2.2.1 TYPEN DER MODIFIKATIONEN
2.2.1.1 Lexikalische Substitution
Bei der lexikalischen Substitution wird ein Wort eines Phraseologismus gegen ein anderes ausgetauscht. Das kann unterschiedliche Folgen haben, je nach der semantischen Beziehung zwischen Ausgangswort und Ersatzwort und je nach dem Typ des Phraseologismus. Ich zeige es an konkreten Beispielen. Zuerst Beispiele aus dem SPIEGEL:
(1) Bei der Normenkontrollklage Berlins auf Finanzhilfe durch den Bund werden die Richter den Ball wohl an die Politik zurückspielen. (Harte Auflagen, DER SPIEGEL, Nr. 18/ 29. 4. 2006, S. 22)
Es handelt sich um einen aktualisierten Gebrauch vom Phraseologismus „sich gegenseitig die Bälle zuwerfen / zuspielen“ = sich durch Fragen, Bemerkungen geschickt im Gespräch verständigen, unterstützen. Die Veränderung in der verbalen Komponente des Phrasems ändert auch Bedeutung des Phrasems. Es ist kein Zufall, dass gerade dieser Satz ganz am Anfang einer Nachricht steht (siehe Anlage Nr. 2). Der Autor fesselt auf diese Weise die Aufmerksamkeit des Lesers und erweckt bei ihm Interesse an dem ganzen Artikel. Die Änderung „Bälle“ x „Ball“ können wir nur als grammatische Variante betrachten.
(2) Ausgerechnet der Senior der politischen Klasse soll das Bürgerkriegsland in ruhigere Bahnen lenken und dabei noch das Kunststück vollbringen, die maoistischen Rebellen einzubinden. (Störrische Maoisten, DER SPIEGEL, Nr. 18/ 29. 4. 2006, S. 104)
Das im Lexikon erfasste Phrasem lautet: „etw. in die richtige Bahn lenken“ = dafür sorgen, dass sich etw. in der vorgesehenen oder wünschenswerten Weise entwickelt. Hier wird das Wort „richtig“ gegen das Wort „ruhiger“ ausgetauscht. Bei der Veränderung „Bahn“ x „Bahnen“ handelt es sich um eine grammatische Variante (vgl. oben, S. 35). „Das Kunststück vollbringen“ ist Metapher. Der Austausch in der adjektivischen Komponente hat keinen besonderen Einfluss auf die Semantik des Phrasems, aber interessant ist, dass wieder diese zwei Bilder ganz am Anfang der Nachricht stehen (siehe Anlage Nr. 2).
(3) Seit Wochen schon ringen die Unterhändler von Union und SPD um den richtigen Weg. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht ein neuer Vorschlag getestet wird – um kurz darauf wieder kassiert zu werden. (Kollektiv verantwortungslos; DER SPIEGEL Nr. 27 / 3.7.2006, S. 19)
Im Lexikon steht: „auf dem richtigen Weg sein“ = Recht haben, das Richtige tun, um etw. zu erreichen. Durch diese lexikalische Veränderung in der verbalen Komponente des Phrasems wollte der Verfasser das Phrasem aktualisieren, aber sonst hat diese Modifikation keinen besonderen Einfluss auf die Perzeption des Textes (die Stilfärbung wurde nicht geändert).
(4) Bislang mussten sie [die Patienten] zwischen fünf und zehn Euro aus der eigenen Tasche zuschieβen. Sparsame Kunden sind nun aufgefordert, in der Apotheke eine möglichst preiswerte Arznei zu verlangen. (Kollektiv verantwortungslos; DER SPIEGEL Nr. 27 / 3.7.2006, S. 35)
Im Lexikon steht: „aus der eigenen Tasche bezahlen“ = selbst bezahlen. Der Autor dieses Absatzes hat hier absichtlich das neutrale Verb „bezahlen“ gegen das umgangssprachliche Verb „zuschieβen“ ausgetauscht. Er hat ein Wort aus der Alltagssprache der Menschen gewählt und damit zeigt er, dass er gleich wie die meisten Menschen spricht und denkt und auf der Seite des Lesers steht.
(5) Die Ratlosigkeit hat alle Flügel der Sozialdemokraten erfasst. Wie sollen sie ihren Wählern verständlich machen, dass sie im Alter länger arbeiten sollen? (Bedrohliche Mischung; DER SPIEGEL Nr. 27 / 3.7.2006, S. 37)
Im Lexikon ist angeführt: „j-m die Flügel beschneiden oder stutzen“ = jmds. Tatendrang einschränken. Durch Substitution „die“ -› „alle“ wurde die Unmöglichkeit aller Reformen betont. Substitution „beschneiden/stutzen“ -› „erfassen“ hat keinen besonderen Einfluss auf die Bedeutung des Phrasems.
(6) Nach der Wende wurde DDR-Chef-Indianer Gojko Mitic gesamtdeutscher Winnetou. Jetzt reitet er in die ewigen Jagdgründe. (Apatsche in der Patsche; DER SPIEGEL Nr. 27 / 3.7.2006, S. 128)
Im Lexikon steht: „in die ewigen Jagdgründe eingehen“ (verhüllend) = sterben. Die Substitution „eingehen“ -› „reiten“ ist mit der Figur von Winnetou verbunden. Es handelt sich um okkasionelle Veränderung, die nur in diesem Kontext verwendet werden kann und neu, originell wirkt.
Beispiele aus der ZEIT:
(1) Sie beschwören Bach und Beethoven – und haben oft nur einen kruden Wertschöpfungspatriotismus im Sinn, damit die Nation im globalen Konkurrenzkampf die Nase vorn behält. Armes Deutschland. (Magie der Heiterkeit, DIE ZEIT, Nr. 25 / 14. Juni 2006, S. 1)
Im Lexikon steht: „die Nase vorn haben“ (ugs.) = den Sieg, Erfolg davontragen. Hier geht es um Substitution „haben“ -› „behalten“. Der Autor weist auf die Dauer des Geschehens hin. Das Verb „behalten“ bedeutet nämlich „etw. für eine längere Dauer bewahren“ (nach [zitiert am 1. März 2007]). Diese Substitution trägt zur Ironie bei (siehe Anlage Nr. 1).
(2) Der eine wollte die groβe institutionelle Reform, doch sie wurde ihm vor einem Jahr im gescheiterten Referendum von den Franzosen aus der Hand geschlagen. (Der Rat der Ratlosen, DIE ZEIT, Nr. 25 / 14. Juni 2006, S. 10)
Im Lexikon finden wir: „j-m etw. aus der Hand nehmen“ = j-m etw. entziehen. Die Substitution „nehmen“ -› „schlagen“ trägt wesentlich zur Expressivität bei. Das Verb „nehmen“ im Vergleich zu „schlagen“ lautet ganz neutral.
(3) Viele von ihnen griffen, im 30- Sekunden-Takt von Werbung verfolgt, irgendwann zum letzten sich bietenden Strohhalm – sie löschten die Festplatte und richteten den Rechner vollständig neu ein. (Die Unterwanderer, DIE ZEIT, Nr. 25 / 14. Juni 2006, S. 34)
Es geht um einen aktualisierten Gebrauch vom Phrasem: „nach dem rettenden Strohhalm greifen“ = die letzte Rettungsmöglichkeit wahrnehmen. Die adjektivische Komponente wird mit Worten, die besser in den Kontext passen, substituiert. Es handelt sich um einen okkasionellen Gebrauch.
(4) „Seit 30 Jahren graben wir um den heiβen Brei herum“, klagt Iris Gerlach, die Leiterin der Auβenstelle des DAI in Sanaa. (Der Schatz im Wüstensand, DIE ZEIT, Nr. 26 / 22. Juni 2006, S. 27)
Im Lexikon steht: „um den [heiβen] Brei herumreden“ (ugs.) = über etw. reden, ohne zum Kern der Sache zu kommen. In diesem Artikel informiert der Autor über die Arbeit der Archäologen im Jemen und über neue Ausgrabungen. Er lässt die Leiterin des Projekts sprechen. In ihrer Rede wurde innerhalb des Phrasems das Verb „herumreden“ gegen „herumgraben“ substituiert. Damit erweckt sie bestimmt die Aufmerksamkeit des Lesers. Durch diesen Austausch wird auch die Bedeutung des Phrasems wesentlich verändert.
(5) Auf welch wackligen Beinen die gängigen Erklärungsmodelle für das Kinderkriegen tatsächlich stehen, zeigt sich, wenn doch einmal eine aussagekräftige Untersuchung gelingt. (Jede hat einen guten Grund, DIE ZEIT, Nr. 26 / 22. Juni 2006, S. 31)
Das Lexikon führt an: „auf schwachen Beinen stehen“ = nicht sicher, nicht gut begründet sein. Diese Substitution „schwach“ -› „wacklig“ verursacht keine Änderungen in der Semantik des Phrasems. Der Journalist wollte nur seine Äuβerung aktualisieren und ein Klischee vermeiden.
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