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Deshalb
finden sich, im Sinn einer konstruktivistischen Nutzung des Analyseinstruments, in jeder
Dimension offene Bereiche, die es erlauben, in Abhängigkeit von den individuellen Erkenntnissen und
standortspezifischen Besonderheiten ergänzende Kategorien einzubauen. Damit bekommt das Instrument
einen dynamischen Charakter, der es einerseits ermöglicht, nicht alle Faktoren zwingend aufgreifen zu
müssen (Abbildung 25), andererseits aber die Berücksichtigung zusätzlicher Faktoren zulässt.
Abbildung 25: Differenzierung von Kategorien innerhalb einer Dimension (eigene Darstellung 2017)
Als Hilfestellung für eine theoriegeleitete Identifizierung von Faktoren bzw. Kategorienbildung bietet
die Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft
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(2012), deren Arbeitsschwerpunkt auf
Kommunen und
Bildungseinrichtungen liegt, in einer ihrer Publikationen eine interessante Systematik. Fünf Autoren aus
den Bereichen Architektur, Pädagogik, Schulentwicklung und Stadtpolitik haben darin ihre Expertisen
hinsichtlich eines „pädagogisch und architektonisch zukunftsfähigen Schulbaus“ (Hubeli 2012, S. 6)
zusammengeführt. Der Fokus des gesamten Buches liegt auf der sogenannten „Phase Null“. Damit wird die
Vorlaufphase, des eigentlichen Bauprozesses von Schulen bezeichnet. In diesem Rahmen werden die
Bedürfnisse der Nutzer/innen erhoben und die Partizipation aller am Schulbau beteiligten Akteur/innen
integriert und koordiniert.
Betreffend die Qualitätsansprüche an schulische Lernräume, identifizieren die Autoren Eigenschaften,
die nicht als Gegensätze zu sehen sind, sondern als zwei Pole, zwischen denen räumliche Situationen präzise
beschrieben werden können (vgl. dazu Textfeld 30). Diese Aspekte beschränken sich jedoch nicht
ausschließlich auf die physisch materielle Ausstattung schulischer Lernräume. Die
Beschreibung der
Begriffspaare zeigt, dass das Verständnis von Raum auch das soziale Handeln im Raum integriert. Demnach
sind in diesem Kontext auch die Dimensionen der Organisationsstrukturen, didaktischer Entscheidungen
und der Schul- und Lernkultur von Bedeutung. Es bedarf somit einer Art Übersetzung der formulierten
Ansprüche an das soziale Handeln in konkrete räumliche Konstellationen.
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Detaillierte Informationen zum Tätigkeitsspektrum der Stiftung unter:
http://www.montag-
stiftungen.de/jugend-und-gesellschaft/stiftung-jugend-gesellschaft.html
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Räumliche Anforderungen aus pädagogischer Perspektive
flexibel und fest
Lernformationen müssen zügig und ohne großen Aufwand veränderbar sein. Gleichzeitig brauchen
die Schüler/innen einen Rahmen, der Sicherheit, Ordnung und Konzentration gewährleistet.
offen und geschlossen
Neben offenen Lernsituationen für selbstständiges Arbeiten brauchen die Schüler/innen auch
Führung und Kontrolle, um sich angesichts der Unübersichtlichkeit der Welt nicht zu „verirren“.
kontinuierlich und diskontinuierlich
Kontinuität und Stabilität von sozialen Beziehungen sind wichtige Voraussetzungen,
um konzentriert
und in Ruhe arbeiten zu können, aber es braucht auch konflikthafte Situationen und Erlebnisse, um
an diesen Herausforderungen wachsen zu können.
innen und außen
Die Schule ist ein weitgehend in sich geschlossener Mikrokosmos, und um die Welt in ihrer
Gesamtheit verstehen zu lernen, muss Komplexität zunächst reduziert werden. Gleichzeitig ist es aber
auch notwendig, sich der Komplexität zu stellen, um nicht von ihr überwältigt zu werden. Die Schule
übernimmt deshalb auch eine wichtige Funktion im kommunalen Bildungsnetzwerk.
ruhig und bewegt
Das Innehalten, Verweilen, angesichts der rasanten technischen und
technologischen Entwicklung
ist gerade mit der zunehmenden Beschleunigung durch die moderne Technik ein wichtiges Element
im Bildungsprozess. Gleichzeitig ist die geistige Beweglichkeit die Voraussetzung dafür, Neues und
Unbekanntes zu entdecken, denn erstarrendes Wissen wird zur Ideologie.
nah und fern
Kein/e Schüler/in lernt ausschließlich alleine. Lernen erfordert Anerkennung und
Auseinandersetzung mit anderen. Gleichzeitig ist Lernen im höchsten Maße ein individueller
Vorgang im eigenen Kopf, im eigenen Körper.
vielfältig und einheitlich
In einer globalisierten Welt kann nur bestehen, wer Vielfalt als Chance,
nicht als Bedrohung
wahrnimmt. Gleichzeitig braucht es aber auch ein gewisses Maß an kultureller und sprachlicher
Identität sowie verbindliche moralisch-rechtliche Standards, damit Menschen in einer durch Vielfalt
gekennzeichnete Gesellschaft ausreichend Halt und Sicherheit finden.
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bekannt und unbekannt
Lernen ist dann effektiv, wenn das neue Wissen an altes, bereits bekanntes andocken kann.
Gleichzeitig sind das Unbekannte und das Neue immer ein starker Antrieb zum Lernen.
robust und fragil
Schulgebäude müssen unterschiedlichsten Anforderungen hinsichtlich ihrer Funktion und
Alltagsbelastung genügen und entsprechend robust gebaut sein. Gleichzeitig müsste es aber auch
Raum für Persönliches und Privates, also für Intimität,
die immer auch fragil ist, geben, damit (junge)
Menschen sich an diesen Lernorten ein Stück zu Hause fühlen könnten.
unfertig und fertig
Die Entwicklung einer Schule kann, wenn man sie als offene Institution betrachtet, niemals
abgeschlossen sein. Gleichzeitig trägt Bildung dazu bei, dass der/die Einzelne seine Identität, die auch
den Aspekt des Abgeschlossenen in sich trägt, gewinnt und festigt.
Textfeld 30: Räumliche Anforderungen an die Schule aus pädagogischer Perspektive (gekürzt nach Hubeli 2012, S. 80–90)
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