III.2. B
egleitet vom Lächeln der Götter
Die Götter lächeln gleichmütig ebenso beim Einweihungsfest, bei den zahlreichen
Weihnachts- und Hochzeitsfesten wie auch später bei den Aufbahrungen der
Buddenbrooks, die in diesem Raum stattfinden. Sie lächeln, als Jean und sein Vater sich
über Gottholds unerfreulichen Brief beraten (M,I,49), als Grünlich zum ersten Mal zum
Mittagessen eingeladen ist (M,I,102), sie lächeln zur Testamentsvollstreckung nach
Jeans Tod, bei der Herr Marcus Teilhaber der Firma wird (M,I,252),
187
sie lächeln, als
ein Teil der Familie und des Personals in die Breite Straße zieht und das Haus in der
Mengstraße immer leerer wird (M,I,305), und sogar noch, als Weinschenk nach seiner
Anklage im Speisesaal sitzt (M,I,524).
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Für Ebel sind die Götterfiguren ein Leitmotiv, das eine "Bedeutung für die Tektonik
des Werks" hat, "in dem es neunmal
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eine Station des Untergangs von Familie und
Firma signalisiert und die Präsentation des Verfalls als quasi-mythisch und in einer
Transzendenz verankert vermittelt".
190
Er weist ferner darauf hin, daß in Alexander
Kiellands Roman Fortuna eine Statue der Glücksgöttin mit ähnlicher symbolischer
Funktion eingesetzt wird: Der Leiter einer Chemiefabrik, die den Namen 'Fortuna' trägt,
hat auf seinem Schreibtisch eine lächelnde Fortuna-Figur stehen. "Das Lächeln dieser
Figur begleitet die Etappen des Bankrotts der Firma ähnlich wie die Götterstatuen in den
Buddenbrooks den Verfall von Familie und Firma".
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Der explizite Hinweis auf die
Gegenwart der lächelnden Götterstatuen an bedeutenden Stationen des Verfalls rückt
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Vgl. Pütz: "Im Schicksal der Buddenbrooks feiert das Gesetz der ewigen Widerkunft des Gleichen
seine Bestätigung." (Pütz: Stufen, S.450)
187
Dabei ist beim ersten großen Festessen unter ihren Augen darüber gesprochen worden, wie fatal
die Wahl des falschen Kompagnons für Ratenkamp war! Nun sehen sie gleichmütig zu, wie die
nächste Katastrophe heraufzieht - ein Schicksal wiederholt sich auf die gleiche Art und Weise bei
einer anderen Familie.
188
Eine Tapete mit weißen Götterfiguren, die plastisch hervorzutreten scheinen, wird auch in den
frühen Erzählungen Der Bajazzo und Tonio Kröger und im Roman Königliche Hoheit erwähnt.
Symbolische Funktion im Sinne eines Bedeutungsträgers gewinnen jedoch erst die Götterbilder in
Buddenbrooks, vgl. hierzu Uwe Ebel: Rezeption und Integration skandinavischer Literatur in
Thomas Manns "Buddenbrooks" , Neumünster 1974, S.131.
189
Die Statuen werden nicht neun- sondern zehnmal erwähnt, vgl. M,I,22,49,92,102,252,305,
446,524,536,588.
190
Ebel: Integration, S.131
191
Ebel: Integration, S.132. Zur genauen Verwendung dieser Statue bei Kielland vgl. ebda. Da
Thomas Mann die Romane Kiellands kannte, liegt es nahe, hier einen Einfluß zu vermuten. Auch
Ebel tut dies.
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die Romanhandlung an diesen Stellen in eine mythische Sphäre. "Die lächelnden
Götterstatuen potenzieren den Eindruck der Unentrinnbarkeit des Schicksalsverlaufs.
Ihre Beschreibung verweist den Determinismus scheinbar an eine transzendente Gewalt,
die die Unabwendbarkeit des Ablaufs verbürgt und kontrolliert".
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Jedoch symbolisieren die Götterfiguren nicht nur die im Roman an verschiedenen
Stellen durchscheinende Transzendenz. Da sie stets nur an Stellen erwähnt werden, an
denen sich das Schicksal der Buddenbrooks zum Negativen wendet, haben sie auch
eine vorausdeutende Funktion. Unerwähnt sind sie an vielen Stellen präsent, nämlich
jedesmal, wenn vom Speisesaal die Rede ist, doch wenn sie eigens genannt werden, so
geschieht dies immer an Wendepunkten der Handlung zu Ungunsten der Buddenbrooks.
Die Götterstatuen begleiten ebenso den Auf- und Abstieg der Buddenbrooks, wie sie
vorher den der Ratenkamps begleitet haben, und sie werden genauso Zeugen werden,
wie auch der Aufstieg der Hagenströms, die nach den Buddenbrooks das
Mengstraßenhaus beziehen, sich wieder zum Abstieg hin modifizieren wird.
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"Dominus providebit" steht über der Tür des Mengstraßenhauses, und es stand dort
schon, als im Jahr 1682 die Familie Ratenkamp das Haus bezog; es blieb dort stehen,
als sie verarmt davonzog und Buddenbrooks ihren Platz einnahmen, ebenso, als diese es
den Hagenströms überlassen mußten, und es wird dort stehenbleiben, wenn einst
Hagenströms verarmt sind und einer anderen Familie Platz machen werden. Der Spruch
steht wie die Götterbilder auf der Tapete für das Bleibende über dem Vergänglichen:
"Und zuletzt wölbt sich das Ewige über dem Zeitlichen: die weißen Götterbilder auf dem
himmelblauen Hintergrund der Tapete im Eßsaal, dem 'Speisetempel', wie er auch
genannt wird, wo das Leben der Lebendigen und die Einsegnung der Toten sich
begeben." So wird der Roman "zu einem Gleichnis für den ewigen Wandel des
Irdischen".
194
Durch die Erwähnung des "Dominus providebit" über der Haustür zeigt
sich bereits ganz am Anfang des Romans die "Verwiesenheit des Geschehens an eine
Vorsehung".
195
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