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1.2 Moderne Reiseliteraturforschung in transkulturellem Konzept
Das Reisen ist eine wichtige Erkenntnisquelle der Menschheit. Das Erfahren fremder
Kulturen führt zum Erkennen und zur Bereicherung der eigenen Kulturkenntnisse. Mit
dem Reisen steigern die Menschen ihre eigene kommunikative Gewandtheit, knüpfen
interkulturelle Kontakte und verbessern nicht zuletzt die wirtschaftliche Situation des
fremden und (auch) des eigenen Landes. Reisen war deshalb schon immer ein
wichtiger Bestandteil der Kultur, sowohl im Orient mit seiner großen Seidenstraße als
auch im Okzident wegen des wachsenden wirtschaftlichen Interesses an fremden
Ländern und Ethnien. Als erste Form des Reisens seit dem zwölften Jahrhundert sind
die Pilgerfahrten sowie Handelskarawanen bekannt. Die Berichte der Pilger, die bis
ca. 1500 einen großen Teil der Reiseliteratur ausmachten, sind in einer damals inter-
und überregionalen Sprache der Zeit, nämlich in der Kirchensprache Latein, verfasst.
Die Berichte der Entdecker wurden hingegen in der jeweiligen Landessprache oder in
einer der
drei Sprachen Portugiesisch, Spanisch oder Italienisch geschrieben. Den
deutschsprachigen Lesern wurden zunächst die Übersetzungen aus der jeweiligen
Landessprache ins Lateinische angeboten. Ausnahmen bildeten die Kreuzzugberichte
und die (wissenschaftlichen) Berichte der Ethnografen, die zum größten Teil in Latein
verfasst wurden (vgl. Moritz 1970, S. 38-39).
Die moderne Reiseliteraturforschung nimmt jedoch ihren Anfang im Wesentlichen erst
in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die erste Arbeit, die sich ernsthaft mit der
Differenzierung
des
Begriffs
„Reiseliteratur“
auseinandersetzt
und
ihn
gattungstypologisch klassifiziert, ist die Dissertation von Manfred Link (1963) zum
Thema „Der Reisebericht als literarische Kunstform von Goethe bis Heine“. Er versucht
die verschiedenen
Formen der Reiseliteratur, die bis dahin einem Sammelbegriff
„Reiseroman“ zugeordnet wurden, voneinander abzugrenzen
und unterteilt diese
Gattung in folgende vier Hauptgruppen:
1. Reiseführer und Reisehandbücher. Als ihre wichtigste Aufgabe ist die Vorbereitung
der Reisenden auf die bevorstehende Reise zu betrachten.
2. Wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Reiseschriften. Ihre Hauptfunktion
ist es, die Interessenten über die Kultur, Geografie, Geologie, Zoologie und Botanik
des fremden Landes zu informieren.
3. Reisetagebücher, Reisebeschreibungen, Reiseschilderungen,
Reiseberichte und
Reiseerzählungen. Auch Reisereportagen sind hier einzuordnen.
4. Reisenovellen und Reiseromane. Zu dieser Gruppe gehören literarische Werke, bei
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denen eine erlebte oder fiktive Reise als Hauptmotiv gilt und als Darstellungsform das
gesamte Werk durchzieht (vgl. Link 1963, S. 7).
Links Studie beschäftigt sich mit der dritten Gruppe und analysiert „
induktiv an Hand
“
(ebd.: S. 8) ausgewählte Werke der deutschen Reiseliteratur im Zeitraum von 1770 bis
1830, die in der Epoche des Sturm und Drang entstanden sind, zieht jedoch auch
Reisewerke des Barock und der Aufklärung kurz in Betracht.
Um die Entwicklung
dieser Gattung vollständig darzustellen, wird die Geschichte der Reiseliteratur im 19.
und 20. Jahrhundert beschrieben.
Wie Link selbst zugesteht, lässt seine Gliederung von Formen der Reiseliteratur viele
Fragen offen (vgl. ebd.) und wirkt unvollständig. Wolfgang Kessler versucht 1982,
Links Typologie durch vier weitere Kategorien zu ergänzen:
5. Literarische und publizistische Reisebriefe;
6. Private Reisebriefe von Reisenden;
7. Reiseberichte, die für die Berichterstattung verfasst wurden, wie z. B.
Gesandtschaftsbriefe und militärische Expeditionsberichte;
8. Private Reisetagebücher.
Uli Kutter ergänzt 1986 diese Liste noch durch einen neunten Gattungstyp: die
vorgebliche Reisebeschreibung. Darunter sind jene Reisewerke zu verstehen, die dem
Titel nach Reiseberichte sind, jedoch meist einen über das Reiseland informierenden
Charakter haben.
Zur gleichen Zeit wie Link gibt Mirco Mitrovich (1963) seine Dissertationsschrift zum
Thema „Deutsche Reisende und Reiseberichte im 17. Jahrhundert“ heraus, in der er
mit einem großem Analysekorpus arbeitet und über 40 Reiseautoren der deutschen
Barockzeit sowie ihre Reisewerke vorstellt. Mitrovich untersucht die Frage, inwieweit
die deutschen
Reiseberichte die Lyrik, Epik und das Drama der Barockepoche
beeinflusst haben. Seine Arbeit hat jedoch einen mehr deskriptiven als analytischen
Charakter, weshalb die Forschungsfrage zum Teil nur eine oberflächliche Antwort
findet.
Als umstrittener Beitrag zur Reiseliteraturforschung ist der
wissenschaftliche Artikel
des polnischen Sprachwissenschaftlers Zlatko Klátik (1969) zum Thema „Über die
Poetik der Reisebeschreibung“ zu nennen, der in der polnischen Zeitschrift
„Zagadnienia Rodzajóv Literackich“ in deutscher Übersetzung erschien.
Der Autor
verfolgt in seiner Untersuchung das Ziel, den Gattungstyp
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