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3.4 Zusammenfassung
In diesem Kapitel wurden die Reiseautoren zweier historischer Epochen, Turkestans
und der Usbekischen
Sozialistischen Sowjetrepublik, repräsentativ vorgestellt. Die
oben beschriebenen Inhalte des Kapitels lassen sich in folgenden Punkten
zusammenfassen:
Zu den ersten Reisetexten, die auf europäischem Boden über Transoxanien
bekannt wurden, gehören zwei Reiseberichte. Das ist einmal der Text „Ystoria
Mongolarum“ (Kunde von den Mongolen) (1481) des Franziskaners Johannes
von Plano Carpini und zum zweiten ist das der Reisebericht von Johannes
Schiltberger, der zum ersten Mal 1885 unter dem Titel „Hans Schiltbergers
Reisebuch“ von Valentin Landmantel herausgegeben wurde. In diesen beiden
Reisetexten kommt die damals für Mittelasien übliche Bezeichnung „Tartarey“
vor.
Darüber hinaus erwähnt Carpini in seinem Reisebericht den Begriff
Sarti
, der
als mongolische Bezeichnung für Bewohner
von Samarkand und Buchara
üblich war und auch zur Zeit des russischen Kolonialismus für die Beschreibung
der einheimischen Bevölkerung gebraucht wurde. Allerdings wird in diesen
historischen Texten die Existenz einer usbekischen Ethnie nirgendwo erwähnt.
Der am meisten gelesene und zitierte Reiseautor, der sich ernsthaft mit
Zentralasien auseinandersetzte, war der ungarische
Orientalist Hermann
Vámbéry. Seine Originalität bestand vor allem darin, dass er sich während
seiner Reise als orientalischer Derwisch ausgab; dabei half ihm, dass er die
Landessprache, das Türkische, auf einem sehr guten Niveau beherrschte.
Außer seinem Buch „Reise in Mittelasien“ (Vámbéry 1865) verfasste er mehrere
andere Publikationen über Mittelasien, in
denen er seine ethnologischen,
historischen,
sprachwissenschaftlichen,
religiösen
und
politischen
Überlegungen ans Licht brachte. Seine Veröffentlichungen wurden mehrfach
zitiert und übten den größten Einfluss auf die Entstehung der Usbeken- und
Usbekistanbilder aus.
Der
Schweizer
Forschungsreisende
Henri
Moser,
der
zunächst
Seidenraupeneier nach Italien transportieren wollte und auf diese Weise seine
erste Bekanntschaft mit Turkestan machte, wurde ein leidenschaftlicher
Anhänger des Orients. Mosers Reiseschilderungen (1888) wurden zunächst in
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französischer Sprache in Paris, wenig später in deutscher Sprache in Leipzig
veröffentlicht. Seine private Orient-Sammlung ist eine der größten der Welt.
Einen ausführlichen Reisebericht über Turkestan mit zahlreichen historischen
Details liefert Richard Karutz,
ein HNO-Arzt, der eine besondere Vorliebe für
Turkestan entwickelte. Als Quellen für sein reges Interesse sind Vámbérys
„Reise in Mittelasien“ (1865) und das 1900 erschienene ethnologische Buch von
Franz v. Schwarz „Turkestan, die Wiege der indogermanischen Völker“ zu
sehen. Karutz thematisiert wie Franz von Schwarz den Ursprung
indogermanischer Völker und stellt sich die Frage, inwiefern Mittelasien als
Urheimat der Indogermanen wahrgenommen werden kann. Er zitiert mehrfach
Vámbéry (vgl. Karutz 1904, S. 75, 77-78, 81, 85, 89, 99, 108, 116-117, 119) und
von Schwarz (ebd.: S. 98-99, 106-107, 118-119, 121) und verweist immer
wieder auf diese beiden Autoren und steckt
somit in der Falle der
Stereotypisierung. Seine Frage nach der Urheimat von Völkern offenbart zudem
seine rassenpolitischen Überlegungen, für Karutz war die Reinheit der Rasse
ein fesselndes Thema.
Colin Ross, ein bekannter Journalist seiner Zeit und nicht zuletzt ein
überzeugter Nationalsozialist, unternahm seine Reise nach Turkestan in einer
Zeit, in der das Land aus politischen Gründen für Ausländer komplett gesperrt
war. Er bekam dennoch ein Visum in Baku, dank einem Zufallstreffen mit dem
usbekischen Botschafter. Zwar schildert er seine politischen Überlegungen zum
zentralasiatischen Nationalitätsproblem und Wirtschaftsfragen Turkestans in
separaten Abschnitten, dennoch wirken seine Zeilen wenig politisch, rassistisch
oder gar nationalsozialistisch. Anders als seine Vorgänger verwendet er das
Wort
Einheimische
statt
Eingeborene
. Darüber hinaus liefert er romantische
Städtecharakterisierungen und exotisiert Samarkand
und Buchara in hohem
Maß. Aus diesem Grund ist auch sein Reisebericht für eine
linguokulturologische Analyse gut geeignet.
Der Journalist, der gleich zu Anfang der Sowjetzeit in das usbekische Land
reiste, war „der rasende Reporter“ Egon Erwin Kisch. Sein Buch „Asien
gründlich verändert“ (1932), das in einem ironisch-sarkastischen Stil
geschrieben ist und viel Kritik an Turkestan sowie dessen alten Traditionen
beinhaltet, ist ein typisches Sowjet-Propaganda-Buch.
Sein Buch gewann so
große Popularität, dass ca. 34 Jahre später ein anderer deutscher Schriftsteller,
Hans Werner Richter, in die Usbekische Sowjetrepublik fuhr, um festzustellen,
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welche Veränderungen es in der Zeit seit Kischs Reise gegeben hatte. Sein
Reisebericht ist jedoch von Stereotypen und Vorgegebenheiten geprägt, er
orientiert sich an Kisch, die Beschreibungen von Kisch sind sein Ausgangspunkt
für jede mögliche Feststellung. Das von Kisch konzipierte Usbekistan-Konstrukt
bleibt somit auch bei ihm bestehen.
Der letzte Autor, dessen Reisebericht einen Teil des Analysekorpus bildet, ist
Richard Christ. Er reiste genau einhundert Tage lang in die Sowjetunion und
lernte dabei auch die Usbekische Sozialistische Sowjetrepublik kennen. Drei
Jahre später, nach der Veröffentlichung seines Reiseberichts „Um die halbe
Erde in hundert Tagen“ (1976), erschien sein Usbekistan-Buch „Taschkent,
Buchara, Samarkand. Usbekische Reisebilder“ (1979), das auch Bilder des
Fotographen Karol Kállay enthält. Anders als Kisch oder Richter finden sich bei
Christ mehr Beschreibungen des usbekischen Alltags, detaillierte Straßen- und
Menschenbeschreibungen in elliptischen Sätzen. Er verehrt das Land und die
Menschen, was er auch spürbar macht. Sein Buch über Usbekistan ist eine
Mischform aus Reisebericht und Reiseführer. In beiden Büchern
vermittelt
Christ ähnliche, aber nicht die gleichen Bilder von Usbeken und Usbekistan,
weshalb beide Texte in das Analysekorpus aufgenommen wurden.
Zuletzt sei darauf hingewiesen, dass diese Arbeit keinen Anspruch darauf erhebt,
erschöpfende Informationen zu Biographie und Werdegang der Autoren zu bieten.