4.5.2 Der grüne Tee – „wie in Bayern das Bier“
Eines der in allen Berichten auftauchenden Grundmotive ist der grüne Tee. Vámbéry
klagt zu Beginn seines Reisebuches über den Zwang, grünen Tee trinken zu müssen:
„
Sie empfingen mich aufs herzlichste, man bereitete mir grünen Tee, und es war eine
Höllenpein für mich, eine große bochariotische Schale mit diesem grünlichen Wasser
ohne Zucker austrinken zu müssen, ja, man wolle noch gnädiger sein und mir eine
zweite geben, doch ich bat um Entschuldigung.
“
(Vámbéry 1983 [1865], S. 51)
Später, in einer wasserlosen Wüste, schätzt er jedoch dieses Getränk so sehr, dass
er es metaphorisch als „
das teure Naß
“ (ebd.: S. 119) umschreibt.:
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Das Brot ist tatsächlich, wie in vielen anderen Ländern, auch in Usbekistan heilig, das runde Fladenbrot wird nicht geschnitten,
sondern nur gebrochen.
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„
Es ist bloß ein grünliches, zuckerloses, warmes Wasser, manchmal auch sehr trübe,
doch hat menschliche Kunst noch keine Speise erdacht, noch keinen Nektar erfunden,
der so geschmackvoll, so erquickend wie dieser anspruchslose Trank auf der Station
in der Wüste!
“
(Ebd.)
Richard Karutz erzählt, dass die Wirtschaften in Turkestan keine alkoholhaltigen
Getränke servieren und der Tee in Mittelasien die Hauptrolle spielt. Er macht sich
Gedanken, dass der Alkoholkonsum die Entwicklung des Landes negativ beeinflussen
könnte, deshalb sollte man „
besser bei dem Thee, der in ungemessenen Mengen
konsumiert wird
“ (Karutz 1904, S. 66), bleiben.
Im Weiteren verstärkt er seine Aussage
mit dem rhetorischen Stilmittel Accumulatio:
„
Man trinkt hier in Mittelasien Thee vom Morgen bis zum Abend, Winter und Sommer,
im Geschäft und zu Hause, bei Besuch und Gesellschaft, kurz immer und überall; […].
“
(Ebd.)
Diese „
unentbehrliche Erfrischung
“ (ebd.: S. 100), wie Karutz ihn umschreibt, wurde
und wird bis heute in den
Chayhanas
, den Teehäusern, genossen, deren „
farbiges und
bewegliches Bild
“ (ebd.) vom Reiseautor mit Vergnügen beschrieben wird:
„
Es sind offene Hallen, wie die Läden erhöht, zuweilen durch gleichhohe tischartige
Plattformen nach der Strasse zu verbreitert und mit Decken belegt, auf denen die Leute
hocken und knien, Thee trinken, schwätzen, Schach spielen, rauchen oder
Märchenerzählern zuhören, stundenlang in süssem Nichtstun verbringend mit ihren
grossen ruhigen Augen in das Gewimmel schauen, das sich an ihnen vorbeidrängt. In
diesen Theestuben werden zum Kochen des Wassers jetzt allgemein russische
Samoware, häufig riesigen Umfanges, verwendet, auch in Privathäusern finden sie
immer mehr Eingang.
“
(Ebd.)
Die konzeptuelle Metapher „
das süße Nichtstun
“ wird erstmalig von Vámbéry in Bezug
auf das Derwischverhalten verwendet (vgl. Vámbéry 1983 [1865], S. 60). Auch Moser
gebraucht den Ausdruck „
Land des far niente
“ – das Land des Nichtstuns (vgl. Moser
1888, S. 94). Hier kann man von einem Stereotyp sprechen, das von anderen Autoren
übernommen und in anderer Form ausgedrückt wird; hier und da klagen die Autoren
z. B. über die Zeitverschwendung beim Teetrinken oder Essen. Manche Autoren
beschreiben dies eher als orientalische Ruhe, wie z. B. Colin Ross:
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„
Niemand hat Eile oder Hast. Alles geht ruhig, getragen, fast traumhaft vor sich.
“
(Ross 1923, S. 262)
An einer anderen Textstelle unterstreicht Ross nochmal die orientalische Ruhe, die
beinahe an Gleichgültig grenzt, und verleiht dem Tee das Epitheton „
unvermeidlich
“:
„
Der Verkäufer kauert in seiner engen Bude, schlürft in kleinen Schlucken den
unvermeidlichen Tee und es scheint ihm gar nichts daran zu liegen, ob er etwas verkauft
oder nicht.
“
(Ross 1923, S. 263)
Krist beschreibt „
die flachen Teeschalen mit dem grünen Getränk
“ (Krist 1937, S. 169)
und das Leben um die Teiche Bucharas, wo sich die Bucharer „
zum süßen Nichtstun
“
(ebd.) gesammelt haben. Kisch erwähnt nur kurz das Ritual des Trinkens von grünem
Tee („
Der Dampf kommt aus zwei Töpfen, in denen ununterbrochen zwei Flüssigkeiten
kochen, Stärke und grüner Tee
“
)
(Kisch 1932, S. 301). Hans Werner Richter wundert
sich über das Teetrinken im heißen Sommer:
„
Sie trinken Tee – heißen, grünen Tee bei dreißig Grad Hitze: der grüne Tee hat hier
dieselbe Bedeutung wie in Bayern das Bier. Jeder Bauer hat seine Teekanne und seine
Teeschale bei sich. Erst sehr viel später lerne ich von Achundi, wie man den Tee
eingießt und wie man die Teeschale zu halten und zu reichen hat. Bräuche, die
Jahrtausende alt sind.
“
(Richter 1966, S. 21)
Im obigen Textbeispiel macht Richter einen okkasionellen Vergleich und zieht
Parallelen zu Deutschland. Er entwirft ein Bild der Tradition des Teetrinkens in
Usbekistan.
Richard Christ geht noch weiter und beschreibt Usbekistan in seinem zweiten
Reisebuch als
„
Land der Teetrinker
“ (Christ/Kállay 1979, S. 9). Ihm fallen sogar im
Friseurladen „
die Teekanne, Teeschale
“ (ebd. S. 10) für die Wartenden auf und er
vergleicht die usbekischen Teehäuser mit Berliner Eckkneipen:
„
Die Tschaichana in Usbekistan ist von der Häufigkeit wie im älteren Berlin die
Eckkneipe. Auch ihre Aufgaben sind vergleichbar. Beide schaffen Geselligkeit. Beide
sind ein Ort des Meinungsaustauschs. Beide gewähren eine Ruhemöglichkeit
außerhalb der eigenen vier Wände. Bis hierher reichen die Analogien, weiter nicht: In
der Tschaichana gibt’s kein Bier, statt Skat Brettspiele. Auch die Ruhestellung der
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Gäste ist anders, sie stehen nie und sitzen selten auf Stühlen, sondern zumeist auf
Teppichen.
“
(Christ/Kállay 1979, S. 12)
In diesem Bespiel verwendet der Autor die rhetorischen Stilmittel Vergleich „
wie im
älteren Berlin die Eckkneipe
“, Anapher „
Beide schaffen …, Beide sind …, Beide
gewähren …,
“ und Antithese
„
sie stehen nie und sitzen selten …
“. Mit diesen
Ausdrucksmitteln schafft der Autor ein veranschaulichendes und kontrastierendes Bild
von den usbekischen Teehäusern.
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