a) Physiologisch-artikulatorische Klassifikation der Phoneme.
Bekanntlich arbeitete die klassische Phonologie mit der physiologischen Terminologie. Bei der Bestimmung der distinktiven Merkmale gingen ihre Vertreter von der artikulatorischen Klassifikation der Sprachlaute aus. Diese Betrachtungsweise wird in der nächsten Zeit auch weitgehend zu vielen praktischen Zwecken (z. B.: im Phonetikunterricht) angewandt werden, weil sie mit fest eingebürgerten Begriffen arbeitet und ohne Apparatur handhabbar ist.
Im folgenden bringen wir die Tabelle, in der die distinktiven (phonologisch relevanten, differenziellen) Merkmale der deutschen Phoneme artikulatorisch ausgedrückt sind. Dabei gehen wir von dem Prinzip des Binarismus aus. Es besagt, daß das phonologische System aus binären (2 Teilen oder Gliedern) Oppositionen besteht. Glieder solcher Oppositionen unterscheiden sich voneinander nur durch das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein eines Merkmals. Das eine Glied, ist merkmaltragend (markiert), das andere merkmallos (unmarkiert), z. B.: b—p, k—g, a:—a, ɛ:—ɛ, y: i: im Deutschen.
Sie entsprechen den privativen eindimensionalen, proportionalen Oppositionen von Trubetzkoy. Durch die Beschreibung des Phonemsystems erzielt man, wie die Begründer des Binarismus in der Phonologie behaupten, die Einfachkeit der Sprachbeschreibung.
Unten wird die Identifikationsmatrix der deutschen Vokal- und Konsonantenphoneme in Anlehnung an A. Bzdega angeführt.130 Dabei wird nur das erste positive Merkmal (vorder, hoch, gespannt, gerundet, lang usw.) angebracht. Bei einem Phonem, für das das Merkmal nicht in Betracht kommt, erscheint 0; ist es durch beide (positive und negative) Merkmale gekennzeichnett, so tritt [±] auf.
b) Akustische Klassifikation der Phoneme.
In den letzten 20 Jahren hat die akustische Phonetik dank der Entwicklung der elektroakustischen Technik einen wesentlichen Fortschritt gemacht. Sie ermöglicht es, die distinktiven Merkmale der Phoneme in akustischen Termini auszudrücken. Die Ergebnisse der akustischen Phonetik wurden von R. Jakobson in Zusammenarbeit mit G. M. Fant und M. Halle auf sprachliche Texte angewandt. Die 1956 erschienenen «Grundlagen der Sprache» bilden einen Versuch, die akustischen Merkmale systematisch für die Erkenntnis der kleinsten distinktiven Einheiten einer Sprache auszunutzen. R. Jakobson, G. Fant und M. Halle stellten für die Phoneme in den bisher erforschten Sprachen der Welt ein Universalsystem von 12 Merkmalen auf, die positiv und negativ Vorkommen sollen. Aus diesen 12 Merkmalpaaren lassen sich im Höchstfälle 212=4096 verschiedene Phoneme bilden. Jede Einzelsprache wählt nach R. Jakobson aus diesen theoretisch möglichen nur wenige, bestimmte Merkmalverbindungen als Phoneme aus. Diese inhärenten akustischen Merkmale werden in Sonoritäts-und Tonalitätsmerkmale eingeteilt. Sie seien hier erwähnt. Die distinktiven Merkmale ordnen sich in polaren Oppositionen wie folgt an:
1) vokalisch: nichtvokalisch
Bei vokalischer Qualität zeigt sich eine scharf umrissene Formantenstruktur.
2) konsonantisch: nichtkonsonantisch
Die Konsonanten sind durch geringe Gesamtenergie gekennzeichnet.
3) kompakt: diffus
Es erscheint eine stärkere oder eine geringere Energiekonzentration in einem relativ schmalen Spektralbereich.
4) gespannt: ungespannt
Scharf oder wenig scharf abgegrenzte Resonanzbereiche im Spektrum mit jeweils entsprechender großer oder geringer Gesamtenergie.
5) stimmhaft: stimmlos
Bei Stimmhaftigkeit erscheint am unteren Rand des Spektrogramms eine konzentrierte Reihe senkrechter schwarzer Striche.
6) nasal: oral
Die Energie ist über breitere oder schmalere Frequenzbereiche ausgebreitet; außerdem erscheinen zusätzliche Formanten.
7) abrupt: kontinuierlich
Plötzliche Leere vor oder nach der Ausbreitung der Energie über einen großen Frequenzbereich wird als «abrupt» bezeichnet.
8) scharfklingend: sanftklingend (scharf: mild)
Große oder geringe Geräuschintensität.
9) gehemmt: ungehemmt
Die akustischen Wirkungen des Glottisverschlusses.
10) dunkel: hell
Energiekonzentration in tieferen oder höheren Frequenzbereichen des Spektrums.
11) erniedrigt: nichterniedrigt
12) erhöht: nichterhöhnt
Veränderungen in einigen der oberen Frequenzbereiche.
Unten wird die Identifikationsmatrix der deutschen Phoneme nach den obenbeschriebenen akustischen distinktiven Merkmalen in Anlehnung an Heike, Bzdega angebracht131. Der Matrix liegt dabei das Binäritätsprinzip zugrunde.
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