginge die Welt unter, aber sie meinen es gut und pflegen sie. Ich werde hier nach meinem methusalemischen Soldaf tenalter eingeschätzt und behandelt. Ich treffe zum erstenmal 395

Obergefreite, die noch gar nicht bei der Wehrmacht waren, als ich bereits kein Obergefreiter mehr war.

Heute beginnt es mit Entschiedenheit zu tauen. Es fängt die zweite und hoffentlich letzte Schlammperiode an. Wie das in den Bunkern wird, wenn das Wasser durch die Balkenfugen läuft, bin ich neugierig zu erleben. Vorläufig sitze ich auf einem Ofen.

1. Marz 44. Weiter geriet es mir gestern nicht. Heute früh ging ich auf's Revier, nicht ohne Grund, es wurden 38,3, Fieber gemes- sen. Der Arzt sagte: schwitzen, aber ich fürchte, das hilft nicht viel. Ich halte es für möglich, daß ich hier nicht wieder auf die Beine komme und in das nächste Kriegslazarett eingeliefert wer- de. Heute wird es hier nach langer Stille etwas kriegerischer, Artillerie und so, aber nicht direkt in unserem Abschnitt. Das Fieber ist sicher nicht gefährlich, nur unangenehm.

2. März 4.4 (Donnerstag). Die Nacht war wieder scheußlich, aber jetzt, 9 Uhr früh, bin ich wohl fieberfrei. Das Fieber hat Launen.

Seit zwei Tagen wohnt ein Feldwebel Schwab bei uns, der eigent» lich unser Zugführer ist. Er hat oder hatte die gleiche Sache wie ich und war nun drei oder vier Wochen hinten beim Troß, zo km von hier.

Heute regnet es, der Schnee ist fast verschwunden. Ich glaube nicht, daß wir noch lange hier sind, der Krieg wacht wieder auf.

3. März 44. Das Wolynische Fieber ist eine Infektion. Trau schau wem, sagen erfahrene Kranke. Man denkt, die Sache sei vorbei, aber dann kommt sie neu und vermehrt. Die vergangene Nacht war bei mir gut. Seit fast einer Woche habe ich fast nichts gegessen f das ist sehr zuträglich. Ich bin aber ein bißchen wacklig auf den Beinen. Der Feldwebel hat leider noch keinen Urlaubsschein. Er wird die Post mitnehmen, die ich zurückhalte bis zu seiner Abfahrt.

Aus Langweile lese ich sogar Provinzzeitungen, die irgend jemand bekommt, und finde dort herrliche Sachen wie zum Beispiel den Bericht über ein ››Mädellager«, den ich ausschneide.

Im ›>Reich« ein Aufsatz über englisch-amerikanische Fluglinien jetzt und in Zukunft. . . was doch der Krieg außer Zerstörung so nebenbei hervorbringt! Die Deutschen werden sich die Augen reiben, wenn sie wieder aufwachen zu einem Weltmorgen.

Die zwei meistgebrauchten russischen Worte deutscher Landser porıimaij = verstehen, und zapzerapp, abgeleitet von sabml/'en 396

: stehlen, entwenden. Ich hörte einen Vers

Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei,

zwei Jahre in Rußland und nix ponimaij.

Der Feldwebel, der noch immer hier ist und also auch meine Post, überrieselte mich zwei Stunden lang mit Erzählungen aus Franke reich. Ich achtete darauf, er hat nicht einmal eine Anschauung von einer Situation, einem Menschen, einer Landschaft, einem Wohnmilieu vermittelt. Nur Zahlen, Maße, Orte, Namen, Daten.

4. März 44. Nachmittags. Vormittags bin ich zur Division gefah- ren, um Bücher zu tauschen. Ich habe ja Zeit. Dabei entwickeln sich nun meist Gespräche zwischen dem Hpt.H. Und mir, geschwâtzige Gespräche. Das Stroh, das wir dreschen, ist so alt, daß der Staub in Wolken aufsteigt. Bei ihm ist das fast Beruf, er ist Museumskonservator. Er erwähnt, er habe in Zürich bei einer Abschiedsvorlesung Thomas Mann aus Charlotte in Weimar das Gespräch zwischen Ch. Und August v. Goethe lesen hören.

Aus dem gestrigen H.B. Scheint mir die Erwähnung der Stadt Pleskau als Kampfraum erwähnenswert. Es geht nun doch zügig rückwärts.

Der Rückweg von der Division, etwa 21/2 km, war zuviel für den wolynischen Patienten, die Beine wollten streiken. Gestern abend, auf meinem Ofen hindämmernd, hatte ich einen Anfall von Schwarzseherei, Katastrophenphantasie ging mit mir durch.

7. März 44. Weit weg ist schon der Ofenplatz. Bisher habe ich Anlaß, ihm nachzuweinen. Gestern früh sollte ich mich beim Doktor melden (am Abend hatte ich 39,9), und er schickte mich weg, denn die Truppe ihrerseits vollzog einen Stellungswechsel, auch das Revier, und er wußte nicht, wo er mit mir bleiben sollte.

Ich packte also rasch eine Tasche und den Schlafsack und war eine Stunde später zum 6 km entfernten Hauptverbandsplatz unterwegs, auf einem winzigen Panjewägelchen, darauf außer mir ein Feldwebel mit Knöcheldurchschuß und ein anderer, der seit Tagen 39-40 Fieber hatte und, wie sich inzwischen feststellen ließ, eine hübsche Lungenentzündung. Vorne saßen der russische Fahrer und ein Sanitäter als Eskorte. Diese fünf Mann auf vier Rädern, die in ihren Achsen ausschlugen, durch knietiefen Schlamm zu ziehen, war das Los von drei Pferdchen, von denen das linke Asthma, das mittlere ein sagenhaftes Halsgeschwür uncl 397


das rechte große Fleischwunden auf dem Rücken hatte. Peitsche und Drohungen machten ihnen keinen Eindruck mehr. Nach einer Weile stieg ich ab, weil ich das Keuchen der Tiere nicht mehr hören konnte, und der Sanitäter folgte bald meinem Beispiel, ein bildschöner, dunkler Mensch, der die Unverfroren- heit besaß, schon nach ein paar ıoo Metern dieses Spazierganges über Mühe und Anstrengung zu klagen. Mal fahrend, mal laufend, erreichten wir den Verbandsplatz, wurden in Listen ein- getragen, der grüngeränderte Krankenzettel mit dem Soldbuch verglichen. Wir zogen in ein Haus auf Stroh, wo sich bis zum Nachmittag acht Mann einfanden, darunter ein Russe, der vor dem Krieg im nahen Maliwiska Steuerbeamter gewesen und nun ein »I-liwi« [Hilfswilliger] der deutschen Wehrmacht ist, eine Qualität, um die ich ihn nicht beneide. Es hieß, wir sollten nach Nowo Mirgorod transportiert werden, von wo aus Bahnverbin- dung bestünde. Wohin? Es wurde aber Abend, bis uns zwei Panje- wagen aufnahmen, vor jedem nur zwei Pferdchen. Sie sollten uns nur durch eine Talsenke bis zur Rollbahn bringen, wo wir in einen Sanitätskraftwagen verladen würden. Aber auch dafür erwiesen sie sich als zu schwach, und drei von uns, die noch laufen konnten, mußten absteigen. Es war finstere Nacht und der Schlamm tief. Wir gingen und gingen, hatten längst freies Feld erreicht, die Rollbahn war nicht joo m, sondern 2 km entfernt.

Meine Taschenlampe griff ein Bild des Jammers aus der Nacht: ein Wägelchen mit zwei alten Russen darauf, Mann und Frau, die hatten sich Tücher über die Köpfe gezogen und überließen es den Pferden, sie irgendwohin zu bringen. Die Pferde hatten den Kampf mit dem Schlamm aber schon aufgegeben. So stand denn diese Karre mit den alten Leuten mitten im Morast und im Regen, und da steht sie wohl noch.

Ich 'tappte daran vorbei, gerade als in der Ferne Motorengeräusch zu hören war, das war unser ››Sankra« [Sanitäts-Kraftwagen], und zwar ein nagelneuer, der auf Raupen lief, geräumig wie ein Bus, an weit zurückliegende Zeiten großartiger Motorisierung erinnernd.

Als ich, in Dreck getaucht bis zu den Hüften, diese fabelhafte, elektrisch beleuchtete Staatskarosse mit Betten bestiegen hatte und untergebracht worden war, konnte ich einen Lachanfall wie- der einmal fast nicht unterdrücken. Ich bedachte, wie sie mich so 398

in Europa herumtransportieren, mal dahin, mal dorthin, und wie es für sie nicht den allergeringsten Effekt hat, außer Mühe und Kosten. Für diese Mühe und diese Kosten werden wir später zu bezahlen haben, aber jetzt ist es komisch. Irgendwo sind dann ein paar Leute, die schießen, womit immer, ferner Panzer oder ein paar Flugzeuge, und die machen es dann. Dahinter der ungeheure Apparat, der Leerlauf. Als Napoleon auf dem Rückweg über die Beresina ging, hatte er noch 40 ooo Leute, die man Soldaten nennen durfte, darunter aber nur gooc, die noch kämpfen konnten und wollten. Außerdem wälzten sich 150 ooo auf die Brücke zu, die waren zu überhaupt nichts nütze. Aber dieses Verhältnis war ja noch glänzend zu dem, das hier zwischen den Kämpfenden und dem Apparat herrscht. Zum Apparat gehört schließlich das ganze Reich, auch Ihr auf Eurem Hügel über dem See. Du baust Gemüse an, um zu überleben. Staatserhaltend wertvoll ist das auch nicht gerade.

Mit schönem, zuverlässig klingendem Motorgeräusch ging es durch die Nacht, bis sich plötzlich die ganze Karre auf die Seite legte, so daß es uns von der Bank hob. Der Fahrer war in ein Loch gefahren und kam trotz Raupenketten nicht mehr heraus.

Im Gegenteil, er wühlte sich immer tiefer ein. Er entfernte sich, um ein anderes Fahrzeug zu finden. Die Unbeweglichen blieben auf ihren Tragbahren im Wagen, wir andern suchten die Wärme eines nahen Hauses. Ärztlich gesehen bestand unser Vier-Mann- Trupp aus einer Pneumonie, einer Gelbsucht, Wolynischem Fie~ ber und einer Hauterkrankung. Nach zwei Stunden war der nächste Sankra zur Stelle, machte unseren flott, und gegen Mitternacht waren wir in Nowo Mirgorod in einer ehemaligen Schule. Es gab Butterbrot, Tee, Kekse. Wir wurden mal wieder in Listen eingetragen. Dann schlief ich so gut wie seit zehn Tagen nicht. Um 7 Uhr früh wurden wir zur Bahn gebracht und in einen Kurierzug gesetzt. Nach einer Viertelstunde hatten wir fest~ gestellt, daß niemand wußte, wohin wir eigentlich transportiert werden sollten. Bei einigen stand auf dem Krankenzettel: Mali~ wiska. Das ist das Nest, an dem meine Urlaubsrückfahrt endete.

Bei mir und anderen stand: Krankensammelstelle.

Welche? Wo?

Die Pneumonie bekam einen tollen Schüttelfrost. Hier in P., die


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