Mein krieg aufzeichnungen aus 2129 Tagen



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27. April 42 [E. K.-Sch.]. Eben die Kopie Deines Briefes an Ber- tram. Deine Laune ist ja glänzend – wir miissen sagen, es geht uns gut, und wir genießen, daß es uns gut geht. Die Eltern waren vorgestern ganz elend. Lm Badhotel [von Über1ingen], einem der allerschönsten Hotels, das ich kenne, haben sie”s gut. Habt lhr gestern auch Hitler sprechen hören? Ich nur den Anfang, also nicht die Pointe, dann mußte ich Thomas anziehen.

Aki Rothe scheint tolle Erfolge in Frankreich gehabt zu haben » ich gönn's ihm, wenn ich“s auch kritisch betrachte. Papa hat eine ausführliche Lebensheschreihung geschrieben; lese ich sie, hrechen mir oft die Tränen aus.

Gestern habe ich meine 4 qm tief umgehackt. Blasen an den Han- den, aher schön war's. Thomas hat zugeschaut, und Anneliese [Hausmädchen] hat Maikäfer *von den drei kleinen Birken ge- lesen. Es ist eine Mai/eaferplage dieses ]ahr, Vorgestern waren wir im Wald mit Thomas im Sportwagen und mit dem Leiter- wagen, haben Pferdeapfel, Kuhfladen und Humus gesammelt fiir die Tomaten.

Die FU [Behörde für ››Familien-Unterh2.1t«] hat nicht gezahlt und schweigt. Mein nächster Brief geht an den Wehrmachtsfür~ sorgeoffizzer.

[Von Tante Agnes Ruoff]

Pasing, 28. April 42. Zugleich mit Deiner Karte kamen beifol- gende Briefe 'vom September 41 an mich zurück. Daß der eine vom 6. 9. geöffnet war, soll mich auch weiterhin in meiner Art zu schreiben bestarken. Besprechen kann man alles, aber fiir den 238


schriftlichen Austausch giht es heutzutage nur ein Prinzip, wenn auch der Gehalt der Mitteilungen dadurch manche Einhuße er- fährt. Ich sehe ein, daß Du Dich nicht an dieses Prinzip halten willst, aber ich sehe es mit Sorge.

[An Hansheinrich Bertram]

2. Mai 42. Vielleicht hat die Feldpost Wege, diesen Brief über die paar hundert Kilometer zwischen uns direkt zu leiten, statt über die Tausende via Heimat und Reich. Heute ist es ruhig hier, der Russe schießt mit nichts. Gestern glaubten wir, er griffe an (1. Mai!), aber außer Kanonen setzte er nichts ein. Es ist ja merk- würdig, joo m von dem Haus entfernt, in dem ich schreibe und wo ich an einem immer besser funktionierenden Bürobetrieb teil- habe, ist unsere »vorderste Linie«. Wir hatten auch Kino hier, z. B. Bel ami, das Schönste war ein Kulturfilm von Florenz.

Traumhaft, daß ich dort auf der Piazza Eis gegessen habe, über den Ponte Vecchio ging und in den Uffizien Fußschmerzen be- kam. Ln einer Pension bei Santa Maria Salute steht wahrschein- lich in einer Nische hinter dem Ofen immer noch eine inzwischen ausgetrocknete Weinflasche, die wir dort, im Frühjahr 1932, stehenließen, als wir weiterzogen nach Rom und Sizilien. Rom und Sizilien – was für einen kriegerischen Klang diese Namen jetzt haben!

2. Mai 42. In meiner gestrigen Post war die Abschrift einiger Stellen aus jüngers Kriegstagebuch. Gleich zu Anfang fuhren mir einige Bemerkungen ins Gemüt. Das ››Flüchtige«, sagt er, mache ihm mehr Mühe als das ››Durchgestochene«, und er trage das ››Flüchtige« nachträglich in die bereits perfekten Stellen hin- ein. Er erinnert dabei an eine Statuette aus Bali, die auf dem Goldgrund bemalt wurde ¬ wie ihm ja überhaupt häufig schöne Beispiele zur Hand sind. Ln der Bemerkung über das Flüchtige ist aber das Entscheidende meiner Kritik an den >›Marmorklip- pen« und an dem späteren jünger überhaupt enthalten, an dem jünger, der nach einem der großartigsten ››Erlebnísberichte«, die wir in unserer Sprache haben, kunstvoll sdıreiben will. Entsteht nicht jedes Kunstwerk in einem Grenzland zwischen Bewußtheit und Unbewußtheit und muß nicht gerade dem Prosaschreiber der Stil etwas Selbstverständliches sein?

Sein gläsernes Pathos ist viel zu zerbrechlich, um eine Wandlung 239

des Zeitgeschmackes überstehen zu können. Der ganze Aufwand ist im Modischen vertan wie bei George. Viele seiner Formen sind ein Kleid, das man den Inhalten ausziehen kann, sie stehen dann nackt und nicht mehr so glänzend da wie zuvor. Seit den »Stahl- gewittern« ist er einen weiten Weg gegangen und hat sich ins Be- sinnliche gezüchtet. Nun schrieb er die ››Marmorklippen«, und unsere ästhetischen Spießbürger, die weniger gegen die Tyrannei als gegen die schlechte Kinderstube der Tyrannen sind, haben ihre Freude daran. Die Stärke dieses Buches liegt aber in der Schilde- rung der Ausbreitung des Bösen, dem Jíinger nichts anderes als eine kunstgewerbliche Lebensführung entgegenzusetzen weiß.

Aus der Abschrift sind mir noch diese Sätze im Gedächtnis ge- blieben: »Der einzelne ist immer bedeutender, als er in der Masse erscheint« Auch das Umgekehrte ist richtig: Unsere Masse er- scheint viel bedeutender (an Kraft) als die Summe der wirklichen Kraft aller einzelnen. »Das Strittige ist so gehäuft, daß es nur das Feuer aufarbeiten kann« - meint Jünger, der niemals über seinen eigenen Schatten springen und immer im Herzen eine geheime Anbetung des Krieges vollziehen wird. ››Aufarbeiten« ist aber wirklich der genaueste Ausdruck für das Wirken dieses Krieges, und alles kommt darauf an, was darnach übrigbleibt. Nichts, ver- mutlich, bei uns als die Lebenskraft der Zähesten.

Unter den Stellen, die mir H. abschrieb, findet sich gewiß nicht zufällig auch diese (Jünger zitiert aus dem Brief einer Gräfin B.

folgende Sätze und spendet ihnen Beifall): »Es ist ja letzten En- des so, daß wir als Frauen nicht die Ideen als solche lieben, son- dern die Männer, die danach geformt sind und dahinter stehen.

Der Krieg ist nicht schön, aber wir lieben die Männer, die ihn machen, wahrend die Pazifisten scheußlich sind.«

Ich sehe diese Gräfin vor mir, wie sie, das blonde Haupt in die Hand gestützt, den Blick durch das Fenster auf ihren Gutshof hinausgehen läßt und sich für ihren bedeutenden Adressaten be- deutende Gedanken in wohlgesetzten Worten zurechtlegt. Sie bemerkt nicht, daß sie durch einen solchen Ausspruch zu einem Typus im Sinne Jüngers wird, nämlich zum Typus der dummen Gans schlechthin. Im Pazifisten sieht sie einen Mann, der wenig Männlichkeit bettlings zu bieten hat, lila Unterhosen und gleich- farbige Socken trägt, im Kaffeehaus Zigaretten aus einer langen Spitze raucht und den Krieg verabscheut, weil er mit Lebensge- 240

fahr verbunden ist. Diese Vorstellung teilt Jünger, der Stoß- truppführer von 1916, der in den ››Marmorklippen<< vorgibt, einige Haare in der heroischen Suppe gefunden zu haben.

[An Jeanne Mammen]

4. Mai 42. Uns geht eigentlich nichts ab als das normale Leben.

(Ein Gefangener sagt: Mir fehlt außer der Freiheit nichts.) Im Rahmen unseres welthistorischen Auftrages habe ich es gut, sehr gut getroffen. Das menschliche Meublement meiner Schreibstube ist leidlich. Modest in jedem Sinn, aber man kann damit leben, ohne daß es zu steilen Gipfeln der Auseinandersetzung führt.

Die Reibereien spielen sich im Erdgeschoß ab, Pack schlägt sich, verträgt sich. Nein, Musik ist in diesem Lande nicht. Früher klang es hier von Glocken und Chören in den Kirchen, und wenn ich in der zerstörten Kathedrale nebenan sitze, in deren Mitte zwischen all der Verwüstung und blauschimmernden Gebirgen zerbroche- ner Flaschen ein toter weif$erHund liegt – der einige Monate lang Gefrierfleisch War und jetzt so langsam aus seinem Fell tropft -, dann kann ich bei genauem Hinhören diese Musik noch Verneh- men. Auch wenn ich an den Rand des Ortes gehe und über die Felder und Flußtèiler, die eingekerbten, hinwegsehe, so ist da eine volle schwere Musik darin. Im übrigen vermisse ich sie nicht. Das musikalische Tun ist ebenso wie das zcichnerische doch nur eine Ablenkung vom Schreiben, es ist bei weitem leichter und ange- nehmer, sich in den dilettantischen Talenten zu versuchen als dort, wo man ungefahr Weiß, nicht nur wie das Gültige auszu- sehen hat (das weiß ich in den andern Künsten auch), vielmehr auch hofft, es hervorbringen zu können. Insofern sündige ich, denn ich zeichne sehr viel und sehe in den Skizzen einen Haken, an dem ich jeden einzelnen jener ungestalteten und mich nichts angehenden Tage aus der trüben Gegenwartssuppe herausziehe in meine private, sehr bescheidene Ewigkeit. Dergestalt, daß ich mich beinahe verpflichtet fühle, jeden Tag so ein Gekritzel aufs Papier zu bringen – es geht mir im Augenblick leicht von der Hand. Ich bin jedoch ein entschuldigter Sünder, denn die Um- stände lassen es nicht zu, daß ich mich von der leeren Betriebsam- keit, der verbreitetsten Grundlage des Lebensgefühls meiner Zeit- genossen, absentiere. Wenn es das Wetter erst erlaubt, werde ich mich in einen ruhigen Winkel bei der Kathedrale zurückziehen 241


und den Bleistift zu etwas anderem benutzen, als für Euch zu I-Iause die Interieurs von Demidoff darzustellen. Es erscheint mir dieser Ort, hart umgrenzt von Schützengräben, wie ein \X7ohnraum mit einem Korridor zur übrigen \X/elt.

Es liegt nun vom ganzen Briefbuch, Frankreich- und Rußland- teil, eine neue, in Leipzig hergestellte Abschrift vor, ausgenom- men den ersten Abschnitt Rußland (und ausgenommen alles, was der Krieg noch hinzufügen wird). Es müssen drei Kopien vor- handen sein, es sollte wohl möglich sein, daß eine nachBerlin geht und dort umläuft. Darüber bitte ich Sie, sich mit E. zu verständi- gen. Ich selber hätte gern eine hierher, um sie aus der Distanz zu lesen, was immer nützlich ist. Durch die erheblichen Kürzungen, die ich vorgenommen habe (und die ja auch eine klare Tendenz haben, indem nämlich der ganz persönliche Dialog zwischen mir und E. dabei über Bord geht), geschieht weit mehr als eine pure Raffung. Haben schon die Originalfassungen der Briefe, wie nur allzu erklärlich, zuweilen kaum noch, jedenfalls über Seiten hin- weg nicht mehr, Briefcharakter, sondern sind Aufschreihungen tagebuchähnlicher Art, so ist, was List jetzt zum Abschreiben be- kommen hat, erst recht so etwas wie eine stark subjektivierte Chronik. Es kommt noch hinzu, daß ich hier eine Fassung herge- stellt habe, die zwar selbstverständlich das Licht einer breiteren Öffentlichkeit weder erblicken soll noch darf, dennoch aber Rück- sicht darauf nimmt, daß ich nicht kontrollieren kann, wer denn nun wirklich diese Blätter liest oder auch nur herumliegen läßt.

In (oder ad – egal!) usum Delphine – diese Formel hier zu ge- brauchen, hieße Ludwig XIV. Unrecht tun, denn er hatte wohl vorwiegend nur im Sinn, den Thronfolger vor allzu frühen lite- rarischen Einblicken in die vita sexualis seines Hofstaates zu be- wahren, wovon die Rede, mangels eines solchen, hier kaum sein kann. Nun, wir verstehen uns, und ich will nur sagen: Sie kriegen das Ganze durch diese Fassung nicht vermittelt, nicht einmal das Ganze des Dialoges, den ich à propos des Krieges mit der Zeit führe. Aber was soll's, teilten die Blätter nichts mit, wären sie nicht geschrieben worden.

Viel Vergnügen auf der Reise nach Prag! Wenn Sie in den alten Vierteln herumgehen, werden Ihre Erwartungen kaum enttäuscht werden. Mich würde Prag in seiner gegenwärtigen Verfassung zweifellos enttäuschen, mal so gesagt.

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5. Mai 42. Die haarsträubendsten Gespräche und Debatten er- geben sich, sobald meine Stuben- und Hausgenossen sich an Pro- bleme ~ oder was sie dafür halten – heranmachen. Was vor zooo jahren bereits endgültige Antwort gefunden hat, wird aufs Neue erforscht. Die Weltgeschichte und weltbekannte Fakten kommen mir aus solchen Unterhaltungen fast unerkennbar entstellt ent- gegen. Unwissenheit und Tendenz bemächtigen sid-I der Gegen- stände, und im Handumdrehen wird aus dem X ein U, nein, aus dem U einX. Wer am wenigsten weiß, fällt die sichersten Urteile.

Und wie sie auch im einzelnen sinnlos gegeneinander eifern, in einem sind sie alle gleich: sie haben sich mit Haut und Haaren der Gegenwart verschrieben und haben nicht im verborgensten Winkel ihrer Seele den Mut zur Auflehnung.

Gestern besuchte uns der General. Bevor er wieder ins Auto stieg, ließ er mich durch den Leutnant holen und dankte mir für das Skizzenbuch. Er sagte, ich hätte ihm eine größere Freude mit dem Heft gemacht, als wenn ich ihm einen goldenen Pokal geschenkt hätte. Ich besann mich noch rechtzeitig auf meine Uniform, un-ı nicht zu entgegnen, daß ich ihm meinerseits lieber einen goldenen Pokal geschenkt hätte.

Das ist mein dritter General. Dem ersten sagte ich's mit Musik, die Bekanntschaft des zweiten verdankte ich dem Kriegsgericht, den dritten, nolens volens,becirce ich mit dem Skizzenbuch.Einen vierten hoffe ich nicht mehr kennenzulernen – aber das ist ein Wunschtraum. Dieser dritte sieht nicht nur gut aus, in seinen Be- fehlstexten schimmert sogar zuweilen ein Gran Ironie durch, das ist immerhin ungewöhnlich. Ich glaube nicht, daß er es weit brin- gen wird.

Bemerkst Du eigentlich, daß ich gar keine Beziehung zum Krieg mehr habe? In Frankreich war”s ein Abenteuer, in Rußland, im vorigen Sommer, war's Krieg, und jetzt, da es objektiv und aufs Ganze gesehen mehr Krieg ist denn je, bin ich innerlich ganz ab- gesprungen.

Nein, ich habe keine toten Russen eingraben müssen. Wenn es D.

dabei schlecht geworden ist – mir wäre nicht schlecht geworden.

Von natürlichen Dingen wird mir nicht schlecht, aber vor dem blödsinnigen Geschwätz, das ich mir tagaus, tagein anhören muß, ekelt mich.

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[An den Bildhauer Prof. Carl Ebbinghaus]

7. Mai 42. Es ist durchaus in meinem Sinn, wenn das Ms. Da und dort Leser findet, die meiner Betrachtungsweise einiges Verständ- nis entgegenbringen. Da das Buch einen Verleger hat, so geraten wir um so weniger in den Verdacht, etwa mit Hilfe einflußreicher Bekannter ihm einen Weg bahnen zu wollen. Ich sehe aber aus einer Bemerkung in Ihrem Brief, daß Sie erwägen, ob mit diesem Ms. Etwa erreicht werden könnte, daß ich eine – an der Lebens- lange gemessen wahrhaft endlose ~ Zeit nicht vollständig fern meiner eigentlichen Arbeit verbringen muß. An diese Möglichkeit glaube ich nicht mehr. Meine militärische Lage ist zwar seit mei- ner Rückkehr nach Rußland menschlich und sachlich angenehm, aber ich glaube doch, daß die ››Sommergeschichte« in jedem Ver- stand erst liquidiert werden muß, bevor man in dieser Richtung etwas tun kann. Mit dieser Bemerkung will ich aber nicht Ihre überaus freundschaftliche Initiative lahmen. Sie kennen die Ge- walt, mit der der Krieg jetzt unser Volk ergriffen hat. Was vor zwei jahren vielleicht noch möglich war, liegt heute fern.

Ich habe den Verlag gebeten, keine weiteren Versuche, die Druck- erlaubnis zu bekommen, zu unternehmen. Ich bin da auf volles Verständnis gestoßen. Das Verhältnis zu Dr. List ist vertrauens- voll, und es ist vielleicht von Wert für Sie zu wissen, daß man sich an ihn in voller Offenheit Wenden kann.

io. Mai 42. Im Regimentsbefehl wird meine Versetzung zum Nachrichtenzug morgen erscheinen. Das ändert mein Leben in vieler Hinsicht.

Deine Bemerkungen über unsern Sohn zeigen, daß in einem ein- jährigen Kind der Grundriß der künftigen Person bereits voll- ständig erkennbar wird. Gegen einen arroganten und gescheiten Sohn wäre wenig einzuwenden. Gestohlen hätte er die Arroganz nicht. Incles, was heißt das? Wo die Dummheit jedes Verbrechen toleriert, ist Arroganz nicht Anmaßung, sondern Abscheu.

rz. Mai 42. Auf dem Platz begegnete ich dem Zugführer, der so nebenbei zu mir sagte: Machen Sie sich fertig, Sie müssen auch mit. Allmählich kam heraus, daß wir auch Zeltbahn und Koch- geschirr mitnehmen sollten. Als ich daraufhin dringlicher fragte, erfuhr ich, daß es sich um einen Angriff auf Makunino handle, unseres Regimentes erste ››Offensive<< in diesem Jahr, ja, seit sei- 244

nem Bestehen. Dieses Dorf liegt 4 km westlich von Demicloff.

Wir brachen gegen 7 Uhr abends auf und gingen auf der großen Straße nach Rudnja bis zum Dorf T. Ich trug in der Rückentrage eine Kabelrolle, die etwa 60 Pfund wiegt. Dazu Gewehr, Muni- tion, Brotbeutel, Feldflasche und Werkzeug. Die des Tragens cntwöhnten Schreiberschultern schmerzten bald. Bis T. sind es 3 km, und die Straße ist ausgefahren, man ging schlecht zwischen den erhärteten Schlammfurchen. In T. waren wir mit einem Schlage irn Kriegsgelände. Gräben, Bunker, Stacheldrahtverhaue, Stolperdrähte kreuz und quer zwischen den Hütten, in denen keine Russen mehr wohnen. Wir lagen herum und warteten. Es dämmerte, es wurde dunkel, die Nacht war schön, aber windig, uns fror, wir hatten uns vorher heiß gelaufen. Ein Leutnant wies uns ein I-Iaus an. Im kümn-ıerlichen Licht einer Kerze sahen wir eine I-Iolzpritsche fast durch den ganzen Raum. Auf verbrauch- tem Stroh lagen Männer der X-ten Kompanie, wartend, dösend, einige schlafend, alle aber marschbereit mit Koppel, den Stahl- helm neben sich. Die Kerze gab mir Licht, die Post zu lesen, die ich gerade beim Abmarsch bekommen hatte, darunter Deine Blätter 54-59. Später versuchte ich zu schlafen, vergebens, es war ein ständiges Kommen und Gehen. Etwa gegen Mitternacht bau- ten wir die Leitung bis zum Ortsausgang, schlossen einen Apparat an und saßen hinter einer Tannenhecke fröstelnd im Wind, die Zeltbahn um die Schultern gehängt. Eine Stunde verging, da kan-I die Infanterie die dunkle Straße herunter, Mann hinter Mann, schweigend und jedes Geräusch vermeidend. Als ich dieses wohl- bekannte Bild sah, das schlürfende Geräusch der Schritte und zu- weilen das Klappern einer Gasmaskenbüchse hörte, war ich wie- der im Kriege. Der Marsch in das Bereitstellungsgelände begann, wir schlossen uns dem Ende der Schlange an und ließen unser Ka- bel abrollen. Mühsam tasteten wir uns durch die eigenen Stachel- drahthindernisse und mußten uns bald gestehen, daß wir den An- schluß verloren hatten. Es war, als seien die 300 Mann vor uns vom Erdboden verschluckt worden. Wir Waren unser fünf: ein Unteroffizier und vier Mann. Wir wußten genau, wo Makunino lag, aber damit war unsere Wissenschaft zu Ende. Unser Befehl lautete, mit dcr Infanterie zusammen vorzugehen bis zur Bereit- stellung und dann im Angriff mit der Infanterie vorzubaııen.

Aber wo war die Infanterie?

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Es wird etwas heller, wir legen unter den vordersten Bäumen einer Hochwaldnase das Gerät ab. Drei bleiben hier, mit einem gehe ich in Richtung auf Makunino weiter. Wir sehen verlassene, wassergefüllte Stellungen mit der Schußrichtung auf T. zu – also russische. Nach einer weiteren halben Stunde zweckloscn Herum- tappens im Sumpf gehen wir zu den anderen zurück. Es hat kei- nen Zweck, wir müssen Warten, bis es richtig hell wird.

Man hatte uns gesagt, daß starke Artilleriekräfte auf Makunino vereinigt wären. Dennoch werden unsere Erwartungen um 3 Uhr weit übertroffen. Die Luft brüllt und die Erde bebt. Die Eisen- massen ziehen über unsere Küpfe hinweg. Bereits nach den ersten Salven sehen wir über dem dichten Jungwald vor uns Rauch auf- steigen. Nun wissen wir endlich, wohin wir uns wenden müssen.

Die Helligkeit nimmt rasch zu. Wir reißen die Rückentragen hoch und rennen durch das Gebiisch, bleiben im Sumpf stecken, müssen umkehren und erreichen einige Minuten, nachdem die Kanonen schweigen, die freie Fläche, die sich sanft ansteigcnd zwischen dem Rand des Buschwaldes und dem Dorf hinzieht.

Ein wunderbarer Maimorgen mit blauem Himmel und Feder- wölkcl-ien ist angebrochen. Es weht ein leichter Wind von Westen und treibt eine riesige schwarze Wolke vom brennenden Dorf weg langsam auf Deınidoff zu, dessen Türme deutlich zu erken- nen sind. Später erfahren wir, daß die Artillerie zahlreiche zur Verteidigung eingebaute Flammenwerfer zur Explosion gebracht hatte. Über die Pleine geht die Infanterie vor, wie bei einer Übung, tadellos in Schützenketten aufgelöst. Nur in Abständen läßt sich ein russisches MG hören. Zahlreiche aufspritzende Erd- fontänen rühren voıı Granatwerfer-Einschlägen her. Mit ihnen schießen die Russen aus M., dem nächsten Dorf, herüber, ohne ihr Ziel sehen zu können. Auch vom Kapellendorf her, das in der Luftlinie immerhin 4 km entfernt liegt, versuchen sie mit Granat- werfern einzugreifen.

300 m vor Makunino geht uns das Kabel aus. Es wird uns zu- gesagt, daß ein Wagen das fehlende Kabel nach T. bringt, wo wir es abholen sollen. Nichts liegt näher, als daß sich »der Neue«, nämlich ich, quersumpfein nach T. auf den Weg macht. Nun streuen die Russen das ganze Moor mit Granatwerfern ab. Auf halbem Wege – freilich, von Weg ist keine Spur, ich schlage mich durch die Büsche und orientiere mich nach den Demidoffer Tür- 246


men – begegnet mir ein Igel, der es sehr eilig hat, und gleieh dar- auf höre ich jemand stöhnen. Ich finde einen Soldaten mit einem Ellenbogenschuß. Er bewegt sich mit kleinen unsicheren Schritten vorwärts, zieht mit dem gesunden Arm sein Koppel, an dem noch Brotbeutel und Feldflasche hängen, durch das dürre vorjahrige Sumpfgras hinter sich her. Sein Gesicht ist Weiß wie Kalk. Er bringt mühsam heraus, daß er glaubt, auf dem Wege zum Ver- bandsplatz zu sein. Mein Auftrag verbietet mir, bei ihm zu blei- ben. Seine Feldflasche ist leer. In geringer Entfernung erhebt sich eine Tanne, die einzige weithin, ein nicht zu verfehlendes Zeichen im Moor. Dort solle er warten, sage ich ihm, ich wolle ihm Hilfe aus T. schicken.

Der Wagen mit dem Kabel Wartet bereits in T. Ich nehme die Rolle auf die Schulter und gehe nach Makunino zurück. Ich be- nutze diesmal ungefähr den Weg, den wir in der Nacht zurück- gelegt haben. Wie einfach ist jetzt alles im Tageslicht, wie bequem sind die Pässe durch die Drahthindernisse zu finden, an denen wir uns nachts die Stiefel zerrissen haben. Eine halbe Stunde spä- ter ist unsere Leitung in Makunino, und der Kommandeur be- richtet ausführlich dem Oberst, während er neben uns in einem Graben hockt.

Makunino ist ein Trümmerhaufen aus schwelenden Balkenresten.

Die Erde ist aufgewíihlt, auch die meisten Bunker sind in Brand geschossen. Dennoch habe ich, als ich die Dorfstraße hinunter- schaue, den Eindruck, daß die Bauern nur zurückzukehren brauch- ten, und vier Wochen später stünde das Dorf wieder auf seinem flachen Hügel wie zuvor.

Zum vierten Male machte ich an diesem Tag den Weg durch das Moor. In T. treiben wir ein Panjewägelchen auf, das uns nach Demidoff bringt. Als wir müde und verstaubt den Hof des Wei- ßen Hauses erreichen (rnit Empfindungen, als kämen wir nach Hause und seien wieder weit vom Kriege in einer friedlichen Ge- gend), war es gerade 8 Uhr früh, dieselbe Stunde, zu der ich mich bisher an die Schreibmaschine setzte.

Ich ging zum Brunnen, zog mich aus und überschüttete mich mit dem eiskalten, aus der Tiefe gezogenen Wasser. Erfrischt ging ich zum Gefechtsstand, um Dir auf derMaschine von meiner Wieder- begegnung mit dem Kriege zu erzählen. Nun fallen mir die Au- gen zu.

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13. Mai 42. Die Russen, von unserer Aktivität gereizt, beschie- ßen uns seit dem frühen Morgen. Es ist jetzt abends gegen 9 Uhr.

Solche Ausdauer haben sie bisher nicht bewiesen.

Beim Stab ist ein merkwürdiger Stimmungsumschwung in bezug auf mich in wenigen Stunden eingetreten. Noch als ich meine Sa- dıen packte, war der Hauptfeldwebel von gewohnter Freund- lichkeit. Aus Makunino zurück, war ich in die Schreibstube ge- gangen und hatte mit bereits unwillig gewährter Erlaubnis den langen Brief vom iz. Auf der Maschine geschrieben. Die Herum- sitzenden fragten mich nach unseren Erlebnissen aus, und ich er- zählte unter anderem die Begegnung mit dem Soldaten, der trotz seiner schweren Verwundung in Trance sein Koppelzeug hinter sich herschleifte. Ich dachte keinen Augenblick daran, zu ver- schweigen, daß ich zu dem Mann gesagt hatte: ››Mensch, schmeiß doch das Gelump wegl« Doch gerade diese Äußerung lieferte dem Hauptfeldwebel den Vorwand, dessen er bedurfte, um end- lich seine wahren Gefühle gegen mich nach außen zu kehren. Jetzt bin ich der ››Bursche«, der sich zur Telefonwache meldet, wenn der Führer spricht. (Dieseßemerkung wurde mir hinterbracht.) In Verwunderung versetzt mich nicht diese schäbige Gesinnung, sondern der Umstand, daß sie mich empfindlich trifft. Es ist lä- cherlich, aber es ist so. Später bekam ich einen meiner bisherigen ››K0llegen«, den Unteroffizier K., allein zu fassen. Von ihm er- fuhr ich, daß sich der Hauptfeldwebel in heftigem Schimpfen über mich Luft gemacht habe. K. war es bereits offensichtlich peinlich, eine Weile mit mir im Gespräch auf dem Marktplatz zu stehen. Als ich ihm ununiwunden erklärte, ich fände ihr aller Ver- halten erbärmlich, wurde er bockig, und plötzlich sagte er: »Wis- sen Sie, bei Ihnen fehlt eben doch etwas. Sie glauben nicht an das RciCl'1.<<


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