19)Scharnitz, Bezirk Innsbruck Land, Tirol -
Bürgermeisterin: Isabella Blaha
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EinwohnerInnen: 1500; Flüchtlinge: 68
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Website der Gemeinde http://www.scharnitz.tirol.gv.at/de
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Website über das Flüchtlingsheim https://www.facebook.com/Fl%C3%BCchtlingsheim-Scharnitz-959532270755997
Vom Gegenwind zum Rückenwind
In der Erfolgsgeschichte der Gemeinde Scharnitz wurde anfängliche Skepsis gegen Vertrauen und Wohlwollen getauscht. Vor ca. 10 Jahren wurde die Gemeinde mit dem Vorhaben, Flüchtlinge aufzunehmen, vor vollendete Tatsachen gestellt. Für die Gemeinde und ihre Einwohner war das eine völlig neue Situation, mit der man sich überfordert fühlte. Eine der wichtigsten Voraussetzungen wurde erfüllt: Ein zum Verkauf stehendes leeres Gebäude, wurde 2004 von einem Wirtschaftstreibenden außerhalb der Gemeinde angekauft und von ihm per Vertrag dem Land zur Verfügung gestellt. Doch die wichtigste Aufgabe stand jetzt der Gemeinde bevor, nämlich eine Welle der Entrüstung, die den 20 MigrantInnen in Scharnitz entgegenschlug, zu besänftigen.
Durch das Zusammenleben mit den zugewanderten kinderreichen Familien aus Afghanistan, Tschetschenien, Iran und aus dem Irak ist die Angst vor Ungewissheit verschwunden. Die Kinder gingen in die Dorfschule und in den Kindergarten. Und es fanden sich Unterstützer. So hat ein Dorfarzt, der selbst als geflüchteter Iraner nach Österreich gekommen war, in Wien sein Studium absolvierte, um später in Scharnitz als Landarzt zu praktizieren, eine gemeinsame Sprache zwischen den Hilfesuchenden und den Helfern gesucht und gefunden. In Zusammenarbeit mit anderen Freiwilligen entstand unter anderem auch ein „Fest der Begegnungen“ mit kulinarischen Schmankerln aus der jeweiligen Heimat der Geflüchteten. Auch der Scharnitzer Kunst- und Kulturverein gab den Flüchtlingsfrauen Raum, um am traditionellen Adventmarkt Selbstgebackenes zu verkaufen.
Schon bald erreichte die Geschichte einen Wendepunkt: Eines Tages kam ein Scharnitzer Gemeindemitglied in Isabella Blahas Büro und erzählte, dass die Familie sehr froh darüber sei, dass wieder jemand in diesem Haus wohne und dort nachts das Licht brenne. Die Angst schlug in eine Welle der Hilfsbereitschaft um. Von Dorfbewohnern wurden Deutschkurse angeboten, Malkurse und gut besuchte Vernissagen veranstaltet, wobei sogar alle Gemälde der Asylanten spontan Käufer fanden. Nicht zuletzt gab es auch immer wieder Möglichkeiten, die MigrantInnen über die öffentlichen Einrichtungen, vor allem die Gemeinde, bei Bezahlung eines vom Land vorgegebenen Taschengeldes zu beschäftigen. Auch freiwillige Dienste, zum Beispiel die alljährliche Flurreinigungsaktion im Frühling, wurde auch vom Asylheim gut mitgetragen.
Leider wurden die Familien wieder abgezogen, einige erhielten auch das Bleiberecht und durften sich eigenständig Wohnmöglichkeiten suchen. So hat es sich dahingehend verlagert, dass zunehmend jüngere Männer aufgenommen wurden. So lebten anstatt den Familien bei einer maximalen Belegung des Heimes 37 MigrantInnen im Ort. Die durchwegs jungen Männer wurden im Sportverein – Sektion Fußball mitbetreut und gewannen sogar ein Pfingstturnier. Zudem gibt es einen Gemeindemitarbeiter, der als ausgebildeter Mechaniker alte Fahrräder wieder flott machte, um jedem MigrantInnen ein eigenes Fahrrad zu übergeben. Bei Ankauf von notwendigen Ersatzteilen konnte ich als Bürgermeisterin auch ein wenig mithelfen.
Im November 2015 hat die kleine Gemeinde wieder einen Zuzug durch 31 unbegleitete minderjährige AsylwerberInnen erfahren. Erneut wurde Scharnitz mit dem Vorhaben schlussendlich überrumpelt, die Dorfeinwohner fühlten sich komplett übergangen, man nahm sogar an, dass das nach der ersten Empörungswelle doch sehr kooperative Verhalten der Bevölkerung nach der ersten Aufnahmewelle dazu geführt hat, dass wir als „Dank“ einfach ohne Ein- und Zustimmung ein weiteres Heim in Kauf nehmen müssen, „wo doch andere Gemeinden bisher komplett verschont geblieben sind, oder sich extrem dagegen wehren“ – so der Tenor vieler Bürger und Gemeinderäte.
Erneut war es dadurch sehr schwierig, mit der neuen Situation entsprechend umzugehen, obwohl die Bürger bereits Erfahrung hatten.
Die Angst vor zu vielen aktiven, starken durch sehr viele negative Erlebnisse geprägten jungen Männern wuchs zusehend in den Köpfen unserer Menschen. Ein ehemaliges Internat wurde durch das Land als Heim adaptiert.
Es ist sicher eine Überlegung wert, was vielleicht in insgesamt 62 zum Teil jugendlichen und jungen Männern vorgeht, die ihre Heimat verlassen mussten und hier auf Menschen treffen, denen es gut geht, die größtenteils schmucke Häuser besitzen, während sie selbst zwar lernen dürfen, aber sonst eher auf milde Gaben angewiesen sind, auch wenn sie für den täglichen Grundbedarf ausreichend ausgestattet werden ......
Dennoch kamen zu den Jugendlichen eine größere Anzahl von sehr engagierten Betreuern hinzu, es gab einen Tag der offenen Türe noch vor dem beginnenden Advent und siehe da, engagierte junge Dorfbewohner organisierten spontan für jeden minderjährigen Flüchtling ein Weihnachtspaket mit vielen brauchbaren Dingen, die eher als Luxusgüter eingestuft werden, wie z.B. Kosmetika für die 6 Mädchen und auch passende Toilette-Artikel für die Jungs usw. So brachte die besinnliche Winterzeit wieder viele positive Gedanken in unsere kleine Welt, und die Flüchtlinge wie unsere guten Geister in unserer Gemeinde hatten viel Freude daran, gemeinsam das Nikolausfest, das Weihnachtsfest und den Fasching zu erleben. Es wurden sogar Schikurse und Schneeschuhwandern organisiert und die Jugendlichen zum Rodeln mitgenommen. Eine berufsbildende polytechnische Klasse wurde gegründet.
Erfolgsfaktoren -
Bürgermeisterin als starke Persönlichkeit, die Mut macht und Präsenz zeigt
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Auf Erfahrung aufbauen und aus Erfahrung lernen
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UnterstützerInnen erkennen und vernetzen
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Ehrenamtliche honorieren, Vereinsaktivitäten mobilisieren
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Inklusion und Integration, leichter mit kleinen Zielgruppen zu erreichen
Bewährte Vorgehensweisen -
Klare Position durch überlegte Kommunikation: Interne rasche Kommunikation zuerst in Richtung Verbündete; externe Kommunikation über feste Ansprechpartner
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Als Erfahrungen hervorgehoben: Bei „negativen Wellen“ sofort reagieren und diese abfangen
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Diejenigen, die selbst Hilfe erfahren haben, helfen gerne auch weiter
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Als Unterstützer besonders wichtig: Zentrale Gemeindevertreter, eingelebte Flüchtlinge als Bindeglieder, Nachbarn, ehrenamtliche Mitarbeiter bei Initiativen wie Mal- und Sprachkursen, Initiatoren der Freizeitaktivitäten (Rodeln, Schifahren, Fahrradfahren)
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Inklusion und Integration durch Bildung, Interesse an Traditionen (nationale Gerichte) der Flüchtlinge, „Fest der Begegnungen“, Ermöglichung der Teilhabe am Gemeindeleben durch Weihnachtsstand, Wertschätzung durch Vernissagen
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Für die Zielgruppe „Jugendliche“ Beschäftigung (Jobmöglichkeiten) organisieren. Dafür über Ausschreibungsnetzwerk Informationen einholen
Stand: März 2016
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