5.2.1 Medienpädagogik im gesellschaftlichen und technischen Wandel
Die Medienpädagogik kann – trotz ihrer kurzen Geschichte – auf viele unter-
schiedliche Ansätze und Zielsetzungen zurückblicken, welche schon immer be-
dingt waren durch die „jeweiligen politischen Gegebenheiten, erziehungswissen-
schaftlichen Strömungen und medientechnischen Entwicklungen“ (Hüther/
Podehl 2005: 3). Das ist auch der Grund, warum es keine absolute und festste-
hende Definition für diesen Begriff geben kann. Weiterhin lassen sich die ver-
schiedenen medienpädagogischen Ansätze auch zeitlich nicht ganz klar von ein-
ander trennen, da sie teilweise parallel nebeneinander her existierten.
Eine Weiterentwicklung findet immer auf Grund der gesellschaftlichen und tech-
nischen Veränderungen statt. Auch die Kritik aus anderen Ansätzen der
Medienpädagogik führt zu einer Veränderung der Inhalte und Zielsetzungen.
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5 Medienkompetenz
Um das Konzept der heutigen Medienpädagogik nachvollziehen zu können, er-
achte ich es als notwendig, hier einen kurze geschichtliche Zusammenfassung
vorzunehmen
24
.
Schon mit Erscheinen des Buches und der Zeitung als Massenmedien wurden im
18. und 19. Jahrhundert von Kirche und Staat „Präventiv- und
Reglementierungsmaßnahmen zum »Schutz« des Bürgers vor den Medien gefor-
dert“ (ebd. S. 4). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts – mit Erscheinen des Films als
neuem Medium – wurde diese Forderung erneut aufgegriffen und in der
Erziehungspraxis eine präventiv-normative Bewahrpädagogik betrieben. Ziel war,
die Bürger vor dem schädlichen Einfluss der Massenmedien auf Sitte und Moral
zu schützen. Es sollten nicht nur „gefährdende Elemente im Sozialisationsprozeß
besonders von Kindern und Jugendlichen“ ferngehalten werden (Baacke 1996:
112), sondern auch eine Hinwendung zu den »wertvollen« Medien erzielt wer-
den. Gleichzeitig wurde auch die Möglichkeit zum Einsatz des Films als
Bildungsmedium diskutiert (vgl. Hüther/Podehl 2005: 4-6).
Zur Zeit des Nationalsozialismus wurden die Medien für Propaganda und
Indoktrination benutzt. Eine Medienpädagogik im erziehungswissenschaftlichen
Sinn wurde durch die Politik verhindert - „sowohl in ihrer bewahrenden als auch
erst recht in ihrer kritikfördernden Funktion“ (ebd. S. 6). Medien wurden nach
der Gleichschaltung durch die Nationalsozialisten sowohl im Privatleben als
auch im Bildungsbereich zu einem propagandistisch-indoktrinären Werkzeug,
das als Unterhaltungs- oder Bildungsprogramm getarnt, zur Beeinflussung einer
breiten Bevölkerungsschicht diente (vgl. Hüther/Podehl 2005: 6-8).
In der Nachkriegszeit herrschte bei vielen Pädagogen eine nachvollziehbare
Skepsis, was Medien betraf. Doch statt ein neues medienpädagogisches Konzept
zu entwickeln, besann man sich auf die bewahrenden und vorschreibenden
Ansätze aus der Zeit der Weimarer Republik. Gestützt auf psychologische
Filmwirkungsforschung entstand eine präventiv-normative Medienpädagogik,
wobei der Film als Medium im Mittelpunkt stand. Das „erzieherische Filmge-
spräch“ (ebd. S. 9) sollte den Schülerinnen und Schülern vermitteln, welche
Wirkung Filme haben können und welche Mittel dazu verwendet werden. Ziel
sollte die „selbständige Bewältigung des Mediums Film“ und die „Eigenbewah-
rung vor schädlichen Medieneinflüssen“ sein (vgl. Hüther/Podehl 2005: 9).
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5 Medienkompetenz
24 Eine ausführlichere Abhandlung ist zu finden in: Hüther/Schorb/Brehm-Klotz (1997):
Grundbegriffe der Medienpädagogik.
Als sich das Fernsehen als neues Medium immer weiter ausbreitete, war eine
neue Form der Medienpädagogik gefordert, die nicht mehr allein auf das Be-
wahren abzielt. Vielmehr wurde Mitte der sechziger Jahre durch die kritisch-re-
zeptive Medienpädagogik versucht, die Fähigkeit zur sinnvollen Mediennut-
zung zu vermitteln, wobei sich diese Nutzung rein auf den konsumptiven Aspekt
bezog. Wenige Jahre später wendete sich diese Pädagogik den politischen und
ökonomischen Aspekten zu. Die Intention war, die Sensibilisierung hinsichtlich
der Beeinflussungsmechanismen von Medien und die Fähigkeit kommunikativen
Abläufe zu durchschauen (vgl. Hüther/Podehl 2005: 10). Diese emanzipato-
risch-politische Medienpädagogik wollte also „durch mündiges, konfliktbereites
Handeln zu medienbezogener Emanzipation führen“ (ebd.).
Parallel dazu wurden Ende der siebziger Jahre enorme Investitionen in die me-
diale Ausstattung der Schulen getätigt. Grund dafür war die Suche nach einer
Lösung für die von Georg Picht prognostizierte Bildungskatastrophe in
Deutschland (vgl. Hüther/Podehl 2005: 11). Somit wurden Medien nicht nur als
Konsumgut, sondern auch als Unterrichtshilfsmittel für die Medienpädagogik re-
levant, deren verstärkten Einsatz man als Lösung ansah. Diese bildungstechno-
logisch-funktionale Ausrichtung der Medienpädagogik nahm an, dass durch den
korrekten Einsatz von Medien definierte Lernziele direkt und ohne Verlust ver-
mittelt werden können
25
. Es wurde versucht, den Unterricht mittels der Medien
„in kontrollier- und beliebig reproduzierbare Schritte zu zerlegen“ und „eine
stringente Steuerung und Standardisierung des Unterrichts zu erreichen (beide:
Hüther/Podehl 2005: 11). Die emanzipatorische Medienpädagogik kritisierte an
diesem Ansatz, dass durch rein technische Vermittlung die Kommunikation, die
Mit- und Selbstbestimmung der Schülerinnen und Schüler erheblich einge-
schränkt sei. Ein weiterer Diskussionspunkt war die Trennung der Medien in
Massen- und Unterrichtsmedien. Die emanzipatorische Medienpädagogik unter-
scheidet hier nicht, da für sie sowohl Unterrichts- als auch Massenmedien beein-
flussende und informierende Funktion haben.
Aus dieser Diskussion heraus entwickelten sich Konzepte, die beide Ansätze mit-
einander verbanden. Die reflexiv-praktische Medienpädagogik entstand aus dem
medienkritischen Ansatz und bezog ebenfalls den emanzipatorischen Aspekt mit
ein. Dieser auf Schüler- und Handlungsorientierung basierende Ansatz stellt nun
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5 Medienkompetenz
25 Dabei geht der theoretische Ansatz auf Skinners Vorstellung vom Lernen als Reiz-
Reaktions-Prozess zurück. Medien sollten in diesem Prozess den Reiz auslösen und auch
die Reaktion kontrollieren.
nicht mehr wie bisher nur die Auswirkungen der Medien auf den Menschen in
den Mittelpunkt, sondern beschäftigt sich mit der Produktion eigener
Medienbeiträge (vgl. Baacke 1996: 113). Mittels »aktiver Medienarbeit« wurde
versucht, den Erkenntnisgewinn und die Bedürfnisartikulation zu fördern. Der
Lernende wurde nicht nur als Konsument der Medien angesehen, sondern auch
als Mensch, der „sich die Medien (...) alltäglich aktiv aneignet und zu seinem ei-
genen individuellen Medienalltag arrangiert“ (Hüther/Podehl 2005: 13).
Aufgabe der Medienpädagogik dabei war, eine Handlungs-kompetenz in Bezug
auf Medien zu vermitteln, welche die aktive Nutzung zu einem reflexiven Prozess
und nicht zu einem passiven Konsum werden lässt (vgl. Hüther/Podehl 2005:
12-14).
Handeln
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bildet den Grundstein für eine Medienpädagogik, die als Ziel die
Vermittlung von »Medienkompetenz« hat.
In der heutigen Medienpädagogik finden medientechnische und medienkultu-
relle Entwicklungen eine bisher nicht in diesem Maß vorhandene
Berücksichtigung. Sie geht auf „die Zusammenhänge zwischen den technischen,
pädagogischen, politischen und ökonomischen Implikationen der Medien“
(Hüther/ Podehl 2005: 14) stärker ein und erkennt den immer größeren Einfluss
der Medien im Privat- und Berufsleben. Im Kontext von Bildung ermöglichen die
Neuen Medien ein wesentlich einfacheres Recherchieren von Informationen und
eine leichtere „Verwaltung, Verarbeitung und Visualisierung“ (ebd.) dieser
Daten. Mittels Computer und Internet stehen auch völlig neue Formen des
Lernens zur Verfügung. Diese Möglichkeiten erfordern eine gänzlich veränderte
Medienpädagogik.
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