Mein krieg aufzeichnungen aus 2129 Tagen



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Sana27.06.2017
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#17369
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Worauf ich schwieg und mit einer Bewegung, die alles bedeuten konnte, meines Weges ging. Fünfzig Meter weiter lief ich meinem jetzigen Chef, dem Reserve-Hauptmann H., in die Hände, der mir eine Freundlichkeit zu erweisen glaubte, als er sagte: »Noch ein paarmal so und Sie haben die Scharte ganz ausgewetzt.« Das sollte heißen: Soldat K., Sie haben sich beim Angriff auf Maku- nino ganz brav aufgeführt.

Am Nachmittag gegen g Uhr wurde ich mit dem Fahrrad wieder nach Makunino geschickt, um zwei Fernsprechapparate hinzu- 248

bringen. Ich benützte diesmal den in der Karte erwähnten Feld- weg, der inzwischen entmint worden ist. Auf dieser Radfahrt durch das Moor, auf der ich keinen Feind zu sehen bekam und die russischen Geschosse hoch über mir fast gemütlich gurgelnd und pfeifend ihre Bahn nach Demidoff zogen, begegnete mir der Krieg als eine unpersönliche schweigende Gewalt. Der Himmel war verschlossen, und das dunkle Gewölk zog niedrig dahin. Ich schob das Rad. Die Wassertümpel wurden zahlreicher und grö- ßer. Das Buschwerk trat zurück, leer und öde wie am ersten Schöpfungstag lag der Sumpf. Vor mir am Horizont das kahle Stangenwerk und die Kamine der Ruinen von Makunino, zur Linken die Nase des Hochwaldes, zur Rechten, mehr und mehr zurückbleibend, die Demidoffer Kirchen. Auf demselben Wege rückten im Februar die unserigcn vor zum ersten Versuch, das Dorf zu nehmen. Sie gerieten in einen plötzlich einsetzenden Schneesturm, verloren sich, mußten sich neu sammeln, da Waren zwei russische Panzer heran. Nur wenige kamen zurück. Seither ist bis zum ro. Mai kein Deutscher in dieses Gebiet gekommen.

Noch war nicht Zeit, die Toten von damals zu sammeln. Wie sie irn Februar in den Schnee gesunken sind, der unter ihnen weg- geschmolzen ist, so liegen sie da. In ihren weißen Tarnanzügen ruhen sie im welken Gras, irn flachen Wasser. Einige Gesichter sind schwarz, andere hellgelb, die Augenhöhlen leer. Das ist nicht das Werk der Russen, wie bereits erzählt wird, sondern das der Witterung und der Vögel. Die Haut der Wangen ist über den stark hervortretenden Backenknochen straff gespannt und geris- sen, so daß man durch die Löcher die Zähne sehen kann. Die Pelzhauben umhüllen die Köpfe, darüber die warme Luft des Maientages streicht. Die hier liegen, waren bereits auf dem Rück- marsch. Doch einer war noch in der Richtung des Angriffs unter- wegs. Er sollte warmes Essen nachbringen auf einem Panjeschlit- ten. Reste der Zügel hält er noch in den behandschuhten Händen.

Neben ihm liegt der zerbrochene Schlitten mit zerfetzten Decken und einer Schütte gelben Strohes darauf. Vier Essenträger sind ringsum verstreut. Drei durchlöchert und leer, der vierte, an den ich mit dem Fuß stoße, unbeschädigt und voll. 40 Mann zähle ich auf meinem Wege, in der Öde verstreut, einer nach dem anderen.

Unter den letzten, dem nachrückenden Feind also am nächsten, liegen zwei Offiziere, ein Hauptmann und ein Leutnant.

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23. Mai 42. Ich glaubte noch zu träumen oder mich durch Zaube- rei in die Garnison versetzt, als ich, aufwachend, eine Kolonne Soldaten mit Gesang am Haus vorbeimarschieren hörte – durch eine Straße, die in ihrer ganzen Länge gegen Westen mit Brettern und Sackleinwand verkleidet ist, damit der Feind den Verkehr nicht beobachten kann. Der Anstifter zu diesem Unfug, dem Vor- spiel zu einem für Pfingstsonntag geplanten ››Sportfest«, ist Hauptmann Salisko, der Mensehenjäger. Er Will sich eine Nummer beim Oberst machen und seine Pistolenschießkunst unter öffeı-it« lichen Beweis stellen. In einer Geländefalte beim Fluß hat er einen Scheibenstand bauen lassen, und dort verknallt er von früh bis spät Munition. Ich legte mich gestern eine halbe Stunde dort hinter ein Gebüsch und beobachtete ihn. Er machte mir den Ein- druck eines Besessenen.

Am Ostrand Demidoffs, wo uns die Russen nicht in Stellungen gegenüberliegen, werden Anlagen für einen Hindernislauf und eine Springgrube gebaut. Auch eine Eskaladierwand fehlt nieht.

Keine 3 km vom ››Sportplatz<< entfernt wurden gestern zehn Artilleristen, die im Nachbardorf ihren Troß bewachen mußten, von Partisanen überfallen und getötet. Die Leichen liegen im »Waage-Haus« neben dem Heldenfriedhof, auf dem morgen zehn neue Kreuze stehen werden.

2.4. Mai 42, Pfingstsonntag. Der Himmel selber äußert sich zu

dem beabsichtigten Sportfest. Es regnet in Strömen, die Straßen stehen unter Wasser, der Marktplatz ist ein See. Die Wolken schleppen über die Dächer. Wir haben im kleinen Blechofen Feuer gemacht. Nachdem mich das Radio gestern bis zum Wahnsinn ge- peinigt hatte, ließ ich mir heute im Revier wachsgetränkte Watte- kügelchen geben, wie sie die Artilleristen als Lärmschutz ver- wenden. Dazu braucht man nun zweieinhalb Kriegsjahre, um eine so einfache Lösung zu finden.

I. juni 42. Die Wärme öffnet die Häuser, lockt die Frauen, die Kinder, die alten Männer nicht nur in ihre Gärten, die meist von Bretterwänden umschlossen sind, sondern auch auf die Straßen.

Die Begegnungen zwischen den Soldaten und der Bevölkerung werden zahlreicher und lebhafter. Ich denke manchmal, und idi versuche zu erkennen, wie dieser Rest von Demidoffs Bewohnern eigentlich zu uns steht? Hassen sie uns? Dann ist es ein sehr ver- steckter Haß. Nehmen sie einfach hin, was über sic gekommen ıgo

ist? Es sieht so aus, aber ich glaube, dieser Eindruck täuscht. Sie hassen uns nicht, aber wenn sie könnten, würden sie uns alle um- bringen. Darin liegt kein Widersprud1. Die fremden Bedrücker los sein um jeden Preis – um dieses Gefühls willen fanden ihre Vorvätcr es richtig, daß Moskau brannte. Kämen wir hin, es würde wiederbrennen.

[Von Hansheinrich Bertram]

12. ]uni 42. Der Wind ist so star/e draußen, daß er meine Striche krurnrn fegt. So habe ich fluchend meine Zeichenberniihungen auf- gegeben. Striche übrigens auf einem wunderbaren Papier, denn – medias in res – ich hatte 21 Tage Urlaub, d. h. ich war 17 zu Haus, Die Hinreise, arn 17. Mai angetreten, nahrn dreieinhalb Tage in Anspruch. In einem endlosen Güterzug fuhren wir Tag und Nacht,

d. h. meistens oder sehr häufig standen wir, irnrner gereizter und ernpörter, um die lenapp bernessenen Tage der Freiheit zitternd.

Immerhin, wir kamen an, und es war sehr schön und genau so schnell zu Ende wie befurchtet. Die Zeit verging, wie rnan zu sa- gen pflegt, wie »im Traum«, was rnir die psychologische Richtig- leeit dessen beweist, da/3 man Lanzern keinen längeren Urlaub geben darf. Sehr schön war das Wiedersehen rnit der erwachsenen Tochter, die in Wirklichkeit fuiel graziöser, lieblicher und rosiger ist als auf den Bildern und mich auch gebührend in ihr Herz schloß – obschon sie vorläufig noch nicht sehr zu Zärtlichleeit zu neigen scheint. Die Tage 'uerlebte ich mit meiner Frau irn Lipper Land, Nähe Pyrmont-Hameln, eine hubsche Gegend. Merkwür- dig, wie /elein, par/eähnlich und unnatürlich mir die heimatliche Landschaft 'vor/eomrnt, nachdem ich ein ]ahr in der russischen Weite zugebracht habe. Die sauber begrenzten Straßen und Wege, die leuchtenden Farben vun Wiesen und Wäldern (zur Pfingst- zeit), Ac/eer neben Acleer, alles genau aufgeteilt, soweit das Auge reicht. Und die Menschen so gut gewaschen, die Städtchen mit ihren Kirchen und Kramläden wie aus der Spielzeugschachtel, selbst die Tiere blanhgeputzt. Das ist schon sehr nett, aber ich habe viel ıíibrig für das ungebärdige, endlose Rußland. Auf der Räcle- fahrt nahm ich die ersten Bilder 'von Unordnung rnit einem ge- wissen Wohlbehagen auf. Einen schiefen Zaun, einen halbfver- fallenen Hof, ein sorglos Zerlurnptes nac/etbeiniges Mädchen. Ko- rnisch, ich sehe jetzt alles mit anderen Augen als während der er- 251


sten Monate, Die Bilder haben an Trostlosigkeit 'verloren – 'viel- leicht waren es auch besonders armselige Gegenden, die wir im Anfang durchstreiften. Zum Teil liegt es aber wohl daran, dafl man sich eingelebt, eingesehen, akklirnatisiert hat. Selbst der be- tiiubende sußliche Geruch, der uns beim ersten Eindringen in einen Wohnraum in die Flucht schlug, hat ein 'wenig an Schrecken 'Uer- loren. Und was die Menschen betrifft, so sind sie rnir gar nicht unsympathisch. Vor allem die Kinder. Da ist Piotr Iwanowitsch, wie ich ihn getauft habe, ein zehnjähriges Burschchen aus unserem letzten Quartier mit einem hiibschen klugen Kopf, wie ein Alter redend und gestikulierend. Als ich rnir in dem schabigen Zimmer erstaunt ein Bild an der Wand betrachtete, sagte er 'voll Stolz: Puschkin./, und nannte noch andere russische Dichter. Überhaupt fand ich 'vielfach eine Achtung vor kulturellen Dingen, die mich iiberrascht und angenehm berührt. Und all die Matkas, die ich gezeichnet habe, gefallen mir gut. Wie sie ihre Kinder lieben und hatscheln, ist eine Freude zu beobachten, und wie 'viele sie in die Welt setzen – es bestarkt meine Überzeugung, daß dieses Volk eine Zukunft hat.

Während ich auf Urlaub war, ist die Division in sılidlicher Rich- tung abgerılickt. Nun befindet sich nur noch ein kleines Rest- kornrnando in unserem Dorf. Einige Wagen sind noch da, die uns, nach Fertigstellung, hinterhertransportieren sollen.

Meine Frau ist rnit Heide, bzw. ››Murnmi«, wie sie sich selbst oft und mit Wohlgefallen zu nennen pflegt, fiir drei Wochen nach Scharbeutz (an der Ostsee) gefahren. Übrigens ist sie jetzt eifrig fiir die Frauenschaft tatig, indem sie /ealligraphisch Fuhrerworte herstellt. Ich 'uersah wahrend des Urlaubs meine Zeichnungen rnit Passepartouts, das tut man gern – wie Du weißt -, denn »es putzt ganz ungemein«, um mit Herrn Griinlich zu reden.

Auf der Urlaubsfahrt kamen wir durch Srnolensk – so hatten wir uns beinahe sehen können, aber es ware für Dich wohl doch schwer einzurichten gewesen. Ob Du nun Deine Bewahrungszeit hinter Dir hast oder ob Du noch im Graben liegst? Deine süddeutschen Schreibstubenfı/erhaltnisse miissen viel fiirsich haben, auch scheinst Du, wie ublich, eine rege Betriebsamkeit zu entfalten. Wir korn- rnen angeblich sehr weit nach Süden. Ich habe Deine Voraussage der strategischen Entwicklung nicht mehr genau im Kopf, immer- hin diirfte es, ihr zufolge, dann aus sein mit dem ruhigen Posten, 252

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t


den Du uns zugedacht hattest. Mein ››Horch« ist inzwischen in andere Hande übergegangen. Was fiir ein Vehikel wird man mir nun anvertrauen? Gott hewahre mich 'vor einem Zweiten russi- schen Winter als Kraftfahrer (und iiherhaupt). Dein Freund H.

ist schon seit langem nicht mehr hei der Kompanie. Man schoh ihn zu einem Funkmeisterlehrgang ah. Unsere neueste Mode- krankheit ist Malaria. Wachtmeister K. und W. sind ihretwegen nicht aus dem Urlauh zuruckge/eommen die Heimfahrt hatte es gerade noch unter Aufhietung aller selhstheherrschenden Kräfte gelangt). Wir hahen viel Ersatz hekomrnen, vor allem Kraft- fahrer. Daß Du die Kompanie nicht wiedererkennen würdest, schrieh ich schon. Selhst mir wird es hald nicht mehr gelingen.

/iher ich throne ja – als haldiger Stahsgefreiter – auch hoch iiher der Masse.

Erinnerst Du Dich arı den Bildhauer Schreiher? Er hesuchte mich in Frankfurt. Ich traf ihn jetzt auf der Rückfahrt in Berlin. Um sein Studium zu finanzieren, ist er unter anderem damit heschdf- tigt, Eiserne Kreuze im Akkord zu polieren. So hat jeder seinen Anteil am Krieg. Pythagoras soll das Lehen mit einer Festver- samrnlung verglichen hahen, zu der sich die einen als Kämpfer, die anderen als Händler, die Besten aher als Zuschauer einfinden.

15. Juni 42. Meine Papiere sind beim Regiment angekommen, ein dickes Päckchen voll sich widersprechender Behauptungen über den Soldaten K. Der Adjutant Wies auf das Päckchen, als ich eine Kartenskizzc bei ihm ablieferte, und sagte mir, was es enthielte.

Vor meinen Augen, offenbar in der Absicht, mich einenBlick hin- eintun zu lassen, blätterte er darin. Im selben Augenblick begann ein kleiner Feuerüberfall, und alles verschwand mit Eile im Kel- ler. Da setzte ich mich kurzerhand an des Leutnants Tisch, um mich in Ruhe davon zu überzeugen, was denn dieser K. für ein Kerl sei. Da War zuoberst die Beurteilung aus Züllichau, zweifel- los aus dem Hirn und der Feder von M., dem rothaarigen Haupt- feldwehel. Er stellt fest, daß ich ein ungewöhnlich renitenrer Bursche sei, der aufsässige Reden führe, sich vom Dienst zu drük- ken suche und politisch das allergrößte Mifštrauen verdiene. Ihr folgte ein Blatt, das von der Io. Kompanie des I.-R.z9 nach Zül- lichau geschidst wurde, als ich längst im Lazarett War. Daraus schrieb ich ein paar Worte ab, weil sie sich so kurios lesen im Ver- 253

gleich zu den anderen: »Obgleich nicht infanteristisch ausgebil- det, hat er ausgezeichnet und mit Eifer in der Kompanie Dienst getan. Im Einsatz bewährte er sich als ein unerschrockener Sol- dat . . .«

Ich habe den Brief überlesen und bemerkt, daß ich die Haupt- sache dieses Tages nicht erzählt habe. Mittags bekamen wir einen Eisenregen auf den Kopf, der nicht aus kleinen Kalibern war.

Wir haben einen Toten im Zug, den Gärtner. Er lag nur ein paar Schritte vom Eingang entfernt, sich sonnend, auf dem Rasen und erreichte das Haus nicht mehr.

Heute hörte ich Beethovens Streichquartett, op. 18/1, hart ge- spielt, aus Smolensk. Nach einer solchen Sendung Will ich dem Radio immer verzeihen, aber nur für kurze Zeit. Im ganzen ist es säuisch. Op. 18/1 spielten wir ein paarmal bei Ws vor hun- dert jahren, nämlich 1938.

16. Juni 42. Die Bildung einer ›>Fronttheatergruppe<<, bei der ich hätte mitwirken sollen, bleibt glüdslicherweise nur der Einfall irgendeines Leutnants, der vielleicht eigene Gedichte vertragen wollte. Auch auf solche Sachen bin ich nix neugierig. Langweilig ist es keinen Augenblick. Das Dilettantische gelingt mir nur zu gut, heute ist eine farbige Skizze vom Friedhof entstanden, die grüne Aquariumsluft der frühen Stunde ist sogar aufs Papier ge- kommen. Es kann ja keine Rede davon sein, daß diese Umstände anhalten, nun sind wir schon Mitte ]uni, drei Monate, dann tritt Väterchen Schlamm Wieder seine Herrschaft an – wann wollen wir denn eigentlich siegen?

[Vom Paul List Verlag, Leipzig, an E. K.-Sch.]

16. funi 42. Von dem uns zu treuen Händen überlassenen Manu- skript hatten wir die Reinschriften anfertigen lassen. Eine letzte Durchsicht ist uns zum Teil schon wieder zugestellt. Zu weiteren Arbeitsmöglicbheiten scheinen die militärischen Verhältnisse keine Zeit zu lassen. Natürlich eilt die Arbeit auch nicht, Zumal wir ja ıibereingehommen waren, zu den bereits heraufbeschworenen Mi/ihelligleeiten nicht neue Tıäic/een heranzuloc/een, So be/eennt sich dcr Verlag nach wie fvor zu dieser Arbeit, ohne vorerst Möglich- keiten einer Veröffentlichung in Buchform zu haben. Aber schon hierin liegt Verantwortung und Verpflichtung, die nicht nur die Arbeit selbst angeht, sondern auch deren Urheber in sich einbe- 254


zieht. Sollten aus solchen Betrachtungen heraus die Umstände es gebieten, Ihnen in wirtschaftlicher Seite einmal zur Seite zu tre- ten, so liegt selbstverständlich eine entsprechende Bereitschaft auf unserer Seite ohne weiteres vor.

[An den Paul List Verlag, Leipzig (aus der Antwort auf diesen Brief)]

Demidoff, 7. juli 41. So können wir den Verhältnissen immer noch dankbar sein, daß wir auf unsere Weise etwas vorankom- men und die Tage, Wochen und Monate nicht ganz ins Leere ver- rinnen. Aber Sie sind sicherlich mit rnir der Meinung, daß alles Bisherige leicht war gegenüber dem, was wir noch durchzustehen haben werden. Wahrscheinlich können wir uns davon keinen Be- griff machen. Jegliche Art des Zusammenstehens und der Hilfs- bereitschaft wird dann aber hundertfaches Gewicht haben. In diesem Sinn danke ich Ihnen für die in Ihrem Brief ausgedriíckte Bereitwilligkeit, unter Umständen meiner Familie wirtschaftlich eine Hilfe sein zu wollen.

17. Juni 42. In Eile ein paar Notizen über die vergangene Nacht.

Die Beschießung gestern war, wie wir jetzt wissen, nur ein Vor- spiel, sie schossen sich ein.

Gegen io Uhr legte ich mich im Treppenhaus schlafen. Ich er- wachte davon, daß die Welt unterging. Es schien mir so. Sie be- gannen mit ihren Salvengescliützen, deren Abschuß nicht zu hö- ren ist; dieÜberraschung gelang ihnen vollständig. Ich habe nichts Ähnliches bisher erlebt. Das Haus schwankte, vor den Fenstern sah ich rote Flammen und Blitze, ein I-Iöllenlarrn tobte um mich herum. Ich saß auf dem Bettrand und dachte etwas Unbestimm- tes, etwa Na also! Oder Schau mal einer an! Nach den ersten Salven entstand eine winzige Pause. Ich ergriff Stiefel und Ge- wehr und raste die Treppe hinunter, hinein in das Gewölbe der Funker.

Dort brannte Licht; der Raum, als der sicherste irn Hause, war voll. Ich war noch nicht darin, da begann das Getöse der Ein- schläge von neuem. Der Artilleriehauptmann und sein Bursche kamen eine Sekunde nach mir an und brachten einen dritten ge- schleppt. Sie legten ihn auf den Boden! Dort verharrte er unbe- weglich ausgestreckt und stöhnte. Bald darauf wurde noch ein zweiter Verwundeter gebracht, der sich still verhielt. Er war am 255


Bein verletzt und blutete. Der Stöhnende verlangte nach dern Hauptmann. Er gab ihm die Adresse seiner Familie und sdirie dazwischen: »Meine Füße, meine Beine!<< Ich löste ihm`das Kop- pel und versuchte festzustellen, wo er verwundet war. Aber die geringste Bewegung machte ihn schreien vor Schmerzen. Wir wuß- ten uns keinen Rat. Zwei Stunden später fand der Arzt ein erb- sengroßes Splitterchen, das in die untere Wirbelsäule eingedrun- gen war und eine Lähmung der Beine bis zu den Hüften zur Folge hatte. Der Mann ist gestorben.

Um 1 Uhr kam ein wie durch ein Wunder unverletzt gebliebener Melder vom Regimentsgefechtsstand heriiber und überbraehte den Befehl, daß die Verbindung zum II. Bataillon hergestellt werden müsse. Der Oberst war um diese Zeit der Meinung, der Angriff auf die Stadt habe im Abschnitt der 6. und 7. Kompanie begon- nen. Der Zugführer zeigte sich in diesem Augenblick von seiner besten Seite. Er fragte: »Wer kommt mit?« Zehn Minuten spä- ter, die Gewalt des Feuers hatte merklich nachgelassen, verließen wir das Haus. Draußen war es taghell. Der ganze Stadtteil jen- seits der Gobsa stand in Flammen. Unsere Hoffnung galt dem eingegrabenen Kabel. Wenn es keinen Volltreffer bekommen hatte, mußte es noch in Ordnung sein. Wir sprangen die Garten- straße hinab. Es pfiff uns um die Ohren. Das ist keine Redens- art, es pfiff wirklich. Wir machten die erste Bekanntschaft mit russischen Pfeifpatronen, die während des Fluges einen hohen Ton von sich geben, der dazu angetan ist, den Gegner einzuschüch- tern. Es hörte sich teuflisch an und erzeugte den Eindruck, der Luftraum sei dicht von fliegenden Geschossen erfüllt. Während der ersten paar hundert Meter lagen wir fortwährend auf dem Bauch, nachher gewohnten wir uns an diesen überraschenden Re- gieeinfall.

Die Gobsa uberquerten wir auf einem kleinen Steg und waren am jenseitigen Steilufer in guter Deckung. Hier war alles in Be- wegung, derart, daß wir den Eindruck gewannen, daß es mit dem Angriff doch nicht so schlimm sein könne. Wer in dieser Stunde nicht vorne in der Stellung lag, beteiligte sich daran, aus den brennenden Häusern Waffen, Munition, Verpflegung, vor allem aber seinen persönlichen Kram zu retten. Alles wurde am Ufer aufgestapelt als dem einzigen Platz, der nicht vom Feuer bedroht war.

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Dank der Festbeleuchtung fanden wir ohne Schwierigkeit die Stelle, wo cler Kabelgraben ins Flußbett mündete. Ich grub das Kabel aus dem Ufersumpf aus, der Unteroffizier schloß den mit- gebrachten Apparat an. Die Vermittlung meldete sieh! Inzwi- schen war auch von ihr zum Gefechtsstand eine neue Leitung ge- zogen worden, der Oberst kam an den Apparat, wir übergaben den Handapparat dem Hauptmann Salisko und hatten damit unseren Auftrag ausgeführt. Erst in diesem Augenblick fiel die Spannung von mir ab, in der ich mich seit dem Sprung über die Treppe befunden hatte. Wir bemerkten, daß das Artilleriefeuer vollständig aufgehört hatte, das Infanteriefeuer sehr schwach und unregelmäßig geworden war, und vor allem wurde uns beim Anhören des Gesprächs zwischen Salisko und dem Oberst ge- wiß, daß die Russen gar nicht angegriffen hatten. Wir stiegen noch für ein paar Minuten den Hang hinauf, um das Flammen- meer anzusehen, dann trotteten wir nach Hause.

18. juni 41. Gestern von halb vier Uhr früh bis io Uhr abends Leitungen gebaut und heute von halb sieben bis spät in dieNacht.

Ich bin zu müde, um mich noch zum Schreiben aufzuraffen.

19. juni 42. Wenn man im zaristischen Rußland nicht so solid gebaut hätte, wäre unser Haus zusammengefallen. Es ist über und über von Treffern verletzt. Vom Dach ist nicht mehr viel vorhanden. Die Fetzen der Blechverkleidung liegen auf dem Marktplatz und in unserem Garten verstreut, den es übel mit- genommen hat. Die Beschießung hat mir wieder – und uns allen ~ den Krieg ins Bewußtsein zurückgebracht. Er ist die erste Kugel, in die wir eingeschlossen sind. Darin ist eine zweite, das ist unser kleiner Krieg in Demidoff, und in dieser erst ruht die dritte, winzige, das ist meine eigene private Existenz.

zo. ]uni42. Es ist Sonnabend. Gegen ro Uhr kamen die drei Mäd- chen zum Saubermachen. Olga brachte mir Blumen mit, einen richtigen Bauernstrauß. Vier Maurer sind beschäftigt, die Fenster nach der Platzseite zuzurnauern. Auch das ist eine Folge der Ar- tillerie-Galavorstellung vom 17. Sieben Arbeiter säubern den Garten von Mauerresten und Blechstücken und bringen die Zie- gelwege wieder in Ordnung.

Abends. Unter den Gartenarbeit«-:rn war ein alter Mann mit schwarzem Vollbart. Als es 5 Uhr war und die anderen nach Hause gingernergriff er aus freien Stücken einenßesen und kehrte 2:7

den Hof. Das bewog mich, ihm ein Stück Brot und ein Glas Schnaps zu bringen. Er nahm beides, zog die Mütze, klemmte sie unter den Arm, schlug über Stirn und Brust ein Kreuz, wünschte mir Gesundheit, trank und aß mit bloßem Haupt.

[Von Dr. E. H.~W., einer Studien-Freundin]

Regensburg, 22, ]uni 42. Es gilt eine Reihe von guten Tagen zu ertragen, 'verzauberte und zauberhafte Tage, es ist ein Aufatmen, ein Spuren des Lebens – es leann sich eigentlich gar nicht in dieser Zeit abspielen -, man halt ganz still zumeist und rührt sich nicht, liegt, wie die Eidechse auf demMauerlein, in derSonne; Du mußt wissen, wie das ist, wenn ich mich recht erinnere, so stammt das Bild von Dir. Da liege ich nun also und birı heilfroh, solange die scharfen Augen des Zeitgeistes nicht entdecken, daß man ein Schild umgebunden hat, auf welchem steht ››pri'uat«. (Bei Dir war's üb- rigens eine Schlange, aber ich mag Eidechsen lieber.) Ich lebe also nun in einer Kaserne. Wer hätte das je gedacht? Man sollte meinen, daß gerade hier, wenn auch nur wie in einer lelei- nen, letzten Ader, der Pulsschlag der /eriegerischen Zeit deutlich zu spüren ware und uns das Unangenehme dieser Welt irnmerzu gegen das Gemüt eingehämmert würde. Dem aber ist nicht so.

Wir leben friedlicher und unbehelligter als irgendwo in den Stad- ten. Es ist eine große, neu gebaute Kasernenanlage, hübsch ge- legen vor der Stadt, mit wielen Gebäuden, 'von denen ein großer Teil meist leer steht. G. [Rechtsanwalt G. W., der Mann der Schreiberin] ist hier Ad/'utant oder so etwas ähnliches, Offizier beim Stab?, /eeine Ahnung, das lerne ich nicht. Mit Mühe leann ich allmahlich einen Offizier von einem Wachtmeister unterscheiden.

]edoch halte ich alle Inspe/etoren auch für Offiziere, und das ist manchmal falsch, Ein Adjutant und Oberleutnant scheint hier ein großes Tier zu sein mit geradezu magischen Befugnissen. ]e- denfalls sind alle Leute furchtbar nett zu mir und beflissen. Bei den hiesigen Soldaten gibt es erfreuliche Menschen, Künstlerleute, die bildhauern, malen und musizieren, von unserer Anteilnahme gefördert. Die haben großes Glücle, daß wir hier Oberleutnants sind, man hat mir gesagt, man könne so etwas auch verbieten. In- folgedessen besitzen wir schon eine schöne Bronce-Statuette, un- sere Köpfe werden gehauen, gestochen und in Bronce gegossen, und zu der wunderbaren Aufführung der Missa solernnis in der 258


Minoritenkirche hekamen wir die hesten Karten und einen Kla- 'vierauszug mit handschriftlicher Widmung des Dirigenten. Ja, so ist das Lehen – zum erstenmal, daß ich es ein ganz klein wenig »von der anderen Seite« zu sehen kriege, wenn auch nur durch die merkwürdige Perversität der militärischen Zustände, wo der Akademieprofessor seinem Pedell die Stiefel putzt, wenn der zu- fällig etwas früher zur Wehrmacht gekommen ist – aher ich muß sagen, es gefiele mir ganz gut, Mäzen zu sein _ . . unter anderen Umständen noch hesser.


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