läßt, so folgte er darin nicht nur französischen Leitbildern (Zola) sondern wurde auch durch das
mitbestimmt, was Schopenhauer über die Unsterblichkeit der Gattung gesagt hat."
"Die Ereignisse (...) wiederholen sich in ihrer Grundsubstanz, nur die Erscheinungsformen ändern
74
die Zukunft: den absehbaren Abstieg der Hagenströms
178
vermitteln eher den Eindruck,
daß sich grundlegend nichts geändert habe: "Die einen gehen, die anderen kommen.
Sind die, die kommen, 'schlechter' als die, die gehen? Oder besser?"
179
Steht nicht die
Lübecker Gesellschaft am Ende genauso als geschlossener Mikrokosmos da wie am
Anfang, wenngleich einige Figuren ausgewechselt worden sind?
180
Diese Weltsicht aber deckt sich mit derjenigen Schopenhauers. Er wertet die
Geschichtswissenschaft aus dem Grunde ab, weil sie lehre, "daß zu jeder Zeit etwas
anderes gewesen" sei (S,IV,519), während es die Aufgabe der Dichter sei, Einsicht in
das wahre Wesen allen Seins zu vermitteln,
181
nämlich, "daß zu allen Zeiten ganz das
Selbe war, ist und seyn wird. In Wahrheit ist das Wesen des Menschenlebens, wie der
Natur überall, in jeder Gegenwart ganz vorhanden" (S,IV,519), während sich dem
Historiker, der allzusehr den äußeren Einzelerscheinungen verhaftet sei, "jede Gegenwart
nur (als) ein Bruchstück" (S,IV,519) darstelle.
In den Schicksalen der Ratenkamps, Buddenbrooks und Hagenströms wiederholt
sich bis ins kleinste Detail hinein das Gleiche.
182
Der Hintergrund des exemplarisch
ausführlich geschilderten Abstiegs der Buddenbrooks wird gebildet von einer
Gesellschaft, die durch Kontinuität und Konstanz gekennzeichnet ist, trotz aller
zeitbedingten Veränderungen, die eher Äußerlichkeiten betreffen als das Wesen der
Figuren. Kontinuität begegnet in den austauschbaren Vertretern bestimmter Instanzen.
183
Die transzendente Macht, die das Spiel all dieser wechselnden Erscheinungen regelt, ist
in den weißen Götterbildern im Speisesaal des Mengstraßenhauses versinnbildlicht. Von
ihrem gleichmütigen Lächeln begleitet, wiederholt sich vom Anfang bis zum Ende stets
nur dasselbe, nur "unter anderem Namen und in anderem Gewande" (S,IV,522).
Eine Reihe von Figuren begleitet die Buddenbrooks durch alle Höhen und Tiefen
ihres Schicksals hindurch. Es gibt zum einen den engeren, beinahe rein familiären Kreis,
den Sesemi Weichbrodt, Klothilde, Ida Jungmann und die drei Cousinen aus der Breiten
Straße bilden. Sie sind bei allen traurigen und (vermeintlich) erfreulichen Anlässen
178
Vgl. folgendes
179
Diersen: Leben, S.36. Auch Diersen ist der Ansicht, Thomas Manns Romankonzept sei von einer
Kreislauftheorie bestimmt, vgl. Leben, S.37, ebenso Keller: "Verfall", in: Moulden, von Wilpert
(Hrsg.): Buddenbrooks-Handbuch, S.160f.
180
Die charakterlich bedingten Veränderungen, die mit diesem Wechsel einhergehen, wie z.B. das
deutlich eher düstere Wesen des Schöngeistes Makler Gosch als Nachfolger des heiter-
unbeschwerten Jean Jacques Hoffstede haben keine wesentlichen Konsequenzen.
181
Vgl. S,I,310f.
182
Vgl. diese Arbeit, Kapitel I.5., S.16ff. und folgendes
183
So wird etwa die Ablösung des Trägers Matthiessen durch Träger Nielssen eher als Kontinuität
im Bisherigen denn als Bruch oder Wandel empfunden, vgl. diese Arbeit, S.73.
75
anwesend und begleiten das Geschehen
mit ihren teils wohlwollenden, teils hämischen,
teils vergeblich-optimistischen Kommentaren.
184
Der weitere Kreis besteht eher aus typenhaften Figuren, die gleichsam die Statisterie
in der Welt der Buddenbrooks bilden, so z.B. Herr und Frau Stuht aus der
Glockengießerstraße, die jede "gassenläufige Wahrheit" über das Haus Buddenbrook
bei ihrer Specksuppe besprechen (M,I,467). Ähnlich illustre Begleiter sind etwa Barbier
Wenzel und der Speicherarbeiter Grobleben.
Einige Figuren werden nur bei bestimmten für die Familie oder die Firma wichtigen
Anlässen erwähnt - sie markieren Hoch- und Tiefpunkte der Buddenbrookschen
Schicksalslinie. So richtet Tapezierer Jacobs sowohl die Häuser Thomas' und Gerdas,
als auch die Tonys und Erikas ein (M,I,298,447,597) - doch er schmückt auch den
Speisesaal, als die tote Konsulin dort aufgebahrt wird. Bald nach ihrem Tod wird das
Haus in der Mengstraße verkauft. Er ist also präsent bei Hausstandsgründungen wie bei
Haushaltsauflösungen und markiert damit jeweils den Handlungsumschwung.
Schon bei ihrem Gespräch mit Gerda und Armgard in Sesemis Pension schlägt Tony
vor, Gerda solle sich später ihr Haus von Tapezierer Jacobs einrichten lassen (M,I,91).
Sie ahnt natürlich nicht, daß es tatsächlich einmal dazu kommen wird - und die
Doppeldeutigkeit ihrer Prognose ist ihr noch weniger bewußt: Tatsächlich wird
Tapezierer Jacobs den Buddenbrooks künftig ihre Häuser einrichten, aber auch die
Einrichtung in ihrer letzten Ruhestätte, im Sarg, wird er bei den Aufbahrungen
übernehmen (M,I,571). Genauso begleitet Annas Blumenschmuck sowohl das Richtfest
von Thomas' neuem Haus
185
als auch die vielen Beerdigungen. Pastor Pringsheim, der
Hanno getauft hat, beerdigt ihn sechzehn Jahre später. Doktor Grabow wird sowohl bei
Krankheits- und Sterbefällen zu Rate gezogen als auch dann, wenn sich bei Gerda und
Thomas kein Nachwuchs einstellen will (M,I,364). Und die nach Branntwein
riechenden, kautabakspuckenden Speicherarbeiter kommen mit ihren schlürfenden
Schritten gleichmütig sowohl zum Firmenjubiläum als auch zur Aufbahrung ihres
Arbeitgebers (M,I,487,691).
Um die Veränderungen im Ewig-Gleichen geht es in Buddenbrooks; und der
Wandel von vier Generationen, die jeweils vier verschiedene Stufen des Verfalls
184
Matthias sieht in Friederike, Henriette und Pfiffi gar eine Parodie auf den Chor der antiken
Tragödie, vgl.
Erzählweise, S.52.
185
Mit diesem Bau eines neuen Hauses wird das Anfangsmotiv (Buddenbrooks lösen Ratenkamps
ab, indem sie deren Haus übernehmen) noch einmal leicht variiert, denn obwohl es um
Buddenbrooks nun nicht mehr so gut steht wie zu Beginn, nehmen sie hier noch einmal den Platz
ein, den vor ihnen eine andere Familie innehatte: Auf dem Grundstück, auf dem Thomas sein Haus
bauen läßt, muß erst ein "altersgraues, schlecht unterhaltenes Haus" abgerissen werden, "dessen
Besitzerin, eine steinalte Jungfer, die es als Überbleibsel einer vergessenen Familie ganz allein
bewohnt hatte, kürzlich gestorben war" (M,I,420). Hier sind Buddenbrooks äußerlich noch auf der
Höhe, als andere abgewirtschaftet haben, später wird es umgekehrt sein.
76
vertreten, jeweils ganz verschiedene Charaktere ausgeprägt haben, vollzieht sich vor
dem Hintergrund des Ewig-Gleichen
186
, unter den Augen der zu Beginn wie am Ende
des Romans unverändert lächelnden Götterstatuen im Speisesaal des
Mengstraßenhauses.
Do'stlaringiz bilan baham: