21
3 Lerntheoretischer Hintergrund
dem spielt der Lehrende immer noch eine große Rolle beim Lernprozess. So
scheint der Ansatz eine Mischung zwischen Konstruktion
auf der einen und
Instruktion auf der anderen Seite darzustellen.
Einen vergleichbaren Ansatz findet man bei Müller (2001), der für einen ‚prag-
matischen‘ Konstruktivismus plädiert. Wie bereits erwähnt, wird die „Phase der
Problemfindung im Konstruktivismus als relevante kognitive Leistung aner-
kannt“ (ebd. S. 7). Soll Lernen nun in den geforderten authentischen Situationen
stattfinden, erweist sich die Findung des Problems als schwierig, da die Situ-
ationen zu komplex und unübersichtlich sind. Es bedarf also einer Person, wel-
che durch Strukturierung die „inhärenten Probleme aktiv ‚generiert‘“ (ebd. S. 8)
und so den Schülerinnen und Schülern ein Erkennen und Lösen der Probleme
ermöglicht. Es bedarf also immer noch einer Person, die Kontexte und Informat-
ionen her- und bereitstellt, Anregungen und Rückmeldung
gibt und eventuell
Pertubationen bei den Schülerinnen und Schülern auslöst (vgl. Siebert 2002:
225). Daher sind die fremdgesteuerte Instruktion und die selbstbestimmte Kon-
struktion im ‚Pragmatischen‘ Konstruktivismus keine Gegensätze. Sie schließen
sich gegenseitig nicht aus, sondern greifen viel mehr ineinander. Die Instruktion
im Unterricht muss so gestaltet sein, dass eine aktive, selbstgesteuerte Konstruk-
tion bei den Schülerinnen und Schülern möglich wird, da sonst kein Wissens-
erwerb stattfindet. Auf der anderen Seite kann keine Instruktion sicherstellen,
dass der Wissenserwerb – also die Konstruktion der Wirklichkeit – genau so ab-
läuft, wie der Lehrende beabsichtigt hat (vgl. Müller 2001: 8–13).
Selbst in sehr
autonomen schulischen Lernumgebungen
10
findet eine Fremdsteuerung statt, da
die bildungspolitischen Vorgaben eingehalten werden müssen und sich „Lern-
bedürfnisse, Lernziele und Lernerfolge (...) stets an einer gesellschaftlichen (be-
ruflichen, familiären usw.) Wirklichkeit orientieren“ (ebd. S. 14).
Deshalb ist eine Instruktion in konstruktivistischen Lernumgebungen nicht prin-
zipiell abzulehnen – auch wenn sie im Grunde gegen die Prinzipien des Konstruk-
tivismus verstößt. Die Fremdsteuerung darf allerdings nur dazu dienen, „ei-
genständig ablaufende Verstehens-, Sinnbildungs- und Konstruktionsprozesse
(Müller 2001: 36) einzuleiten.
10 Der Begriff „Lernumgebung“ beschreibt nicht nur den Raum, in dem das Lernen stattfin-
det. Vielmehr definiert sich eine Lernumgebung auch über
die Lage der Lernorte inner-
halb der Schule (z.B. in der Nähe einer Bibliothek), die (mediale) Ausstattung des
Klassenraums, die zur Verfügung gestellten Materialien und Hilfsmittel, die Lehrkraft, der
verfolgte Lehrplan, Klassengröße (sowohl in Bezug auf die Schülerinnen und Schüler aus
auch die zur Verfügung stehende Fläche) – kurz: alles, was das Lernen in irgendeiner Form
beeinflusst (vgl. z.B. Reich 2006: 232).
Zur Realisation eines Unterrichts nach einer pragmatisch-konstruktivistischen
Grundidee müssen – neben dem richtigen Verhältnis von Instruktion und Kon-
struktion – die Aspekte Zeit, Bewertung und Lehrplan berücksichtigt werden.
Zunächst muss den Lehrenden bewusst sein, dass konstruktivistischer Unterricht
mehr
Zeit braucht, als traditionelle Unterrichtsformen mit direkten instruktio-
nellen Vermittlungsmethoden. Dieser zeitliche Mehraufwand ist aber lohnens-
wert, da selbst erarbeitetes Wissen besser rezipiert und länger behalten wird. Die
Konstruktion des Wissen ist dabei allerdings nicht bei allen Schülerinnen und
Schülern gleich, da sie auf individuelle Erfahrungen zurückgreifen. Das macht
die Bewertung der Lerngruppe schwierig: „Wie können Leistungen gerecht be-
wertet werden, wenn sie unterschiedlichen Vorgaben entstammen?“ (Wolff
2002: 88). Anders als traditionelle Unterrichtsformen darf in konstruktivisti-
schen Lernumgebungen nicht das Verhältnis von ‚Input‘ durch den Lehrer zu
‚Output‘ bei den Lernenden als Basis zur Notenfindung dienen. Der Lernerfolg
ist als ein interner Prozess „des Aufbaus von Interimswissen“ zu verstehen, das
„nicht zu extern bestimmten und damit relativ beliebigen Zeitpunkten ‚benotet‘
werden [kann]“ (Müller 2001: 37). Es ist daher angeraten,
dass die Benotung
durch die Lehrenden einer Selbstbenotung durch die Lernenden oder durch die
Mitglieder ihrer Lerngruppe weicht. Wie genau diese Benotung aussehen soll
lässt Müller offen, macht aber bewusst, dass das gebräuchliche sechsteilige
Ziffernsystem nicht ausreichend ist (vgl. ebd.). Konstruktives Lernen beinhaltet
meist auch das Gehen von Umwegen im Lernprozess. Doch ist dies nicht als un-
nötiger Aufwand zu verstehen, sondern als Lernerfolg. Die Erkenntnis darüber,
wie etwas nicht ist, bereitet nur den Weg zum Erkennen der richtigen Lösung.
Hier verweise ich auf das Prinzip der Dekonstruktion von Reich,
wobei das Be-
trachten aus einem anderen Blickwinkel im Falle eines Umwegs nicht beabsich-
tigt, sondern zufällig ist oder auf einem Fehler basiert. Die Auswirkung der De-
konstruktion bleibt aber die gleiche. Da das Beschreiten dieser ‚Irrwege‘ jedoch
auch Zeit in Anspruch nimmt, ist es schwer, dem vorgegebenen Lehrplan zu ent-
sprechen. Die Forderungen einer konstruktivistischen Didaktik nach selbstbe-
stimmtem, problemorientiertem und exemplarischem Lernen hat zur Folge, dass
Lehrpläne auf eine Definition von Feinzielen verzichten (vgl. Müller 2001: 37-
38).
Diese drei Aspekte lassen sich schwer mit dem deutschen Bildungssystem ver-
einbaren. Daher wird vorgeschlagen die
Annahme des Konstruktivismus, „dass
Lernen ein aktiver, selbstorganisierter und -kontrollierter, sozialer und kontex-
22
3 Lerntheoretischer Hintergrund
tualisierte sowie Bildung von Sinnstrukturen ermöglichender Prozeß ist“ (Müller
2001: 38), mit den Vorteilen der Instruktion zu verbinden. Dafür muss der in-
struktionelle Unterricht allerdings die konstruktivistischen Prozesse akzeptieren
und „autonome Konstruktionsprozesse anregen und fördern“ (ebd.). Neben ei-
ner Veränderung der Lernumgebung ist dazu auch eine veränderte Rolle der
Lehrenden notwendig, wie in 4.2.3 deutlich gemacht werden wird.
Eines der Unterrichtskonzepte, die auf einer konstruktivistische
Didaktik aufbau-
en, ist der handlungsorientierte Unterricht, bei dem „die zwischen dem Lehrer
und den Schülern vereinbarte Handlungsprodukte die Organisation des Un-
terrichtsprozesses leiten, so daß Kopf- und Handarbeit der Schüler in ein ausge-
wogenes Verhältnis zueinander gebracht werden“ (Meyer 1989: 402). Es han-
delt sich dabei um eine ganzheitliche und schüleraktive Unterrichtsform, die
annimmt, „daß Denken, Wissen und Können sich aus theoriegeleitetem prakti-
schen Handeln entwickeln“ (Pätzold 1995:167). Wie später (vgl. 4.2.3–4) deut-
lich werden wird, ist „das Konzept vom ‚handlungsorientierten‘ Lernen, für des-
sen Umsetzung eine hohe Schülermotivation und vielfältige Aktivitäten eine
unerlässliche Voraussetzung darstellen, (...) ohne einen
gezielten Medieneinsatz
nicht umsetzbar“ (Freudenstein 2003: 395).
Do'stlaringiz bilan baham: