DISSERTATION / DOCTORAL THESIS
Titel der Dissertation / Title of the Doctoral Thesis
„Gestaltete Lernumgebungen
zur Förderung individualisierter Lernprozesse -
Betrachtungen aus der Geographie und Wirtschaftskunde
(GW)“
verfasst von / submitted by
Mag. Heidrun Edlinger
angestrebter akademischer Grad / in partial fulfilment of the requirements for the degree of
Doktorin der Philosophie (Dr. phil.)
Wien / Vienna, 2017
Studienkennzahl lt. Studienblatt
Degree programme code as it appears on the student
record sheet
A 092 452
Dissertationsgebiet lt. Studienblatt Studienblatt
field of study as it appears on the student record sheet
Dr. Studium der Philosophie Geographie UniStG
Betreut von / Supervisor
Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Christian Vielhaber
2
3
Eidesstattliche Erklärung
Ich erkläre eidesstattlich, dass ich die Arbeit selbständig angefertigt, keine anderen als die angegebenen
Hilfsmittel benutzt und alle aus ungedruckten Quellen, gedruckter Literatur oder aus dem Internet im
Wortlaut oder im wesentlichen Inhalt übernommenen Formulierungen und Konzepte gemäß den
Richtlinien wissenschaftlicher Arbeiten zitiert, durch Fußnoten gekennzeichnet bzw. mit genauer
Quellenangabe kenntlich gemacht habe. Diese schriftliche Arbeit wurde noch an keiner anderen Stelle
vorgelegt.
....................................................................
Wien, im Juni 2017
Unterschrift
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VORWORT
„Ein neues Schulsystem entwerfen und für das Fach GW eine neue fächerintegrierende Funktion
entwickeln!“ - Das war meine erste Idee als es um die inhaltliche Orientierung meiner Diplomarbeit ging.
Mittlerweile liegt dieses Vorhaben schon mehr als zehn Jahre zurück. Diese aus meiner heutiger Sicht naiv
anmutende weltverändernde Vision wurde nie Realität, zumindest nicht in meiner Diplomarbeit. Die
Unzufriedenheit mit dem System blieb, verstärkte sich mit der Schulpraxis und wurde begleitet von der
Suche nach den Kernproblemen schulisch organisierten Lernens. Nun ist sie der Antrieb für eine
tiefgreifende Auseinandersetzung mit eben diesen im Rahmen einer Doktorarbeit.
Die Erinnerung an meinen eigenen GW-Unterricht sind wöchentliche Stumme-Karten-Tests bezogen
auf Europa oder die Welt und die Wiedergabe einer auswendig gelernten Definition von Dumping-Lohn.
Meine Schulzeit war rückblickend definitiv nicht der Grund, warum ich GW-Lehrerin werden wollte.
Vielmehr beeinflussten mich Erfahrungen in Lateinamerika: Als Reisende, Impro-Deutschlehrerin und als
Gartengestalterin und -beraterin eines Heilgartens für eine Klinik in Nicaragua.
Während meines Lehramtsstudiums kam ich insbesondere in GW in den Genuss einiger inspirierender
und motivierender Lehrveranstaltungen. Es war schön, dass meine Motivation, als Lehrerin neue, innovative
Wege zu verfolgen, geteilt und unterstützt wurde. Jugendliche in ihren unterschiedlichen Interessen zu
begleiten und sie zu kritischem Denken und verantwortungsvollem Handeln anzuregen, war eine
persönliche Triebfeder für den Abschluss meines Lehramtsstudiums. In den wenigen und sehr geschützten
Praxisstunden während der Ausbildung entwickelte sich in meinem Kopf ein wunderbares Bild, wie
zukunftsfähiges und vor allem sinnvolles Lernen aussehen könnte: mit Schüler/innen zu forschen; Themen,
die ihnen am Herzen liegen zu bearbeiten; Erfahrungen und Meinungen zu bestimmten Problemstellungen
auszutauschen und kritisch zu hinterfragen.
Mit diesem Bild im Kopf ging es schließlich hoch motiviert in die Schulpraxis. Und da kam die große
Ernüchterung: Auf der einen Seite hatte ich viele Ideen und Konzepte, wie Lehr- und Lernprozesse optimal
zu gestalten seien, auf der anderen Seite kam es schnell zur Konfrontation mit den Rahmenbedingungen
schulischen Lernens. Sobald etwas außerhalb der Norm des Regelschulsystems war, hieß dies viele
bürokratische Hürden überwinden, sowie Anfeindungen von Kollegen/Kolleginnen wegen
„Stundendiebstahls“ und der Durchführung vorgeblich unsinniger Projekte hinzunehmen.
Zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn führte ich vieles auf die eigene Unerfahrenheit zurück, kämpfte
mit Frustration und fand dann doch viele Kolleg/innen, die es ebenfalls anders machen wollten und es bis
heute auch tun. Ausgetretene Lehr-/Lernpfade zu verlassen, ist mit einem hohen Maß an persönlicher
Zufriedenheit und Genugtuung verbunden, kostet aber im bestehenden System sehr viel an Energie. Warum
also das System „Schule“, zumindest in Teilen, nicht ändern? Schließlich können auch geringe Änderungen
einem System neue Orientierung geben.
5
Die Räume in einer herkömmlichen Schule sind offensichtlich für ein veraltetes Lehr-/Lernverständnis
konzipiert. Diese Einschätzung bezieht sich nicht nur auf die strukturellen Rahmenbedingungen für jedwede
Unterrichtsgestaltung, sondern sie gilt auch für die Machtstrukturen, die den Unterricht vielfach bis heute
dominieren. Als Lehrer/in ist man stets im Zentrum der Klasse, weil der Lehrer/innen-Tisch nicht
verschoben werden kann. Eintrittsverbote und Klopfverbote für Räume, die den Lehrpersonen vorbehalten
sind, prägen den Schulalltag. Überlegungen zu oder gar Realisierungen von Rückzugsbereichen für
Schüler/innen und Lehrer/innen sind hingegen Mangelware. Der Tagesablauf ist durchkonzipiert, mit kaum
entspannungseffizienten Pausen. Raum und Zeit, um abseits des Unterrichts mit Schüler/innen ins
Gespräch zu kommen oder sich mit den Kolleg/innen auszutauschen, sind nicht vorgesehen.
Die von mir verfolgten Bildungsziele, wie Haltung zeigen, respektvoller Umgang miteinander,
Neugierde bewahren und entwickeln oder Handlungen für eine gerechtere Welt setzen, stehen den
schulischen Strukturen viel zu oft diametral entgegen. – Zeit etwas zu ändern!
6
7
DANKSAGUNG
DANKE an
| Patrick
Ň
Anton
Ň
ה
… für das wunderbare Leben und die Inspirationen zur Umsetzung meiner oft unausgegorenen Ideen.
DANKE an
| Familie
Ň
Freund/innen
Ň
Kolleg/innen
…für die Unterstützung in den unterschiedlichsten Phasen dieser Arbeit, anregende Gespräche, kritische
Kommentare, motivierende Zusprüche, Schaffung von Möglichkeiten und einfach dafür, dagewesen zu sein,
wenn es notwendig war.
DANKE an
Ň
Christian
…für den intensiven Betreuungsprozess dieser Arbeit, der mich vieles gelehrt hat – vor allem trotz
Widerständen Haltung zu bewahren und für junge Menschen einzustehen!
Ň
Inge
Ň
Romana
Ň
Andreas
…für das Lektorat und die Transkription und die dafür notwendige zeitliche Flexibilität.
Ň
Schüler/innen
Ň
Lehrer/innen
Ň
Schulleitung der beiden Fallstudien
…für die interessanten und anregenden Interviews.
und DANKE an
alle, die ihre Visionen und Haltungen nicht aufgeben, mit Kindern und Jugendlichen immer wieder neue
Lernspuren entwickeln und beschreiten.
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ABSTRACT DEUTSCH
Die gesamtgesellschaftlichen Veränderungen in der Wissensgesellschaft betreffen nicht nur die Inhalte
des GW-Unterrichts an sich, sondern führen auch zu einem Wandel schulischer Lernkulturen.
Lernumgebungen sollen den Schüler/innen individuelle Zugänge ermöglichen und zum Handeln
motivieren, um Interessen zu entwickeln und Neugierde zu bewahren.
Mit seiner raumbezogenen und sozialwissenschaftlichen Ausrichtung können im Rahmen des
Unterrichtsfaches GW interessante theoretische Konzepte vorgelegt werden, um schulpraktische
Rahmenbedingungen kritisch zu reflektieren. Aus diesem Grund richtet sich der fachdidaktische Fokus
dieser Arbeit nicht ausschließlich auf die Betrachtung methodischer und inhaltlicher Zusammenhänge des
Unterrichtsfaches, sondern untersucht die Bedeutung schulischer Lernumgebungen für individualisierte
Lehr- und Lernprozesse. Dieser erweiterte Blickwinkel generiert neue Erkenntnisse, die sowohl für die
Professionalisierung von Lehrer/innen als auch für die Weiterentwicklung theoretischer Konzepte und
Modelle der Fachdidaktik GW relevant sind.
Zwei Fallstudien (Gymnasium in Wien Ö/ Häuser des Lernens in Romanshorn CH), die
unterschiedliche organisatorische und räumliche Voraussetzungen für individualisiertes Lernen aufweisen,
dienen der Erforschung einer in der GW-Fachdidaktik empirisch noch relativ wenig untersuchten
Fragestellung. Spannende Erkenntnisabgleiche ergeben sich aufgrund der Anwendung mehrerer
Forschungsmethoden, wie Interviews mit verschiedenen Akteur/innen, Dokumentenanalyse, teilnehmende
Beobachtung, Erstellung von Aktivitätsdiagrammen und Mental Maps sowie einer Bilddokumentation und
Analyse. Dieser mehrperspektivische Zugang rückt für weiterführende Forschungsarbeiten in der
Fachdidaktik GW neue Aspekte in den Vordergrund.
Es zeigt sich, dass sich räumliche und organisatorische Strukturen sehr stark auf die Gestaltung aber
auch auf den Erfolg individualisierter Lehr- und Lernprozesse auswirken. Eine positive Beziehung zwischen
Lehrer/in und Schüler/in ist beispielsweise ein entscheidender Faktor. Um diese optimal entwickeln zu
können, bedarf es auch entsprechender Strukturen in den Lernumgebungen. Ebenso verhält es sich mit der
Vielfalt an Vermittlungsoptionen in Bezug auf die Erschließung fächerspezifischer Inhalte. Sie werden durch
starre schulische Organisationsstrukturen und die ebenso starre Ausstattung von Lernräumen eingeschränkt.
In diesem Kontext werden Optionen diskutiert, wie sinnvolle schulische Lernräume für
sozialwissenschaftliche Fächer, wie beispielsweise GW, aussehen können.
9
ABSTRACT ENGLISH
Social changes in the knowledge society do not only affect the contents of school geography, they also
lead to a change of learning cultures in schools. Learning environments should enable the development of
student´s interests and retain their curiosity through the encouragement of individual approaches.
Schoolgeography, with its focus on spatial theories and sociology, delivers interesting theoretical
approaches to reflect the formal structures of school and its environments critically. For this reason, the
subject-didactical focus of this investigation is not only oriented towards the study of methodological and
content-related coherences, but also to explore the importance of learning environments in schools for
individualized teaching and learning processes. This widened perspective generates new insights, which are
relevant for both, the professionalization of teachers and the further development of theoretical concepts
and models for school geography didactics.
Two case studies (Secondary School in Vienna, Austria/ „Häuser des Lernens“ in Romanshorn,
Switzerland), present different organizational and spatial conditions for individualized learning processes.
This focus will provide interesting aspects for an empiric barely explored issue within the research field of
subject didactics of school geography. Thanks to a multi-perspective approach regarding applied methods,
new aspects for research in subject-didactics of school geography arise. The approach includes methods like
interviews with different actors, document analysis, participatory observation, activity diagrams, mental
maps and photo analysis.
The case studies demonstrate that given learning spaces and organizational structures have a strong effect
on the designing of learning environments and therefore on the success of individualized teaching and
learning processes. Furthermore a positive relationship between teachers and students is a crucial factor,
which requires adequate structures in the school. Adequate structures are also needed for subject-didactical
decisions, because they become restricted due to rigid organizational structures and due to the technical
facilities of learning spaces. In this context different options will be discussed in terms of how meaningful
learning spaces for social subjects such as school geography could be designed.
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INHALT
ERSTER TEIL FOKUS
1
T
Thema und Problemstellung ....................................................................................... 17
1.1 Lernherausforderungen
im
gesellschaftlichen Kontext ............................................................. 17
1.2
Realitäten der Schulpraxis ....................................................................................................... 20
2
F
Forschungsstand und Forschungslücke ........................................................................ 25
2.1
Fachdidaktische Forschungsbeiträge in der GW ...................................................................... 25
2.2 Forschungsbeiträge
anderer
wissenschaftlicher
Disziplinen ...................................................... 30
3
F
Forschungsdesign ....................................................................................................... 35
3.1
Forschungsansatz und Bezugstheorien .................................................................................... 35
3.2 Forschungsfragen
und
Hypothesen
.........................................................................................
37
3.3 Bestimmung
des
Methodenpakets
...........................................................................................
49
3.4 Forschungsstrategie
Fallstudie
................................................................................................. 50
3.5 Operationalisierung
des
Forschungsvorhabens ........................................................................ 55
3.6
Struktur der Studie und Erwartungshorizont .......................................................................... 69
ZWEITER TEIL LERNEN
4
L
Lernen im Wandel der Zeit ........................................................................................ 75
4.1
Die Logik schulischen Denkens .............................................................................................. 75
4.2
Schulisches Lernen im Spiegel der Wissensgesellschaft ............................................................ 82
4.3
Lernvorstellungen aus theoretischer Perspektive ...................................................................... 94
5
P
Perspektiven des Lehrens und Lernens im Konzept der Individualisierung .................. 106
5.1
Begriffsbestimmung, Abgrenzung und Kritik ........................................................................ 106
5.2
Die Beziehung macht den Ton ............................................................................................. 113
5.3
Didaktische Professionalität von Lehrenden .......................................................................... 119
5.4
Didaktische Prinzipien und die Schüler/innen-Perspektive ................................................... 133
5.5
Konzepte erfolgreichen Lernens ............................................................................................ 142
6
L
Lernen in Geographie und Wirtschaftskunde............................................................. 152
6.1 Didaktische
Grundsätze
........................................................................................................ 152
6.2 Lebensweltliche
Bezüge
......................................................................................................... 158
6.3
Komplexe Fachinhalte und Methoden .................................................................................. 160
6.4 Fallbeispiel
schulisch-universitäres Kooperationspraktikum................................................... 164
DRITTER TEIL UMGEBUNG
7
E
Ein Analysekonzept für Lernumgebungen ................................................................. 173
7.1
Begriffsbestimmung und Systematisierung der Faktoren ....................................................... 173
7.2
Entwicklung eines Analyseinstruments für Lernumgebungen ................................................ 182
11
8
D
Dimension: Raumqualitäten ..................................................................................... 193
8.1 Allgemeine
Beschreibung
...................................................................................................... 193
8.2 Beschreibung
des
Schulgebäudes
...........................................................................................
195
8.3
Räumliche Atmosphäre und Objekte in den Gebäuden/ Nutzungsbereichen ........................ 212
8.4
Mögliche Konsequenzen für die Fachdidaktik GW ............................................................... 219
9
D
Dimension: Organisationsstrukturen ........................................................................ 221
9.1 Allgemeine
Beschreibung
...................................................................................................... 221
9.2 Räumliche
Organisation
....................................................................................................... 222
9.3 Zeitliche
Organisation
.......................................................................................................... 225
9.4 Personelle
Organisation
........................................................................................................ 229
9.5 Curriculare
Organisation
...................................................................................................... 234
9.6 Pädagogisch-didaktische
Organisation
..................................................................................
237
9.7
Mögliche Konsequenzen für die Fachdidaktik GW ............................................................... 243
10
D
Dimensionen: Didaktische Entscheidungen und Schul- und Lernkultur ..................... 245
10.1 Didaktische
Entscheidungen
................................................................................................. 245
10.2 Schul-
und
Lernkultur
.......................................................................................................... 247
11
D
Das Verhältnis zwischen den vier Dimension von Lernumgebungen ........................... 260
11.1
Zentrale Charakteristika individualisierter Lernprozesse ........................................................ 260
11.2
Theoretische Einbettung der Gestaltung von Lernumgebungen ............................................ 262
11.3 Analysebeispiele
basierend
auf
den Fallstudien ...................................................................... 269
12
R
Reflexionen zu Lernumgebungen individualisierter Lehr-/Lernprozesse ....................... 288
12.1
Potenziale eines Analyseinstruments für Lernumgebungen .................................................... 288
12.2
Charakteristika von Lernumgebungen für individualisiertes Lehren und Lernen ................... 293
Schlusswort und Ausblick ......................................................................................... 296
13
V
Verzeichnisse ........................................................................................................... 300
13.1 Literatur
............................................................................................................................... 300
13.2 Abbildungen
......................................................................................................................... 312
13.3 Tabellen
............................................................................................................................... 315
13.4 Textfeld
................................................................................................................................ 316
14
A
Anhang ................................................................................................................... 318
12
Testament
Sarah Lesch
(Lesch 2015)
(Lied online verfügbar unter:
https://www.sarahlesch.de/bild-ton/
Stand: 03.02.2017)
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