Planungs
prozesses die jeweiligen Perspektiven geklärt und das gemeinsame Ziel“ (Hubeli 2012, S. 9)
definiert werden, verfolgt die MONTAGSTIFTUNG Jugend und Gesellschaft
10
. Angesprochen werden
Prozesse in der Neugestaltungs- oder Umbauphase von Schulgebäuden. In ihrer Publikation „Schule planen
und bauen – Grundlagen und Prozesse“ (2011) werden die unterschiedlichen Perspektiven und
Herausforderungen rund um den Schulbau analysiert und münden schließlich in Handlungsoptionen für
eine gemeinsame Planung. (vgl. dazu Hubeli 2012)
Profitieren kann die vorliegende Arbeit von den Erkenntnissen insofern, als profunde Analysen
bestehender Schulbauten eine zentrale Basis für die physische Dimension von Lernumgebungen darstellen.
In diesem Kontext können die architektonischen Entwürfe zukunftsfähiger Lernräume den fachdidaktischen
Anforderungen im Zuge individualisierter Lehr-/ Lernprozesse gegenübergestellt werden.
Charta für die Gestaltung von Bildungseinrichtungen im 21. Jahrhundert
Plattform SchulUMbau, Jänner 2010
http://www.schulumbau.at/charta.asp
1.
Bildungseinrichtungen und ihre Atmosphäre wirken auf die Menschen, die an diesen Orten
lernen und leben. Das gilt besonders für Kinder und Jugendliche, die in Kindergärten und
Schulen in einer prägenden Phase ihrer Entwicklung zusammentreffen. Hier wird die Basis für
lebenslanges Lernen, für die Freude am sich Bilden und Weiterbilden und für eine aktive
Teilhabe an der Gesellschaft gelegt.
2.
Die Qualität von Bildungsbauten - von den Kindergärten über Schulen und Hochschulen bis
hin zu Orten der Erwachsenenbildung - spiegelt die Wertschätzung wider, die eine Gesellschaft
dem Thema Bildung sowie den dort Lernenden und Lehrenden entgegenbringt.
3.
Bildungseinrichtungen des 21. Jahrhunderts sind Orte einer neuen Lernkultur. Sie sind keine
Belehrungs- und Aufbewahrungsorte, sondern erlauben vielfältige Unterrichtsarrangements, in
denen neben der Instruktion auch die Selbstaneignung von Welt, soziales Miteinander,
Hilfsbereitschaft und die Entwicklung von Gemeinsinn erlebt und erlernt werden.
4.
Bildungsbauten und ihre Außenräume müssen daher Arbeits- und Lernlandschaften, Orte zum
Verweilen, Orte der Begegnung und Stätten sein, in denen Kinder und Jugendliche miteinander
wachsen, Schönheit erfahren, Gemeinsinn entwickeln, Kreativität entfalten und Demokratie
leben können. Je stärker sich Schule zu einer ganztägigen Institution entwickelt, desto höher sind
die Anforderungen, die an sie in dieser Hinsicht gestellt werden.
10
Genauere Informationen unter:
http://www.montag-stiftungen.de/jugend-und-gesellschaft
32
5.
Schulentwicklung, Unterrichtsentwicklung und räumliche Gestaltung müssen Hand in Hand
gehen. Daher ist bei jedem Neubau, Umbau und jeder Sanierung von Bildungsbauten eine
Vorlaufphase unter Mitwirkung aller maßgeblichen Beteiligten durchzuführen. Dabei sind die
jeweiligen Potenziale auszuloten und darauf aufbauend ein räumlich-pädagogisches Konzept zu
entwickeln.
6.
Regelwerke für den Schulbau und für Schulmöbel sollen Leistungsanforderungen, aber nicht
detaillierte Lösungsstandards vorgeben. Sie müssen Konzepte fördern, welche die gesamte
Nutzfläche eines Schulgebäudes als ein Kontinuum miteinander in Beziehung stehender Lern-
und Erfahrungsräume sehen. Dazu gehören z.B. Lernstraßen und Lerninseln.
7.
Die Planung von Neu- und Umbauten von Kindergärten, Schulen und ihren Außenräumen ist
eine baukünstlerische Aufgabe, für die ein Auftrag nur durch ein entsprechendes
qualitätssicherndes Verfahren für geistig-schöpferische Leistungen vergeben werden darf. Auch
Sanierungsvorhaben bieten Anlass für die pädagogisch-räumliche Weiterentwicklung.
8.
Die Planung und Sanierung von Bildungsbauten hat nach den Kriterien von Sparsamkeit,
Zweckmäßigkeit und Schönheit zu erfolgen. Bildungseinrichtungen müssen barrierefrei,
gendergerecht und ökologisch gestaltet sein und eine hohe Energieeffizienz aufweisen, wobei der
jeweils aktuelle Stand der Technik und Wissenschaft heranzuziehen ist, um eine möglichst
ganzheitliche Sicht der Nachhaltigkeit zu erreichen.
9.
Bildungsbauten müssen in Entwurf, Ausführung und Materialwahl die Gesundheit und
Sicherheit ihrer NutzerInnen schützen und fördern. Ein völliger Ausschluss aller Risiken ist aber
weder möglich, noch für Bildungsbauten als Orte vielfältigen Lebens und Lernens sinnvoll und
wünschenswert.
10.
Im Interesse der motorischen und kognitiven Entwicklung von Kindern und Jugendlichen sind
Bildungseinrichtungen in ihren Innen- und Freiräumen als anregende Bewegungsareale zu
gestalten. Dem Außenraum im Speziellen kommt eine besondere Rolle als Ort der Regeneration,
der Naturnähe sowie des sozialen Lernens zu.
11.
Die städtebauliche und landschaftsplanerische Einbindung von Bildungsbauten ist von
besonderer Bedeutung, insbesondere für die Lebendigkeit von Stadtteil- und Dorfstrukturen.
Bildungseinrichtungen sind Teil eines Netzwerks von Gemeinwesen- bzw. Kultureinrichtungen.
Im Idealfall wirken sie als ganzjährig und ganztägig nutzbare kulturelle Infrastruktur für
unterschiedliche NutzerInnen.
Textfeld 4: Charta für die Gestaltung von Bildungseinrichtungen im 21. Jahrhundert (Plattform Schulumbau 2010)
33
Die Publikation „Anna, die Schule und der liebe Gott – Der Verrat des Bildungssystems an unseren
Kindern“ des Philosophen PRECHT (2013) verdient Erwähnung, weil in ihr Fragen der Schulbildung
umfassend problematisiert werden. Der breit gespannte Bogen dieses Buches führt für die vorliegende Arbeit
bestimmt zu weit. Trotz allem lassen sich bestimmte Kategorien daraus ableiten, die für eine systematische
Betrachtung des Themas von zentraler Bedeutung sind. Neben einer historischen Analyse des
Bildungssystems werden neurowissenschaftliche und konstruktivistische Lerntheorien beschrieben, aktuelle
Lernherausforderungen in der Wissensgesellschaft thematisiert und Faktoren genannt, die primär einer
Reformierung bedürfen, wie beispielsweise die Lehramtsausbildung. Gerade der zuletzt genannte Aspekt ist
für die Analyse von Lernumgebungen von besonderem Interesse. Die Frage, ob die didaktische
Professionalität von Lehrer/innen – und zwar ganz unabhängig von den räumlichen und organisatorischen
Rahmenbedingungen in der Schule – ausreicht, um individualisierte Lehr-/ Lernprozesse zu ermöglichen,
wird in diesem Kontext eingehend diskutiert.
Nicht minder bedeutsam für die vorliegende Studie ist die Arbeit von HATTIE (2009). Die Publikation
hat in den letzten Jahren viel mediale Aufmerksamkeit bekommen und wurde sehr kontroversiell diskutiert.
Das Buch ist das Ergebnis einer quantitativen Analyse von 800 Metastudien basierend auf 50.000 Studien.
Aus der Differenz einer jeweiligen Test- und einer Kontrollgruppe wurden Faktoren abgeleitet und deren
Bedeutung für den Lernerfolg gemessen. (vgl. dazu Hattie 2010)
Hattie geht konzeptionell sehr differenziert und mit einem breiten Verständnis von Lernen an die
Analyse heran. Zu kritisieren sind dennoch einzelne Aspekte, wie beispielsweise die isolierte Betrachtung
einzelner Faktoren, die nicht die Komplexität von Lehr-/ Lernprozessen und die wechselseitigen Wirkungen
unterschiedlicher Einflussfaktoren berücksichtigen (Friedmann 2013). (vgl. dazu Kapitel 5.3)
WAHL (2006) befasst sich in seinen Forschungen ebenfalls mit der Rolle der Lehrer/innen,
insbesondere mit der Dominanz subjektiver Theorien von Lehrer/innen, die sich oft nur schwer oder gar
nicht gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen durchsetzen. In der Publikation „Lernumgebungen
erfolgreich gestalten“ wird der Frage nachgegangen, worin die Schwierigkeiten bei Lehrer/innen bestehen,
Wissen in Handlungskompetenzen überzuführen. (vgl. dazu Wahl 2006)
Spannend ist für das vorliegende Thema vor allem, dass in diesen Beiträgen versucht wird, den Missing
Link zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und deren unzureichender Umsetzung in der Schulpraxis
zu identifizieren. Damit wird, wenn auch primär auf die Rolle der Lehrer/innen fokussiert, ein wichtiger
Aspekt der zentralen vorliegenden Forschungsfrage angeschnitten.
Innovative und interessante Publikationen zum Themenbereich Lernumgebungen finden sich auch im
angloamerikanischen Raum, wie zum Beispiel die Arbeiten von GLOVER und LAW (2010) „Creating the
Right Learning Environment“ oder WOOLNER et.al (2012) „Changed learning through changed space“.
Das Interesse an diesen Studien ist vor allem der spezifischen theoretischen Betrachtung geschuldet, gibt
diese doch Einblicke in andere Forschungstraditionen und ermöglicht die Berücksichtigung neuer
34
Erkenntnisse. Dieser letztgenannte Aspekt, nämlich dass unterschiedlich gestaltete Organisationsformen
schulischen Lernens eine bedeutsame Einflussgröße im Rahmen des Bildungsprozesses darstellen, hat im
Übrigen auch innerhalb des deutschsprachigen Raumes Gültigkeit. Selbst zwischen Österreich und
Deutschland zeigen bildungspolitische Interventionen und die Struktur und Organisation schulischen
Lernens Unterschiede.
Forschungen rund um das Konzept der Individualisierung und der konstruktivistischen Didaktik haben
bereits in diversen fachdidaktischen Publikationen, die in Bezug auf das Fach GW vorgelegt wurden, eine
große Tradition (siehe oben). Diese fachbezogenen Überlegungen bauen aber zumeist auf Beiträgen aus dem
allgemeinen bildungswissenschaftlichen Diskurs auf. REICH (2008), der sich nicht nur methodisch,
sondern auch theoretisch mit konstruktivistischer Didaktik in dem Buch „Konstruktivistische Didaktik –
Lehr- und Studienbuch mit Methodenpool“ auseinandersetzt, ordnet sich mit seinen Publikationen in die
zentrale Basisliteratur ein, ebenso wie SALNER-GRIDLING (2009) mit „Querfeldein: individuell lernen –
differenziert lehren“ oder FISCHER und ROTT (2015) „Individuelle Förderung als schulische
Herausforderung“. In diesen Büchern geht es vor allem um das Konzept der Individualisierung und
ausgewählte methodische Umsetzungsmöglichkeiten. Die Bedeutung von Lernumgebungen wird zwar
betont, jedoch nicht näher erläutert.
Die Auseinandersetzung mit der Frage der Individualisierung von Lernprozessen erfordert auch eine
intensive Bezugnahme auf die aktuellen Erkenntnisse der Neurowissenschaften, da diese auch als Triebfeder
für weiterführende Überlegungen im Sinne konstruktivistischer Lerntheorien Geltung erlangt haben. Als
bekannter Vertreter ist beispielsweise HÜTHER (2012) zu nennen, der aktuelle Erkenntnisse der
Hirnforschung auf gesellschaftliche und individuelle Lebenspraktiken umlegt.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass für die vorliegende Problemstellung aus unterschiedlichen
Disziplinen und zu unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten wichtige Forschungsbeiträge vorhanden
sind. Es sticht jedoch ins Auge des/der Betrachter/s/in, dass die Verknüpfung von Lernumgebungen mit
individualisierten Lehr-/ Lernprozessen weder im bildungswissenschaftlichen Diskurs noch in der
fachdidaktischen Forschung GW Tradition hat. Diese Forschungslücke soll geschlossen werden, indem über
die fachdidaktischen Analyseebenen Inhalt – Methoden – Medien hinaus, die Bedeutung der
Lernumgebungen für die Förderung individualisierter Lehr-/ Lernprozesse untersucht wird.
35
3
Forschungsdesign
Die bisherige Forschung in der Fachdidaktik GW zu individualisierten Lehr-/ Lernprozessen bezieht
sich primär auf theoretische Überlegungen, verknüpft mit inhaltlichen und/oder methodischen Aspekten.
Die Erweiterung des Forschungsspektrums um einen zusätzlichen Untersuchungsparameter, der
Lernumgebungen, erfordert auch eine neue forschungsstrategische Ausrichtung. Dazu wird, ausgehend von
geeigneten theoretischen Bezügen, eine zentrale Forschungsfrage mit entsprechenden Hypothesen
formuliert. Im Anschluss daran werden geeignete Methoden bestimmt und die Operationalisierung des
Forschungsprozesses konzipiert.
3.1
Forschungsansatz und Bezugstheorien
Bevor konkrete Forschungsmethoden und Analysetechniken der skizzierten Problemstellung bestimmt
werden, bedarf es einer Festlegung des theoretischen Betrachtungswinkels. Aufgrund der identifizierten
Forschungslücke steht die Frage im Zentrum, welche Lernumgebungen für individualisierte Lehr-/
Lernprozesse förderlich sind.
Das Konzept der Individualisierung basiert auf den Prinzipien der konstruktivistischen Lerntheorie und
muss von den Lehrer/innen laut bildungspolitischer Richtlinien in der Schulpraxis umgesetzt werden
(Salner-Gridling 2009, S. 17–18; BMB 2015). Die konstruktivistische Lerntheorie wird zwar im
wissenschaftlichen Diskurs kontrovers diskutiert, aber von zahlreichen Fachvertreter/innen anerkannt
(Triebel 2008, S. 14). SCHEUNPFLUG (2012) konstatiert gerade für Theorien im Bildungsbereich eine
sehr spezielle Situation. Da ihre Forschungsobjekte, wie etwa das Phänomen des Lernens, der Schule oder
des Unterrichts, immer in einem (schul)praktischen Kontext stehen, unterliegen die damit verbundenen
wissenschaftlichen Erkenntnisse einem gewissen Handlungszwang: Sie sollen für die Herausforderungen
und identifizierten Probleme in der Schulpraxis Lösungsansätze liefern. (vgl. dazu Scheunpflug 2012).
Verfolgt man die Entwicklung der lerntheoretischen Konzeptionen der letzten 30 Jahre, ist jedenfalls
die wachsende Bedeutung der konstruktivistischen Lerntheorie unübersehbar. Sie ist sowohl
wissenschaftlich als auch in der Praxis schulischen Lernens in jeweils unterschiedlichen Ausprägungen
verankert. Bisher wurden konstruktivistische Vermittlungs- und Aneignungsprozesse im GW-Unterricht
anhand ausgewählter didaktischer Konzepte und Modelle untersucht und hinterfragt, wie diese dem/der
Lehrer/in und dem/der Schüler/in eine sinnvolle Unterstützung sein könnten, um relevante
schulgeographische Inhalte und Methoden in individualisierte Lehr-/ Lernprozesse überzuführen (Pichler
und Vielhaber 2012).
Die Analyse des aktuellen Forschungsstandes hat gezeigt, dass in der konstruktivistischen Lerntheorie
die Bedeutung von Lernumgebungen zwar betont, der Begriff jedoch nicht näher definiert wird. Deshalb
36
muss für die Einbindung der Lernumgebungen in ein gesamtheitliches fachdidaktisches Forschungskonzept
der Begriff im Vorfeld geschärft werden (vgl. dazu 3.2.1).
Aufgrund der vermuteten Bedeutung von Lernumgebungen für das Forschungsvorhaben bieten sich
auch raum- oder organisationstheoretische Betrachtungsweisen an, wie beispielsweise die
Organisationstheorie von LUHMANN (1993) oder die Raumsoziologie von LÖW (2001). Luhmann
versteht Organisationen als soziale Systeme, die durch die Kommunikation von Entscheidungen entstehen.
Löw hebt in ihrer Arbeit die Dualität von Räumen, sprich die Abhängigkeit sozialen Handelns von
räumlichen Strukturen hervor. Der von Löw entwickelte prozessuale Raumbegriff versucht damit die
traditionelle Trennung des sozialen und materiellen Raumverständnisses zu überwinden. Ihre Annahme,
dass durch „repetitive Handlungen räumliche Strukturen rekursiv reproduziert werden“ (Löw 2001, S. 263),
bietet gerade für die Gestaltung von Lehr-/ Lernprozessen unter schulischen Rahmenbedingungen
interessante Ansätze.
Ähnliche Erwartungen knüpfen sich an die Raumkonzeptionen von WARDENGA (2002), die im
Rahmen dieser Arbeit untersucht werden. Da der Fokus dieser Untersuchung auf förderlichen
raumbezogenen Rahmenbedingungen für individualisierte Lehr-/ Lernprozesse im Unterrichtsfach GW
liegt, bedarf es einer Theorie, die dafür einen entsprechenden Erklärungsrahmen liefert. Dementsprechend
wird die konstruktivistische Lerntheorie als zentrale Bezugstheorie gewählt, und ihre Annahmen werden der
Organisation schulischen Lernens gegenübergestellt.
Für die Lernumgebungen, als neu zu untersuchende Einflussgrößen auf die Lernprozesse, ist die
Fallstudie als Forschungsstrategie besonders geeignet. Mit der deduktiven Vorgehensweise können aus den
empirischen Daten der beiden Fallstudien, Rückschlüsse auf die theoretischen Annahmen der
konstruktivistischen Lerntheorie gezogen werden (Egner 2010, S. 59–63).
In diesem Rahmen können die jeweiligen Elemente, die eine Lernumgebung ausmachen, in den
Fallstudien identifiziert und beschrieben und der Begriff der Lernumgebung geschärft werden. Mit den
daraus gewonnenen Erkenntnissen lassen sich Rückschlüsse auf die Theorie konstruktivistischen Lernens
ziehen und Anlässe für weitere Forschungsarbeiten in der Fachdidaktik GW schaffen.
Zusammenfassend bedeutet dies, dass ausgehend von der konstruktivistischen Lerntheorie ein
Fallstudienansatz verfolgt wird mit dem Ziel, erfolgsversprechende Bedingungen für die Umsetzung
individualisierten Lernens zu identifizieren. Wie bereits in Kapitel 2 erwähnt, werden Erkenntnisse
verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen, beispielsweise aus den Bereichen Bildungswissenschaften,
Soziologie, Architektur oder Neurowissenschaften einfließen. Trotz unterschiedlicher methodischer und
theoretischer Zugänge verfolgen sie als gemeinsames Ziel, die Frage nach optimalen Bedingungen für
erfolgreiches Lernen klären zu können.
37
3.2
Forschungsfragen und Hypothesen
Basierend auf der identifizierten Forschungslücke und den Bezugstheorien haben sich zwei semantisch
gehaltvolle Begriffe herauskristallisiert, die im Vorfeld der Forschungsfrage geschärft und für die vorliegende
Arbeit definiert werden müssen. Dies ist nicht nur für die Forschungsfrage und den damit verbundenen
Hypothesen von Bedeutung, sondern auch für die Konzeption der anschließenden empirischen
Erhebungen.
3.2.1
Schritt 1: Bestimmung semantisch gehaltvoller forschungsleitender Begriffe
Das Konzept der Individualisierung
Im Rahmen der Problemstellung und des aktuellen Forschungsstandes zu dieser Arbeit (vgl. dazu
Kapitel 1 und 2) wurde das Konzept der Individualisierung bereits thematisiert und die ihm
zugrundeliegenden Prinzipien der konstruktivistischen Lerntheorien in Ansätzen beschrieben. Vorab
werden die grundlegenden Aspekte des Konzepts der Individualisierung, inklusive der im entsprechenden
Diskurs kontroversiell vertretenen Aspekte vorgestellt. In Textfeld 5 ist die offizielle Definition von
Individualisierung des Bundesministeriums für Bildung angeführt. Seit dem Schuljahr 2007/08 setzte die
Schulaufsicht in Wien einen Schwerpunkt auf die Umsetzung von Maßnahmen zur Individualisierung und
Differenzierung in den Wiener Schulen (Stadtschulrat für Wien 2007).
Definition Individualisierung laut Bildungsministerium
„Unter Individualisierung wird die Gesamtheit aller unterrichtsmethodischen und lern-
/lehrorganisatorischen Maß nahmen verstanden, die davon ausgehen, dass das Lernen eine ganz
persönliche Eigenaktivität jeder einzelnen Schülerin bzw. jedes einzelnen Schülers selbst ist, und die
darauf abzielen, die Schülerinnen und Schüler dabei gemäß ihrer Persönlichkeit, ihrer
Lernvoraussetzungen und Potenziale bestmöglich zu fördern und zu fordern.“
Textfeld 5: Begriffsbestimmung Individualisierung – eine erste Annäherung (BMUKK 2013)
Diese Begriffsdefinition deckt sich mit anderen Publikationen zu diesem Thema, die zum Teil völlig
identisch sind. Geringfügige Unterschiede finden sich lediglich in der Wortwahl (vgl. dazu Kapitel 5.1
Salner-Gridling 2009; Helmke 2013)
Für die geplante empirische Erhebung sind jedoch auch die kontroversiellen Ansichten rund um das
Konzept der Individualisierung zu berücksichtigen. HELMKE (2013) kritisiert, dass dieses Konzepts häufig
als eine Art „Allheilmittel, das Universalkonzept für einen angemessenen Umgang mit Vielfalt“ (Helmke
2013, S. 34) verstanden wird. In seiner Argumentation fällt auf, dass seine Zweifel an der Individualisierung
38
nicht nur mit dem Konzept an sich zusammenhängen, sondern dass er mit Hinweis auf die „derzeit
herrschenden Bedingungen“ (siehe Zitat unten) auf die strukturellen Rahmenbedingungen schulischen
Lernens aufmerksam macht. Damit thematisiert er einen zentralen Aspekt, der auch für die Analyse von
Lernumgebungen in Teil III dieser Arbeit von Bedeutung ist.
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