Popularmusiker in der provinz


(22) Gedächtnisprotokoll des Interviews mit der Band Jazz-rock vom Oktober 1982



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(22) Gedächtnisprotokoll des Interviews mit der Band Jazz-rock vom Oktober 1982


Das Interview wurde als Bestandteil einer unter Leitung von Prof. Dr. Paech seinerzeit an der Universität Osnabrück durchgeführten Studie zum Themenschwerpunkt ”Ausprägungsformen jugendlicher Subkulturen und Popularmusik” (im Zusammenhang dieser Arbeit mit ”Vorstudie 81/82” bezeichnet) im Oktober 1982 im Proberaum einer mit Jazz-rock befreundeten Band gemacht, da die räumlichen Verhältnisse dort besser für die Video-Aufnahmen geeignet waren.

Geführt wurde das Interview von Manfred Pollert. Prof. Dr. Paech fertigte von dem Gespräch eine Videoaufzeichnung an, die für diese Arbeit zur Verfügung steht, und ist etwa ab der Stelle gelegentlich selbst an der Interviewführung beteiligt, an der nach dem für die Musik der Gruppe benutzten Pedal-Synthesizer gefragt wird.


Das Interview wurde, anders als z.B. die späteren Einzelinterviews (einschließlich der zu der ”Vorstudie 81/82” nachgelegten ”Telefon-Interviews”), auf der Grundlage des ”Fragenkataloges I/Gruppengespräch” durchgeführt, der in Kap. IV) wiedergegeben ist.
Zu Jazz-rock gehören :

Humor - Voc., Git.

Spaß - Dr.

D.T. - Git.

A. Wilczek - Bass, Synth. (A. W.)
Die Gruppe Jazz-rock wurde 1983 nach etwa 2 ½-jährigem Bestehen aufgelöst. Allerdings hatte die Formation, mit Ausnahme des Sängers, bereits seit 1974 unter anderem Namen und einem etwas anderen Musikstil anhängend zusammen gespielt. Es kann nicht behauptet werden, dass Jazz-rock seinerzeit einen ähnlichen Lokalmatadoren-Status innegehabt hat wie vielleicht Funk-rock oder die ”progressive” Rockband, in die Spaß Ende der 1960-er Jahre eingestiegen war. Immerhin gilt die Musik der Gruppe noch Jahre nach der Bandauflösung in der lokalen ”Szene” als originell und ”für Osnabrücker Verhältnisse ziemlich ungewöhnlich” o.ä. .

Dass die Combo jedoch zu Beginn der 1980-er Jahre bei einigen spektakulären lokalen Veranstaltungen auftauchte, dürfte eher dem Umstand zu verdanken gewesen sein, dass A.W. diese Veranstaltungen selbst mit organisiert hatte, als der ”Faktur” der Musik, zumal sich recht bald nach Gründung von Jazz-rock erwies, dass die Musik der Gruppe nicht unbedingt dafür geeignet war, ein breites Publikum anzusprechen.

Entstanden war Jazz-rock dadurch, dass zu einer lokalen Formation, die Instrumentalmusik des derzeit aktuellen Jazz-Rock-Genres gespielt hatte, auf Betreiben von A.W., der als Bassist in dieser Jazz-Rock-Combo mitwirkte, Humor als Sänger hinzu genommen wurde und man zunächst eine Weile eine Art ”musikalischer Doppelexistenz” führte : Einerseits bestand immer noch die ursprüngliche Jazz-Rock-Formation unter ihrem alten Namen, andererseits gab es daneben dieselbe Band unter einem anderen Namen ”noch einmal”, nur mit Sänger, anderem Musikstil und Repertoire.

1982 wurde die Jazz-Rock-Formation schließlich eingestellt.

Dass Jazz-rock sich schließlich auf ausschließlich deutsche Texte festlegte, war nicht von vornherein geplant gewesen, obschon durchaus behauptet werden kann, dass wenigstens A.W. seinerzeit nicht gerade unbeeindruckt gewesen war von Art, Menge und Erfolg der mit Beginn der 1980-er Jahre in immer größerer Zahl auf den Markt gelangenden deutschsprachigen Rockmusikproduktionen. Andererseits ergab sich hier für A.W. und Humor, die für die Texte von Jazz-Rock zuständig waren, eine Möglichkeit, lang gehegte literarische Vorlieben und Faibles in die gemeinsame popularmusikalische Tätigkeit einbringen zu können.

Vergleichbar mit Funk-rock besteht auch Jazz-rock überwiegend aus ”vorgebildeten” Musikern. Sogar Humor, der gerade eine Lehre als Betonbauer absolviert hat, nahm eine Weile spezifische Popularmusik-bezogene Unterrichtsangebote des Städt. Konservatoriums in Anspruch. Als Unterschied kann jedoch geltend gemacht werden, dass D.T. und A.W. zum Zeitpunkt des Interviews bereits über abgeschlossene musikalische Ausbildungen verfügten. Trotzdem weisen auch sie, wie Spaß, darauf hin, dass sie sich ihre popularmusikalischen Fähigkeiten/Fertigkeiten im wesentlichen autodidaktisch angeeignet haben.

Ähnlich wie Funk-rock geben sich auch die Jazz-rock-Musiker kompromisslos hinsichtlich des Verfolgens ihrer ”künstlerischen Ambitionen” sowie auch eines ”Selbstverwirklichungsmoments” im Zusammenhang ihrer gemeinschaftlichen musikalischen Tätigkeit. Ein Unterschied mag vielleicht darin bestehen, dass in der Jazz-rock-Musik kaum Anklänge aktueller Popularmusikstile zu finden sind, mit Ausnahme der Tatsache, dass in deutscher Sprache gesungen wird. Die ”Kompromisslosigkeit” dürfte sich insofern auch nachhaltig im musikalischen Material von Jazz-rock abgebildet haben, als dass mit der Zeit immer mehr ungewöhnliche Klangstrukturen und harmonisch/melodische Verläufe sowie komplexe Rhythmen in der Jazz-rock-Musik verarbeitet werden und die Musik in handwerklicher Hinsicht den Spielern immer höhere Anforderungen abverlangt.

Statements von D.T. und A.W. - beide bezeichnen sich wesentlich für die Gestaltung der Jazz-rock-Musik verantwortlich - sind durchaus ”professionelle Ambitionen” im popularmusikalischen Bereich zu entnehmen. Allerdings sind sie sich durchaus der nur geringen ”Massenwirksamkeit” ihrer Musik bewusst, da bei Versuchen, mit der Jazz-rock-Musik in die Musikverwertungsbranche einzusteigen und vor allem auch bei auswärtigen Auftritten der Gruppe gelegentlich entsprechende Erfahrungen verbucht werden konnten. So heben sie auf Möglichkeiten außerhalb der gemeinsamen Musikgruppentätigkeit ab - Unterrichts-tätigkeiten u.ä. -, wobei hier dem Aspekt des musikalischen Handwerks von beiden eine entsprechend große Bedeutung zugewiesen wird (A.W. ist mittlerweile Lehrer in der Jazz-/Pop-/Rockabteilung des Konservatoriums der Stadt Osnabrück). Demgegenüber scheint Humor hinsichtlich einer sich eventuell für ihn aus gemeinschaftlicher Popularmusiktätigkeit - wenn auch nicht unbedingt aus der mit Jazz-rock - ergebenden ”Star-Position” nicht unbedingt abgeneigt zu sein, wozu sich dezidierter ein Kollege aus Humors anderer Gruppe, W.R., mit der zusammen Humor ebenfalls in der ”Vorstudie 81/82” vorkommt, in einem mit dieser Combo durchgeführten Interview entsprechend äußert.

Ob die Arbeits- und Übepraxis von Jazz-rock im Vergleich zu anderen ”Vorstudien-Combos als ”professioneller” bezeichnet werden kann - Texte und Kompositionen werden in der Regel außerhalb der gemeinsamen Übetermine vorbereitet, die Kompositionen nicht selten mit Hilfe von Noten schriftlich festgehalten -, sei dahingestellt, zumal, wie sich aus teilnehmender Beobachtung ergeben hat, professionelle popularmusikalische Tätigkeit sich im wesentlichen dadurch auszeichnet, dass man damit Geld verdient, nicht jedoch vorrangig dadurch, dass man etwa bestimmte musikalisch/handwerkliche Voraussetzungen für die Ausführung benötigt. Immerhin dürfte dieses Prozedere in gewisser Weise auch Spaß entgegenkommen, der zwar kategorisch seinen ”Amateur-Status” betont (Interview Spaß II.), aber dennoch gern zusammen mit anderen interessante Musik machen möchte. Einerseits scheint die Jazz-rock-Musik für ihn dieses Kriterium einigermaßen zu erfüllen. Andererseits ist die Musik zu den gemeinsamen Übeterminen weitgehend ”fertig”. Er braucht nicht darauf zu warten, bis seine Mitmusiker sich darauf geeinigt haben, wie ein Musikstück, das gemeinsam gespielt werden soll, überhaupt ”geht”.

An der Gesprächsführung durch die Jazz-rock-Musiker fällt auf, dass Spaß die Interview-Situation durch Witzeleien häufig ironisiert, als würde er die ganze Veranstaltung nicht besonders ernst nehmen, wohingegen D.T., A.W. und Humor, der ebenfalls gelegentlich ”Ulkereien” beisteuert, das Gespräch anscheinend zu mehr oder weniger ausführlicher Selbstdarstellung nutzen.


(23) Gedächtnisprotokoll des Interviews mit der Gruppe Hard-rock, durchgeführt von Andreas Wilczek am 23.3.1988 im Party-Keller von V.

Zum Zeitpunkt des Interviews existierte die Gruppe bereits seit ca. drei Jahren. Umbesetzungen sind während dieser Zeit bereits relativ häufig vorgekommen. Es hat sich aber inzwischen ein ”harter Kern” herauskristallisiert : der Gitarrist M. und der Bassist V. Dieser ”harte Kern” gründete eine Zeitlang nach dem Interviewtermin und nach einer Reihe erneuter Umbesetzungen sowie auch nach einem grundlegenden musikalischen Stilwandel von eher Hard-Rock-orientierter Musik hin zu Gitarrenrock im Stil sog. ”Independent”-Bands, die gegen Ende der 1980-er Jahre populär waren, die Formation ”C.W.I.”. Dieses Ensemble konnte sich zu Beginn der 1990-er Jahre - u.a. bedingt durch einige Auftritte im Vorprogramm überregional bekannter in der Stadt gastierender Bands - zeitweilig einen ”Lokalmatadoren-Status” erspielen. Nachdem der Bassist V. schließlich wegen einer Berufsausbildung zum Krankenpfleger und wegen gruppeninterner Querelen die Combo verließ, ist von der ”Urbesetzung” mittlerweile nur noch der Gitarrist M. übriggeblieben.


Zu Hard-rock gehörten damals:

A. - Voc.

M. - Git., Voc.

V. - Bass

J. - Keyb.

L. - Drums


Wie es z. Zt. um ”C.W.I.” bestellt ist, ist nicht bekannt.
Wie bereits bei einigen der in der ”Vorstudie 81/82” vorkommenden Musikgruppen oder bei Independent beobachtet werden konnte, scheinen auch Hard-rock zunächst ihren Ursprung den Aktivitäten eines gemeinsamen gleichaltrigen Freundeskreises zu verdanken. Eindeutig geht dieses nicht aus dem Interview hervor, bis auf die Tatsache, dass M. und V. beide aus einem Osnabrücker Vorort stammen und zeitweilig die für die Umbesetzungen erforderlichen ”Neurekrutierungen” in diesem Umfeld vornahmen, darüber hinaus auch sonst viel Zeit miteinander verbrachten.

Zwar wird in dem Interview M.´s musikalischer Ehrgeiz deutlich, jedoch dürften die häufigen Personalwechsel in der Gruppe eher auch auf ständige persönliche Reibereien zurückgeführt werden können, die selbst in der Interviewsituation nicht verborgen blieben, z.B. in dem Umstand von V.´s häufigen Sticheleien gegen den Sänger A. .

Zu der ”Entwicklung” des Interviews sei an dieser Stelle bemerkt, dass 1) die Gruppenmitglieder in der Schlussphase derart durcheinander redeten, dass eine eindeutige Zuordnung der jeweiligen Beiträge nicht mehr möglich war und dass 2) von den Gruppenmitgliedern während des Interviews eine ziemliche Menge Alkohol konsumiert wurde, so dass es in der ”Schlussphase” sehr schwierig war, den Faden im Gespräch zu bewahren. Einige von den Gruppenmitgliedern in dieser Interviewphase zum Besten gegebene, recht ”kategorisch” anmutende Statements verdanken ihr Zustandekommen dann wohl auch eher dem Alkoholpegel der Redner.

Ebenso wie bei anderen Interviewten (”Vorstudie 81/82”, Independent, Harley u.a.) wird in den Äußerungen der Hard-rock-Mitglieder deutlich, welchen Einfluss das derzeit bestehende aktuelle massenmediale Popularmusikangebot auf die Ausbildung entsprechender Musikpräferenzen und schließlich auch in Zusammenhang der Aufnahme erster eigener popularmusikalischer Aktivitäten hatte.

Die Bedeutung/Rolle von ”Mentoren” - ältere Freunde, Brüder, Nachbarn, u. ä. - wird hier ebenfalls deutlich.

Vergleichbar mit den ”Vorstudien”-Gruppen bekunden auch die Hard-rock-Mitglieder hinsichtlich ihrer gemeinschaftlichen popularmusikalischen Tätigkeit den für sie bestehenden Vorrang eines gewissen künstlerischen ”Authentizitäts-anspruches” sowie des ”Selbstverwirklichungs-Verdiktes” gegenüber einer ”Unterhalter”-Funktion, wie sie etwa Tanzkapellen ausüben.

Während bei den etwa gleichaltrigen Independent-Mitgliedern (Alter Independent : 19 ; Alter Hard-rock : 17 bis 20 zum Zeitpunkt des Interviews) eine in etwa vergleichbare Position vor dem Hintergrund der Anhängerschaft zu gewissen derzeit aktuellen ”Independent”-Genres interpretiert werden kann, die in starkem Maße auch ”(Musik-)ideologische” Elemente der 1970-er Jahre transportierten (vergl. Interviews Harley und Lederjacke II.), so wäre der ”Kunstanspruch” von Hard-rock eher durch die anfängliche Affinität zur ”Heavy-Metal”-Musik erklärbar. In diesem Bereich scheinen eine gewisse ”Originalität” und ”Unverwechselbarkeit” ebenfalls nicht bedeutungslos zu sein, wie aus diesbezüglichen Statements von M. hervorgeht.

Vergleichbar mit den Independent-Mitgliedern sind auch die bei Hard-rock mitwirkenden Akteure bereits relativ früh an die Musik herangeführt worden, jedoch mit individuell unterschiedlicher Fokussierung auf Popularmusik. Die intensivere Aufnahme musikalischer Aktivitäten im Popularmusikbereich wird von den Eltern gefördert, z.B. wird die Wahrnehmung spezifischer Unterrichtsangebote der Hard-rock-Mitglieder in der Jazz-/Rock-/Pop-Abteilung des Städt. Konservatoriums, ebenso auch gelegentlicher Instrumentenkauf von den Eltern finanziert. Im Unterschied dazu waren noch Eltern von ”Vorstudien”-Musi-kerInnen gegenüber entsprechender Aktivitäten ihrer Kinder eher negativ, zumindest indifferent eingestellt. Ferner wird in den Schilderungen der Hard-rock-Mitglieder erneut die Rolle autodidaktischen Lernens im Zusammenhang der ”Aneignung” von Popularmusik deutlich, auch wenn einzelne diesbezügliche Statements etwas widersprüchlich ausfallen, z.B. die des Gitarristen M.

Entscheidend ist hierbei - was auch in anderen Interviews auffällt (Independent; ”Vorstudie 81/82”), dass das selbständige Erlernen - z.B. bestimmter Spieltechniken o.ä. - nicht selten über bestimmte Musikstücke erfolgt, die bei den Akteuren insgesamt positiven Anklang gefunden haben. Eine gewisser Widerspruch ergibt sich zwischen dem ”künstlerischen Authentizitäts-” und ”Selbstverwirk-lichungsanspruch” der Hard-rock-Musiker einerseits und dem Bestreben ande-rerseits, beim Publikum anzukommen. Gegenüber dem vom Interviewer wiederholt in provozierender Absicht gemachten Vorschlag, sich doch in diesem Zusammenhang lieber auf ein Prozedere einzulassen, wie es dem der Tanzmusiker vergleichbar sei - Material anzubieten, dessen Publikumswirksamkeit ”attestiert” ist -, versteifen sich die Hard-rock-Mitglieder mehr auf einen Standpunkt, demgemäss für Hard-rock-Auftritte - überspitzt gesagt - besser das Publikum ausgewechselt werden sollte zugunsten der ”künstlerischen Ansprüche” der Musiker. Diese Attitüde kann in dieser Interviewphase möglicherweise auch schon der Wirkung des Alkohols zugeschrieben werden. Allerdings sind solche Statements vor dem Hintergrund einiger missliebiger Erfahrungen mit dem Publikum zu sehen, die die Combo bei Auftritten zusammen mit mehr an sog. ”Main-stream-Heavy-Metal” orientierten Gruppen gemacht hatte. Der ”musikalische” Ehrgeiz zumindest des Gitarristen M., neu Angeeignetes auch zu Musikstücken für die gemeinsame Gruppe zu verarbeiten und ggf. einem Publikum präsentie-ren zu können, sollte hierbei jedoch ebenfalls nicht unberücksichtigt gelassen werden. Nicht zuletzt zeigte sich ein solcher Anspruch z.B. auch in M.´s Aussage über die diversen, parallel zu den eigentlichen Hard-rock-Aktivitäten ablaufenden musikalischen ”Projekte”, an denen er selbst und einige seiner Combo-Kollegen teilnahmen.

Der in einigen Aussagen deutlich werdende Wille der Gruppe zur zukünftigen Abkehr von ”Heavy-Metal”-orientierter Musik erscheint insofern konsequent, als dass man zumindest vermittels einiger Publikumsreaktionen die Erfahrung machen konnte, dass ”künstlerische Ambitionen” in diesem Genre nicht gerade in einer von der Gruppe erwünschten Weise gewürdigt wurden. Die zudem große Zahl aktiver ”Heavy-Metal”-Adepten berge für die Gruppe darüber hinaus den Nachteil, dass man es unter den vielen Nachahmern nur unter sehr großen Schwierigkeiten in den Rang von ”etwas Besonderem” würde bringen können.

Verschiedentlich geht aus Äußerungen der Interviewten hervor, dass der Gruppe zum Zeitpunkt des Interviews noch an einer Art ”regionalem Status” oder ”Bekanntheitsgrad” gelegen zu sein schien, den sie bislang nicht erreicht hatte. Ein Liebäugeln mit ”überregionaler Relevanz”, ”Kommerzialität” und der damit verknüpften Notwendigkeit massenmedialer Präsenz fällt in einzelnen Statements eher diffus in Verbindung mit entsprechend unrealistischen ”Vorstel-lungen” von Funktion und Rolle eventueller Verwerter auf.

Ebenso konsequent mag es in diesem Zusammenhang erscheinen, dass die Gruppe sich schließlich einem anderen Popularmusik-Genre zuwendet, hinsichtlich dessen ein günstigeres Umfeld für die eigenen ”künstlerischen Ambitionen” vermutet wird. Außerdem kann angenommen werden, dass wenigstens M. - wie in einigen seiner Äußerungen im Interview bereits anklang - inzwischen weitestgehend seinen Geschmack an ”Heavy-Metal”-Musik verloren hat.

Der Einstellung, seine ”künstlerischen Vorstellungen” in gewisser Weise dem Publikum gegenüber ”durchboxen” zu müssen, scheint M. insofern mit einen gewissen Erfolg sogar treu geblieben zu sein. Immerhin gelang es, für seine auf Hard-rock folgenden Combo-Projekte wenigstens im lokalen Raum entsprechende ”Multiplikatoren”, insbesondere in Form von ”Vorprogrammauftritten” bei in der Stadt gastierenden überregional bekannten Rockgrößen zu finden. Darüber hinaus soll es auch angeblich zur zumindest zeitweiligen Zusammenarbeit mit einer niederländischen Konzertagentur gekommen sein.
(24) Gedächtnisprotokoll des Interviews mit Deutsch-rock vom Oktober 1982

Das Interview wurde als Bestandteil einer unter Leitung von Prof. Dr. Paech seinerzeit an der Universität Osnabrück durchgeführten Studie zum Themenschwerpunkt ”Ausprägungsformen jugendlicher Subkulturen und Popularmusik” (im Zusammenhang dieser Arbeit mit ”Vorstudie 81/82” bezeichnet) im Oktober 1982 im Proberaum der Gruppe Deutsch-rock gemacht.

Geführt wurde das Interview von Andreas Wilczek. Prof. Dr. Paech fertigte von dem Gespräch eine Videoaufzeichnung an, die für diese Arbeit zur Verfügung steht.

Das Interview wurde, anders als z.B. die späteren Einzelinterviews (einschließlich der zu der ”Vorstudie 81/82” nachgelegten ”Telefon-Interviews”), auf der Grundlage des ”Fragenkataloges I/Gruppengespräch” durchgeführt, der in Kap. IV) wiedergegeben ist.


Zu Deutsch-rock gehören :

Humor - Bass, Voc.

D. Pellmann - Drums, Voc. (D.P.)

W.R. - Git., Voc.

Langer - Git.
Die Gruppe versuchte, zu Beginn der 1980-er Jahre über einen sog. ”Bandübernahme-Deal” ins Musikgeschäft einzusteigen, was jedoch nicht gelang. Nach der Verlagerung auf mehr deutsch-sprachige Texte, der Hinzunahme eines Keyboarders, der zeitweiligen Zusammenarbeit mit einem in Osnabrück ansässigen Musikproduzenten und der Umbenennung in ”N.N.”, einer ”eingedeutschten Version des ursprünglichen Combo-Namens, löste sich die Gruppe 1984 auf.

Ein Teil der Gruppe unternahm unter dem Namen ”P.W.” zusammen mit einem der beiden Gitarristen und dem Musikproduzenten, auf dessen Betreiben allerdings der frühere Bassist aus der letzten Deutsch-rock-Formation ausgeschlossen worden war, dann noch einige weitere erfolglose Versuche, in der ”Branche” Fuß zu fassen. Dass die Combo sich bis zum Zeitpunkt des Interviews ebenfalls in eine ”Lokalmatadoren-Position” hineingespielt hatte, geht zumindest aus dem Video-Mitschnitt eines Konzertes anlässlich des zweijährigen Bestehens von Deutsch-rock hervor, das in einem Veranstaltungslokal im Osnabrücker Landkreis durchgeführt worden war und bei dem außerordentlich gute Publikumsresonanz beobachtet werden konnte.


Deutsch-rock existiert seit etwa Ende der 1970-er Jahre. Ihre Entstehung verdankt die Combo zunächst sog. ”Freundeskreisaktivitäten” Gleichaltriger : Langer kennt W.R. von der Schule her, wo er schon einmal mit ihm zusammen musiziert hat. Beide stellen bei sich den Wunsch fest, in einer Rockband Musik machen zu wollen, und beschließen, das gemeinsam zu tun, zumal W.R. auch gern Gitarre spielen möchte. Außerdem sind gemeinsame Musikpräferenzen vorhanden. Zusammen mit dem Schlagzeug spielenden Sohn einer Familie, mit der Langers Eltern zu kegeln pflegen, und der seinerseits Humor kennt, wird die Formation ins Leben gerufen, aus der schließlich Deutsch-rock entsteht. In dieser Konstellation beteiligt sich die Combo zeitweilig auch an Lehrangeboten für Rock- und Jazz-Gruppen, die mit Ende der 1970-er Jahre in der Jazz-/Rock-/ Pop-Abteilung des Konservatoriums der Stadt Osnabrück zur Verfügung gestellt wurden. Als sich herausstellt, dass der Schlagzeuger mit der Entwicklung der gemeinsamen popularmusikalischen Combotätigkeit nicht Schritt halten kann und er anscheinend auch anderen stilistischen Vorstellungen anhängt, wird er schließlich gegen D.P. ausgetauscht, der sich im Alter von 14 Jahren der Gruppe anschließt. Von der Deutsch-rock-Urbesetzung sind immer noch drei Mitglieder übriggeblieben, woran sich auch bis zur Auflösung der Band nichts ändern wird. Auch D.P. bleibt bis zu diesem Zeitpunkt Mitglied der Combo, die sich bis dahin nicht wieder umbesetzt, sich allenfalls in der Endphase um ein zusätzliches Mitglied, einen Keyboarder, erweitert hat.

Der lange Zusammenhalt der Gruppe, die ”gemeinsamen Wurzeln” der einzelnen Gruppenmitglieder, die ”Integration” D.P.´s auch auf persönlicher Ebene oder etwa der Umstand, dass der später dazu stoßende Keyboarder ebenfalls ein gemeinsamer Kumpel der Bandmitglieder war, legen die Vermutung nahe, dass Deutsch-rock für die Akteure auch die Funktion eines ”Freundeskreises” oder einer ”Clique” gehabt haben dürfte.

Wie in den anderen ”Vorstudien”-Gruppen ordnen auch die Deutsch-Rock-Musiker ihre gemeinsame Musikgruppentätigkeit dem Verdikt ”künstlerischer Originärität” bzw. ”Authentizität” sowie dem ”Selbstverwirklichungs-Aspekt” unter, was eine Interpretation dieser Umstände als ”Artefakte” massenmedialer auf den Zeitgeist bezogener Präsentation und Verbreitung von Popularmusik um so näher legt (vergl. Funk-rock). Wie bei Funk-rock fallen Aussagen der Deutsch-rock-Mitglieder zu Einflußnahmemöglichkeiten durch Dritte - Publikum, eventuelle Schallplattenfirmen und/oder Musikproduzenten - ähnlich kategorisch zugunsten der Aufrechterhaltung eigenen künstlerischen Anspruches aus. Wie Funk-rock verfolgen auch die Deutsch-rock-Mitglieder im Zusammenhang ihrer popularmusikalischen Combo-Aktivitäten ”professionelle Ambitionen”, die im wesentlichen auf die ”Karriere” der gemeinsamen Musikgruppe ausgerichtet sind. Insofern verwundert es wenig, wenn die Beantwortung von Fragen nach dem handwerklichen Aspekt vergleichbar ”ausweichend” ausfällt : Man ist zwar schon der Ansicht, dass man in letzter Zeit bezüglich der künstlerischen Gestaltung der gemeinsamen popularmusikalischen Combotätigkeit ”besser” geworden sei, gibt sich in dieser Hinsicht auch ”aufgeschlossen” gegenüber ”guten” Anregungen durch Außenstehende, im Hinblick auf popularmusikalische ”Dienstleistungstätigkeit” habe man zwar bislang noch keine bzw. kaum einschlägige Erfahrungen sammeln können, traue sich aber dennoch zu, entsprechende Aufgabenstellungen zu bewältigen.

Auch erscheinen Äußerungen, die darauf hin interpretiert werden können, dass im Zusammenhang der gemeinsamen Musikgruppentätigkeit eigentlich eine ”professionelle Karriere” im Popularmusikbereich angestrebt wird, eher - wie bei Funk-rock - in indirekter Form : Man beschwert sich über den ”unbefriedigenden” Verlauf auswärtiger Auftritte der Gruppe und die dabei feststellbare schlechte Publikumsresonanz, über zu niedrige Gagen vor dem Hintergrund relativ hohen ”Aufwandes”, über Desinteresse und Ignoranz seitens der Musikverwerter (Musikverlage, Schallplattenfirmen) und der Massenmedien sowie über den ”fragwürdigen” Wert von Nachwuchsfördermaßnahmen im Popularbereich (”Phono-Akademie”) für die eigene musikalische Tätigkeit. Lediglich ein Deutsch-rock-Mitglied, W.R., bekundet dezidiert, dass er lieber auf dem Niveau der ”popularmusikalischen Bundesliga” agieren würde, anstatt sich auf dem gegenwärtigen Niveau von ”Atlas Delmenhorst”, wie Humor einwirft, betätigen zu müssen. W.R. macht diese Aussage in der ”ersten Person/Plural”, weswegen angenommen werden kann, dass er diesbezüglich für die ganze Combo spricht, zumal ihm die anderen anwesenden Gruppenmitglieder in dieser Hinsicht auch nicht widersprechen.

Ähnlich wie bei den Funk-rock-Kollegen liefern auch die intensiven und fortgesetzten Bemühungen der Deutsch-rock-Musiker um überregionale Präsenz der gemeinsamen Musikgruppe verknüpft mit z.T. erheblichem dafür erforderlichen Zeitaufwand und Kosten für Aufnahmestudios, welche angeblich jedoch nicht von der Gruppe getragen werden mussten, sowie verschiedene Reaktionen von Combo-Mitgliedern auf den erfolglosen Ausgang dieser Aktivitäten Anlass zu einer Vermutung im Hinblick auf ”kognitives Dissonanzverhalten” im Sinne von Festinger. Zumindest bietet sich eine gewisse Parallele zu dem von ihm präsentierten Beispiel der religiösen Sekte in der Weise an, als dass die Deutsch-rock-Musiker schließlich ihre Gruppe auflösten.

So äußerte einer der Deutsch-rock-Musiker in einem persönlichen Gespräch, dass er den von der Gruppe unternommene Versuch des Anfangs erwähnten ”Bandübernahme-Deals” lieber etwas ”diskreter” behandelt wissen wolle, da er es nicht so gerne sehe, wenn das Mißglücken dieses Versuches - wie sich das seinerzeit bei einer anderen lokalen Combo gerade ereignet hatte - in der örtlichen ”Szene” publik würde.


(25) Gedächtnisprotokoll des Interviews mit der Gruppe New-wave vom Oktober 1982

Das Interview wurde als Bestandteil einer unter Leitung von Prof. Dr. Paech seinerzeit an der Universität Osnabrück durchgeführten Studie zum Themenschwerpunkt ”Ausprägungsformen jugendlicher Subkulturen und Popularmusik” (im Zusammenhang dieser Arbeit mit ”Vorstudie 81/82” bezeichnet) im Oktober 1982 im Wohnzimmer der Wohnung gemacht, die einige der Mitglieder von New-wave als WG benutzen.

Geführt wurde das Interview von Andreas Wilczek. Prof. Dr. Paech fertigte von dem Gespräch eine Videoaufzeichnung an, die für diese Arbeit zur Verfügung steht. Es handelt sich dabei um den zweiten Versuch des Interviews, da der erste wegen eines Streites zwischen dem Interviewführer, Prof. Dr. Paech und Angehörigen der Gruppe New-wave abgebrochen werden musste. Anlaß des Streites waren missverständlich formulierte Fragen gewesen.
Das Interview wurde, anders als z.B. die späteren Einzelinterviews (einschließlich der zu der ”Vorstudie 81/82” nachgelegten ”Telefon-Interviews”), auf der Grundlage des ”Fragenkataloges I/Gruppengespräch” durchgeführt, der in Kap. IV) wiedergegeben ist.
Zu New-wave gehören :

Lederjacke - Bass, Sax.

M.E. - Viol.



Harley - Voc., Git.

N.W. - Bass

F.W. - Drums

G. - ”Comedy”-Einlagen


Zum Zeitpunkt des Interviews hatte New-wave gerade einen ”guten”, relativ langfristigen Vertrag mit einer großen deutschen Tonträgerfirma abgeschlossen. Da gleich das Erstlingswerk der Gruppe ”floppte” und die Schallplattenfirma aufgrund einer Vetoklausel der Veröffentlichung weiterer New-wave-Produktio-nen die Zustimmung verweigerte, wurde der Vertrag schließlich nach einem für die Gruppe ungünstig verlaufenen Rechtsstreit aufgelöst. Nach verschiedenen ”Image”- und Stilveränderungsversuchen löste sich etwa 1984 dann auch die Gruppe New-wave auf.
Ähnlich wie Deutsch-rock entsteht auch New-wave zunächst aus gemeinsamen popularmusikalischen Aktivitäten im ”Freundeskreis”, die zumindest von Harley mit starken Anklängen an die Hippie-Kultur der 1970-er Jahre betrieben wird, insbesondere was den darin aufscheinenden stark ”ideologisch” gefärbten Aspekt der Beziehung zwischen Drogengebrauch und popularmusikalischer Kreativität bzw. Praxis anbelangt.

Dass Harley im Zusammenhang seiner ersten popularmusikalischen Aktivitäten bereits Professionalisierungsabsichten hatte, kann nicht behauptet werden. Eher ging es ihm und seinen Kollegen um ”Spaßgewinn”, vor allem vermittels der Konstellation ”Musik machen/Drogengenus”. Auch handwerkliche Aspekte, in ”landläufigerem” Sinne bezüglich der gemeinsamen popularmusikalischen Tätigkeit spielen keine besondere Rolle, wohl jedoch gewisse ”kreative Aspekte”, die z.B. das Experimentieren mit der Verstärkerelektronik, mit Klängen, mit improvisatorischen Elementen u.ä. beinhalten (vergl. Interviews Harley und Lederjacke II.). Durch den Beitritt von Lederjacke zu Harleys derzeitiger Combo, der - im Gegensatz zu Harley und seinen Kollegen - über musikalische Vorbildung verfügt, ergibt sich eine kuriose musikalische ”Symbiose” : Für Lederjacke ist die ”unorthodoxe” Musizierweise der Gruppe interessant, Harley und seine Mitmusiker profitieren andererseits von Lederjackes musikalischen Kenntnissen.

Erste öffentliche Auftritte ergeben sich für New-wave zufällig, der sich dabei einstellende Publikumserfolg überrascht die Musiker.

Ebenso zufällig kommt es in diesem Zusammenhang auch zum Kontakt mit einem ortsansässigen Musikproduzenten, der der Gruppe einen Vertrag mit einer großen Schallplattenfirma vermittelt.

Etwa zu dem Zeitpunkt, als New-wave ihre erste und auch letzte LP eingespielt hatten und sich anlässlich der bevorstehenden Veröffentlichung auf Gastspieltournee begeben wollten, wurde das o.g. Interview gemacht.

Wie in den anderen ”Vorstudien”-Gruppen akklamieren auch die New-wave-Musiker für ihre gemeinsame Musikgruppentätigkeit den Anspruch ”künstlerischer Originärität” bzw. ”Authentizität” sowie einen vergleichbaren ”Selbstverwirklichungs-Aspekt”, was eine entsprechende Interpretation dieser Umstände als ”Artefakte” massenmedialer Zeitgeist-bezogener Präsentation und Verbreitung von Popularmusik um so näher legt (vergl. Funk-rock, Deutsch-rock). Nicht zuletzt betont Harley in einem späteren Einzelinterview selber den über massenmediale Vermittlung zustande gekommenen Einfluss der Hippie-Kultur der 70er Jahre, dem er einen prägenden Charakter hinsichtlich seiner ersten popularmusikalischen Combo-Experimente zugesteht.

Wie bereits bei Funk-rock fallen auch Statements der New-wave-Mitglieder zu dem Aspekt ”Einflussnahmemöglichkeiten durch Dritte” - Publikum, Schallplattenfirmen und/oder den Musikproduzenten - ähnlich kategorisch zugunsten der Aufrechterhaltung des eigenen künstlerischen Anspruches aus. Immerhin meinten sie, aus dem Zusammenhang der kürzlich erfolgten Einlassung mit der Popularmusikbranche häufiger solche Bestätigungen erhalten zu haben, dass das, was New-wave in künstlerischer Hinsicht anzubieten habe, auch genau das sei, was die Branchenpartner wollten, und dass Einflussnahme aus diesem Grund nicht nötig sei und wenn, dann im Sinne der Gruppe erfolge bzw. erfolgt sei.

Insgesamt erwecken die New-wave-Musiker den Eindruck, als befänden sie sich mit ihren Branchenpartnern in vertrauensvollem Einvernehmen. Davon, dass ihre Partner in ihren entsprechenden Aktivitäten der New-wave-Musik im Sinne der Musiker gerecht würden, sind sie recht einhellig überzeugt. Aus einzelnen Aussagen geht auch hervor, dass die Gruppe die genannten Aktivitäten sogar in gewisser Weise ”kontrollieren” könne. Schlampige und lieblose Arbeit der Partner im Zusammenhang der New-wave-Vermarktung, deren einzelne Proben bereits zum Zeitpunkt des Interviews vorlagen (vergl. Interview Harley), nehmen die Musiker nicht oder nur als entschuldbare Marginalie zur Kenntnis.

Dass diese Einschätzung des Verhältnisses zu ihren Branchenpartnern bei den New-wave-Musikern auf eine gewisse ”Euphorie” zurückgeführt werden kann, die sich aus der Einlassung mit der Musikindustrie ergeben haben dürfte, wird vor dem Hintergrund der referierten Statements angenommen : Nicht wenige der Branchenangehörigen, mit denen die New-wave-Musiker damals zu tun hatten, ergingen sich in überschwenglichen Lobesbekundungen gegenüber New-wave, was die Musiker nicht nur als Ausdruck tatsächlicher Wertschätzung und festen Glaubens an ihre künstlerischen Qualitäten auffassten (vergl. Interview Harley und Lederjacke II.), sondern anscheinend auch als eine Art Bestätigung dafür, dass ”Prognosen” der New-wave-Mitglieder hinsichtlich einer erfolgreichen Karriere in der professionellen Popularmusikbranche und baldigen ”Pop-startums” sich mit umso größerer Wahrscheinlichkeit erfüllen würden. Entsprechende Ausführungen finden sich in späteren Interviews von Harley und Lederjacke (Lederjacke II.).

In ähnlicher Weise scheint auch die Einstellung der Musiker zum Publikum geprägt zu sein : Dass man von der Musikindustrie gewissermaßen ”auserkoren” wurde, kann eigentlich nur bedeuten, dass die Gruppe die ”musikalischen Zeichen der Zeit” erkannt habe, dass man in der Lage sei, auf musikalische Weise die aktuelle Gefühlslage des Publikums ansprechen und/oder zum Ausdruck bringen zu können. Diesen Umstand betrachteten die New-wave-Musiker auch als ein ”zentrales Element” ihrer popularmusikalischen Intentionen, vor denen handwerkliche Aspekte weitgehend ins Abseits gerückt werden. Dieses kann vor dem Hintergrund gesehen werden, dass einerseits den Musikern seitens der Branchenpartner immer wieder neue Bestätigung ihrer künstlerischen Qualitäten zuteil wird, andererseits aber auch in der seinerzeitigen massenmedial präsentierten Popularmusiklandschaft Begriffe wie ”geniale Dilettanten” u.ä. gerade recht hoch ”gehandelt” wurden (vergl. Interview Harley). In einem späteren Interview äußert Lederjacke, dass die New-wave-Musiker sich durchaus des Umstandes bewusst waren, dass sie verglichen mit anderen lokalen ”Szene-Gruppen in handwerklicher Hinsicht z.T. erhebliche Defizite hatten und dass man wegen des Umstandes, einen Schallplattenvertrag bekommen zu haben, gerade wegen des handwerklichen Aspektes mit ständigen Anfeindungen aus eben dieser lokalen ”Szene” rechnete (vergl. Interview Lederjacke II).

Sowohl Harley als auch Lederjacke (Lederjacke II.) machen in späteren Interviews für die seinerzeitige Euphorie, Selbstüberschätzung und Realitätsferne der New-wave-Musiker nicht zuletzt die äußeren ”Einflussquellen” – die Mitarbeiter der Schallplattenfirma und den damaligen Produzenten verantwortlich. Dass bei den Musikern gegenüber den Inhalten dieser Einflussnahmen eine gewisse Affinität bestanden haben dürfte, weil man erzählt bekam, was man sowieso auch gerne hören wollte (Harley ; Lederjacke), bildet sich schon allein in dem Umstand ab, dass einige der Gruppenmitglieder sogar ihre Jobs aufgaben bzw. als Arbeitslose keine weiteren Anstrengungen unternahmen, in ihren erlernten Berufen unterzukommen.

Dass sich das spätere Verhältnis von Harley, Lederjacke und der anderen New-wave-Musiker zu dem damaligen Produzenten im Laufe der Zeit vor dem Hintergrund der inzwischen gescheiterten Karriere deswegen so schlecht gestaltete, weil er damals den Akteuren überzogene Hoffnungen gemacht hatte (vergl. Interviews Harley und Lederjacke II.), kann in diesem Zusammenhang mit einiger Wahrscheinlichkeit angenommen werden.


(26) Gedächtnisprotokoll eines Interview mit Gitarren-Pop-Band aus Gütersloh, durchgeführt von Andreas Wilczek am 25.4.1988
Zur Gitarren-Pop-Band gehören :

(Git.) - der Gitarrist

(Voc.) - der Sänger

(Dr.) - der Drummer


Ebenso gibt es eine ominöse ”Nr. 3”, bei der es sich wahrscheinlich um eines der oben genannten Gruppenmitglieder gehandelt haben dürfte, dessen Redebeitrag wegen der schlechten Qualität der Tonaufzeichnung nicht zugeordnet werden konnte.
Zweifellos gehört die Gruppe Gitarren-Pop-Band nicht zu der in dieser Arbeit interessierenden ”Szene”, da die Mitglieder dieser Formation nicht im Osnabrücker Raum ansässig sind, sondern vielmehr im Einzugsbereich einer der benachbarten größeren Städte : Bielefeld.

Der Kontakt zu dieser Gruppe war über eine gemeinsame Bekannte der Musiker und eines der Autoren dieser Arbeit zustande gekommen. Dabei war es seinerzeit zunächst darum gegangen, für die Combo im Osnabrücker Raum Spielmöglichkeiten zu finden.

Aus dem damals offerierten Demo- und Infomaterial der Gruppe waren sowohl eine gewisse ”Ambitioniertheit” als auch eine ”Anlehnung” an gerade aktuelle Popularmusikspielarten zu entnehmen gewesen. Dieses war insofern auf Autoreninteresse gestoßen, als dass sich die Frage ergab, wie Adepten eines solchen Popularmusikgenres in einem Umfeld zurechtkommen konnten, wie es durch den Herkunftsort Gütersloh gegeben war.

Inwieweit sich aus den Aussagen der Gütersloher Musiker gewisse Schlüsse hinsichtlich einer etwaigen ”Lokalspezifik” von Inhalten aus Statements von für diese Arbeit interviewter örtlicher Musiker ziehen lassen, wurde bei der Auswertung des Interviews nicht berücksichtigt. Eher wurde in diesem Zusammenhang schon allein wegen der damals bestehenden Kontakte der Gütersloher Musiker zu Angehörigen der interessierenden ”Szene” auf etwaige Ähnlichkeiten bzw. Gemeinsamkeiten der jeweiligen Situationen abgehoben.

Wie sich im Nachhinein herausstellte, existierte eine Verbindung zwischen Gitarren-Pop-Band und Angehörigen der in dieser Arbeit interessierenden ”Szene” insofern, als dass dem Sänger dieser Gruppe von einem späteren Ableger der in der ”Vorstudie 81/82” vorkommenden Formation New-wave ein Angebot gemacht wurde, in der genannten Ableger-Combo als Sänger mitzuwirken.

Über das weitere Schicksal der Gruppe Gitarren-Pop-Band ist nichts bekannt. Allerdings heißt es von dem Gitarristen, er habe sich später im Oldenburger Raum an verschiedenen popularmusikalischen Aktivitäten beteiligt, u.a. an einem Tonstudio-Projekt, in diversen ”Top 40”-Kapellen sowie im Bereich der Erstellung von Auftragsmusiken für die Funk- und Fernsehwerbung, jedoch sind diesbezügliche ”Informationen” nicht verbürgt.

Die zu dem Gespräch erschienenen Mitglieder der Gütersloher Formation sind zum Zeitpunkt des Interviews Anfang bis Mitte 20. Zwei absolvieren gerade eine Ausbildung, der dritte ”jobbt” an der Bielefelder Universität. Warum nicht alle Mitglieder der siebenköpfigen Formation zu dem Interview erschienen sind, geht aus dem Gespräch nicht klar hervor. Anscheinend hatte man sich kurz zuvor im Zusammenhang einer in einem Tonstudio durchgeführten Demo-Produktion zerstritten. Gewisse ”Koordinations”-Probleme dürften ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Die Aussagen von zweien der Gitarren-Pop-Band-Mit-glieder hinsichtlich ihrer Heranführung an erste musikalische Aktivitäten unterscheiden sich insofern von Berichten anderer in diesem Zeitraum Interviewter (Hard-rock, Independent), als dass eine gewisse ”Unfreiwilligkeit” dabei deutlich wurde. Den betreffenden Akteuren wurde die Wahrnehmung bestimmter Unterrichtsangebote von ihren Eltern anscheinend eher ”verordnet”, auch wenn das die Unterweisung auf ”Wunschinstrumenten” zur Folge hatte.

Zu ersten gemeinschaftliche Combo-Aktivitäten im Popularmusikbereich kommt es vergleichbar den Schilderungen in anderen Interviews ebenfalls zufällig, aber auch im Zusammenhang der Aktivitäten von ”Gleichaltrigengruppen”. Zwar konstatieren alle Gitarren-Pop-Band-Mitglieder, dass bereits vor dem Eintritt in die genannten Combo-Aktivitäten der Wunsch vorhanden gewesen sei, eine gemeinsame popularmusikalische Tätigkeit aufzunehmen, allerdings habe es vor Eintritt ”begünstigender” Zufälle an Möglichkeiten bzw. Gelegenheiten gemangelt. Die Aufnahme der gemeinschaftlichen popularmusikalischen Aktivität unterliegt dann auch zunächst dem Verdikt, überhaupt ”etwas zusammen zu spielen”, was sich im relativ wahllosen Einüben von ”leicht zugänglichem Musikmaterial” äußert – bedingt dadurch, dass z.B. leicht entsprechende Noten besorgt werden konnten o.ä. . Auch bei der Aneignung von Popularmusik im weiteren Verlauf der Aktivitäten wird bei den interviewten Musikern der Aspekt des autodidaktischen Lernens deutlich, jedoch in einer starken Verknüpfung mit dem ”emotionalen Gehalt” der Darbietungen der jeweils präferierten Instrumental- bzw. Gesangsprotagonisten (vergl. Interview mit Independent).

Die phasenweise Betätigung von wenigstens zwei der interviewten Akteure in Jazz-Rock-orientierten Combo-Projekten sowie auch die sich anlässlich der Gitarren-Pop-Band-Formierung vollzogene Zuwendung zu aktuellen Popular-musikgenres kann vor dem Hintergrund gerade landläufiger ”Moden” gemeinschaftlicher musikalischer Tätigkeit im Popularbereich interpretiert werden.

Ein deutlicher Anspruch im Hinblick auf ”künstlerische Authentizität” sowie bezüglich des ”Selbstverwirklichungsaspektes” ist jedoch auch in Statements der Gitarren-Pop-Band-Musiker unübersehbar. Ebenso die Attitüde, diesen Anspruch grundsätzlich einer ”Unterhalterfunktion” gegenüber dem Publikum überzuordnen, obschon hinsichtlich der aktuellen gemeinschaftlichen Combo-Aktivität durchaus ernsthafte ”professionelle Ambitionen” bekundet werden, die sich nicht zuletzt in der Erstellung zumindest kostenaufwendigen Demo- und Infomaterials durch die Gitarren-Pop-Band-Musiker vergegenständlichen.

Die ”Triftigkeit” dieser ”Attitüde” begründen die Gitarren-Pop-Band-Musiker mit einigen positiven Publikumsresonanzen bei den spärlichen Auftritten der Combo. Die ansonsten eher ”flaue” Beschäftigungslage der Gruppe wird aus dem Desinteresse eventueller Verwerter bzw. dem Umstand abgeleitet, dass man in der Vergangenheit allenfalls mit unseriösen Vertretern der professionellen Popularmusikverwerterbranche in Kontakt gekommen sei. In diesem Zusammenhang wird wenigstens von einem der Gitarren-Pop-Band-Mitglieder die eher negativ gewichtete Ansicht geäußert, dass es in der ”Branche” sowieso nur um Geld gehe und nicht um die Musik. Deswegen werde auch mit einer mehr geringen Wahrscheinlichkeit gerechnet, in dieser Branche Partner zu finden – seien es Verwerter und/oder Musikproduzenten -, die gegenüber den musikalischen Intentionen der Gitarren-Pop-Band ein adäquates Verständnis aufzubringen in der Lage seien.

Auf den in provozierender Absicht den Gitarren-Pop-Band-Musikern unterbreiteten Vorschlag des Interviewers, hinsichtlich der ins Auge gefassten ”Professionalisierung” der gemeinschaftlichen popularmusikalischen Tätigkeit, ein ”anderes Prozedere” anzuwenden - z.B. häufiger die musikalische Konzeption zu ändern -, um so in Anbetracht der geringen Zahl der in der Gütersloher Region zur Verfügung stehenden Auftrittsmöglichkeiten dem Publikum immer wieder neue Angebote machen zu können, reagieren die Interviewten etwas kontrovers : Einerseits wird der Reiz, sich in unterschiedlichen popularmusikalischen Genres zu betätigen, durchaus nicht von der Hand gewiesen, wie auch der Umstand, dass derartige Betätigung für die persönlich präferierte musikalische Spielart zumindest von einem gewissen ”pädagogischen Wert” sein könne. Andererseits wird aber das Festhalten an der Gitarren-Pop-Band-Konzeption insofern konstatiert, als dass es sich dabei um das ”eigene musikalische Ding” handele, das man erst einmal ”durchzubringen” versuchen wolle (vergl. Interviews Independent und ”Vorstudie 81/82”).

Wenn z.B. in früheren Interviews in vergleichbarer Weise zum Ausdruck kommende Positionen auf das Aufscheinen bestimmter ”(Musik-)ideologischer Werte” vor dem Hintergrund entsprechender Assoziierungsmöglichkeiten mit in den 1970-er und auch noch in den 1980-er Jahren aktueller massenmedial verbreiteter Popularmusik-Genres interpretiert werden konnten, so bietet sich im Fall der Gitarren-Pop-Band-Musiker die in mehreren Statements bekundete ”Affinität” zu einem US-amerikanischen Protagonisten des Popularbereiches als Erklärungsmöglichkeit an, der zum Interviewzeitpunkt wegen bestimmter seinem ”Schaffen” anhaftender ”Genialitäts”- bzw. ”Kreativitäts”-Aspekte relativ hoch gehandelt wurde.

Inwieweit ”künstlerischer Authentizitäts-” sowie ”Selbstverwirklichungs-anspruch” durch die gemeinschaftliche popularmusikalische Tätigkeit von den Gitarren-Pop-Band-Musikern für popularmusikalische Tätigkeit schlechthin, für eine von ihnen akzeptierte Form solcher musikalischer Tätigkeit und/oder für ihre eigenen diesbezüglichen Aktivitäten als mehr oder weniger ”verbindlicher” Hintergrund betrachtet wurden, sei zumindest in Anbetracht gewisser Widersprüche dahingestellt, die sich in Erklärungen des Gitarren-Pop-Band-Gitarristen finden. Denenzufolge macht er eine ”Existenzberechtigung” von Künstlern des Popularmusikbereiches von einem sich z.B. in Tonträgerkäufen o.ä. abbildenden Publikumsverdikt abhängig und assoziiert darüber hinaus professionelle Tätigkeit im Popularmusikbereich vielmehr mit dem Klischee eines sich irgendwie außerhalb der Gesellschaft befindlichen und mehr dem Müßiggang verpflichteten ”Bohemien-Status”. Es ergibt sich die Möglichkeit, diese Statements im Hinblick auf das Aufscheinen solcher Auffassungen hin zu interpretieren, die gewissenen ”(klein-)bürgerlichen” Anschauungen des 19. Jahrhunderts von ”Kunstausübung” als eher ”hedonistischen” bzw. ”Selbstverwirkli-chungs”-Motiven unterliegenden Tätigkeiten entsprechen. Dieses würde ferner auch auf eine ”bürgerlicher Kunst-Ideologie” im Sinne von A. Hauser hindeuten, in deren Zusammenhang dem Verfolgen wirtschaftlicher Kunst-Verwertungsabsichten ein fast schon ”unmoralischer” Aspekt anhaftete bzw. ”angelastet” wurde, und nicht lediglich nur auf ein ”Anklingen” bestimmter ”(Musik-)ideologischer Werte”, welche zumindest in den 1970-er und beginnenden 1980-er Jahren die aktuelle massenmedial verbreitete popularmusikalische Kreation in verschiedenen Bereichen ”begleitet” hatten (vergl. Interviews Harley, ”Vorstudie 81/ 82”, Independent u.a.).




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