2.3) Wie ist die Struktur der betreffenden “Außenseitergruppe”?
a) Wie sind die “internen” Gruppenstrukturen?
Aus 2.2.c) ist die Schlussfolgerung möglich, dass bei den “Vorstudien”-Combos mehr oder weniger demokratische Strukturen zu existierten - wenigstens was das musikalische Prozedere anbelangte, wie man der Erörterung der musikalischen Stilbildung entnehmen kann. Andererseits bestand innerhalb solcher Strukturen durchaus auch ein gewisser Raum für Fachautoritäten, auf das musikalische Geschehen in den jeweiligen Combos einwirken zu können 346.
Solche Fachautoritäten - falls sie selbst Mitglied der jeweiligen Combo waren - konnten nicht selten als eine Art Katalysator fungieren, aus den in der Gruppe vorhandenen unterschiedlichen Musikvorlieben und handwerklich/musikalischen Fertigkeiten einen homogenen Gruppenstil zu entwickeln (Beat, Harley über Lederjacke I./II.), oder mittels ihrer eigenen Fähigkeiten/Möglichkeiten das musikalische Erscheinungsbild der betreffenden Gruppe prägend beeinflussen (Spaß über den Organisten der Gruppe “Trikolon”).
Einzelne Interviewte (Spaß I./II., Pharma) zeigten sich in ihren Statements durchaus bereit, sich solchen Fachautoritäten in musikalischer Hinsicht unterzuordnen, sofern die in diesem Zusammenhang entstehenden Ergebnisse den eigenen Musikpräferenzen entsprächen (Spaß I./II.) oder zumindest zu nicht allzu sehr davon abweichender Musik führen würden (Pharma).
Wenn auch bei einigen der älteren Interviewten (Spaß I./II., Beat), bei den meisten “Vorstudien”-MusikerInnen (Deutsch-rock ; New-wave) und bei einigen “jüngeren” Interviewten (Independent; Hard-rock) die Musikgruppentätigkeit zunächst als Freundeskreisaktivität startet, so kann die musikalische Tätigkeit u.U. bei fortschreitender Dauer - wie Beispiele von älteren Interviewten zeigen - eine gewisse Ähnlichkeit zu anderen Freizeit-Vereinsaktivitäten (Kegelverein, Sportverein o.ä.) aufweisen (Pharma), deren freiwilliger Charakter vor dem Hintergrund sonstiger eigentlicher beruflicher Tätigkeit steht.
Mit zunehmender Professionalisierung der gemeinsamen Combo-Tätigkeit kommt es nicht selten zur Arbeitsteilung unter den Gruppenmitgliedern (“Vor-studie 81/82”, Harley, Lederjacke II., Paradiddle, ebenso auch Hobby), deren Verbindlichkeit bisweilen aber nicht von jedem Combo-Mitglied gleich gewichtet wird. Dieses kann zu gelegentlichen internen Spannungen führen - z.B. im Zusammenhang der z.T. recht mühevollen Akquisition von Auftritten (Para-diddle, teilnehmende Beobachtung) -, bis hin zu Komplikationen mit der Finanzbehörde (Lederjacke II.).
Bei einem entsprechend interessanten, ökonomischen Hintergrund kann die Struktur einer Combo - zumindest hinsichtlich bestimmter einzelner Aspekte, z.B. Gestaltung der musikalischen Stilistik, Bestimmung der Mitspieler, der Auftrittsorte u.ä. - bisweilen auch autoritäre Züge aufweisen. Beat schildert das am Beispiel von Streitereien über den zukünftigen Musikstil in seiner damaligen professionellen Beatband, in deren Verlauf es zwischen Beat und einem anderen Combo-Mitglied zu einem regelrechten Machtkampf gekommen war 347.
Sich vor diesem Hintergrund in einer Combo etablierende Machtpositionen leiten sich i.d.R. aus einer gewissen ökonomischen Macht des jeweiligen Platzhalters ab (Beat, Profi), d. h., der Platzhalter bestimmt darüber, wer in der Combo mitspielt (Profi), welche Art von Musik gespielt wird (Beat) und in welcher Höhe die mitspielenden Musiker an der Gage beteiligt werden (Profi, Beat). Da solche Platzhalter mitunter auch die alleinige Sorge dafür tragen, dass die Combo vermarktet wird (Profi), wären sie am ehesten mit Kleinunternehmern - etwa Schaustellern o. ä. - vergleichbar.
Die teilnehmende Beobachtung hat gezeigt, dass autoritäre Strukturen in den Combos ohne entsprechend interessanten ökonomischen Hintergrund entweder keinen langen Bestand haben oder ggf. zum Abbruch gemeinsamer musikalischer Tätigkeit führen können, da das autoritäre Verhalten sich zu Chefs berufen fühlender Combo-Mitglieder mitunter abträgliche Effekte auf den Spaß-Charakter der gemeinsamen popularmusikalischen Tätigkeit haben kann und andererseits der Platzhalter der Machtposition in ökonomischer Hinsicht nicht genug abgesichert ist : Entweder erschien es den übrigen Combo-Mitgliedern von vornherein recht unwahrscheinlich, dass ein potentieller Chef-Anwärter für die von ihm angestrebte Machtposition den anderen ein ausreichendes Äquivalent würde bieten können, oder der letztgenannte Sachverhalt trat mitunter schnell zu Tage, wenn einem Akteur in einer Combo für eine Weile eine solche Chef-Position zugestanden worden war (teilnehmende Beobachtung).
Aus einzelnen Statements von Interviewten über ihre jeweiligen Mitspieler geht ferner hervor, dass gerade jüngere Angehörige der “Szene” gewisse mit der musikalischen Tätigkeit zusammengehende Verbindlichkeiten nicht besonders ernst zu nehmen pflegten, was sich in gelegentlichem zu-spät-Kommen bei und/oder Verschlafen von Übeterminen und/oder Auftritten äußern konnte (Paradiddle über zwei seiner jüngeren Mitspieler) 348.
Grundsätzlich unterscheiden sich die Gruppenstrukturen in der Frühphase der musikalischen Tätigkeit von solchen, die während eines späteren Stadiums beobachtet werden konnten : In der Frühphase war die Gruppenstruktur zunächst bei den meisten Interviewten mehr durch das gemeinsame Musikmachen unter Freunden/Schulkollegen/peers (Deutsch-rock, Hard-rock, Independent, Lederjacke II., Harley, Paradiddle, Lehrer u. a.) geprägt, als Art der Freizeitgestaltung in der Gleichaltrigengruppe ohne Orientierung auf das Ergebnis. Durch u.a. wegen Wohnortwechsel und/oder gestiegenen musikalischen Ansprüchen o.ä. bedingten Austausch der Mitmusiker änderte sich nicht selten auch der Charakter der Gruppenstruktur. Nun stand durchgängig das musikalische Ergebnis im Vordergrund der gemeinsamen Tätigkeit. Die Mitmusiker waren weniger Freunde als Mitstreiter, Kollegen oder mithin auch schon mal Chefs (Lederjacke I./II., Harley, Spaß, Paradiddle, Vagabund, ebenso Pharma) 349.
b) Was ist die “Funktion” solcher Gruppen ?
Musikgeschäft/Massenmedien : Wie in den Exkursen “1)” und “2)” in Kap. I) gezeigt werden sollte, ist es für Combos aus der untersuchten “Szene” sehr schwer, wenn nicht sogar unmöglich, ohne spezielle persönliche Kontakte in die professionelle Popularmusik-Branche einzusteigen.
Dass Musikbranche und Massenmedien anscheinend von sich aus kein besonderes Interesse an solchen MusikerInnen haben, wie sie in dieser Arbeit vorkommen, zeigen 1) die in “Exkurs 1)” zitierten Literaturbeispiele, 2) das Beispiel der faktisch kaum etwas bewirkenden Nachwuchsförderung im Popularmusikbereich (Paradiddle) 350 sowie 3) gewisse Industrie-Aktivitäten im Massenmedienbereich 351 und Statements bzw. Einflussnahmeversuche seitens Musikverwerter bzw. -schaffender, gemäß denen für ihre Erzeugnisse in den Medien (noch) mehr Präsentationsraum geschaffen werden solle 352.
In diesem Zusammenhang ist es Combos aus dem in dieser Arbeit interessierenden Bereich, selbst wenn diese einen Tonträger vorlegen können, nur schwer möglich, in Playlists bzw. überhaupt zu sog. “Airplay” zu kommen353. Durch ein zwischen den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und den Musikverwertern abgestimmtes Prozedere (z.B. sog. “Label-Code”-Nummern) werden zudem weitere Barrieren errichtet.
Es sei dahingestellt, ob für Musikproduzenten die Aktivitäten der interessierenden Musikgruppen, die mehr oder weniger durch massenmedial verbreitete Musikmoden beeinflusst sind, nicht eher eine Rechtfertigung dafür liefern dürften, noch mehr Geld in etablierte Künstler und deren Produktionen zu investieren, wenn sie schon so große Nachahmerschaft finden (Lederjacke, teilnehmende Beobachtung). Eine diese interessante Frage klärende Untersuchung kann allerdings nicht Gegenstand dieser Arbeit sein.
Für die Hersteller von Musikinstrumenten bilden die Angehörigen der untersuchten “Szene” sowie anderer vergleichbarer “Szenen” trivialerweise einen relevanten Absatzmarkt.
Gesellschaftstheorie : Für einige Autoren, die sich etwa ab Mitte der 1960-er Jahre bis Anfang der 1980-er Jahre der Betrachtung der Jugend gewidmet hatten, dürften nicht zuletzt die jugendlichen Popularmusikaktivitäten Beleg bzw. Bestätigung für theoretische Ansätze geliefert haben, die vor dem Hintergrund eines von den Jugendunruhen der späten 1960-er Jahre beeinflussten, in gewisser Weise weiter transportierten Zeitgeistes betrachtet werden können.
Ein Standpunkt, der dem eines “Spät-1960-er-Jahre-Sozialhygienikers” wie Harker (in IMDT-Paper 1974) vergleichbar wäre, wurde etwa im Osnabrück der jüngeren Vergangenheit in öffentlichen Verlautbarungen des Städtischen Konservatoriums vertreten, oder er scheint etwa im Zusammenhang der Einrichtung einer Stelle für Musik-Sozialarbeit durch das Jugendamt der Stadt auf (teil-nehmende Beobachtung).
Andere Autoren (Baacke, Zimmer, Urban u. a.) heben den gesellschaftskritischen Impetus der Popularmusik hervor, wozu sich einzelne Interview-Äußerungen quer durch die Altersstufen der Interviewten in Entsprechung befinden (Spaß, Deutsch-rock/Pellmann, Hobby). Zeitbezug scheint hierbei insofern auf, als dass eine gewisse “Anti-Establishment”-Einstellung in den 1970-er Jahren als eines der Charakteristika der “progressiven Rockmusik” bzw. ihrer Protagonisten betrachtet werden kann 354. Zu den Themen zeitgenössischer Popularmusik dürften demgegenüber eher allgemein bedeutsame, auch vom “Establishment” selbst als kritikwürdig betrachtete Sachverhalte gehören (Hobby : Stichwort “Ausländerhass”).
Der gesellschaftskritische Themen verarbeitenden Popularmusik der 1970-er Jahre demgegenüber ebenfalls ein gewisser Unterhaltungswert zugemessen werden, den auch in der BRD verschiedene Politrock-Combos für sich erschlossen hatten : Die Rockgruppe “Oktober” aus Hamburg unterlegte seinerzeit “Agit-prop-Oden” mit “Art-Rock” speziell nach dem Vorbild bekannter britischer Populärmusikkünstler. Mit dem Werk “Proleten-Passion” erspielte sich das Österreichische Vokal-Ensemble “Die Schmetterlinge” seinerzeit wenigstens Achtungserfolge.
Zwar finden sich Statements in den Interviews, die sich im Hinblick auf eine Position wie “Popularmusik und Generationskonflikt” interpretieren ließen (Spaß I./II., Humor, Lehrer). Jedoch bildet sich der Dissens hier nicht selten in dem konkreten Sachverhalt ab, dass ansonsten tolerante Eltern zunächst Unverständnis gegenüber überhaupt popularmusikbezogenen Aktivitäten ihrer Kinder an den Tag legten (Spaß I./II.) bzw. gegenüber bestimmten konkreten Ausprägungsformen dieser Aktivitäten (Lehrer).
Dahingestellt sei, ob es sich hier nicht eher um einen Konflikt zwischen unterschiedlichen Geschmäckern gehandelt haben könnte, wie er gemäß anderen Interview-Statements auch unter Jugendlichen auftreten kann (Beat, Lehrer). Wenigstens eine der “Vorstudien”-MusikerInnen (Bassistin) äußerte jedenfalls, einige wichtige Anregungen für ihre eigenen Popularmusikpräferenzen aus der Schallplattensammlung mit 1970-er-Jahre Rockmusik ihres Vaters bezogen zu haben.
Das Argument “Popularmusik und Identitätsfindung” (Spengler 1985) bleibt auch vor dem Hintergrund des vorliegenden Interviewmaterials kryptisch :
1) Es kann angenommen werden, dass alle Interviewten bereits vor ihrer Aufnahme einer popularmusikalischen Tätigkeit eine Identität hatten.
2) Gerade in der Gegenwart üben nicht wenige Jugendliche in ihrer Freizeit sehr viele unterschiedliche Aktivitäten aus, von denen Popularmusikmachen u.U. lediglich eine ist.
3) Eine vorläufige “Entscheidung” für eine zeitweilig andauernde und stabile popularmusikalische Tätigkeit ergibt sich zumindest bei den “Vorstudien”-Musi-kerInnen mehrheitlich mit dem Eintritt ins Erwachsenenalter vor dem Hintergrund einer “verlängerten Adoleszenzphase”. Hätten demnach diese Individuen - in Einschränkung zu 1) - ihre Identität mit der Aufnahme ihrer speziellen musikalischen Tätigkeit erhalten bzw. angenommen ? Hätten sie demnach vor diesem Lebensabschnitt keine oder zumindest eine andere Identität gehabt, und wie müsste “Identität” dann verstanden werden - im Sinne vielleicht von “eine andere Person sein” ? Was aber wird dann mit der Identität, wenn es bei der popularmusikalischen Tätigkeit zu Veränderungen kommt - z.B. hinsichtlich Stil, Ambitionen o.ä. - oder die Tätigkeit sogar ganz aufgegeben wird ?
Wenn Baacke schreibt : “Identität bedeutet Übereinstimmung mit sich selbst so, dass man selbst und der andere dies anzuerkennen bereit ist” (Baacke 1972b, S. 19 ff.) und sich im Folgenden dieser Äußerung über Offenheit bzw. Vielschichtigkeit menschlicher Identität auslässt, so scheint er in diesem Zusammenhang “Identität” eher als eine die individuelle Rollenvielfalt organisierende Instanz zu betrachten (ebd., S. 28, zit. Luhmann; vergl. Goffman; vergl. Parsons).
Popularmusikalische Tätigkeit wäre demnach allenfalls eine unter vielen vom Individuum angenommenen Rollen und somit nicht mit Identität selbst zu verwechseln.
Combos/Publikum : Durchgängig in nahezu allen Interviews findet sich das Motiv des “gemeinsam-Spaß-haben-Wollens” durch die popularmusikalische Tätigkeit.
Dieses steht zunächst vor dem Hintergrund, dass man in der Anfangsphase der gemeinsamen musikalischen Tätigkeit erst einmal für sich selber spielt und noch nicht unbedingt an öffentliche Auftritte denkt, geschweige denn an einen homogenen Musikstil der Combo-Aktivität (Spaß I./II., Paradiddle, Harley, Lederjacke II., Lehrer, Hobby, “Vorstudie 81/82”, teilnehmende Beobachtung). Nicht zuletzt würde damit auch der Charakter als selbstorganisierte Freizeittätigkeit Jugendlicher unterstrichen, den die popularmusikalischen Aktivitäten in ihrer Anfangsphase aufweisen können und der von Interviewten häufig dargestellt wird (Spaß I./II., “Vorstudie 81/82”, Paradiddle, Harley, Lederjacke II., Hobby, Independent, Hard-rock, Gitarren-Pop Band u. a.).
Für den - wenigstens anfänglichen - “Spaß-Charakter” der gemeinsamen popularmusikalischen Tätigkeit würden auch Erfahrungsberichte über erste positive Publikumsresonanzen sprechen, die sich in den meisten Fällen bei mehr zufällig zustande gekommenen Auftritten nicht selten im privaten Kreis ergaben (Beat, Spaß I./II., Harley, Lederjacke II., Paradiddle, Hobby, “Vorstudie 81/82”). Eine Unterhaltungsbereitschaft seitens des Publikums - oft handelt es sich bei den Musikern um Mitschüler oder Freunde - kann vorausgesetzt werden.
Mit zunehmender Dauer der gemeinsamen popularmusikalischen Tätigkeit scheinen einige der interessierenden Combos sich auch zu einer Art Refugium zur Pflege gemeinsamer Karriereträume bezüglich der Popularmusik-Branche zu entwickeln (Harley, Lederjacke II., “Vorstudie 81/ 82”, Deutsch-rock). Während der Durchführung der “Vorstudien”-Untersuchung konnte sogar der Rückzug und die regelrechte Abschottung von der Rest-”Szene” bei einer der beteiligten Musikgruppen beobachtet werden, die gerade mit einer großen Schallplattenfirma handelseinig geworden war und sich vom Eintritt in die Branche eine große Zukunft erhoffte (Lederjacke II., Harley, teilnehmende Beobachtung).
Dass - ebenfalls mit zunehmender Dauer, aber auch bei gleichzeitig stattfindender Professionalisierung - die gemeinsame popularmusikalische Aktivität in der Combo sich für die Akteure zeitweilig zu einer veritablen Einnahmequelle entwickeln konnte (Harley, Paradiddle, teilnehmende Beobachtung : das Beispiel einer örtlichen “Comedy-Rock”-Gruppe), war ebenfalls zu beobachten.
Einige professionell ambitionierte “mittlere” und “jüngere” Interviewte gaben jedoch auch an, die Combo-Tätgikeit zur Erlangung von Routine, Spielpraxis sowie stilistischer Variabilität zu benutzen (Paradiddle, Lehrer) 355.
c) Wie ist das Verhältnis/die Beziehungen der Gruppen untereinander?
Für Beat, einen der älteren Interviewten, war das Verhältnis der Popularmusik-Combos, mit denen er vor allem in den 1960-er Jahren als “Profi” zu tun hatte, geprägt von 1) Nebeneinanderhergewurstele, 2) Kollegialität und 3) Neidhammelei. Allerdings darauf hingewiesen werden, dass Beat den Großteil seiner professionellen Popularmusik-Karriere im Ausland verbracht hatte.
Spaß, der etwas jünger als Beat ist und dessen Karriere als Popularmusiker sich im wesentlichen in Osnabrück zugetragen hatte, benennt in diesem Zusammenhang 1) Kollegialität, 2) Neidhammelei und 3) Selbstorganisation.
Zu Selbstorganisationsaktivitäten kam es in der untersuchten lokalen “Szene” ab dem 1979. Spaß selber hat an solchen Aktivitäten in seiner Eigenschaft als Mitglied einer ortsansässigen Combo teilgenommen, ebenso auch die Musiker-Innen und Musikgruppen der “Vorstudie 81/82”.
Derartige Selbstorganisationsaktivitäten sind vor dem Hintergrund einer Art seinerzeit vor allem in sog. “alternativen” Kreisen kursierenden Zeitgeistphänomens zu betrachten. Konkurrenzverhalten zog hier, den Gedanken der Selbsthilfeorganisation konterkarierend, Ablehnung und Ausgrenzung nach sich. Die zeitweise sehr beliebten Veranstaltungen der Selbsthilfeorganisation und ihre damit verbundenen Bedeutung für die Szene, verliehen diesem “konkurrenzfreien Kodex” eine gewisse langjährige, allgemeinverbindliche Bedeutung.
Sowohl Spaß als auch Beat berichteten über Neidhammeleien zwischen Musikgruppen, die allerdings in Beats Fall mitunter erhebliche Nachteile auf geschäftlicher Ebene nach sich ziehen konnten.
Demgegenüber stellten sich derartige Anfechtungen für Spaß als das übliche in der Regel hinter vorgehaltener Hand abgewickelte “Szene”-Gestänkere dar. Spaß und auch einige “jüngere” und “mittlere” Interviewte berichten statt dessen über gute, bisweilen freundschaftliche Beziehungen zu einzelnen Musikern und natürlich auch zu anderen Musikgruppen der lokalen “Szene” 356.
U.a. auf den letztgenannten Sachverhalt mag der Umstand zurückgeführt werden können, dass im Rahmen vieler selbst organisierter Konzertaktivitäten phasenweise immer wieder dieselben Combos mitwirkten. Nach entsprechender Kritik und dem darauf folgenden Rückzug der Kritisierten konnte jedoch beobachtet werden, dass lediglich andere Namen/Combos an die frei gewordenen Positionen traten, aber kein wesentlich anderes Prozedere gewählt wurde (Orwells “Farm der Tiere” scheint auf !). Dieses mag als ein Indiz für im Verlauf der 1980-er Jahre - erneut! - sich abzeichnende Cliquenbildungen betrachtet werden (teilnehmende Beobachtung ; vergl. auch Beats Schilderung der lokalen Musik-Cliquen der 1960-er Jahre) : So wurde z.B. die Belegschaft der Ende der 1970-er Jahre eingerichteten Popularmusikabteilung des Konservatoriums der Stadt Osnabrück zunächst von zwei lokalen Musiker-Cliquen gestellt. Die eine bestand seinerzeit um einen Jazz-Rock-Keyboarder (Side-man). Die andere hatte sich um einen ortsansässigen Bluesgitarristen gebildet, der die besagte Abteilung mit initiiert hatte.
Als eines der Charakteristika des örtlichen Musik-Cliquenverhaltens der späten 1980-er/frühen -90er Jahre kann die Besetzung bestimmter ökonomisch interessanter und/oder künstlerisch in gewisser Weise “einflussreicher” lokaler Positionen betrachtet werden : So hält eine Clique um eine örtliche “Comedy-Rock”-Combo - bzw. deren Mitglieder sowie mehrere dieser Clique nahestehende Personen – inzwischen einige Jobs im Bereich der “alternativen” lokalen Kulturpflege besetzt. Man ist somit gelegentlich in der Lage, die Vergabe von Tätigkeitsverhältnissen, die auch für andere Akteure der untersuchten “Szene” interessant wären 357, zu beeinflussen und “eigene Leute” zu lancieren.
Außer dieser “Comedy-Rock”-Clique gab es in der untersuchten “Szene” während der Endphase dieser Studie - also 1996/97 - eine “Jazz”-Clique, zu der u.a. auch eine Anzahl Jazz-interessierter Musikstudenten zu zählen war, eine “Profi”-Clique, die sich um einen lokalen Schallplattenproduzenten gebildet hatte, die “Musikerinitiativen”-Clique u. a. m. .
Ebenso konnte bisweilen auch das z.T. eifersüchtige Verteidigen solcher Positionen gegen etwaige Konkurrenten bzw. andere lokaler Cliquen beobachtet werden 358.
Letztendlich führte dieser Umstand der Cliquen-Ausdifferenzierung u.a. auch dazu, dass die örtlichen Cliquen miteinander inzwischen nur sehr wenig zu tun hatten, sich manchmal sogar zeitweilig regelrecht gegenseitig befehdeten 359.
Als durchwachsen und von Eifersüchteleien sowie Stänkereien hinter vorgehaltener Hand geprägt kann auch das Verhältnis zwischen der in den 1980-er Jahren um Harley und Lederjacke bestehenden Clique und der oben genannten “Comedy-Rock”-Clique bezeichnet werden (teilnehmende Beobachtung).
“Cross-overs” zwischen den lokalen Cliquen fanden und finden - u.a. wegen der geschilderten Hintergründe - nicht so häufig statt.
d) Wie ist das Verhältnis der Gruppen zum sog. “Geschäft”?
Das Verhältnis vieler Interviewter zum Musikgeschäft erwies sich - was auch immer zunächst darunter verstanden wird - einerseits als geprägt von z. T. profunder Unkenntnis (Spaß I./II., Beat, Harley, Lederjacke I./II., Vagabund, “Vorstudie 81/82”, teilnehmende Beobachtung), andererseits aber auch von einer gewissen Aufgeschlossenheit bzw. Bereitschaft für Illusionen gegenüber vermeintlichen und/oder tatsächlichen Möglichkeiten, in diesem “Geschäft” mitmachen zu können (Beat, Harley), bzw. von dem - mehr oder weniger offen zugegebenen - Bestreben, irgendwie mehr oder weniger exponiertes Mitglied der Branche werden zu wollen (“Vorstudie 81/82”, teilnehmende Beobachtung).
Die Unkenntnis des Musikgeschäftes bzw. seiner Möglichkeiten und Funktionsweisen ging in einem Fall zusammen mit regelrechten kriminellen Machenschaften einer sog. Künstleragentur gegenüber einer Musikgruppe (Beat), in einem anderen mit Selbstüberschätzung des künstlerischen Potentials der eigenen Combo (“Vorstudie 81/82”, New-wave, Harley, Lederjacke II., teilnehmende Beobachtung).
Beide Fälle hatten aber auch eine relativ frühe Involvierung der betreffenden Musiker/Musikgruppen in die Musikbranche zur Voraussetzung.
Während Beat, Harley und Lederjacke weitere Versuche unternahmen, im Musikgeschäft zu bleiben bzw. erneut Fuß zu fassen, lieferte für Spaß die zeitweilige Einbindung in das professionelle lokale Tanzmusikgeschäft einen der Gründe, seine eigene spätere Popularmusikpraxis besser auf einem Amateur-Status auszuüben. Anders als Harley und Lederjacke, die auf Tonträger-Produktion und Massenmedien-Präsenz setzten, hält Spaß eine solche Ausrichtung popularmusikalischer Tätigkeit, für sich selbst und auch ganz grundsätzlich, für eher unrealistisch.
Durchaus differenziert stellt sich das Verhältnis zum Musikgeschäft einiger “jüngerer” und “mittlerer” ambitionierter Interviewter dar : Zwar ist man nicht abgeneigt, vielleicht irgendwann einmal eine Schallplatte aufzunehmen (Paradiddle), bewirbt sich auch bei Nachwuchs-Wettbewerben 360, jedoch erkennen die Interviewten bald die Nutzlosigkeit derartiger Veranstaltungen.
Entsprechende Statements der Interviewten könnten insofern auf eine gewisse, z.T. grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber dem Musikgeschäft hin interpretiert werden (Paradiddle, Lehrer), als dass diese Ablehnung allerdings auf solche Teile des Geschäftes beschränkt zu sein scheint (Wettbewerbe, Fördermaßnahmen), welche die Interviewten aus ihren einschlägigen Erfahrungen kennen und die sie als zum Musik Business gehörig identifizieren.
Eher distanziert - da er auch gar nicht ins Musikgeschäft einzusteigen gedenkt - äußert sich Hobby, einer der “jüngeren” Interviewten, der zeitweilig zum Vorstand der lokalen Musikerinitiative gehörte. Diese Musikerinitiative - ursprünglich unter der Bezeichnung “Rock gegen Rechts” firmierend, dann “Rock-initiative” - war allerdings seinerzeit u.a. zum Zwecke der Schaffung von einer Art “Alternativ”- bzw. Gegen-Öffentlichkeit zur “etabliertem” Kultur- und/oder Musikbetrieb ins Leben gerufen worden 361. Nicht zuletzt wirkten deswegen alle “Vorstudien”-Combos und viele andere lokale Musikgruppen in diesem Selbsthilfezusammenschluss mit (“Vorstudie 81/82”, teilnehmende Beobachtung) 362. Demgegenüber ist aus Hobbys Ausführungen eher auf einen Charakter einer “Hobby”-Interessenvertretung derjenigen Ausgabe der lokalen Musikerinitiative zu schlussfolgern, für welche er selbst als Vorstand firmierte.
Beim Prozedere der Combo, in der Pharma, einer der älteren Interviewten, seinerzeit mitwirkte, fällt eine so starke Ähnlichkeit zu Verfahrensweisen von zum sog. Musikgeschäft gehörenden Ensembles auf, dass fast schon von Nachahmung solcher Musikgruppen gesprochen werden kann : Man veröffentlichte eine CD - plant zum Zeitpunkt des Interviews bereits die nächste -, spielte auch überregionale Auftritte, obwohl Pharma und einige andere Combo-Mitglieder dezidiert keine professionellen Ambitionen hinsichtlich ihrer Musik hatten, eine Professionalisierung wegen beruflicher Verpflichtungen angeblich weder mitmachen konnten noch wollten. Andererseits gibt Pharma für die Produktion der CD, für seine eigene Beteiligung dabei - er nennt u.a. ein Interesse am Produktionsvorgang - sowie auch für ein eher arbeitgebermäßiges Verfahren mit neuen Combo-Mitgliedern im Zusammenhang einer anstehenden Umbesetzung eher widersprüchliche Erklärungen ab - dazu später mehr. Er konstatiert darüber hinaus, der einzige in der Combo zu sein, der sich intensiv für das Musikgeschäft interessiert. Er fuhr z.B. zur Musikmesse “PopKomm” nach Köln. Demgegenüber wollten die anderen Mitglieder der Combo - vor allem die professionell Ambitionierten, die nach Pharmas Angaben auf Einnahmen aus der Musik angewiesen waren - lediglich häufig öffentlich auftreten und versprachen sich durch die CD diesbezüglich bessere Möglichkeiten. Pharmas Interesse an der Beschaffenheit und Funktionsweise des Musikbusiness wurde von den letztgenannten Kollegen - ebenfalls gemäß seinen - nicht geteilt.
Offen bleiben muss an dieser Stelle - da es hierzu keine vertiefenden Statements von beteiligten Akteuren gibt - ferner die Frage danach, ob Nachahmungsverhalten der Veröffentlichungs- und Präsentationspraxis des Musikgeschäftes den Hintergrund gebildet haben mag für die CD-Inflation mit lokalen Produktionen, die Osnabrück zu Beginn der 1990-er Jahre erfasst hatte sowie beim Prozedere einiger leider nicht zu Interviews bereiten Combos aus dem örtlichen “Hard-Rock- bzw. “Heavy-Metal”-Lager, von denen einige passend zu aus England und/oder den USA herüberschwappenden Musikwellen/-trends ihren Musikstil und/oder ihr äußeres Erscheinungsbild änderten (Lederjacke I./II., Harley, teilnehmende Beobachtung) 363.
Viele der interviewten MusikerInnen - quer zu den geäußerten Ambitionen - betrachten das sog. “etablierte Musikgeschäft” jedoch hinsichtlich seines Outputs “Tonträger” als wichtige Quelle für das Kennenlernen neuer bzw. interessanter Popularmusik-Genres und/oder als Lieferanten nützlicher Anregungen für die eigene popularmusikbezogene künstlerische Tätigkeit (Spaß I./II., Lehrer, Paradiddle, Langer, Independent u. a.).
e) Gibt es Regeln (vergleichbar denen bei H. S. Beckers Tanzmusikern oder den unter Kriminellen und Prostituierten gültigen, s. Girtler), die (i) das Verhältnis der Gruppen untereinander/zu Außenstehenden bestimmen?
Die Rolle der “Rock`n`Roll-Ideologien” und das Verhältnis der Gruppen untereinander, natürlich auch zu sog. “bürgerlichen Außenstehenden” : In Statements älterer Interviewter (Beat, Spaß) scheint auf, dass mit der ausgeübten Popularmusik-Aktivität in der Auffassung der Musiker eine gewisse “nicht spießige” Attitüde zusammenging, welche seitens angepasster Mitmenschen vor allem im ländlichen Umfeld Osnabrücks nicht selten mit Ablehnungsverhalten bedacht wurde (Spaß I./II.). Zum Ausdruck solcher ablehnenden Haltung konnten u.U. recht unschöne bis handgreifliche Mittel gewählt werden (Spaß I./II.). Die Abgrenzung von den Angepassten, den “Spießern” wurde bisweilen von den Musikern aber auch höchst aktiv selber betrieben, was in einem konkreten Fall auf den forcierten Umgang mit Angehörigen des sog. “Milieus” hinauslief (Beat). Zwischen dem geschilderten Selbstverständnis der interviewten Akteure und dem von H.S. Beckers Tanz- bzw. Jazzmusikern ergeben sich zwar gewisse Ähnlichkeiten, jedoch kann die betreffende Haltung zunächst nicht im Hinblick auf eine spezielle “Rock`n`Rock-Ideologie” interpretiert werden.
Die mit Ende der 1960-er Jahre bei Spaß und einigen seiner Kollegen aufkommende Outfit-mäßige und künstlerische Affinität zur “progressiven Rockmusik” führte allerdings ebenfalls zu gelegentlichen Problemen und Reibereien mit bestimmten Veranstaltern und gewissen Publikumskreisen (Spaß I./II.). Dass derartige Querelen auch manchmal von den Musikern selbst provoziert wurden (Spaß I./II.), kann durchaus in Entsprechung gesehen werden zu dem seinerzeit bisweilen ebenfalls recht provokanten Auftreten bekannter Protagonisten der “progressiven Rockmusik” - man erinnere sich etwa des Posters, das den mit heruntergelassenen Hosen auf dem Abort sitzenden Frank Zappa zeigt.
Ein gewisses ideologisches Einvernehmen zwischen “Progressiv-Rockern” und Publikum - zumindest was den Aspekt der vermeintlichen Nicht-Kommerzia-lität dieses Genres anbelangte - kann eine Anekdote über einen derzeitigen Konzert-Flop einer ehemaligen Tanzkapelle illustrieren, die ins “progressive” Lager überwechseln wollte und die anlässlich eines Großkonzertes mit “progressiver Rockmusik” vom Publikum ausgepfiffen wurde (Beat; Spaß II.; siehe Abb. 7).
Als eines der ideologischen Charakteristika der “progressiven Rockmusik” der frühen 1970-er Jahre mag wohl eine gewisse Affinität zum Gebrauch sog. weicher Drogen - auch während des Musikmachens - bzw. eine Art Verklärung von Drogengebrauch betrachtet werden (DJ), die nicht selten in Songtexten dieses Popularmusik-Genres verarbeitet wurde.
Etwa 10 Jahre später übernimmt Harley diesen Aspekt als Bestandteil seiner ersten popularmusikalischen Combo-Aktivitäten. Mit zunehmender Professionalisierung von Harleys Tätigkeit wird der Drogengebrauch aber immer mehr aus der gemeinsamen Combo-Aktivität ausgeklammert und taucht fortan allenfalls noch als Quelle für Songtext-Ideen auf (Harley, Lederjacke I./II.).
Zwar ist auch z.B. Statements von Paradiddle zu entnehmen, dass während seiner Schülerzeit weiche Drogen eine bedeutende Rolle im Freizeitverhalten gespielt hätten. Ihre Anwendung im Zusammenhang der gemeinschaftlichen popularmusikalischen Praxis sei jedoch eher zu den Marginalien zu rechnen gewesen. Ähnliche Angaben macht Pharma, der ausführt, dass es der Qualität der gemeinsamen Musik bisweilen oft wesentlich zuträglicher gewesen wäre, hätte man erst nach der Probe mit dem Drogenkonsum begonnen.
Als weiteres Charakteristikum des “progressiven” Popularmusik-Genres kann ein mit Ende der 1960-er Jahre sich immer deutlicher ausprägendes Selbstbewusstsein vieler “progressiver Rockmusiker” betrachtet werden, sich als Künstler zu emanzipieren sowie frei von Anpassungszwängen seitens der Gesellschaft und/oder des Musikbusiness für die künstlerische Gestaltung ihrer Musik selbst verantwortlich sein und eigene originäre und authentische Kunstwerke schaffen zu wollen (siehe Hüllentext der “Trikolon”-LP). Diese Einstellung findet sich bei allen “Vorstudien”-MusikerInnen (“Vorstudie 81/82”), aber auch bei später Interviewten (Pharma), nicht selten in Verbindung mit Statements, dass der Originärität und Authentizität der gemachten Musik sogar gegenüber bestimmten Publikumsreaktionen (“Vorstudie 81/82”) sowie gegenüber der möglichen Einflussnahme durch Vertreter des Musikgeschäftes 364 grundsätzlich Vorrang einzuräumen sei.
Einigen anderen Statements war zu entnehmen, dass einzelne Interviewte z.B. in den 1980-er Jahren Jazz angeblich als ein musikalisches Mittel benutzt hatten, um sich von anderen Mitschülern bzw. anderen Gleichaltrigen-Cliquen absetzen zu können (Lehrer). Auch wurden zu jeweils genannten Einstiegszeitpunkten in die popularmusikalische Combo-Aktivität längst der Vergangenheit angehörende Genres wie “Punk” oder “New Wave” (Hobby) gewählt, um - nach eigenen Aussagen - eine musikalische Wohnstuben-Rebellion zu vergegenständlichen. Dieses wäre dann weniger im Hinblick auf das Aufscheinen gewisser mit diesen Popularmusik-Genres in Verbindung zu bringenden “Ideologien” interpretierbar, als wohl eher auf eine Art snobistisches Gymnasiastengebaren und/oder auf einen auf das Wirken der Massenmedien zurückführbaren Effekt vor dem Hintergrund immer wieder veranstalteter “Revivals” aller möglicher vergangener Popularmusik-Genres.
Die Rolle der persönlichen Beziehungen (vergl. H.S. Becker) zwischen unterschiedlichen Gruppen/Mitgliedern unterschiedlicher Gruppen zu Außenstehenden, etwa Veranstaltern, Presseleuten, etwaigen Musikverwertern, dem Publikum etc. : Aus Statements älterer Interviewter wird ersichtlich, dass ihre jeweiligen Combos den Zugang zu bestimmten Bereichen des Musikgeschäftes sowie in gewisser Weise auch die Regelung ihres dortigen Mitwirkens zunächst im wesentlichen persönlichen Beziehungen zu kompetenten Außenstehenden zu verdanken hatten (Beat, Spaß I./II.). Aus den Ausführungen geht nicht hervor, welcher Art die Beziehungen der Musikgruppen zu den Kontaktpersonen genau waren und ob eventuell diesbezügliche rechtsverbindliche Abmachungen getroffen worden waren 365.
Vielmehr macht es den Anschein, als seien die betreffenden Außenstehenden von den Akteuren wie eine Art Kumpel, behandelt worden (Beat, Harley, Lederjacke II.). Nicht zuletzt greifen diese dritten Personen im Zusammenhang ihrer Aktivitäten für die Combos auch wieder auf bereits bestehende persönliche Kontakte zurück (Beat, Spaß I./II., Harley, Lederjacke II.) - ein Umstand, der ebenso im Rahmen popularmusikbezogener Ausbildungszusammenhänge zum Tragen kommt, so etwa in der Jazz-/Pop-Abteilung des Konservatoriums der Stadt Osnabrück (teilnehmende Beobachtung).
Für Harley war zum Zeitpunkt des - recht frühen - Eintritts in das Musikgeschäft die Einstellung seiner damals ersten Combo gegenüber dem Entdecker, der derzeit auch als Schallplattenproduzent einen bekannten deutschen Rock-Schlagersänger betreute, eher geprägt von “nicht-ernst-nehmen” dieses Entdeckers, da die Werke von dessen berühmtem Schützling geläufig waren und man in Harleys Combo nicht viel damit anfangen konnte (Harley, Lederjacke II.).
Dass zu Musikproduzenten, Managern, Konzertagenten seitens der Musikgruppen - z.B. Beats Fall, wie es sich auch im Verlauf von dessen weiterer professionellen Karriere gezeigt hatte - immer ein durchweg konstant gutes Verhältnis bestand, kann nicht behauptet werden : In Harleys Fall war dieses Verhältnis mehr als durchwachsen zu bezeichnen, bei Spaß eher als indifferent (Harley, Lederjacke II., Spaß I./II.).
Obschon in Tanzmusikerkreisen die Unterhalterrolle der Musiker gegenüber dem Publikum entsprechend hoch veranschlagt wurde und wird (Beat) und auch die lokalen Beat-Gruppen der 1960-er Jahre von diesem Selbstverständnis nur wenig abwichen (Beat, Spaß I./II.), wird von gelegentlichem “Rollentausch” berichtet (Spaß I./II.) : Die Combo ließ sich dann gewissermaßen vom Publikum unterhalten (Spaß I./II.).
Andererseits bedarf es gerade in einem professionelleren Stadium der gemeinsamen Combo-Aktivität ganzerheblich derjenigen Teile des Publikums, die in sog. “Fan-Clubs” organisiert sind und die von den Combo-Mitgliedern deswegen mit besonderer Aufmerksamkeit zu behandeln sind (vergl. Tennstedt). Dieses wurde - da die Fan-Clubs im Interesse der Musikgruppen agieren - auch von einzelnen Interviewten so praktiziert (Beat).
Das Aufkommen der 1970-er-Jahre-Jugendmoden in Verbindung mit “progressiver Rockmusik” und entsprechende Adaptionen dieser Moden auch durch lokale Tanzmusiker konnte deren Verhältnis zu bestimmten damals eher noch konservativ gestimmten - auch jüngeren - Publikumskreisen durchaus unterschiedlichen Bildungsniveaus mitunter nachteilig beeinflussen (Spaß I./II.), was sogar zu gelegentlichen persönlichen Anfeindungen führte (Spaß I./II., siehe auch vorangegangener Abschnitt).
Das Moment des Erfolgs, häufiger noch des vermeintlichen Erfolgs (da nur sehr wenige der beobachteten Musiker über gute Kenntnisse hinsichtlich der tatsächlichen “Business-Mechanismen” verfügen, s.o.) als “Ende aller Regeln” : Die in den Interviews gemachten Aussagen über Strategien, mit einer Popularmusik-Combo Erfolg zu haben, gehen häufig zusammen mit Statements, die gewisse Erwartungs-Erwartungen bzw. Erwartungen seitens möglicher oder tatsächlicher Verwerter bezüglich der gemeinsamen Combo sowie entsprechendes Anpassungsverhalten thematisieren.
In den in Frage kommenden Fällen wurde seitens der Musiker auf solche Erwartungen eingegangen oder auch nicht - bisweilen unter gelegentlicher Inkaufnahme personeller Konsequenzen innerhalb der Combos : So reagierte Beats Gruppe positiv auf die Vorstellungen eines anderen Combo-Mitgliedes über die künftige Gestaltung der gemeinsamen Musik, welche im wesentlichen deckungsgleich mit Vorschlägen der damaligen Konzertagentur waren.
Harley beschreibt Versuche, die gerade im Scheitern begriffene Karriere seiner derzeitigen Combo dadurch zu retten, indem man auf Anregungen seitens der Schallplattenfirma einging, was jedoch - wegen musikalisch/handwerklichen Unvermögens der Musiker (Harley) - letztendlich auch scheiterte.
Spaß benennt den ständigen Anpassungsdruck an die Wünsche der Tanzmusikveranstalter und Wirte als einen der Gründe, die ihn schließlich zu seinem zunächst zeitweiligen Übertritt ins Lager der “progressiven Rockmusik” und später zum vollständigen Ausstieg aus der Tanzmusik veranlasst hätten (Spaß I./II.).
Beispiele aus teilnehmender Beobachtung zeigen, dass vor dem Hintergrund winkenden, sich hinterher nicht selten aber als vermeintlich herausstellenden Erfolges auch noch ganz andere Werte als z.B. die von den “Vorstudien”-Mu-sikerInnen angestrebte künstlerische Originalität und Authentizität phasenweise außer Kraft gesetzt werden können - etwa persönliche Glaubwürdigkeit, Loyalität, Kollegialität o.ä. :
1) Ein lokaler “Comedy-Rocker” war seinerzeit vor dem Hintergrund persönlicher Erfahrungen auf ein anderes Mitglied der lokalen “Szene”, einen Musikproduzenten, nicht besonders gut zu sprechen. Er warf dem Mann u.a. Inkompetenz und Unverbindlichkeit besonders hinsichtlich geschäftlicher Vereinbarungen vor. Als der Musikproduzent eine Sample-CD – damals eines der ersten CD-Projekte in Osnabrück - mit von ihm produzierten Künstlern zusammenstellte, war der “Comedy-Rocker” mit einem Titel jedoch ebenfalls auf dieser Veröffentlichung vertreten.
2) Als zu Beginn der 1980-er Jahre der Versuch unternommen wurde, für vier lokale Combos eine gemeinsame Konzertagentur zu finden, war eine der an diesem Projekt beteiligten Musikgruppen gerade im Begriff, ins Musikgeschäft einzutreten. Anscheinend auf Betreiben von Mitgliedern dieser Combo wurden mit dem Musikagenten Sondertreffen anberaumt, um die Vermarktung der betreffenden Gruppe forciert zu betreiben - vorrangig vor der Vermittlung der anderen drei Combos, deren Mitglieder von diesen Sondertreffen nicht informiert wurden und aller Wahrscheinlichkeit nach auch davon ausgeschlossen werden sollten.
3) Als ein Mitglied einer lokalen Combo in einem Osnabrücker Veranstaltungslokal während eines Streites mit dem Inhaber beinahe von einem Angestellten des Besitzers totgeschlagen wurde, kam es in dem derzeit bestehenden örtlichen Musikerselbsthilfezusammenschluss zu einem Boykottbeschluss gegenüber der Veranstaltungskneipe. Es hieß : Die lokalen Musikgruppen, die in dem betreffenden Lokal spielten, hätten nichts zu suchen auf von der Musikerselbsthilfeorganisation durchgeführten Veranstaltungen und umgekehrt. Um an einer von den Musikern organisierten Großveranstaltung teilnehmen zu können, willigte eine lokale Combo in den Boykottbeschluss ein, trat jedoch nur wenige Wochen später auch in dem genannten Veranstaltungslokal auf.
4) Bezüglich eines Anfang 1993 durchgeführten Großkonzertes gegen Ausländerfeindlichkeit gab es angeblich einen Beschluss der lokalen Musikerinitiative, sich an dieser Veranstaltung nicht zu beteiligen. Austragungsort des Konzertes, zu dem - gemäß den Erwartungen der Ausrichter - mehrere tausend Besucher erschienen, war die Osnabrücker Stadthalle. Der damalige Vorsitzende besagter Musikerinitiative nahm jedoch trotzdem mit seiner Combo an dieser Veranstaltung teil - mit der Begründung : Man täte das gewissermaßen privat und nicht in der Eigenschaft als Angehörige der lokalen Musikerinitiative - was zumindest dem so an den Tag gelegten Engagement für ausländische Mitbürger zur Ehre gereicht haben dürfte, jedoch vor dem Hintergrund des derzeit nicht selten im Rahmen solcher Veranstaltungen verfolgten und auch bei dem Osnabrücker “Event” nicht unbedingt verborgen gebliebenen Eigeninteresses der beteiligten Künstler bezüglich der Nutzung von Selbstdarstellungsmöglichkeiten noch in einem etwas anderen Licht bewertet werden könnte.
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