Welche vornehme Ruhe im Auftreten und in den Bewegungen! Blumige, bilderreiche
Sprache in den Begrüßungsreden
“
(v. d. Pahlen 1969 [1964], S. 16)) – die „
dem
Europäer übertrieben scheinende Gastfreundschaft
“
(ebd.) sowie die wiederholte
Aufforderung zum Essen stören ihn nicht (vgl. ebd.). Ein Gastmahl beim Bucharer
Emir, das aus zwölf Gängen bestand, beschreibt er dennoch als anstrengend (vgl.
ebd.: S. 107-108).
Einer der deutschen Reiseautoren, der am meisten unter der usbekischen
Gastfreundschaft ‚gelitten‘ hat, war wohl Hans Werner Richter. Er schreibt wiederholt
von der
Völlerei,
welche die Usbeken ihm zu Ehren „
als ein bescheidenes Gastmahl
“
241
(Richter 1966, S. 31) anboten. Er schildert diese Gastfreundschaft mit einem gewissen
Sarkasmus:
„
Er will einen Granatapfel kaufen, aber der Händler nimmt kein Geld von ihm an. ‚Für
Gäste ist alles umsonst‘, sagt er und lacht – über uns, vielleicht über sich selbst. Es ist
ein Lachen, von dem man nie weiß, wem oder was es gilt.
“
(Ebd.: S. 19)
Richard Christ hingegen genießt diese Art der Gastfreundschaft; allerdings zieht auch
er einen Vergleich zwischen deutscher und usbekischer Gastfreundschaft, indem er
sich verwundert an seine Frau wendet:
„
So stell dir doch vor, meine Teuerste, dein Mann käme an einem beliebigen
Freitagabend nach Hause, er hätte ein klein wenig getrunken, und beim Abendbrot sagt
er so nebenhin: Ja, ehe ich das vergesse, Liebes, ich habe uns für morgen Besuch
eingeladen, zum Mittagessen. Es werden ungefähr acht Personen sein, vielleicht auch
zehn, sieh doch zu, daß genügend aufgetischt wird… Nicht wahr, mitteltiefe Ohnmacht
wäre das mindeste, womit solche Botschaft quittiert werden müßte – zehn Personen,
und auch noch zum warmen Essen! So etwas braucht Vorbereitung und Nerven, bei
uns.
“
(Christ 1976, S. 141)
Mit dem für ihn so typischen rhetorischen Stilmittel der Apostrophe verleiht er seinem
Text Lebendigkeit, mit der Hyperbel „
mitteltiefe Ohnmacht
“ steigert er die Aussagekraft
seines Berichts. An einer anderen Textstelle beschreibt er das Ritual des
Teeeinschenkens:
„
Die Mutter nimmt für wenige Minuten Platz: dem Gast eine hohe Ehre.
Kamo ist ein aufmerksamer Gastgeber, er sitzt am unteren Ende der Tafel, dem
Ehrengast gegenüber; wenn er Tee einschenkt, kommt er auf Strümpfen um den Tisch
herum, schenkt immer mit der rechten Hand ein, die linke liegt dabei auf dem Herzen.
Der Professor sitzt links vom Ehrengast, er ist der Tamada.
“
(Ebd.: S. 143)
Im angeführten Beispiel erwähnt Christ die Anwesenheit der Mutter beim Gastmahl,
dem Gast zu Ehren. Es ist tatsächlich so, dass die Mutter im Haus die höchste Stellung
hat und ihre Anwesenheit eine wichtige Rolle spielt. Generell war Christ von der
Gastfreundschaft positiv überrascht, er berichtet z. B. von einem Richtfest, das er im
Vorbeilaufen zufällig sieht und wozu er sofort eingeladen wird (vgl. ebd.: S. 169). Er
242
hört immer wieder, dass der Gast im Orient heilig ist, dass diesem alles erlaubt ist.
Sein Gastgeber Kamo erzählt ihm vom landesüblichen Spruch, dass der Hausherr der
Esel des Gastes sei, der Gast könne alles mit ihm anstellen, er könne auf ihm reiten,
in antreiben, kurz: alles von ihm verlangen (vgl. ebd.: S. 145). Irgendwann räumt der
Reiseautor jedoch ein, dass die Gastfreundschaft zu einem Hindernis werden kann,
spätestens dann, als er bei der Baumwollernte zuschauen und diese fotografieren
wollte:
„
Nie vordem hatte ich ein Baumwollfeld gesehen und deshalb den Schwur getan,
Usbekistan nicht zu verlassen, bevor ich nicht in der Baumwolle gewesen wäre. Aber
wo immer sich ein Versuch anließ, scheiterte er – es klingt nahezu unglaubwürdig – an
der Gastfreundschaft.
“
(Christ 1976, S. 183)
Es sei aber in Usbekistan „
undenkbar, daß man Gäste vor der Tür abfertigt
“ (ebd.).
Der Kolchosleiter wollte dem hohen Gast, dem Schriftsteller aus der DDR, „
den
Kolchos zeigen, die Baumwollfelder, die Reiskulturen, Tee- und Juteanbau, den
Maschinenpark, und dann gibt es natürlich ein großes Bankett
“
(ebd.). Dennoch wird
das Thema
übertriebene Gastfreundschaft
von Richard Christ vorsichtig thematisiert,
denn sein Propaganda-Reisebuch soll eigentlich nur positive Errungenschaften der
Sowjetrepublik berichten.
In seinem zweiten Reisebuch (Christ/Kállay 1979), das gänzlich der Usbekischen
Sowjetischen Republik gewidmet ist, kommen diese Textstellen nicht mehr vor. Er
beschreibt aber dafür eine andere Situation, die er mit der usbekischen
Gastfreundschaft verbindet:
„
Die Gläser werden zum Brot gestellt, vom Brot ein Stück abgerissen, der Wodka
eingegossen, Altubai heißt uns im Haus der Eltern willkommen. Von seinem
tiefgebräunten Gesicht mit den schwarzen Augen kann ich ablesen, was Alischer für
mich aus dem Usbekischen ins Englische übersetzt: ‚Fühlen Sie sich wie daheim.
Wenn Sie wieder in Ihr weit entferntes Land zurückreisen, sollen Sie sich gern daran
erinnern, wie Sie in Choresm Gast waren.‘
Wer das zum erstenmal hört, ist verwirrt, auch gerührt. Oder hält es für Übertreibung.
Da ich schon oft, in verschiedenen Himmelsstrichen der Sowjetunion, zu Gast war,
weiß ich: Es ist so gemeint wie gesagt, denn der Gast gilt seit alters und bis auf den
Tag als heilig.
“
243
(Christ/Kállay 1979, S. 65)
So wird usbekische Gastfreundschaft manchmal pejorativ, manchmal positiv
eingeschätzt, oftmals gibt es eine Mischung aus diesen zwei Einstellungen der
Reisenden.
Do'stlaringiz bilan baham: |