2.2.1.2 Erweiterung des Phraseologismus durch weitere Ausdrücke
Burger und Koll. sprechen nur über Hinzufügung eines Adjektivs oder Genitivattributs, aber der Phraseologismus kann auf verschiedene Weise erweitert werden. Weitere Beispiele führt Fleischer an (vgl. Fleischer 1982, 211 – 212). Er spricht über sog. „phraseologische Variation als Erweiterung“, aber es handelt sich vielmehr über Veränderungen, die wir unter den Begriff „Modifikationen“ einordnen können. Er nennt zum Beispiel Erweiterung unter Bezug auf die verbalen Komponenten oder den ganzen Phraseologismus (Erweiterung als Adverbialbestimmung, z. B. (...), die mit allen Wassern, auch mit Blut, gewaschen sind. Nach: mit allen Wassern gewaschen sein), Erweiterung von Wortpaaren durch ein drittes Element (z. B. Schritt für Schritt für Schritt) oder Erweiterung durch einen Relativsatz.
Diese Art von Modifikation wird leicht vorgenommen und hat fast keine Folgen für die Semantik des Phraseologismus. Dieses Verfahren ist in journalistischen Texten ganz beliebt, weil es „bildhafte“ Schreibweise ermöglicht, die gleichwohl leicht durchschaubar ist.
Nach meiner Feststellung tritt dieses Verfahren der Modifikation häufiger im SPIEGEL auf; siehe Beispiele:
(1) ... einigen sich die Regierungsparteien stets auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Sie verteilen Geld, das sie nicht haben, und beschlieβen neue Belastungen. (Die Koalition der Unwilligen, DER SPIEGEL, Nr.19 / 8.5.2006, S. 22)
Im Lexikon steht nur: „etw. auf einen gemeinsamen Nenner bringen“ = etw. in Übereinstimmung bringen. Hier geht es um Kombination von zwei Modifikationsarten. Zuerst ändert die Substitution „bringen“ -› „sich einigen“ die Semantik des Phraseologismus und weiter wird das Phrasem durch das Adjektiv „klein“ im Superlativ erweitert.
(2) „Die Politik greift dem Bürger unverfroren in die Tasche“, schimpft ein Artz aus dem benachbarten Walsrode. (Die Koalition der Unwilligen, DER SPIEGEL, Nr.19 / 8.5.2006, S. 22)
Das Lexikon führt nur an: „in die Tasche greifen müssen“ (ugs.) = bezahlen müssen. Der Journalist lässt wieder einen Menschen reden. Der Arzt modifiziert in seiner Rede ein bisschen das im Lexikon erfasste Phrasem, aber diese Modifikation ist unter den Menschen sehr gut bekannt. Interessanter ist die Adverbialbestimmung „unverfroren“, die die Expressivität des ganzen Ausdrucks wesentlich betont.
(3) Unerträglich: Man sah ihn praktisch live im Niedergang begriffen, dass fassten einem kalt ans Herz. („Jede Chemo ein Gedicht“; DER SPIEGEL Nr. 27 / 3.7.2006, S. 129)
Im Lexikon steht: „j-m ans Herz gehen/greifen/rühren“ (geh.) = j-m nahe gehen. Die Veränderung in der verbalen Komponente können wir beiseite lassen. Wichtiger ist die Erweiterung des Phrasems durch Adverbialbestimmung „kalt“. Das ganze Phrasem wirkt auf Emotionen des Lesers. In diesem Ton wird der ganze Artikel (Nachruf zum Tod des Dichters Robert Gernhardt) geschrieben (siehe unten, S. 52).
(4) Nur einer blieb, er war der Erste und der Letzte, der Entdecker Tangers und sein langlebigster Mythos: Pausl Bowles. Der Autor von Himmel über die Wüste starb 1999, und mit ihm riss der letzte Faden, der Tangers legendäre Vergangenheit mit seiner unauffälligen Gegenwart verband. (Tanger erwacht, DIE ZEIT, Nr. 27 / 29. Juni 2006, S. 65)
Im Lexikon steht: „der Faden ist gerissen“ = der bisher flieβende Fortgang einer Handlung ist unterbrochen, es tritt ein plötzlicher Leistungsabfall auf. Die substantivische Komponente wird durch Adjektiv „letzte“ erweitert. Dieses Phrasem drückt leichte Ironie in der Reportage über die marokkanische Stadt Tanger aus.
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