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Tony beendet ihre Katechismus-Rezitation mit einer Bauernregel, die Ida Jungmann
ihr beigebracht hat: "Wenn es ein warmer Schlag ist, (...) so schlägt der Blitz ein. Wenn
es aber ein kalter Schlag ist, so schlägt der Donner ein!" (M,I,13). Sowohl das
Gewitter, das Jeans Tod mit auslöst und begleitet, als auch das, das die Pöppenrader
Ernte vernichten wird, sind mit dieser ahnungslos gemachten Äußerung angedeutet.
Weitere Korrespondenzen zwischen Jeans Sterbeszene und dem hundertjährigen
Firmenjubiläum bestätigen diesen Zusammenhang.
Beide Male wird darauf hingewiesen, daß "das Barometer plötzlich gefallen" sei
(M,I,245/480), beide Male erlischt der Glanz auf Gemälden und Möbeln
(M,I,247/491). Auch ist der "Schlag", von dem Tony spricht, in mehrfacher Bedeutung
zu verstehen. Mit dem Blitz- und Donnerschlag des Gewitters geht der Herzschlag des
Konsuls einher, der zugleich auch der Firma einen gewaltigen Schlag versetzen wird.
Denn Thomas nimmt verhängnisvollerweise nach dem Tod seines Vaters Herrn Marcus
als Kompagnon auf. Und ebenso ist der Gewitterschlag in der zweiten Szene auch
Auslöser eines vernichtenden Schlages für die Firma, indem er die Ernte zerstört, wobei
der rein materielle Verlust eher zu verschmerzen wäre als der Schlag, den dieses
Ereignis Thomas' Selbstvertrauen versetzt.
Jeans Sterbeszene wird aber auch noch an einer anderen früheren Stelle
andeutungsweise vorweggenommen. Als er am Tag der Lübecker 1848er "Revolution"
aufbricht, um in die Bürgerschaft zu gehen, bittet seine Frau ihn eindringlich, er möge auf
ihren Vater, Leberecht Kröger, achtgeben. Zweimal wiederholt sie ihre Worte "Ach, ich
ängstige mich, ich ängstige mich!" (M,I,181). Und ihr ungutes Gefühl gibt ihr im
nachhinein recht: Leberecht Kröger überlebt diesen Tag nicht.
Mit genau den selben Worten verleiht sie auch in der späteren Szene im
Landschaftszimmer ihrer Angst Ausdruck. Wer sich als Leser hier an die gleiche
Äußerung vor dem Tod ihres Vaters erinnert, für den ist der Tod des Konsuls weniger
überraschend. Zudem wird der Aufruhr, der 1848 in Lübeck herrscht, vom Erzähler
explizit mit einem Gewitter verglichen, so daß auch hierin die spätere Szene im
Landschaftszimmer vorweggenommen wird: "Die eingeschlossenen Herren plauderten
miteinander wie Leute, die während eines heftigen Gewitters beisammensitzen, von
anderen Dingen reden und manchmal mit ernsten und respektvollen Gesichtern auf den
Donner horchen" (M,I,189).
Dadurch, daß wichtige Szenen des Romans mit einer Vielzahl anderer durch solche
Beziehungen verknüpft sind, klingen in jeder dieser Szenen Vergangenes, Gegenwärtiges
und Zukünftiges zusammen.
Die Notwendigkeit des Romangeschehens ist also auf mehreren Ebenen gegeben. Es
gibt zum einen eine realistische Ebene, die auf bestimmten Fakten und Gegebenheiten
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basiert; und es gibt zum anderen eine
symbolische Ebene, von der ausgehend eine
mögliche Deutung sich vor allem dadurch anbietet, daß manche Szenen in
offensichtlicher Beziehung zueinander komponiert worden sind. Eine Interpretation auf
dieser zweiten Ebene folgt einer Sichtweise, die Schopenhauer als "Fatalismus höherer
Art", als "transzendenten Fatalismus" bezeichnet (S,VII,224).
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