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2.5 Kulturelle Stereotype und ihre Rolle in der Bildforschung
Reiseberichte dienen für die Stereotypenforschung als gute Quellen, weil sie vorrangig
mit der Vermittlung kultureller Fremdheit zu tun haben. Bei einer
linguokulturologischen Analyse von Reiseberichten können die kulturellen Stereotype
identifiziert, die historische Genese von Stereotypen im konkreten Einzelfall erforscht
und bestimmende Elemente des jeweiligen Kontextes beschrieben werden.
2.5.1 Zum Begriff „Stereotyp“
Der Begriff
Stereotyp
, bestehend aus den griechischen Wörtern stereós ʻstarr, festʼ
und týpos ʻSchlag, Eindruck, Muster, Modellʼ, entstammt ursprünglich dem
Druckwesen und der Pressetechnik (frz. stéréotype ʻmit feststehenden Typen
gedrucktʼ) und wird heutzutage in der Sozialwissenschaft sowie in der Literatur- und
Kulturtheorie verwendet. Stereotyp als Begriff hat heute meist eine pejorative
Bedeutung. Man versteht darunter stark verallgemeinernde, schablonenhafte,
feststehende Beurteilungen einer Gruppe gegenüber anderen oder sich selbst (vgl.
Nünning 2008 [1998], S. 679).
Uta Quasthoff definiert das Stereotyp als „
[den] verbale[n] Ausdruck einer auf soziale
Gruppen oder einzelne Personen als deren Mitglied gerichteten Überzeugung, die in
einer gegebenen Gemeinschaft weit verbreitet ist
“ (Quasthoff 1998, S. 48). Die
typischen Merkmale des Stereotyps sind dabei folgende:
„
Es hat die logische Form eines Urteils, das in ungerechtfertigt vereinfachender und
generalisierender Weise, mit emotional-wertender Tendenz, einer Klasse von
Personen bestimmte Eigenschaften oder Verhaltensweisen zu- oder abspricht.
Linguistisch ist es als Satz beschreibbar.
“
(Ebd.)
Die wissenschaftliche Verwendung dieses Begriffs wurde zum ersten Mal 1922 von
dem amerikanischen Journalisten Walter Lippmann mit seinem Buch „Public Opinion“
eingeführt, wo er beschreibt, wie die Massenmedien Wahrnehmungsmuster für die
Öffentlichkeit konstruieren und wie die eigene kulturelle Prägung der Menschen ihr
Weltbild von einem anderen (fremden) Land beeinflusst (vgl. Wagner 2008, S. 14-15).
Er definiert das Stereotyp als eine sehr beharrliche Erscheinung:
„
Nichts verhält sich der Erziehung oder der Kritik gegenüber so unnachgiebig wie das
Stereotyp. Es prägt sich dem Augenschein bereits nach der Feststellung des
Augenscheines auf.
“
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(Zit. nach Dąbrowska 1999, S. 55)
Die Stereotype sind somit „
subjektive, von Emotionen beeinflußte und
verallgemeinernde Werturteile, die auf Gruppen von Menschen angewendet werden
“
(Hahn/Hahn 2002, S. 21) und werden nach ihrer Bedeutung in neutrale oder wertende,
positive oder negative eingeteilt. Je nach Zielgruppe gibt es Auto- oder
Heterostereotype. Als Autostereotype werden die Urteile einer Gruppe über sich selbst
bezeichnet; Heterostereotype sind Bilder, die von einer anderen Gruppe bzw. einem
fremden Land entstehen, also Fremdbilder (vgl. Nünning 2008 [1998], S. 679). Die
Verbreitung von Fremdbildern funktioniert durch Literatur, Presse und andere
Massenmedien und dient meistens politischen oder wirtschaftlichen Zielen (vgl.
Broszinsky-Schwabe 2011, S. 206).
Die Auto- und Heterostereotypen sind im Regelfall fest miteinander verbunden: Jedem
negativen Heterostereotyp liegt ein positives Autostereotyp zugrunde. Und bei
positiven Heterostereotypen hat das negative Autostereotyp einen warnenden bzw.
auffordernden Charakter: „
[D]iese Eigenschaft fehlt uns, leider sind wir nicht so
“ (vgl.
Hahn/Hahn 2002, S. 31-32).
Wir sprechen hier von Stereotypen als vereinfachenden Verallgemeinerungen.
Umgekehrt kann jedoch nicht jede Generalisierung als Stereotyp bezeichnet werden.
Hier sollte zwischen Begriffen und Stereotypen klar unterschieden werden:
Generalisierende Begriffe sind die notwendigen sprachlichen Ausdrücke, die für
alltägliche Verallgemeinerungen gelernt und verwendet werden. Sie haben einen
direkten Bezug zur Realität, sind informativ und unveränderbar. Stereotype sind
dagegen Generalisierungen, die durch persönliche emotionale Erfahrungen
entstehen. Und sie werden durch gesellschaftliche Gruppierungen sowie durch Medien
verbreitet. Einzelne persönliche Erfahrungen können sie meist nicht verändern,
sondern werden eher als Ausnahmefälle gesehen. Dieser emotionale Aspekt trägt
dazu bei, dass die Realität vom Stereotyp stark abweicht. Das Bild, das das Stereotyp
zeichnet, ist nicht in seiner Gesamtheit falsch, entspricht jedoch nur einem bestimmten
Kontext. Deshalb ist die Kontextbezogenheit für jede Stereotypenuntersuchung sehr
wichtig (vgl. ebd.: S. 22-23).
Es ist also davon auszugehen, dass in Stereotypen ein wahrer Kern steckt, der
übermäßig übertrieben und emotional aufgeladen wurde. Diesen Kern der Wahrheit
zu finden und die Bestimmung ihrer Funktion wären die eigentlichen Aufgaben der
Stereotypenforscher.
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