Elisabeth Buddenbrook, geb. Kröger, stirbt im Herbst des Jahres 1869 hochbetagt
an den Folgen einer Lungenentzündung. Es ist eine Krankheit, die im hohen Alter oft
tödlich ausgeht und an der man sich bei naßkaltem Wetter (Bethsy stirbt im November)
ein Buch in der Hand. "Was lesen Sie da eigentlich?" fragt Tony (M,I,130). Und Morten
tut, was wir gerade getan haben, er blättert sein Buch "von hinten nach vorne durch.
'Ach, das ist nichts für Sie, Fräulein Buddenbrook! Lauter Blut und Gedärme und
Elend... Sehen Sie, hier ist gerade von Lungenödem die Rede, auf deutsch: Stickfluß.
Dabei sind nämlich die Lungenbläschen mit einer so wässerigen Flüssigkeit angefüllt...
das ist hochgradig gefährlich und kommt bei Lungenentzündungen vor. Wenn es schlimm
glücklichen Travemünde-Episode bleibt, traurig, ja tragisch ist. Durch Morten
genauestens belehrt, kann sie am Sterbebett ihrer Mutter die typischen Symptome des
Lungenödems fachmännisch erklären: "Ich weiß es (...). Es kommt bei
Lungenentzündungen oft vor... Es hat sich dann so eine wässerige Flüssigkeit in den
atmen..." (M,I,566). Nicht nur die Mappe mit den Familienpapieren, die stets eine
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besondere
Rolle spielt, auch Mortens Anatomiebuch übernimmt hier die Funktion des
offenliegenden 'Buchs des Schicksals'. Daß er es einmal von hinten nach vorn
durchblättert, ist sogar ein expliziter Hinweis darauf, daß das hier Gesagte im weiteren
Romanverlauf bedeutsam werden könnte.
Ein zweites Mal noch kommt der Erzähler ganz nebenbei auf die Krankheit zu
sprechen, an der die Konsulin sterben wird. Der Tag, an dem Tony nach ihrer
überstürzten Trennung von Permaneder nach Hause zurückkehrt, ist "ein Tag gegen
Ende des November, (...) einer von den Tagen, an denen (...) eine Lungenentzündung
wohlfeil zu haben war" (M,I,370). Die Konsulin stirbt, Jahre später, im gleichen Monat.
Wie der Tod Jeans ist auch der Bethsys mit einer Reihe anderer Szenen verknüpft.
Das kosmische Begleitspiel - die Rolle von Jahreszeit, Tageszeit und Wetter, die eine
Episode begleiten - ist in Buddenbrooks von großer Bedeutung.
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Beschreibungen des
Wetters können vorausdeutende Funktion haben, sie können
eine Bewertung des
momentanen Geschehens nahelegen, sie können auf die Innenperspektive einer
Romanfigur verweisen, der es in der Situation nicht möglich ist, sich selbst zu äußern,
und sie können Szenen miteinander verknüpfen, wie es etwa am Beispiel des Gewitters
bei Jeans Tod und am Tag des Firmenjubiläums gezeigt wurde.
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Am Sterbetag der Konsulin wird das Wetter wie folgt beschrieben: "Der Wind fuhr
in den kalten Regen, der herniederging, und trieb ihn prasselnd gegen die
Fensterscheiben" (M,I,565). Eine wörtlich fast identische Beschreibung des Wetters
findet sich - hier mit vorausdeutender Funktion - bereits ganz zu Beginn des Romans,
beim Festessen (M,I,40), dann an dem Tag, an dem Grünlich nach Travemünde kommt,
um Tony zurückzuholen (M,I,149), und ganz am Ende, bei der letzten
Familienzusammenkunft (M,I,755). Dadurch sind Stellen des Romans, an denen das
Geschehen sich zum Traurigen wendet, miteinander verklammert - mit Ausnahme der
ersten, die zu einer anscheinend noch sorglosen Zeit bereits auf die anderen
vorausweisen soll.
Dies alles erklärt jedoch noch nicht, warum Bethsys Sterben so langsam, qualvoll
und grausam vor sich geht. Und es würde auch unklar bleiben, zöge man nicht erneut
Schopenhauers Philosophie zur Erklärung heran.
In seinem Werk Die Welt als Wille und Vorstellung schreibt er, daß im
menschlichen Leben der unbewußte Wille zum Leben die Haupttriebkraft sei. "Unseren
Trieben und Wünschen hingegeben, werden wir nie dauerndes Glück noch Ruhe finden.
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Vgl. Tschol-Za Kim: Funktionen der Natur im Frühwerk Thomas Manns, Diss. Bonn 1970,
S.142ff und Matthias:
Erzählweise, S.49
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Vgl. hierzu Manfred Jurgensen:
Die Erzählperspektive, in: Moulden, von Wilpert (Hrsg.):
Do'stlaringiz bilan baham: