4.2.3 Die veränderte Rolle der Lehrkraft
Wie sich an der Beschreibung der konstruktivistischen Lerntheorie und der ent-
sprechenden Didaktik erkennen lässt, ist ein völlig verändertes Verständnis des
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Begriffs „Lehre“ erforderlich. Es sollte klar geworden sein, dass die Lehrenden
den Wissenserwerb nicht bestimmen, sondern höchstens steuern und beeinflus-
sen können (vgl. z.B. Overmann 2002: 81). Der Lehrende muss also sein Rolle
als Vermittler der Fremdsprache aufgeben und die Schülerinnen und Schüler bei
ihren Konstruktionsprozessen unterstützen (vgl. Wolff 2002: 345). Bimmel und
Rampillon (2000: 55f) vergleichen diese Tätigkeit mit der eines »Managers«.
Dabei soll der Manager die Aufgaben und Ziele analysieren, die – zum Erreichen
dieser – die notwendigen Strategien aktivieren oder erarbeiten, die Ausführung
der Strategien überwachen und schließlich prüfen, ob das Ziel erreicht wurde.
Es liegt also unverkennbar ein Schwerpunkt auf der Reflexion des eigenen
Lernprozesses. In den unteren Klassenstufen können Lehrerinnen und Lehrer
noch die „Manager“-Rolle übernehmen, doch die „Schülerinnen und Schüler im
Laufe ihrer Schulzeit allmählich schrittweise lernen, ihr eigener „Manager“ zu
werden“ (ebd. S. 56). Im Fremdsprachenunterricht müssen die Lehrenden den
Schülerinnen und Schülern Prozesse und Strategien
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vermitteln müssen, wel-
che neben der Selbststeuerung und dem Selbstlernen auch die
Sprachverarbeitung erleichtern. Eine konstruktivistische Fremdsprachendidak-
tik erlaubt diese Förderprozesse in wesentlich höherem Maß als andere didakti-
sche Ansätze. Um ihr volles Potenzial zu entfalten, muss die Lehrerin oder der
Lehrer sich an fünf Beschreibungskategorien (Wolff 2002: 344f) zur Gestaltung
des Unterrichts orientieren, welche im Folgenden erläutert werden. Vergleich-
bare Beschreibungen finden sich auch bei anderen Autoren, allerdings erstrek-
ken sich diese nicht über alle den Unterricht betreffende Kategorien.
a) Lernziele
Wie bisher lassen sich auch in einer konstruktivistischen Didaktik Lernziele for-
mulieren. Da das Ziel des Fremdsprachenunterrichts der kompetente Sprach-
nutzer ist, muss der Schwerpunkt dabei auf dem prozedualen Wissen und der
Beherrschung der Fertigkeiten sprechen, hören, lesen und schreiben liegen. Um
dies zu erreichen, darf allerdings auch die Ausbildung des deklarativen Wissens
nicht vernachlässigt werden (vgl. Wolff 2002: 346). Der Ausbau des mentalen
Lexikons und Kenntnisse über die Grammatik sind notwendig, um sich kommu-
nikativ verhalten zu können und so eine gemeinsame Konstruktion von Bedeu-
16 Eine ausführliche Darlegung verschiedener Strategien ist bei Bimmel und Rampillon
(2000: 99–141) zu finden.
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tungen zu ermöglichen (vgl. S. 346-349). Neben dem kompetenten Sprachge-
brauch wird auch die interkulturelle Kompetenz als Lernziel formuliert (vgl. S.
350), da sich auch die Kenntnisse über das entsprechende Land, die Kultur und
die Wert- und Moralvorstellungen auf den korrekten Sprachgebrauch auswirken.
Die Lernziele versteht man dabei eher als Meta-Lernziele, die auf den Prozess
des Sprachlernens ausgerichtet sind (S. 346), wie z.B. die Organisation des ei-
genen Lernprozesses und die Entwicklung von Selbstständigkeit (S. 351).
b) Lerninhalte
Gemäß der konstruktivistischen Lerntheorie ist es problematisch, das Lernen als
„lineare Wissensvermittlung nach dem Sender-Empfänger-Modell“ (Siebert
2002: 227) anzusehen, da die Eingabe durch die Lehrkraft nicht optimal in die
Wissensnetze der Schülerinnen und Schüler integriert werden kann. So ist das
Treffen einer Auswahl und das Strukturieren der Unterrichtsinhalte nicht nur un-
nütz, sondern sogar kontraproduktiv. Da die Schülerinnen und Schüler ihr eige-
nes Wissen nicht einbringen können, bestehen nicht genügend Anknüpfungs-
punkte, um Neues zu verarbeiten (vgl. 3.1). So kann Desinteresse entstehen.
Lernen muss in einer reichen Lernumgebung stattfinden, soll es gewinnbringend
sein. Dazu genügen die Lerninhalte aus den Lehrbüchern nicht. Die Lehrkraft
muss diverse Sorten von Text (schriftlich, gesprochen) unterschiedlicher
Anforderungsniveaus (vgl. Wolff² 2002: 23) in den Unterricht einbringen oder
zugänglich machen, damit die Schülerinnen und Schüler frei daraus wählen kön-
nen. Die konstruktivistische Fremdsprachendidaktik lehnt neben vorher festge-
legten Lerninhalten auch eine damit einhergehende Progression ab (vgl. Wolff
2002: 354) – ein weiterer Grund, der gegen die ausschließliche Verwendung von
Lehrbüchern spricht.
Diese Forderungen kann ich vom konstruktivistischen Standpunkt gesehen nach-
vollziehen. Allerdings halte ich eine radikale Umsetzung in der Schule für un-
möglich, solange das Prüfungs- und Benotungssystem an den Schulen nicht ge-
ändert wird. Da Noten und Abschlüsse bundesweit vergleichbar sein müssen,
müssen auch die Inhalte ähnlich sein. Aus diesem Grund existieren die relativ
einheitlichen Lehrpläne.
Einen möglichen Ausweg aus diesem Dilemma will Reich (2006: 95) aufzeigen.
Für ihn bieten die Lehrpläne immer noch genügend Freiraum für die Lehrenden
„mit Lernenden (...) zu diskutieren und zu vereinbaren, was die derzeitigen
Setzungen von anderen für uns bedeuten sollen und können“. So können mit-
tels Konstruktion und Rekonstruktion die vorgegebenen Inhalte vermittelt wer-
den. Der Prozess der Dekonstruktion kann Aufschluss darüber geben, ob es sinn-
voll ist, die von außen vorgegeben Inhalte und Regel zu übernehmen oder ob es
nicht besser ist, neue zu konstruieren.
In meinen Augen bietet diese Option zu wenige Möglichkeiten der Konstruktion,
da die Erfahrungen und Lebenssituationen der Schülerinnen und Schüler zu we-
nig berücksichtigt werden. Daher plädiere ich für das Festlegen von
Groblernzielen, die Feinlernziele sollen von den Schülerinnen und Schülern
selbst erarbeitet werden. So ist eine gewisse Vergleichbarkeit immer noch ge-
währleistet, ohne die individuellen Interessen und Bedürfnisse der Lernenden im
Rahmen der festgelegten Groblernziele zu vernachlässigen.
Die Verwendung des Lehrwerks als Leitmedium muss auch aus anderen Gründen
kritisch betrachtet werden. So fordert der Lehrplan, dass sich der Unterricht „an
realen Sprachverwendungssituationen“ (HKM
2
2007: 4) orientieren soll. Aus
konstruktivistischer Sicht ist Lernen „ein Prozess, der durch eine reiche und au-
thentische Lernumgebung besonders gefördert wird“ (Wolff
2
2002: 21). Insofern
besteht eine Übereinstimmung. Aus konstruktivistischer Sicht ist es wichtig, dass
im Mittelpunkt des Unterrichts „der Erwerb von Fähigkeiten und Wissen, die in
der realen Lebenswirklichkeit gebraucht werden können“ (ebd.) steht. Da Lehr-
werke aber für eine „fiktive Klasse“ konzipiert sind, ist es kaum möglich, dass die
damit zu vermittelnden Inhalte auf die Situation und Erfahrungen der Schül-
erinnen und Schüler bezogen sind (vgl. Jürgens 2006: 411). Bezüglich der
Echtheit gibt Wolff (1997: Webseite) folgendes zu bedenken:
Kommunikation wird nicht authentisch, indem man so tut, als ob
sie authentisch wäre (Rollenspiele, Simulationen), Unterrichts-
materialien werden nicht authentisch, indem man in Lehrwerken
fiktive Welten konstruiert und den Lernenden Texte anbietet, die,
obwohl sie sich authentisch geben, vor allem durch eine stringente
grammatische Progression charakterisiert sind.
Selbst unter der Annahme, dass in Lehrbüchern ein tatsächlich stattgefundener
Dialog schriftlich festgehalten wird, handelt es sich dabei immer noch nicht um
einen authentischen Dialog, selbst wenn der Text von zwei Schülerinnen
und/oder Schülern wechselseitig vorgelesen wird. Es fehlt an der Intention zur
Kommunikation (d.h. an einer wirklichen Sprechabsicht) und an nonverbalen
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